Protokoll der Sitzung vom 04.06.2004

(Heiterkeit und Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Zurufe von der CDU – Abg. H e r d e r h o r s t [CDU]: Das muss auch zurückgewiesen werden, Herr Präsident! So etwas gehört sich nicht! Das muss ge- nauso zurückgewiesen werden! Sie brül- len immer, wenn der da hinten redet! So etwas gehört sich nicht! Das ist nicht ge- recht! Immer, wenn der da hinten redet, dann sagen Sie das Gleiche! Das ist eine Unverschämtheit! – Glocke)

Bitte, Frau Dr. Trüpel!

Ich führe hier eine offene parlamentarische Debatte. Irgendwie verstehe ich Ihre Aufregung nicht so ganz! Sie müssen sich schon irgendwie auch einmal die Gegenargumente anhören. Ich habe mir doch eben auch Ihre Reden angehört, und jetzt antworte ich darauf! Das ist Parlamentarismus, Herr Herderhorst!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Zu- ruf des Abg. H e r d e r h o r s t [CDU])

Jetzt zu dem Argument mit Kaplan! Ich bin ganz an Ihrer Seite, wenn Sie sagen, dass man den erstarkten islamischen Fundamentalismus – ich gehe so weit, das, was sich da bei den Aktionen von Al Kaida in gewissen islamistischen Kreisen tut, eine neue Art von Faschismus und totalitärem Denken zu nennen – entschieden bekämpfen muss.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Da bin ich ganz an Ihrer Seite, aber solche Auswüchse von latent- und manifest-faschistischem Denken sind etwas anderes, als ob man gewillt ist, mit Menschen anderer Religionen zusammenzuleben. Da kann man Vertreter islamischen Glaubens nicht mit

islamistischen, faschistischen Gewalttätern und Terroristen in einen Topf werfen. Wer das tut, hat das Augenmaß für unsere innenpolitische Debatte verloren.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Jetzt zu dem Argument, man dürfte im Europawahlkampf hier eine solche Debatte gar nicht führen! Anders als Sie, meine Damen und Herren, bin ich der Meinung, dass man sich solchen Themen, die in der Tat gesellschaftspolitisch umstritten sind, stellen muss. Herr Wedler, wenn Sie so tun, als ob Herr Tittmann heute die erste ausländerfeindliche Rede anlässlich dieses Themas gehalten hätte, dann haben Sie offensichtlich von diesem Parlament noch nichts verstanden. Ich weise auch ein solches Wort wie Überfremdungsfanatiker, das eben von Herrn Tittmann uns gegenüber gefallen ist, entschieden zurück.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Dieser Mann, meine Damen und Herren, hat leider immer noch nicht verstanden, dass die Zukunft Deutschlands und Europas in einem friedlichen Zusammenleben und in einer Koexistenz von Menschen aus anderen Ländern und den Menschen, die sozusagen in den Nationalstaaten geboren sind, liegt. Das ist unsere Zukunft. Wir werden auch nur die ökonomischen Probleme und die Fragen der Alterspyramide bewältigen, wenn wir bereit und gewillt sind, uns dieser Integrationsleistung und dieser Art von Zuwanderung zu stellen.

In weiten Teilen der CDU und der DVU ist das immer noch nicht wirklich angekommen. Ich glaube, dass wir keinen anderen positiven Weg haben, unsere Zukunft zu bewältigen, als uns dieser Form des Zusammenlebens zu stellen. Das ist nicht immer einfach, das ist nicht konfliktfrei, aber es gibt keinen anderen Weg, als sich auf den Weg zu machen, Einwanderung positiv zu besetzen und bewältigen zu wollen. Da hat die CDU in den letzten Jahren erhebliche Versäumnisse zu verzeichnen. Das ist natürlich so.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Darum möchte ich noch einmal festhalten, ich finde es richtig, solche Debatten zu führen. Man weckt damit keine schlafenden Hunde, sondern es wird das hier im Hause debattiert, was es an öffentlicher Auseinandersetzung gibt. Das Parlament ist ein Ort, wo solche Debatten geführt werden. Dazu stehe ich. Auch hier im Hause ist das nicht konfliktfrei, das ist auch nicht zu erwarten. Wir führen hier offene, politische Auseinandersetzungen.

Ich will noch einmal sagen, ich gehöre durchaus zu denen, die viele Probleme in der Türkei sehen. Das habe ich auch in meiner ersten Rede deutlich gemacht. Ich habe hier nichts beschönigt, Herr Jäger! Trotzdem bin ich der Meinung, wenn die Kopenhagener Kriterien erfüllt werden, und da gibt es diese klaren Konditionen, dann gibt es ein großes politisches Interesse, den Demokratisierungsprozess in der Türkei zu unterstützen. Deswegen möchte ich, dass hier heute unserem Antrag zugestimmt wird, der begrüßt, dass die Konferenz in Kopenhagen diesen Beschluss einstimmig gefasst hat, und den Senat auffordert, auch weiterhin in diesem Sinn auf der europäischen Ebene und in der Bund/LänderArbeitsgruppe tätig zu werden. – Vielen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner erhält das Wort der Abgeordnete Jäger.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Normalerweise, geschätzte Kollegin Frau Dr. Trüpel, mit Ihrem Vergleich von Äpfeln und Birnen, eben die Frage von Menschenrechten und Stellung der Frau in der Türkei zu vergleichen mit der Frage, welchen Stellenwert die CDU bei gehobenen Positionen im politischen Raum hat, damit haben Sie eben Ihr wahres Gesicht gezeigt, dass es Ihnen um Polemik geht und um nichts anderes an dieser Stelle!

(Beifall bei der CDU)

Wo sich in der Fraktion zu meiner Linken eben Beifall artikuliert hat, schauen Sie einmal nach Hamburg und zu Ihrem Kollegen Herrn Öger, der auch etwas zum Thema Frauen und Gebärmaschinen gesagt hat! Das kann ich auch nur zurückweisen, und ich hoffe nicht, dass das hier Alltag in der Auseinandersetzung wird, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Insofern lassen Sie uns nicht Äpfel und Birnen vergleichen! Die entscheidende Frage ist, ob die Reformfähigkeit der Türkei unterstützt werden kann, indem die Türkei der EU beitritt oder ob sie vorher eine nachhaltige Perspektive sich selbst erarbeiten muss. Da sage ich, wir sind derzeit überfordert. Die CDU hat in den vergangenen Jahren einen kontinuierlichen Weg der Partnerschaft gezeigt, egal, ob Helmut Kohl oder danach. Wir haben diese Kontinuität angezeigt, und darauf lege ich zum Schluss dieser Debatte auch noch einmal Wert. Lassen Sie uns über die wesentlichen Fragen nach dem Wahlkampf diskutieren! Da bin ich sehr gespannt, ob wir dann mit der gleichen Euphorie darüber diskutieren oder nicht. ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

Ich glaube, Sie tragen das Schild der Kopenhagener Kriterien als Schutzschild vor sich her. Das ist ein dialektischer Kniff, Frau Dr. Trüpel. Sie wissen, wie schlecht der Bericht der EU-Kommission ausfallen wird. Sie stellen sich jetzt als türkenfreundlich hin, wollen ein paar Wählerstimmen haben, und anschließend werden Sie im November oder im Dezember feststellen, dass der Bericht gar nicht so freundlich aussieht.

Ich habe mir vorgestellt, wer eigentlich dieser Debatte zuhört. Dass wir uns hier jetzt einmal streiten wie die Kesselflicker, ist in Ordnung, dient bei dem einen oder anderen vielleicht zur Entscheidungsfindung. Ich habe mir in diesen Minuten überlegt, was eigentlich die Türken, die in Bremen wohnen, über diese Debatte denken, und ich finde, denen sind wir hier heute nicht gerecht geworden, wenn wir über Integration und über Perspektiven der Türken in Deutschland reden. Darüber hätten wir gern mehr gehört. – Herzlichen Dank!

(Beifall bei der CDU)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Wedler.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte nur zu einer Bemerkung, die ich vorhin hier gesagt habe – die ist mir so herausgerutscht –, was die Bewertung des Antrags der Grünen anbetrifft, etwas sagen. Das „überflüssig“ möchte ich hier ausdrücklich zurücknehmen. Ich habe da nur, was den heutigen Beschlussvorschlag angeht, politisch eine andere Auffassung, aber diese Bewertung nehme ich zurück.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit der Drucksachen-Nummer 16/210 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür Bündnis 90/Die Grünen)

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen SPD, CDU und Abg. W e d - l e r [FDP])

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt den Antrag ab.

Bericht über den Fortgang der Bemühungen, die Europafähigkeit der Verwaltung zu verbessern

Mitteilung des Senats vom 27. April 2004 (Drucksache 16/223)

Dazu als Vertreter des Senats Herr Bürgermeister Dr. Scherf, ihm beigeordnet Frau Staatsrätin Dr. Kießler.

Die Beratung ist eröffnet.

Das Wort erhält der Abgeordnete Manfred Oppermann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute zum zweiten Mal in diesem Jahr das Thema „Die bremische Verwaltung fit machen für Europa“. Wir haben diese Debatte schon am 25. Februar geführt und haben den Senat aufgefordert, hierzu Stellung zu nehmen. Das hat er, oh Wunder, bereits am 23. Februar getan. Ich würde mir für die Zukunft wünschen, dass er bei anderen Anfragen, die wir an den Senat haben, auch so schnell antworten würde. Aber zur Sache!

Wir haben den Bericht, diese Mitteilung des Senats mit der Drucksachen-Nummer 16/223, hier zur Kenntnis bekommen, und ich kann für meine Fraktion sagen, dass wir mit dieser Antwort zufrieden sind. Wir wollen noch einmal darauf hinweisen, dass wir Europa für ein wichtiges, ich will nicht sagen, Ereignis halten, aber wir halten Europa für wichtig. Wir müssen darauf vorbereitet sein, auch wir Abgeordnete, aber insbesondere unsere Verwaltung, und darum haben wir ja auch in der Februar-Debatte ausdrücklich darauf hingewiesen, dass wir die Qualifizierung von Landesbeamten haben möchten, dass wir den Senat auch aufgefordert haben, dafür zu sorgen, dass wir auch in der Zukunft und gerade für die Zukunft, weil immer mehr bedeutende Gesetzgebungsverfahren über Brüssel kommen, als Land fit sind.

Zugleich gilt, dass wir auch die Bediensteten, ich will das einmal so vereinfacht darstellen, auf Brüssel vorbereiten und dass wir diese dann auch nach Brüssel entsenden. Das können wir allerdings nur, das will ich auch in aller Deutlichkeit sagen, und zwar auch ein bisschen vereinfacht, wenn wir dort Platz haben. Wer die Vertretung in Brüssel kennt, weiß, sie ist sehr charmant, sie ist bremisch zurückhaltend, aber sie hat auch ihre räumliche Enge, so dass wir dort in einer qualifizierten Unterbringung die Mitarbeiter, die wir dann aus Bremen dorthin senden wollen, gar nicht unterbringen können. Wenn es sich anbietet, dass wir unsere Repräsentanz in Brüssel erweitern können, dann müssen wir, wenn wir zu Europa Ja sagen, auch Ja sagen, was die Bereitstellung von zukünftigen Mitteln angeht,

um die Repräsentanz dort vor Ort auch räumlich auszuweiten.

Wir sollten auch diese Chance nutzen, wenn sie uns jetzt geboten wird, weil es eine Investition in die Zukunft ist. Die Anforderungen bremischer Verwaltung und auch der Repräsentanz in Brüssel werden auch zunehmend größer werden. Das geht nicht, wenn man nur ein kleines Hauszelt hat, sondern man muss dann dort schon ein größeres Steilwandzelt haben, damit man die Menschen auch alle sach- und fachgerecht unterbringen kann. Die Zustände sind in dem Haus aufgrund der Räumlichkeit nicht gerade so, wie es sich für eine Repräsentanz gehört.

Der Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten hat auf seiner Sitzung am 18. Mai gesagt, wenn wir Bremerinnen und Bremer und wenn wir hier in diesem Hause Europa für wichtig halten, dann ist es auch geboten, dass wir den Haushalt der Bevollmächtigten entsprechend mit Mitteln ausstatten. Ich weiß, es ist vor dem Hintergrund der schwierigen Haushaltssituation nicht einfach, aber wenn wir A sagen, müssen wir auch B sagen. Wir haben einen Antrag gestellt, dass man bei den jetzt anstehenden Haushaltsberatungen der erweiterten Aufgabe der Europapräsenz in Brüssel, aber auch hier in Bremen gerecht wird und das Haus auch entsprechend mit Mitteln ausstattet.

Lassen Sie mich eines zum Abschluss sagen, ich weiß, wir haben noch einiges auf der Tagesordnung, das sehr wichtig ist! Das meiste ist gesagt. Wir wählen am 13. Juni die Mitglieder des Europäischen Parlamentes, was sehr wichtig ist, und Bremen ist ja Gott sei Dank seit Anbeginn mit einer Person in Brüssel vertreten. Das reicht aber nach meiner Auffassung allein nicht aus, um die Interessen Bremens in Brüssel, die ich sehr gut vertreten sehe, das sage ich hier als Landespolitiker – dass ich als Sozialdemokrat darüber hinaus stolz bin, dass es eine Parteikollegin von mir ist, brauche ich, glaube ich, eigentlich gar nicht zu erwähnen –, wahrzunehmen. Es reicht für die Zukunft nicht aus, dies nur auf die Schultern einer einzigen Person zu lasten, sondern wir müssen sehen, dass wir unsere Vertretung in Brüssel, aber auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der bremischen Verwaltung, die mit europapolitischen Dingen befasst sind, hier entsprechend vorbereiten und dass wir sie auch nach Brüssel in Institutionen und Einrichtungen der Europäischen Union entsenden können.

Das, was wir heute machen, zahlt sich nach meiner Überzeugung in den nächsten Jahren doppelt und dreifach wieder aus. Scheuen wir uns also nicht, das richte ich an alle Fraktionen hier in diesem Hause, in den anstehenden Haushaltsberatungen auch daran zu denken, die Zukunft beginnt nicht nur hier in Bremen, sondern die Zukunft ist Europa! Darum lasst uns dafür handeln und lasst uns auch die entsprechenden Mittel für Europa und auch für die Bevollmächtigte zur Verfügung stellen, notfalls durch