Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Antwort des Senats auf die Große Anfrage der CDU und der SPD zur Novellierung des Bremischen Bildungsurlaubsgesetzes liegt Ihnen allen vor. Ich gehe ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.
davon aus, Sie haben sie auch alle gelesen. Ich verzichte an dieser Stelle darauf, jede Frage und Antwort sukzessive durchzugehen. Ich frage einfach einmal: Wer hätte denn zum Beispiel Lust, mit mir nächstes Jahr nach Portugal zu fahren, um ein bisschen umgangssprachliches Spanisch zu lernen? Hier ist die erste Meldung. Prima! Noch jemand?
Es gibt auch eine Fußballschule, wo man auch noch seine Englischkenntnisse ein bisschen auffrischen kann. Ich sehe, die Begeisterung ist groß!
Andere Frage: Wer von Ihnen hat schon einmal Bildungsurlaub in Anspruch genommen, um hier als Abgeordneter oder als Abgeordnete im Parlament zu sitzen? Es ist wahrscheinlich auch eine rhetorische Frage.
Ich denke, es herrscht Einigkeit hier im Haus, dass das sicherlich nicht der Grundgedanke des Bildungsurlaubs ist. Es handelt sich dabei eher um die praktische Umsetzung des Gedankens des lebenslangen Lernens für Angestellte, Arbeiter und Auszubildende. Diese Idee und diese Notwendigkeit sind unbestritten, und ein gesetzlicher Anspruch darauf ist sicherlich auch ein ganz wichtiger Bestandteil in unserer heutigen bildungsorientierten Gesellschaft.
Allerdings muss es an dieser Stelle auch einmal gestattet sein anzumerken, dass dies auch nicht nur ein Recht ist. Es besteht mit Sicherheit auch eine eigenverantwortliche Pflicht jedes Einzelnen, sich um seine eigene Weiterbildung und Weiterqualifizierung zu kümmern. Dass dies noch nicht so ist, zeigen auch Zahlen aus der Antwort des Senats, nämlich dass nur zwölf Prozent der Teilnehmer Veranstaltungen zum Bildungsurlaub im Bereich der beruflichen Weiterbildung wahrnehmen.
Eine ganz wichtige Zielgruppe für Bildungsurlaub ist mit Sicherheit die Gruppe der so genannten Bildungsbenachteiligten, also derer, die doch etwas bildungsfern aufgewachsen sind, denen der Zugang zur Bildung im Elternhaus oder in der Schule aus den verschiedensten Gründen nicht so möglich war und die jetzt versuchen, in ihrem Berufsleben sich dies nachträglich mühselig anzueignen. Hier sind die Zuschüsse zu den Gesamtkosten sinnvollerweise auch am höchsten. Man kann in gewisser Hin
sicht sicherlich auch den Bedenken von Handwerkskammer und Unternehmerverbänden näher treten. Die geforderte Konsequenz, dieses Gesetz in Gänze abzuschaffen, ist aus unserer Sicht mit Sicherheit nicht richtig und auch nicht zielführend.
Auch den Standortfaktor Arbeit muss man mit in die Überlegungen einbeziehen, das ist richtig. Aus der Antwort des Senats geht zum Beispiel auch hervor: Es gibt keine Erhebungen darüber, aus welchen Berufsgruppen die Teilnehmer und Teilnehmerinnen kommen, also keine Erhebungen darüber, wie viele Teilnehmer und Teilnehmerinnen aus dem öffentlichen Dienst stammen. Es gibt da Schätzwerte. In den vier Bundesländern, die dies erheben, sollen es bis zu 50 Prozent sein. Für das Land Bremen wird mit 20 Prozent gerechnet. Das wären bei einer Gesamtteilnehmerzahl von 13 749 Beschäftigten dann 2750 Beschäftigte aus dem öffentlichen Dienst.
Bildungsurlaub! – und fehlen zusätzlich fünf Tage in ihrem Unternehmen, in ihrem Betrieb, an ihrem Arbeitsplatz, dann wäre das in etwa eine Summe von 13 750 nicht zusätzlichen Urlaubstagen, sondern zusätzlichen Tagen, die sie fehlen. Bei einer angenommenen Jahresarbeitszeit von zirka 190 Tagen wären das in etwa 73 Stellen.
Ich möchte das an dieser Stelle gar nicht groß bewerten, ich möchte nur den Blick ein bisschen darauf fokussieren, weil wir im Moment wirklich um jede Stelle, die abgebaut werden soll, ringen. Es geht in der Diskussion um die Reduzierung von Urlaubsund Weihnachtsgeld bei öffentlich Angestellten, und man diskutiert über eine Arbeitszeit über 38 oder 40 Stunden in der Woche. Wenigstens muss man sich den Argumenten stellen.
Die Forderung des Rechnungshofs, diese Bevölkerungsgruppe, diejenigen, die also im öffentlichen Dienst angestellt sind, die also nicht zu diesen so genannten Bildungsbenachteiligten gehören, gänzlich von dem Recht auf Bildungsurlaub auszuschließen, geht unseres Erachtens völlig über das Ziel hinaus, und dafür muss es eine andere Lösung geben.
Man kann auch Bedenken der Arbeitgeberseite nachvollziehen, ich habe es neulich in einem kleinen Handwerksbetrieb wieder erlebt, einer Autowerkstatt. Wenn ein Mitarbeiter, der noch acht Tage Resturlaub hat, dem 30 Tage im nächsten Jahr zustehen, der Überstunden vor sich herschiebt, jetzt auch noch fünf Tage Bildungsurlaub nehmen und vielleicht neun Wochen im Betrieb fehlen würde, dann denke ich schon, dass dies Probleme beim betrieblichen Ablauf geben würde und auch sicher die Kollegen nicht so sonderlich begeistern würde.
Trotz der insgesamt rückläufigen Teilnehmerzahlen – nach einem Höchststand im Jahre 1992 befinden wir uns jetzt auf dem Niveau von 1984 – ist im Bereich der allgemeinen Weiterbildung immerhin noch ein Zuspruch von 46 Prozent der Teilnehmer zu verzeichnen, und hierbei handelt es sich vorrangig um Fremdsprachenkurse, deshalb ist meine eingangs vielleicht etwas provokante Frage ja nicht so weit hergeholt, und um EDV-Kurse. Auch diese Kurse werden bis zu 25 Prozent von der öffentlichen Hand bezuschusst.
Man muss sich an der Stelle auch einmal fragen: Wozu sind der Arbeitgeber und die öffentliche Hand verpflichtet, Sorge zu tragen, und was ist einem engagierten Arbeitnehmer eigenverantwortlich zuzumuten? Dabei beziehe ich mich ausdrücklich mehr auf ganz allgemein weiterbildende Maßnahmen und so genannte Wohlfühl- und Spaßkurse. Es ist einfach zu konstatieren, dass es mit Sicherheit ganz viele Argumente für einen gesetzlich verankerten Anspruch auf Bildungsurlaub gibt, aber auch vieles gegen die nicht mehr ganz so zeitgemäße Form des Bildungsurlaubsgesetzes im Lande Bremen spricht. Deshalb haben wir uns als CDU-Fraktion für eine Modifizierung des Gesetzes ausgesprochen, indem wir eine Orientierung am saarländischen Modell vorschlagen, wo das Gesetz bereits zum 1. Januar 2004 modifiziert wurde.
Mein Kollege Peters hat in der Debatte im Juli schon detaillierte Ausführungen dazu gemacht. Deshalb möchte ich die wichtigsten vorgeschlagenen Regelungen nur noch einmal ganz kurz anreißen. Vorgeschlagen ist also eine Verlängerung des Bildungsurlaubs von nunmehr zehn auf dann zwölf Arbeitstage im Zeitraum von zwei Kalenderjahren. Allerdings muss dabei der Arbeitnehmer eine Eigenbeteiligung leisten, indem er für die Hälfte der Dauer des Bildungsurlaubs eigene arbeitsfreie Zeit in Form von Urlaub, Überstunden oder Ähnlichem einbringt. Damit würde dann auch die Belastung der Arbeitgeber von nunmehr zehn Tage auf sechs Tage reduziert werden.
Die geplante Maßnahme sollte dem Arbeitgeber statt bisher vier Wochen im Voraus dann acht Wochen im Voraus gemeldet werden, so dass eine bessere betriebliche Planung möglich ist. Bislang mussten Bildungsfreistellungsmaßnahmen mindestens fünf Tage, im Ausnahmefall drei Tage andauern. In Zukunft sollen dann auch eintägige Veranstaltungen anerkannt werden. So können dann zum Beispiel auch einmal Interessierte, die aus Eigenverantwortung selbst sagen, sie können nicht so lange aus ihrem Betrieb oder von ihrem Arbeitsplatz weg, ihr Recht auf Bildungsurlaub in Anspruch nehmen, und die Zahl der Teilnehmer steigt dann vielleicht wieder.
Veranstaltungen, bei denen der Veranstalter seinen Sitz nicht in Bremen hat, wie zum Beispiel anfangs erwähnte Sprachkurse, sollen nicht mehr an
erkannt werden, und der Katalog der so genannten allgemein weiterbildenden Maßnahmen muss genauestens überprüft werden, um eben solche Veranstaltungen, die wirklich mehr dem privaten Interesse und dem Spaß dienen, auszuschließen.
Unser wichtigstes Ziel dabei ist, die Belastung der Freistellung gleichmäßig auf Arbeitgeber und Beschäftigte zu verteilen, und ich denke, somit kann allen genannten Bedenken Genüge getan, gleichzeitig aber auch dem Anspruch und dem Erfordernis des lebenslangen Lernens Rechnung getragen werden.
Soweit ich weiß, deshalb ist es vielleicht ein bisschen schade, dass die Debatte heute ist und nicht erst im Januar, hat die eigens eingesetzte Arbeitsgruppe der fünf norddeutschen Bundesländer, die eine Vereinheitlichung der bestehenden gesetzlichen Regelung schaffen soll, abschließend getagt und wohl auch mit einem Ergebnis. Dies soll aber protokollarisch in den Ländern inzwischen erst einmal zur Abstimmung sein, und ich hoffe, dass wir dann diese Ergebnisse möglichst zeitnah hier auch politisch beraten können, sie zur Kenntnis bekommen und dass es dann auch möglich ist, möglichst zügig, weil auch sehr notwendig, eine Novellierung des bestehenden Gesetzes zu schaffen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich spare mir jetzt weitere rhetorische Fragen und möchte stattdessen darauf hinweisen, dass die von den EU-Bildungsministern und durch die Kultusministerkonferenz im Oktober 2003 beschlossenen europäischen Benchmarks im Bildungswesen uns als Zielzahl eine Beteiligung von 12,5 Prozent aller Erwachsenen an Angeboten des lebenslangen Lernens vorgeben. Davon sind wir leider auch in Bremen weit entfernt.
Das war eine echte Freud’sche Fehlleistung! Wie wir der Antwort des Senats auf die Große Anfrage entnehmen können, liegt die Teilnahme an Bildungsurlauben 2003 auf dem Niveau von 1984, auch Frau Allers hat das bereits erwähnt, und das angesichts der rasanten gesellschaftlichen Veränderungsprozesse, die jedes Gesellschaftsmitglied in bisher nicht gekannter Dringlichkeit neu zu lebenslangem Lernen herausfordern.
Lassen Sie mich an dieser Stelle für eine aktuelle Stärkung des Bildungsurlaubs als unverzichtbarem Bestandteil lebenslangen Lernens plädieren, denn die gesetzlich verankerte Bildungsfreistellung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist eine der wenigen verbindlichen und erprobten Möglichkeiten, ihre Bildungsbereitschaft zu zeigen und zu erhöhen!
Wenn wir dem allgemeinen Ruf nach einer Stärkung der Zivilgesellschaft folgen wollen, dürfen wir den Bildungsurlaub nicht nur auf betrieblich unmittelbar verwertbare Themen beschränken, sondern neben den berufsbezogenen Aspekten müssen gleichrangig Schwerpunkte aus den persönlichkeitsbildenden Lernbereichen der allgemeinen und politischen Bildung anzubieten sein. Nach dem Bundesverfassungsgericht liegt es im Gemeinwohl, neben dem erforderlichen Sachwissen für die Berufsausbildung auch das Verständnis der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für gesellschaftliche und politische Zusammenhänge zu verbessern und damit die in einem demokratischen Gemeinwesen anzustrebende Mitsprache und Mitverantwortung in Staat, Gesellschaft und Beruf zu fördern. Eine Einschränkung der Arbeitnehmerbildung auf arbeitsplatzbezogene einzelbetriebliche Qualifikationen würde auch dem Interesse des Landes an einer grundlegenden Bildungskompetenz der Region nicht gerecht, die es dem Einzelnen ermöglicht, Schlüsselkompetenzen zu erwerben, und Betrieben darüber hinaus ermöglicht, hochwertige Qualifikationen zu bekommen.
Meine Damen und Herren, leider hat sich die Hoffnung, durch das Bildungsurlaubsgesetz in nennenswertem Umfang bildungsferne Personen an Weiterbildung heranzuführen, nicht erfüllt. Dies ist umso bedauerlicher, zeigen doch alle vorliegenden Untersuchungen, dass keine andere Lernform des organisierten Lernens Bildungsungewohnte vergleichbar erfolgreich zur Teilnahme an Weiterbildung motiviert.
In einer Wissensgesellschaft wie der unseren besitzen wir mit dem Bildungsurlaub ein Instrument einer vorausschauenden Bildungs- und Sozialpolitik. Dies gilt es zu stärken und auszubauen, denn Lernen darf nicht wieder zum Privileg gebildeter Stände werden.
Die SPD-Fraktion begrüßt daher vehement die Initiative des Senators aus dem Jahre 2003, im Rahmen eines Modellversuchs Möglichkeiten zu entwickeln, wie hier gegengesteuert werden kann und damit die Gruppe der Bildungsbenachteiligten ver
mehrt für Bildungsurlaube zu motivieren ist. Dass eine Ansprache dieser Zielgruppe dann möglich ist, wenn Vertrauenspersonen aus ihrem persönlichen und sozialen Umfeld einen Zugang zu dieser Lernform aufzeigen, scheint mir schlüssig. Aber auch die weiteren Initiativen des Ressorts wie die Prüfung der Möglichkeit, die Gebühren für die Teilnahme an Bildungsurlaubsveranstaltungen für Bildungsbenachteiligte durch höhere Zuschüsse zu senken, die weitere Professionalisierung der Beratung bildungsbenachteiligter Zielgruppen oder die Schaffung von Anreizsystemen für Weiterbildungseinrichtungen, vermehrt spezielle Angebote für Bildungsbenachteiligte zu entwickeln, finden den Beifall der SPDFraktion.
Meine Damen und Herren, die gesetzlich verankerte Bildungsfreistellung bietet, auch verglichen mit anderen Formen des Bildungsangebotes, neben der Einbeziehung bildungsbenachteiligter Gruppen allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern außergewöhnliche Chancen. Hier bietet sich für alle die Möglichkeit, sich mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen auseinander zu setzen, die die Arbeitsund Lebenswelt verändern, sich in der wachsenden Informationsfülle der Wissensgesellschaft in allen Lebensbereichen selbstbewusst zu orientieren, ihr Engagement als Bürgerinnen und Bürger in der Gesellschaft ebenso wie die Fähigkeit zum Dialog und zur Verständigung zwischen den unterschiedlichen Alltagsstrukturen zu stärken und letztlich ihre Lernbereitschaft auch lebensphasenspezifisch und biografisch unterschiedlich zu entwickeln und zu gewichten.
Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass die gesetzliche Freistellung zum Zwecke der Bildung als Persönlichkeitsbildung auch den freistellenden Unternehmern zugute kommt, und appelliere deshalb an alle Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber im Lande Bremen, die Potentiale zu nutzen, die im Gesetzeswerk, in der Lernform und in der bremischen Weiterbildungspraxis eingebunden sind. Vor diesem Hintergrund ist der Senator gut beraten, dafür Sorge zu tragen, dass bei einer einheitlichen Neuregelung des Bildungsurlaubs aller norddeutschen Bundesländer die folgenden vier Vorgaben gesichert sind: erstens das Recht auf fünf Tage Bildungsurlaub während eines Jahres mit Lohnfortzahlung, zweitens Lernzeiten, die durch Freistellung von Erwerbsarbeit zusammenhängende Lernzeiten während der Arbeitszeit ergeben, drittens Freistellung für die Lernbereiche berufliche, politische und allgemeine Bildung und viertens die finanzielle Absicherung besonderer Bildungsangebote durch das Land.
Insbesondere durch den Bildungsurlaub ist der Zusammenhang zwischen rückläufiger öffentlicher Förderung und Teilnahmequote evident. Wenn diese abgesenkt wird, können sich insbesondere diejenigen, die nur über geringes Einkommen verfügen und in der Regel auch nur über unter- oder durchschnittliche Bildungsniveaus verfügen, selbst diesen erwachsenengerechten Einstieg in das lebenslange Lernen nicht mehr leisten. Dies zu verhindern sind wir alle gefordert. – Ich danke Ihnen!