Gemäß Paragraph 29 unserer Geschäftsordnung hat der Senat die Möglichkeit, die Antwort auf die Große Anfrage in der Bürgerschaft mündlich zu wiederholen.
Ich gehe davon aus, Herr Bürgermeister Dr. Scherf, dass Sie die Antwort auf die Große Anfrage der Fraktionen der SPD und der CDU nicht mündlich wiederholen möchten.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir bedanken uns zunächst für die sehr informative Antwort des Senats auf unsere Große Anfrage. Die Idee zu dieser Anfrage ist im Vorfeld um die Debatte, um die Vorbereitungen für den 8. Mai 2005 entstanden, nämlich die Frage, weshalb und wie das Strafrecht und das Versammlungsrecht verändert werden können, um einen Beitrag im Kampf gegen den Rechtsextremismus zu leisten, wobei ich sagen möchte: Das, was wir hier heute debattieren, betrachten wir selbstverständlich als einen Teil der politischen Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus.
Wir haben es leider damit zu tun, dass bundesweit, mit Schwerpunkt in den neuen Bundesländern, aber auch die alten Bundesländer sind davon nicht unberührt, immer mehr und mehr rechtsextremistische Veranstaltungen stattfinden. Es sind Veranstaltungen,
die einen Hintergrund haben, den wir nicht tolerieren können, Veranstaltungen, die wir im Fernsehen sehen können, die an die historischen Aufmärsche aus der NS-Zeit erinnern, Veranstaltungen, auf denen die nationalsozialistische Gewalt und Willkürherrschaft verharmlost oder verherrlicht werden, wo fremdenfeindliche Sprüche gedroschen werden, Antisemitismus verbreitet wird und unsere demokratischen Grundsätze offensiv abgelehnt und verletzt werden. Wir haben die Große Anfrage initiiert, um Aufklärung zu erhalten und um über Gegenmaßnahmen diskutieren zu können.
Im Vorfeld dieser Debatte ist auch gefragt worden: Müssen wir dann nicht auch, wenn wir uns über den Rechtsextremismus unterhalten, über den Linksextremismus sprechen? Ist nicht beides gleich schlimm? Dazu kann ich nur sagen: Wir sind natürlich nicht auf dem einen Auge blind. Wir sehen auch, dass es auf beiden Seiten extremistische Gesinnung gibt, die wir nicht tolerieren wollen, aber wir sehen auch der Realität ins Auge, und die heißt eben: Wir kämpfen im Moment mit rechtsextremistischen Auswüchsen in einem Maß, das wir nicht hinnehmen können, und deshalb ist der Gegenstand unserer Anfrage eben dieses Thema, nämlich die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus.
Wir fragen nach Straftaten, nach Verurteilungen, nach der Verteilung von rechtsextremistischen Aktivisten auf die verschiedenen Altersgruppen. Wir wollten wissen, welche Netzwerke es in diesem politischen Sektor gibt, und wir wollten vom Senat wissen, ob die bestehenden Gesetze ausreichen, um mit diesen Erscheinungen fertig zu werden.
Nicht alle Fragen konnten beantwortet werden. Es liegt in der Natur der Sache, dass nicht über alles eine genaue Statistik geführt wird, aber es ist schon bemerkenswert, dass wir im Jahr 2004 in Bremen immerhin 86 Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund hatten. Es waren im Jahr 2001 mehr, nämlich 183. Diese Entwicklung sagt aber noch nichts darüber aus, dass die Gefahr vorübergeht und dass wir es mit einer Besserung zu tun haben, sondern die Zahlen muss man vor dem Hintergrund der Tatsache betrachten, dass sie das abbilden, was sich in den Statistiken der Polizei, der Staatsanwaltschaft und der Gerichte wiederfindet. Deshalb ist es nicht immer alles hundertprozentig aussagekräftig, denn wenn mehrere Taten zu einer Akte, zu einem Verfahren zusammengefasst werden, dann haben wir in der Statistik nicht mehr zwei, sondern nur noch eine Sache, die verfolgt wird. Wir müssen aber auch berücksichtigen, dass in der Statistik diese Dinge erst sehr zeitversetzt erfasst werden, nämlich ein oder zwei Jahre später.
Im Wesentlichen geht es bei den Straftaten, wegen denen ermittelt wird, um das Vertreiben von Propaganda. Es geht um Verfahren wegen Volksverhet
zung, es geht um das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, aber, und das finde ich ganz besonders bemerkenswert, es gibt auch eine Vielzahl von Verfahren aus diesem Bereich, die Körperverletzungsdelikte betreffen. In dieser Szene wird viel geprügelt, da gibt es Auseinandersetzungen, das lesen wir in den Zeitungen, aber wenn man es so geballt dargestellt sieht, dann ist das schon sehr beunruhigend. Ich finde, wenn wir davon lesen, dass es in den letzten elf Jahren in Bremen insgesamt 120 Verurteilungen wegen Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund gegeben hat, dann muss das mehr als nachdenklich machen. Das heißt, wir müssen wachsam sein.
Im Übrigen darf ich darauf hinweisen, dass diese Taten, ich werde es gleich noch erläutern, ja auch in dem politischen Umfeld eines Mitglieds des Landtags, der Bürgerschaft stattfinden. Es ist ein Abgeordneter, der sonst übrigens sehr dafür eintritt, dass es möglichst harte Strafen geben soll, wenn Straftaten begangen werden. Ich möchte einmal wissen, wie er eigentlich diesen Sachverhalt beurteilt. Ich meine jedenfalls, wenn es einen Anlass gibt, auch zu fordern, dass die Gerichte die gesetzlichen Möglichkeiten ausnutzen sollten, um ihre Strafen zu bemessen, dann sind es solche Dinge, über die wir heute hier sprechen.
(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen – Abg. T i t t m a n n [DVU]: Ich werde etwas dazu sagen!)
Ich finde es auch sehr beunruhigend, dass wir einen relativ großen Anteil von jungen Leuten haben, die sich mit rechtsextremistischen Aktivitäten befassen.
Es ist aber genauso beunruhigend, dass es eine ganz große Zahl von erwachsenen Menschen gibt, die offenbar unbelehrbar sind und die auch aufgrund ihrer persönlichen Lebenserfahrung nichts aus dem gelernt haben, was sich in Deutschland abgespielt hat. An denen gehen offenbar auch die öffentlichen Debatten und das, was berichtet wird und was wir Tag für Tag in den Medien sehen können, völlig vorbei.
Ich möchte mit Erlaubnis des Präsidenten ein paar Sätze zitieren, Originaltöne von Neonazis. Ich denke, das sind Dinge, die nachdenklich machen müssen und die auch helfen, diese Aktivitäten politisch einzuordnen. Jemand sagt zum Beispiel: „Zweifellos handelt es sich bei Hitler um einen großen Staatsmann“ oder „Wir werden nicht eher ruhen, als bis
deutsche Umerziehungsstätten wie das Holocaustmahnmal dem Erdboden gleichgemacht sind“ oder „Wer begeht biologischen Verrat? Jeder, der Kinder anderer Rassen adoptiert, jeder, der einen erbkranken Partner heiratet, jeder Mann, der eine Frau fremder Rasse aussucht, weil er krankheitsanfällige Kinder zeugt“.
Das sind keine Sprüche aus irgendwelchen Fantasieromanen, sondern das sind Sprüche von Neonazis, von Herrn Voigt, NPD-Vorsitzender, übrigens Ex-Bundeswehroffizier, von Holger Apfel, NPD-Fraktionschef im Sächsischen Landtag, und von Jürgen Rieger, Nazianwalt aus Hamburg, uns Bremern aus vielen Veröffentlichungen aus der letzten Zeit bekannt.
Dieses rechte Denken, das wir hier vorfinden, das öffentlich immer wieder vorgetragen wird, lässt sich leider nicht per Gesetz aus den Köpfen entfernen. Wir haben keine Möglichkeit, einfach per Dekret zu sagen: So etwas darf nicht mehr gedacht werden! Das ändert aber nichts daran, wir müssen dafür sorgen, dass dieses Denken aus den Straßen und vor allen Dingen auch aus den Parlamenten verschwindet. Wir müssen uns aktiv damit auseinander setzen.
Wir dürfen also nicht die Hände in den Schoß legen und abwarten, sondern müssen etwas Praktisches tun. Wir müssen die rechtlichen Möglichkeiten, die das Strafgesetzbuch und das Versammlungsrecht bieten, nutzen. Wir müssen den Rechtsextremismus gesellschaftlich ächten, und das bedeutet, wir müssen Aufklärung leisten immer da, wo es geht, über die Menschenfeindlichkeit der Rechtsextremisten. In diesem Zusammenhang möchte ich ein ganz herzliches Dankeschön loswerden an den „Weser-Kurier“ und an die Journalisten, die sich seit mehreren Monaten sehr intensiv mit der rechtsextremistischen Szene auseinander setzen und die vieles ans Licht gebracht haben. Viele Berichte beschäftigen sich Gott sei Dank nicht nur mit Aktivitäten, die hier in Bremen stattfinden, sondern auch mit vielen aus dem niedersächsischen Umland. Ich finde es ganz beachtlich, dass sich eine deutsche Zeitung in dieser Weise dieses Themas annimmt, und fordere dazu auf: Macht weiter so! Das ist eine gute Sache!
Das Bekämpfen des Rechtsextremismus bedeutet eben nicht, dass Dinge verschwiegen werden dürfen und dass man sich Auseinandersetzungen entziehen soll, sondern dass man sich aktiv damit auseinander setzen muss. Wir dürfen keine Verharmlosung zulassen. Wir dürfen den Antisemitismus nicht dulden, müssen Gewalttätigkeit ächten, und wir müssen sie,
das sagte ich schon, bestrafen. Das bedeutet auch, dass wir den Verfassungsschutz, die Polizei, die Staatsanwaltschaft und die Gerichte in die Lage versetzen, effektiv mit diesen Dingen umzugehen. Ich glaube, dass wir da in Bremen gut aufgestellt sind, aber man kann nicht häufig genug darauf hinweisen, dass es Aufgabe dieser Einrichtungen ist, eben auch den Rechtsextremismus in Schach zu halten und zu bekämpfen.
Ich möchte deshalb ganz zum Schluss, weil wir ja häufig hier im Parlament mit gewissen Erscheinungsformen des Rechtsextremismus zu tun haben, auf den Jahresbericht des Verfassungsschutzes für das Jahr 2004 hinweisen. Ich weiß nicht, ob Sie das alle gelesen haben. Ich weiß auch nicht, ob es in der Öffentlichkeit so wahrgenommen worden ist, wie es eigentlich notwendig wäre. Dort ist auf den Seiten 20 und folgende einiges zur Deutschen Volksunion, die uns hier häufig beschäftigt, ausgeführt, und Herr Tittmann hat sich ja auch bereits erwartungsgemäß gemeldet. Dort heißt es: „Laut Parteiprogramm ist es das Hauptziel der DVU, dass deutsche Politik in Deutschland endlich wieder gemäß Artikel 56 des Grundgesetzes (Amtseid) betrieben wird. Das heißt, Widerstand gegen die Errichtung von NS-Mahnmalen, Herstellung von Deutschland in den Grenzen von 1937, Verteidigung der Ehre der ehemaligen deutschen Wehrmacht, Antisemitismus, Propaganda gegen Israel, keine Zuwanderung/drohende Umvolkung der Deutschen“ und so weiter.
Zur Entwicklung und Tendenz wird in diesem Bericht Folgendes geschrieben: „Die im Verlag des Bundesvorsitzenden“, das ist der Verleger Gerhard Frey, „erscheinende ,National-Zeitung’ ist das Sprachrohr der Partei. In der Berichterstattung werden die Verbrechen der Nationalsozialisten relativiert sowie unterschwellig eine antisemitische und ausländerfeindliche Stimmung geschürt. Beispielhaft hierfür sind Artikelüberschriften wie: ‚KZ Dachau: Lügen ohne Ende?’, ‚Auschwitz: Was stimmt?’ und die Unterzeile ‚Tatsachen, die vertuscht werden sollen’, ‚Israels unheimliche Macht – wo überall in Deutschland seine V-Männer sitzen’, ‚Türken in die EU? Vor neuem Massenansturm’, ‚Der geplatzte Multikultitraum’“ – das Wort Multikulti haben wir heute nicht, aber sonst schon häufig gehört, und ich glaube, wir werden es heute in diesem Saal auch noch hören –, „Wie Ausländer bevorzugt werden. Ihre Sonderrecht bei der Krankenversicherung“!
Manches, in Versatzstücken, hören wir hier auch gelegentlich. Weiter: „Die DVU ist die größte rechtsextremistische Partei in Deutschland. Sie wird von ihrem Vorsitzenden zentralistisch und autokratisch geführt, den 16 Landesverbänden bleibt daher kaum Raum für selbständige politische Arbeit. Gegenwärtig ist die DVU in Bremen mit einem Abgeordneten und im Landesparlament von Brandenburg seit der Wahl vom 19. September 2004 mit sechs Sitzen vertreten. Der Erfolg bei der Landtagswahl in Brandenburg ist
unter anderem auf die Wahlabsprache mit der NPD, die auf einen Wahlantritt verzichtete, zurückzuführen. Im Gegenzug überließ die DVU bei der gleichzeitig stattfindenden Landtagswahl in Sachsen der NPD das Feld.“
Also, auch diese Verbindung, meine ich, müssen wir im Auge behalten, weil hier ja gelegentlich so getan wird, als ob das gar keine Rolle spielt, in Wirklichkeit ist das eine vom anderen politisch überhaupt nicht richtig zu trennen.
Weiter: „Die Partei führt in Bremen wegen ihrer organisatorischen Schwäche und aus Furcht vor Gegenaktionen keine öffentlichen Veranstaltungen durch, satzungsobligatorische Mitgliederversammlungen werden deshalb auch weiterhin unter konspirativen Modalitäten im niedersächsischen Umland durchgeführt.“ Wir bedanken uns beim Verfassungsschutz für diese Informationen und für die Arbeit, die dahintersteht, und werden diese Arbeit weiterhin unterstützen.
Zu den Anträgen, wenn Sie mir noch zwei Sätze gestatten! Wir haben einen Antrag der Grünen, wir haben mit der CDU gemeinsam einen Antrag erarbeitet, in den die Vorschläge der Grünen weitestgehend eingeflossen sind. Wir hatten die Hoffnung, dass wir gemeinsam mit den Grünen eine Beschlussfassung durchführen könnten, das wird nach dem, was wir zuletzt gehört haben, wohl nicht der Fall sein. Ich möchte trotzdem noch einmal an die Grünen appellieren, den Antrag von CDU und SPD hier mit zu unterstützen!
Wir meinen allerdings, wenn wir unseren Antrag beschlossen haben, dass damit alles beschlossen ist, was hier vorgelegt worden ist. – Ich danke für die Aufmerksamkeit!