Protokoll der Sitzung vom 15.06.2006

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Bildungspolitik braucht verlässliche Kooperation von Bund und Ländern

Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 8. Juni 2006 (Drucksache 16/1039)

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Kein Verbot der Wissenschaftskooperation von Bund und Ländern ins Grundgesetz schreiben

Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 8. Juni 2006 (Drucksache 16/1041)

Dazu als Vertreter des Senats Bürgermeister Böhrnsen.

Die gemeinsame Beratung ist eröffnet.

Das Wort erhält Frau Kollegin Dr. Mathes.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir Grünen sehen nach wie vor erheblichen Korrekturbedarf bei der Föderalismusreform und bezogen natürlich auf den Gesetzentwurf, wie ihn die große Koalition im Bund im März eingebracht hat. Deswegen haben wir hier heute mehrere Anträge auf der Tagesordnung, sie entsprechen Politikfeldern mit dringendem Korrekturbedarf, es sind Umwelt, Soziales, Bildung und Wissenschaft. Ich werde mich im Folgenden nur auf den Umweltbereich beziehen, die anderen Anträge werden dann von meinem Kollegen Dirk Schmidtmann und meiner Kollegin Silvia Schön vorgestellt.

Zunächst zum Umweltrecht! Da möchte ich Sie daran erinnern, dass Umweltrecht immer auch Wirtschaftsrecht ist. In Teilen des Umweltrechts soll die Rahmengesetzgebung durch eine so genannte Abweichungsgesetzgebung ersetzt werden. Das heißt, dass Länderparlamente im Naturschutzrecht, im Wasserhaushaltsrecht und noch anderen Rechtsbereichen erhebliche Gestaltungsspielräume bekommen sollen. Damit wäre einerseits ein Ökodumping verbunden,

das heißt ein Wettbewerb nach unten, soweit es die Europäische Union zulässt. Zweitens entstände ein Flickenteppich unterschiedlicher Normen und Regelungen. Es bedeutet letztendlich eine Aufblähung der Bürokratie, eine unnötige Mehrarbeit, und zwar sowohl auf Seiten der Behörden als auch auf Seiten der Wirtschaft. Drittens sind neue Kompetenzstreitigkeiten und juristische Auseinandersetzungen vorprogrammiert.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Jetzt müssen Sie sich zudem noch in Erinnerung rufen, dass ein sehr großer Teil der deutschen Umweltgesetzgebung direkt oder indirekt aus europäischem Recht abgeleitet wird. Das sind zirka 80 Prozent des Umweltrechts, die hier aus europäischen Vorgaben, aus europäischen Richtlinien im Allgemeinen, resultieren. Deswegen hat im Übrigen auch der Bundesverband Deutscher Industrie dafür plädiert, auf diese Abweichungsregelungen zu verzichten, und er sagt hier wörtlich: „Weil dies potentiell eher zu weiteren Konflikten mit europäischen Vorgaben führen würde“.

Diese länderspezifischen Möglichkeiten, die viele Gestaltungsspielräume dann mit sich bringen und den Flickenteppich ergeben würden, können Sie sich vielleicht am Anschaulichsten vorstellen, was das letztendlich für ein Unsinn wäre, wenn Sie an den Hochwasserschutz denken, wenn Sie an die Reinhaltung von Gewässern denken, die Weser, die in Bremen von einem anderen Bundesland direkt umgeben ist. Das ist völlig unsinnig, hier entsprechende Möglichkeiten zu eröffnen.

Meine Damen und Herren, das eigentliche Ziel der Föderalismusreform, wieder klare Verantwortlichkeiten zu schaffen, zügige Entscheidungsprozesse zu ermöglichen und einen europafähigen Bundesstaat zu gewährleisten, würde in der Umweltpolitik glatt verfehlt.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Das ist insbesondere auf die so genannten Abweichungsregelungen zurückzuführen, und unser Antrag ist, dass diese zu streichen sind, sie machen einfach keinen Sinn. Man mag fast glauben, dass sie einzig und allein Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sind, und das auch für Juristen und Juristinnen. Daher fordern wir diesen Verzicht. Wir Grünen sind mit dieser Forderung keineswegs allein. Die Wirtschaftsverbände, der Sachverständigenrat für Umweltfragen, die deutsche Umwelthilfe, Gewerkschaften, Verfassungsrechtler, Umweltverbände und viele mehr fordern, dass hier die entsprechenden Korrekturen vorgenommen werden.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Diese breite Kritik hat sich auch widergespiegelt bei den gemeinsamen Anhörungen von Bundesrat und Bundestag, wo insbesondere auch hervorgehoben wurde, dass die ökologischen Standards keinem Länderwettbewerb unterworfen werden dürfen. Im Übrigen ist es ja auch so, das nehmen Sie auch sicherlich wahr, dass insbesondere nach den Anhörungen die Kritik an dem Gesetzentwurf immer lauter wird.

Aus unserer Sicht gibt es noch einen weiteren triftigen Grund, warum Sie unserem Antrag zustimmen müssten, denn es gibt seit längerem einen Konsens, dass ein neues Umweltgesetzbuch geschaffen werden soll. Dieses Umweltgesetzbuch soll die bisherigen sehr zersplitterten Gesetzeszusammenhänge und Vorlagen zusammenfassen, es soll damit das Umweltrecht harmonisiert und vereinfacht werden. Wenn man diese Abweichungsregelungen schafft, dann konterkariert man genau dieses Ziel eines einheitlichen Umweltgesetzbuches.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wir fordern daher den Senat auf, bei den anstehenden Beratungen zum Gesetzentwurf, insbesondere im Bundesrat, sich dafür einzusetzen, dass die Abweichungsregelungen gestrichen werden. Sie sehen, wir Grünen geben nicht auf! Wir setzen weiterhin darauf, dass sich die Vernunft durchsetzen wird. Auf Änderungen, die das Ziel nicht nur verfehlen, sondern dieses geradezu ad absurdum führen, die zudem keiner will, kann man doch gut und gern verzichten.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Ich möchte hier auch abschließend noch einmal betonen, dass wir – natürlich hat das auch unsere Fraktionsvorsitzende bei dem entsprechenden Antrag in der Bürgerschaft deutlich gemacht – für eine Reform stehen. Wir wollen nur eine Reform, die wirklich zu Verbesserungen führt und mit Augenmaß betrieben wird. Entsprechend sind diese Korrekturen im Umweltbereich erforderlich. – Danke schön!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Nächster Redner ist der Kollege Schmidtmann.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute spreche ich über den Antrag von Bündnis 90/ Die Grünen für ein bundeseinheitliches Heimrecht im Interesse der Qualität der Heime und zum Schutz der Menschen. Wem dient das Heimrecht überhaupt? Das Heimrecht dient dem Schutz derjenigen, die aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters, der Pflegebedürftigkeit oder einer Behinderung in Heimen woh

nen oder wohnen müssen. Es betrifft also in der Regel Menschen, die es sehr schwer haben, und die meisten können sich, wie Sie selbst wissen, nicht mehr selbst vertreten.

Warum möchten die grüne Fraktion, viele Verbände und viele Vertreter aus den verschiedensten Parteien überhaupt, dass das Heimrecht nicht wieder in die Länderhoheit zurückkommt? Erstens besteht das große Risiko, dass die Länder sich je nach Haushaltslage in ihren Qualitätsstandards und Sozialstandards unterbieten und diese absenken. Wir befürchten eine Abwärtsspirale, die immer weiter die Sozialstandards und die Qualitätsstandards absenkt.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Dazu möchte ich ein Beispiel geben. Ich habe einmal nachgefragt, wer überhaupt ein Interesse daran hat, dass das Heimrecht in die Länderhoheit kommt. Da wurde gesagt, es gebe schon Interesse, und zwar gab es schon einmal eine Anfrage von Bayern, das Land möchte nämlich, dass Sozialhilfeempfänger nicht mehr das Recht auf Einzelzimmer haben, sondern dass sie in Mehrbettzimmer kommen sollen. Das ist schon eine Anfrage, die in die Richtung geht, die wir befürchten. Zweitens gab es vor zwei Jahren schon einen Vorstoß von Baden-Württemberg. Dort wurde gefordert, die Fachkräftequote von 50 auf 33 Prozent abzusenken. Das alles auch noch unter dem Vorwand des Bürokratieabbaus! Da wissen wir doch, wohin die Reise gehen soll, wenn das Heimgesetz erst einmal in Länderhoheit ist,

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

wenn solche Länder, die zu den Geberländern gehören, so etwas schon planen, wie diese Länder uns dann erst unter Druck setzen würden.

Zweitens befürchten wir, dass den Betroffenen durch eine Vielzahl unterschiedlicher Standards die Entscheidung für ein geeignetes Heim erschwert wird. Unserer Meinung nach droht die Gefahr eines Sozialtourismus. Daran kann Bremen in seiner Insellage überhaupt nicht interessiert sein. Hierauf hat übrigens auch Bürgermeister Böhrnsen in seiner Rede zur Föderalismusreform am 22. Februar hingewiesen. Er meinte auch, dass diese angestrebten Änderungen zur Unübersichtlichkeit und zu mehr Bürokratie beitragen würden.

Drittens, die Überprüfung der Praxis in den Heimen ist schon heute sehr umfangreich und würde sich zusätzlich erschweren. Viertens, überregional tätige Träger, die auch von Bremen aus agieren, würden einen Mehraufwand an Bürokratie haben, wenn es in jedem der 16 Bundesländer andere Anforderungen gäbe. Das ist kein Bürokratieabbau, sondern das ist genau das Gegenteil von Bürokratieabbau, das ist Bürokratieaufbau. Wir brauchen nicht 16 verschie

dene Heimgesetze, in jedem Bundesland ein anderes, sondern wir brauchen ein einheitliches, wie wir es jetzt haben.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Was wollen wir mit diesem Antrag sagen? Wir sagen ja nicht nur, der Bürokratieabbau funktioniert nicht so, indem man die Fachkräftequote senkt oder das Heimgesetz jetzt in die Länderhoheit gibt, dann wird alles prima, sondern wir wollen weiterhin, dass eine qualitätsgesicherte Pflege oder Heimunterbringung bundeseinheitlich reformiert wird. Wir wollen uns dafür einsetzen, dass neue Wohnformen im Alter auch in dem neuen Heimgesetz, aber in einem bundeseinheitlichen Heimgesetz, verankert werden. Wir wollen auch, dass mehr auf Demenzkranke eingegangen wird, aber bitte bundeseinheitlich!

Darum bitten wir Sie im Namen aller Heimbewohner, darauf hinzuwirken, dass die bundeseinheitlichen Bedingungen in Heimen, in denen ältere, pflegebedürftige oder behinderte Menschen leben, gewährleistet bleiben. Das heißt, wir brauchen ein bundeseinheitliches Heimgesetz und keine Länderheimgesetze, dieser Zustand wurde 1974 bereits überwunden. – Vielen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Schön.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte in meiner Rede die Anträge „Kein Verbot der Wissenschaftskooperation von Bund und Ländern ins Grundgesetz schreiben“ und „Bildungspolitik braucht verlässliche Kooperation von Bund und Ländern“ zusammenfassen.

Bei der Föderalismusreform im Bereich Bildung und Wissenschaft geht es zentral darum, dass eine Kooperation zwischen Bund und Ländern im Wesentlichen nicht mehr möglich sein soll. Wir Grünen haben in Bremen in diversen Debatten – auch hier im Hause – immer wieder deutlich gemacht, dass wir diese Reform in der Sache nicht für zukunftstauglich halten und sie finanzschwache Länder wie Bremen benachteiligen wird.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Nun fand vor zweieinhalb Wochen eine gemeinsame Anhörung von Bildungs- und Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages zur Föderalismusreform für den Bereich Bildung und Forschung statt, geladen waren 23 Sachverständige. Sie haben mit über––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

wiegender Meinung die Auffassung vertreten, dass es in der Bildungs- und Hochschulpolitik kein Kooperationsverbot von Bund und Ländern geben darf. Ein solches Verbot würde die Bildungs- und Wissenschaftslandschaft in Deutschland nachhaltig schwächen und auf die Bildungsherausforderungen in der Wissensgesellschaft in einer globalisierten Welt die falschen Antworten geben. Wir teilen diese Kritik.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Zum Wissenschaftsbereich! Die Qualität der Hochschulen liegt gerade in der engen Verknüpfung von Forschung und Lehre. Daher macht es auch keinen Sinn, wenn der Bund die Forschungseinrichtungen fördern darf, aber bei Einrichtungen der Lehre dem Bund die Förderung kategorisch untersagt werden soll. Man kann das auch an einfachen Beispielen deutlich sehen, denn eine Universitätsbibliothek dient sowohl als Lehrmittel für Studierende als auch als Forschungseinrichtung. In der Praxis ist das am Ende sowieso nicht haltbar.

Ein anderer Punkt ist, dass auf alle Bundesländer erhebliche Herausforderungen in der Lehre zukommen werden. Nach jetzigen Prognosen werden bis zum Jahr 2020 zirka 20 Prozent mehr Studienplätze benötigt. Das hat sowohl mit der Schulzeitverkürzung zu tun als auch mit der Akademisierung von Berufsfeldern und mit dem erklärten politischen Willen aller Parteien, die Studierendenquote eines jeden Jahrgangs auf 40 Prozent zu steigern. Damit soll internationale Anschlussfähigkeit hergestellt werden, unter den OECD-Ländern haben wir gegenwärtig eine unterdurchschnittliche Studierendenquote.

Wenn nun die Länder allein für die Lehre zuständig sein sollen, dann ist doch völlig klar, was dann passieren wird: Gerade ärmere Länder werden anfangen, ihre Studienplätze abzubauen. Auch in Bremen können wir das mit den HEP-fünf-Planungen wunderbar beobachten. Das ist das Gegenteil von dem, was wir in Zukunft brauchen. Bereits jetzt haben wir einen negativen Bildungssaldo, das heißt, wenn die Hochqualifizierten der Babyboomerjahrgänge in Rente gehen, werden wir nicht mehr ausreichend Nachwuchskräfte haben, um die Arbeitsstellen wieder zu besetzen. Das ist das Gegenteil von dem, was uns zukunftsfähig machen wird.