Protokoll der Sitzung vom 11.10.2006

Als erster Redner hat das Wort Herr Bürgermeister Böhrnsen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich denke, Sie werden verstehen und der Präsident wird es hoffentlich akzeptieren, dass ich der Regierungserklärung eine Bemerkung zu einem aktuellen Geschehen in Bremen voranstelle, das uns sicher alle berührt.

In Bremen ist ein Kind gestorben, das auf unseren Schutz angewiesen war, ein Kind, das in der Obhut des Staates stand. Es brauchte Hilfe, Fürsorge und Beistand, weil seine Eltern ihm diesen Beistand, diese Fürsorge nicht gegeben hatten, ganz im Gegenteil, nach allem, was wir wissen, müssen wir davon ausgehen, dass das Kind ihnen eine Last war. Sie haben es offenbar auch misshandelt.

Meine Damen und Herren, ich denke, niemand ist mehr auf den Schutz des Staates angewiesen als ein Kind in Not. Der Schutz, den wir einem solchen Kind angedeihen lassen müssen, muss im Zweifel auch Schutz vor den eigenen Eltern sein, wie wir in diesem Fall gesehen haben. Weil das nicht gelungen ist, muss man sagen, es ist ein tragisches, unverzeihliches Versagen, dass sich der Bremer Junge Kevin nicht auf diesen Schutz hat verlassen können.

Wir werden alle Umstände, die zu diesem Versagen und zu diesem Tod eines Bremer Jungen geführt haben, aufklären und die nötigen Schlussfolgerungen daraus ziehen. Meine Überzeugung ist, dass wir dabei auch das gesamte Hilfesystem zum Schutz von Kindern in Bremen auf den Prüfstand stellen müssen. Wir müssen das Menschenmögliche dafür tun, dass so etwas nicht wieder passieren kann. Kinder müssen sich darauf verlassen können, dass der Staat sie schützt, wenn die Familie es nicht will oder kann.

Meine Damen und Herren, Karin Röpke hat soeben erklärt, dass sie die politische Verantwortung übernimmt und sich entschlossen hat, von ihrem Amt als Senatorin zurückzutreten. Ich möchte an dieser Stelle dazu nur sagen, und ich hoffe, in Ihrer aller Namen zu sprechen, dafür gebührt ihr unser Respekt.

Meine Damen und Herren, nach dieser Vorbemerkung komme ich zu der angekündigten Regierungserklärung.

Es ist nicht das erste Mal, dass ich für den Senat zum Thema Föderalismusreform vor der Bremischen Bürgerschaft eine Regierungserklärung abgebe, aber es ist das erste Mal seit sechs Jahren, dass wir gemeinsam von anderen Voraussetzungen ausgehen können. Heute steht nicht mehr die Einschätzung der Reform und der mit ihr verbundenen Erwartungen und Perspektiven im Vordergrund, sondern ihre konkrete Umsetzung. Die umfassendste Verfassungsreform seit 1949 ist inzwischen von Bundestag und Bundesrat verabschiedet worden.

Bei einem so umfangreichen Reformwerk kann es nicht anders sein, am Ende steht ein Kompromiss. Manches begrüßt Bremen mehr, anderes weniger. Ich habe in der Bremischen Bürgerschaft zum Beispiel aus meiner Skepsis bei der Übernahme des Strafvollzugs und des Heimrechts durch die Länder keinen Hehl gemacht. Aber eines ist gewiss, wir werden gemeinsam so viel wie möglich für Bremen daraus machen!

Dabei ist auch und vor allem dieses Hohe Haus gefragt, denn die eigentlichen Gewinner der Reform sind die Landtage. Sie erhalten nicht nur mehr Kompetenzen zur Gesetzgebung, sie entscheiden künftig auch, ob und inwieweit sie die Wahrnehmung bundesrechtlich vorgesehener Aufgaben den beiden Stadtgemeinden zuordnen. Der Bund darf den Gemeinden nicht mehr direkt Aufgaben übertragen.

Meine Damen und Herren, der Senat verbindet diese Regierungserklärung mit ersten Vorstellungen zur Umsetzung der Föderalismusreform in Landesrecht. Dabei gilt für die Mehrzahl aller Vorschläge: Wir werden die Reform dazu nutzen, Landesrecht unbürokratisch und passgenau zu gestalten. Die Föderalismusreform ist auch eine Chance für mehr Bürgernähe. Wir wollen gute Regelungen für die Bremerinnen und Bremer, aber wir wollen möglichst keine Insellösungen. Als Stadtstaat werden wir vieles in enger Abstimmung mit unseren niedersächsischen Nachbarn, den norddeutschen Ländern oder weiteren Ländern angehen.

Ich will mich heute auf die wesentlichen politischen Weichenstellungen konzentrieren, die wir in Bremen jetzt gestalten können. Dazu gehört sicher der Ladenschluss. Hier wollen wir uns eng mit Niedersachsen beziehungsweise dem niedersächsischen Umland abstimmen. Für Bremen als Oberzentrum macht alles andere keinen Sinn, weder für die Kunden noch für den Einzelhandel und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Nach gegenwärtigem Stand wird die große Mehrheit der Bundesländer eine Öffnungszeit von Montag bis Samstag rund um die Uhr erlauben. Einige Länder erwägen darüber hinaus eine generelle Öffnung auch an Sonntagen. Daran wird Bremen sich nicht beteiligen.

Der Senat wird an einem grundsätzlichen Öffnungsverbot an Sonn- und Feiertagen festhalten und Abweichungen wie bisher nur in Ausnahmen zulassen. Selbst wenn niemand davon ausgeht, dass in Bremen oder im Bremer Umland die Läden tatsächlich an sechs Tagen rund um die Uhr geöffnet sein werden, wollen wir auch die Interessen der Beschäftigten im Blick behalten. Wir brauchen eine kluge Balance zwischen den Wünschen der Kunden, den Interessen des Einzelhandels und den schützenswerten Bedürfnissen der Verkäuferinnen und Verkäufer. Der Senat prüft deshalb auch, inwiefern die arbeitsrechtlichen Schutzmaßnahmen zukünftig weiterhin gewährleistet sind.

Beim Strafvollzug wird zunächst aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Mai 2006

der Jugendstrafvollzug auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Bremen hat zusammen mit anderen Bundesländern eine Arbeitsgruppe gebildet, die an einem Gesetzentwurf arbeitet. Unser Nachbarland Niedersachsen hat sich hieran nicht beteiligt und will ein eigenes Gesetz entwickeln. Bis Ende 2007 müssen der Gesetzgebungsprozess abgeschlossen und die Verwaltungsvorschriften und Regelungen für den Jugendvollzug angepasst sein.

Für die Gefangenen des bremischen Jugendstrafvollzugs bestehen bereits heute qualifizierte Angebote im Bereich der schulischen und beruflichen Ausund Fortbildung. Wir wollen jungen Gefangenen die Chance für einen Neuanfang geben und eine Perspektive ohne Straftaten und Strafvollzug eröffnen. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit der begangenen Straftat und deren Folgen für Opfer und Gesellschaft.

Neben der Wiedereingliederung der Gefangenen in die Gesellschaft hat aber auch die Verhinderung weiterer Straftaten einen hohen Stellenwert. Zwischen dem Integrationsziel des Vollzugs und dem Anliegen, die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zu schützen, besteht für das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich kein Gegensatz. Dieser Auffassung kann ich mich nur anschließen.

Im Anschluss an die Reform des Jugendstrafvollzugs wird Bremen – auch hier wieder so weit irgend möglich mit anderen Ländern – die Arbeit für die Regelungen des Strafvollzugs insgesamt aufnehmen. Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, für mich war die Kompetenz für den Strafvollzug beim Bund gut aufgehoben, und ich stand mit dieser Haltung keineswegs allein da. Die Fachwelt hat sich nahezu einhellig gegen uneinheitliche Maßstäbe im Strafvollzugsrecht ausgesprochen. Leitschnur der Erarbeitung eines Landesgesetzes muss deshalb aus unserer Sicht bleiben: Jeder Bürger, der den einheitlichen Regelungen des Bundes, dem Strafgesetzbuch und der Strafprozessordnung unterliegt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wird, hat auch Anspruch darauf, dass die Freiheitsstrafe in allen Ländern nach den gleichen Prinzipien vollzogen wird. Dieser Ansatz wird unser Ausgangspunkt für den notwendigen engen Diskurs mit Niedersachsen sein.

Beim Gaststättenrecht sollten wir die Landeskompetenzen nutzen, um eine klarere Rechtsgrundlage als bisher herzustellen. Bisher galten Bestimmungen des Gaststätten-, Gewerbe- und Baurechts. Der Senat strebt an, diese Regelungen künftig zusammenzufassen und zu entbürokratisieren. Wenn wir uns zum Beispiel entscheiden, einem Gastronomen grundsätzlich eine Konzession zu erteilen, muss er sie nicht mehr bei jedem Umzug oder jeder Neueröffnung erneut beantragen.

Im Zusammenhang mit dem Gaststättenrecht ist der Senat auch entschlossen, den Schutz für Nichtraucher deutlich zu verbessern. Einzelheiten können erst nach den Entscheidungen auf Bundesebene geklärt

werden. Noch ist offen, ob dieses Ziel durch freiwillige Vereinbarungen mit Hotels und Gaststätten erreicht werden kann. Je nachdem werden wir – auch in Abstimmung mit anderen norddeutschen Ländern – unsere neue Kompetenz nutzen und gegebenenfalls eindeutige Regelungen schaffen, um Nichtraucher vor Nikotin und Qualm zu schützen.

Auch für die Reform des Heimrechts gilt, dass zunächst das Bundesrecht weiter gilt. Die Länder bereiten sich derzeit gemeinsam auf die Neuregelungen vor und wollen sich dabei möglichst auf einheitliche Standards verständigen. Ob und inwieweit darüber hinaus durch Landesrecht spezifische bremische Anliegen geregelt werden sollten, wird danach zu klären sein. Unser gemeinsames Ziel muss jedenfalls sein, betreuten Menschen ein Leben in Würde und Selbstbestimmung zu sichern und neue, gemeinschaftliche Wohnformen zu unterstützen.

Im Bereich des Umweltrechts wird der Bund jetzt in die Lage versetzt, das lang geplante Umweltgesetzbuch zu erarbeiten. Der Bund wird dabei in enger Abstimmung mit den Ländern vorgehen. Die Länder werden spätestens 2010 in Teilbereichen des Naturschutz- und Wasserrechts und teilweise im Verfahrensrecht durch eigene Rechtsvorschriften vom Bundesrecht abweichen können. Allerdings sollten abweichende Regelungen in den Ländern nach Auffassung des Senats auch in Zukunft die Ausnahme und nicht der Regelfall sein.

Meine Damen und Herren, zwei Politikfelder, für die die Länder in Zukunft größere Verantwortung tragen, halte ich für ganz zentral. Das erste ist der Hochschulbereich. Hochschulpolitik gelangt künftig fast vollständig zurück in die Hände des Landesgesetzgebers. Lediglich Hochschulzulassung und Hochschulabschlüsse werden in die konkurrierende Gesetzgebung überführt, auch hier verbunden mit Abweichungsrechten der Länder.

Bremen, die Stadt der Wissenschaft 2005, stellt sich dieser neuen Verantwortung sehr selbstbewusst und wird die umfassende Landeskompetenz im Bereich der Bildung und Wissenschaft nutzen, um seinen Vorsprung als Wissenschaftsstandort weiter auszubauen. In einem neuen Hochschulreformgesetz werden wir die Studienstrukturen modernisieren. Wir wollen neue Formen der internen Selbstverwaltung der Hochschulen und der Kooperation der Hochschulen untereinander ermöglichen und neue Formen der Personalpolitik entwickeln. Dazu können Forschungsprofessuren, Lehraufträge für emeritierte Hochschullehrer oder die Einführung von Lektoren gehören.

Auch in der Hochschulpolitik wollen wir keinen Alleingang. Die Länder streben im Hochschulpakt vielmehr eine Übereinkunft aller Länder zum Zusammenwirken von Bund und Ländern bei der Bewältigung steigender Studierendenzahlen an. Bremen wird sich in enger Abstimmung insbesondere mit den norddeutschen Ländern daran beteiligen.

Weitere Veränderungen gerade für den Hochschulbereich ergeben sich aus der Reform der Mischfinanzierungen und der Forschungsförderung. Die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau wird zwar abgeschafft, den Ländern bleiben aber die Bundesmittel erhalten. Wir haben über dieses Thema hier bereits mehrfach diskutiert. Ich bin überzeugt, Bremen hat gute Chancen und gute Argumente, den erfolgreichen Ausbau des Wissenschaftsstandortes auch unter den neuen Rahmenbedingungen fortzusetzen und die finanzielle Ausstattung seiner anerkannt hervorragenden Forschungsinstitute langfristig absichern zu können.

Meine Damen und Herren, im Übrigen: Ich bedauere sehr, dass es bei der Reform nicht gelungen ist, sinnvolle Programme wie das Ganztagsschulprogramm mit Bundesmitteln fortzusetzen. Bremen wird deshalb weiterhin eigene Anstrengungen unternehmen, um dieses Ziel im Rahmen seiner Möglichkeiten zu realisieren.

Der zweite, lange umstrittene Bereich mit hoher politischer Bedeutung ist der Übergang des Besoldungs-, Versorgungs- und Laufbahnrechts der Landesbeamten und der Beschäftigten im öffentlichen Dienst auf die Länder. Die Gesetzgebungskompetenz für das Besoldungs- und Versorgungsrecht sowie das Laufbahnrecht der Landesbeamtinnen und Landesbeamten ist vollständig auf die Länder übergegangen. Wir sind uns bewusst: Damit sind auch Risiken verbunden, etwa die Gefahr eines Wettbewerbs der Länder um qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Wir wollen uns unsere besten Köpfe und fähigsten Mitarbeiter natürlich nicht abwerben lassen. Wir wollen keinen Wettlauf zwischen armen und reichen Ländern. Bremen hat mit seinen norddeutschen Nachbarländern deshalb verabredet, bei der Weiterentwicklung des Dienstrechts mit ihnen zusammenzuarbeiten. Wir wollen das Dienstrecht mindestens in den norddeutschen Ländern in den Grundstrukturen weiterhin einheitlich gestalten, um eine Zusammenarbeit vor allem auch in den gemeinsamen Einrichtungen weiter zu ermöglichen. Ich werde noch in diesem Jahr mit meinen Kollegen aus Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg darüber sprechen, wie wir diese Zusammenarbeit mit Leben füllen werden.

Auf der anderen Seite sehen wir aber auch positive Chancen für die Länder, das Dienstrecht nach den Gegebenheiten ihres Landes selbst zu regeln. Gerade kleine Länder gewinnen damit die Möglichkeit, schnell, flexibel und nahe an den praktischen Problemen der Verwaltung auf die Herausforderungen der Zukunft reagieren zu können. Diese Chance wollen wir in einem breit angelegten Dialog des Senats mit den Spitzenverbänden der Gewerkschaften, den Fraktionen in der Bürgerschaft und der Stadt Bremerhaven im Sinne einer nachhaltigen Modernisierung des öffentlichen Dienstrechts nutzen.

Meine Damen und Herren, zum Schluss dieses Parcours durch die neuen Rechte des Landes Bremen möchte ich noch einmal auf einen Punkt eingehen, der uns als Haushaltsnotlageland immer besonders beschäftigen muss, nämlich den der finanziellen Regelungen.

Das Erste ist der Hinweis auf einen Reformschritt, der Bremen sehr am Herzen gelegen hat: Bundesgesetze mit erheblichen Kostenfolgen für die Länder bleiben beziehungsweise werden zukünftig im Bundesrat zustimmungspflichtig. Bremen als Haushaltsnotlageland wird gerade dieses neue Recht sehr aufmerksam beherzigen und auf seine Einhaltung achten.

Auch Mischfinanzierungen wurden entflochten. Neben den schon genannten Gemeinschaftsaufgaben Hochschulbau und Bildungsplanung sind die Gemeinschaftsaufgaben Verkehrsverhältnisse der Gemeinden und Förderung des Wohnungsbaus entfallen. Die Länder erhalten die bisher gezahlten Beträge zur Kompensation. Bremen hat im Ländervergleich ein gutes Ergebnis erzielt.

Bis 2013 müssen diese Gelder dabei für denselben Zweck verwendet werden wie bisher. Dann wird einerseits die Höhe der Bundeszuschüsse überprüft, andererseits aber die Zweckbindung gelockert. Das Land kann selbst über die Verwendung der Mittel entscheiden. Ich bin überzeugt, wir werden uns dieser Diskussion zum gegebenen Zeitpunkt selbstbewusst stellen und deutlich machen: Die Bundesmittel waren und sind in Bremen gut angelegt.

Meine Damen und Herren, schon in wenigen Tagen, genauer am 19. Oktober 2006, erwarten wir das Urteil des Bundesverfassungsgerichts über den Normenkontrollantrag Berlins zur Stabilisierung seines Haushalts. Es wird voraussichtlich auch Weichen stellen für den zweiten Teil der Föderalismusreform, die Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen. Ich habe es hier in der Bürgerschaft, aber auch im Bundesrat gesagt: Aus Bremer Sicht gibt es einen engen und zwingenden Zusammenhang zwischen der ersten und der zweiten Stufe der Föderalismusreform. Trotzdem ist es kein Geheimnis: Die Bereitschaft der Länder, sich diesem Thema zuzuwenden, ist durchaus unterschiedlich ausgeprägt. Einige Länder befürchten, ihre gegenwärtige Finanzausstattung würde in Frage gestellt; andere erhoffen sich im Gegenteil eine finanzielle Entlastung von ihren bundesstaatlichen Pflichten. Selten war eine Interessenlage so widersprüchlich wie zum Ausgangspunkt dieses Reformschrittes.

Eine seriöse Prognose über Umfang und Ergebnisse der zweiten Stufe der Föderalismusreform ist vor diesem Hintergrund heute kaum möglich. Aber wir sind auf jeden Fall gut beraten, diese Chance zu nutzen, um unsere Bremer Interessen zur Geltung zu bringen! Das gilt für die Verhandlungen um die zweite Stufe der Föderalismusreform, aber ebenso für die

Klage vor dem Bundesverfassungsgericht und die konsequente Umsetzung unserer Eigenanstrengungen zur Sanierung des Haushalts.

Die Chefs der Staats- und Senatskanzleien haben sich Ende September darauf verständigt, die Verhandlungen zur zweiten Stufe der Föderalismusreform aktiv vorzubereiten und eine länderoffene Arbeitsgruppe einzurichten, an der die Bundesregierung mitwirkt. Ich halte es aber für dringend erforderlich und werde mich weiter dafür einsetzen, dass möglichst bald die in der Besprechung der Regierungschefs von Bund und Ländern am 22. Juni 2006 vereinbarte Verhandlungskommission von Vertretern des Deutschen Bundestages, der Bundesregierung und aller Landesregierungen eingesetzt wird.

Meine Damen und Herren, große Staatsreformen sind oft die Folge finanzieller Krisen. Die Stein-Hardenbergschen Reformen in Preußen, um ein berühmtes Beispiel zu nennen, waren Folge der Erkenntnis aus den Napoleonischen Kriegen: So kann es nicht weitergehen. Preußen war nicht nur finanziell erschöpft, sondern auch strukturell nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Neues Denken musste Platz greifen, um größere Probleme lösen zu können.

Einen ähnlich kühnen Wurf wünsche ich mir heute für die zweite Stufe der Föderalismusreform. Der gegenwärtig leichte Aufschwung und die Mehrwertsteuererhöhung dürfen uns nicht täuschen: Die öffentlichen Finanzen in Deutschland stecken nach wir vor in einer tiefen und andauernden Krise. Mehr als die Hälfte der Länder werden ihre Kreditobergrenze nach Einschätzung der Deutschen Bundesbank 2006 strukturell überschreiten, und der Bund hat nach wie vor die größten Schwierigkeiten, die Neuverschuldung im Blick auf das EU-Defizitverfahren zu senken.

Deshalb gilt: Die zweite Stufe der Föderalismusreform muss kommen, um im Anschluss an die erste Stufe auch die föderalen Finanzbeziehungen zukunftsgerecht zu gestalten. So ist es in der Koalitionsvereinbarung auf Bundesebene vereinbart, so haben es die Bundeskanzlerin, der Vizekanzler und der Bundesfinanzminister wiederholt betont. Am Tag der Deutschen Einheit hat die Bundeskanzlerin gerade erst erneut bekräftigt, ich zitiere: Es ist „wichtig, dass wir auch eine Föderalismusreform II bekommen. Die Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern muss erfolgen. Dabei müssen wir uns daran erinnern, was unsere föderale Ordnung stark werden ließ. Das war die Idee des Lastenausgleichs. Sie hat einstmals schwache und arme Länder in die Lage versetzt, nach oben zu kommen und Anschluss zu finden.“ So weit die Bundeskanzlerin am 3. Oktober 2006!

Eine Reform der Finanzverteilung, die die Wirtschaftskraft des Landes stärker berücksichtigt und dadurch die ökonomische Basis unserer Selbständigkeit sichert, ist für Bremen unverzichtbar. Dazu zählt

auch eine Reform der bundesstaatlichen Lastenverteilung, die auf die strukturellen Ungleichgewichte der Länder und Regionen Rücksicht nimmt. Teil davon ist, dass die Leistungen Bremens als deutscher Hafenstandort anerkannt werden. Es muss dringend eine Regelung für Haushaltsnotlagen erarbeitet werden. Ihre Prävention, ihre Begleitung, aber auch ihre Sanktion sind aus Sicht Bremens unerlässlich.

Meine Damen und Herren, sicher wird es bei der zweiten Stufe der Föderalismusreform nicht allein oder in erster Linie um die Bremer Interessen und Gesichtspunkte gehen können, sondern um Deutschland. Aber diese Reformdebatte bietet für Bremen die Chance, seine Argumente, seine Leistungen und seine begründeten Ansprüche in die Debatte einzubringen.

Uns ist dabei klar: Wir stehen nicht vor einfachen Verhandlungen. Dazu sind die Interessen zwischen dem Bund und innerhalb der Länder zu kompliziert und zum Teil auch zu widersprüchlich. Es ist aber unsere feste Überzeugung, nur mit grundsätzlichen Veränderungen der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, die Solidarität ebenso wie Leistung zu ihrer Richtschnur machen, wird der deutsche Föderalstaat im vereinigten Europa eine nachhaltige Zukunft haben. Bei fairen Rahmenbedingungen wird Bremen als wirtschaftlich starkes, leistungsfähiges Land weiterhin seinen Beitrag zur Vielfalt dieses deutschen Föderalismus leisten. Dafür werde ich mich auch in den kommenden Verhandlungen für die Zukunft Bremens stark machen. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Linnert.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte hier für die Grünen auch kurz etwas zu dem Tod des kleinen Kevins und zu dem eben angekündigten Rücktritt der Senatorin Röpke sagen. Wir bewerten diesen Rücktritt als einen unausweichlichen und konsequenten Schritt, der sich der politischen Verantwortung, die daraus folgt, dass dieses Kind zu Tode gekommen ist, stellt. Die Übernahme der politischen Verantwortung ist nicht gleichzusetzen mit der Übernahme von Schuld, auch wenn es in der Öffentlichkeit häufig so dargestellt wird. Die Übernahme der politischen Verantwortung zeigt, dass man weiß, dass in der eigenen Verantwortung Dinge falsch gelaufen sind, unabhängig davon, ob man selbst eine persönliche Schuld daran trägt. Es ist ein Akt der politischen Reinigung und eines Neubeginns, von dem ich hoffe, dass die Koalition ihn verantwortlich nutzt.

Bürgermeister Böhrnsen hat gesagt, dass es sich um ein tragisches und unverzeihliches Versagen des Staates handelt. Dem kann man nichts hinzufügen,

das ist so. Da ist ein Kind, bei dem der Staat, wir alle, der Vormund war, weil die Eltern nicht in der Lage waren, es so zu schützen und aufzuziehen, wie es sein muss. Dieses Kind wurde schutzlos gelassen und ist tot. An der Aufklärung, die hier versprochen wurde, werden sich die Grünen beteiligen. Wir bitten Sie darum, dass diese Aufklärung auch da, wo es notwendig ist, nämlich dort, wo es um Strukturen und nicht um Persönliches geht, öffentlich stattfindet. Wir müssen wissen, die Gesellschaft, die Öffentlichkeit muss wissen, wie ein Hilfesystem in Bremen funktioniert hat und vor allen Dingen, wie man es besser machen kann. So etwas darf sich niemals wiederholen.