Meine Damen und Herren, Sie haben sicherlich gemerkt, dass das keine Schulordnung von heute ist, sondern eine aus dem Jahre 1804. Der Antrag der CDU erinnert mich fatal an genau diese Schulordnung, die ihre Berechtigung gehabt haben mag. Auch damals waren Kinder und Jugendliche auffällig, waren ungehorsam, waren respektlos und frei von Disziplin. Auch damals machten sich Politiker und Politikerinnen Gedanken darüber, wie sie Zucht und Ordnung in die Schule bringen können oder – nett ausgedrückt – wie sie die Lernatmosphäre verbessern können und die Lernbereitschaft der Kinder fördern können.
Kritisch betrachtet muss man aber auch sagen, dass es schon vor 200 Jahren diese Parlamentarier gab, dass es immer wieder diese Schulordnungen gab, dass es immer wieder diese Disziplinierungsmöglichkeit gab, dass es immer wieder Lehrerinnen und Lehrer gab, die so durchzugreifen meinten, wenn die Klasse undiszipliniert war. Da man sich noch heute, nach 200 Jahren, genau diese gleichen Gedanken macht, genau diese gleichen Auffälligkeiten feststellt, kann doch irgendetwas nicht richtig gewesen sein.
Deswegen sagt die SPD, sie sei überzeugt davon, dass die im geltenden Schulgesetz von 1999 beschriebenen Bildungs- und Erziehungsaufgaben geeignet sind, Schülerinnen und Schüler zu wertvollen Mitgliedern der Gesellschaft zu erziehen, die Respekt vor dem anderen haben und damit Garant sein können für eine Welt, in der sich auch benachteiligte Mitmenschen sicher und angenommen fühlen dürfen, in der Demokratie fortbestehen und sich weiterentwickeln kann.
Mit Genehmigung des Präsidenten zitiere ich auszugsweise aus dem Handbuch des Bremischen Schulrechts, Paragraph 5: „Die Schule soll insbesondere erziehen zur Bereitschaft, kritische Solidarität zu üben, zur Bereitschaft, sich für Gerechtigkeit und für die Gleichberechtigung der Geschlechter einzusetzen, zum Verständnis für Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Beeinträchtigungen und zur Notwendigkeit gemeinsamer Lebens- und Erfahrungsmöglichkeiten. Die Schüler sollen lernen, Informationen kritisch zu nutzen, sich eigenständig an Werten zu orientieren und entsprechend zu handeln, Wahrheit zu respektieren, und den Mut haben, sie zu bekennen, eigene Rechte zu wahren und
die Rechte anderer auch gegen sich selbst gelten zu lassen, Pflichten zu akzeptieren und ihnen nachzukommen.“
Dieser hier beschriebene Auftrag macht deutlich, dass Schule Erziehung und Bildung nicht voneinander trennen kann, sondern dass Lehren immer Erziehen heißt und damit eine Orientierung an Werten ist. Das bedeutet auch, dass der Unterrichtende sich stets seiner Vorbildfunktion bewusst sein muss. Ein Lehrer, der Kaugummi kauend vor seiner Schule steht und von den Schülerinnen und Schülern fordert, in seinem Unterricht wird kein Kaugummi gekaut, der wird unglaubwürdig. Ebenso wird eine Lehrerin, die ihre Schüler respektlos behandelt, niemals Respekt durch die Schüler erfahren können.
Die Benimmbausteine analog zum Saarland: Die SPD-Fraktion unterstützt das geäußerte Ansinnen der CDU-Fraktion nicht. Ich begründe das: Wenn die Werteerziehung vom Elternhaus über den vorschulischen Bereich bis in den schulischen Bereich in den Köpfen der Erwachsenen verankert ist und entsprechend vorgelebt wird, wenn Wertschätzungen in Gesprächs- und Umgangsformen zum Ausdruck gebracht werden, müssen wir uns über Benimmunterricht in der Schule keine Gedanken machen. Wenn also gutes Benehmen alltäglich sein soll, muss ein Kind dies auch als Alltägliches erfahren. Das heißt, im Schulalltag wird fächerübergreifend auf gutes Benehmen geachtet, und es wird vorgelebt. Benimmunterricht als Unterrichtsfach, meine Damen und Herren, insbesondere von der CDU, kann nur eine Krücke sein, die nicht annähernd als Ersatz für das natürliche Lernen durch Nachahmung des Erwachsenen als Vorbild dienen kann.
(Glocke – Abg. K a s t e n d i e k [CDU]: Kommen Sie doch jetzt einmal zur Großen Anfrage und zur Antwort des Senats!)
Es ist ja für Sie ein sehr wichtiger Punkt. Gerade in dieser Frage wird deutlich, wie sich die Gesellschaft in den letzten Jahren verändert hat. Ich glaube nicht, dass diese Frage noch vor wenigen Jahren so emotionsfrei hätte gestellt oder beantwortet werden können.
Die einheitliche Schulkleidung oder Uniform kann eine Möglichkeit für Schülerinnen sein, sich mit ihrer Schule zu identifizieren. Sie kann zum Abbau des Statussymbols Kleidung dienen. Sie birgt aber auch Missverständnisse und Fehlinterpretationen in sich. Mir ist bisher noch keine Schule in Bremen bekannt, die einen Antrag auf einheitliche Schulkleidung oder Uniformen gestellt hat. Das bedeutet für mich, dass der Bedarf nicht besteht, und eine An
Höflichkeit und Pünktlichkeit sind keine überholten Tugenden, die CDU kann gern mitlesen, sondern für das verträgliche Zusammenleben in der Gesellschaft unverändert unverzichtbar. Wir brauchen Regeln und Grenzen, wir müssen uns wieder höflicher und respektvoller gegenüber anderen Erwachsenen, gegenüber Kindern und Jugendlichen verhalten, dann klappt es auch mit den Schülern!
Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin jetzt ein bisschen sprachlos und muss mich kurz sortieren.
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU – Zu- ruf von der CDU: Das will etwas heißen! – Abg. T i t t m a n n [DVU]: Hoffentlich!)
Ich führe Sie kurz ein zu meiner Vorbereitung auf die Große Anfrage der CDU, die auf eine Sache zurückgeht, die Herrn Rohmeyer und mich – ich hatte das Gefühl, wir sind die Einzigen, die in den Sommerferien in Bremen erwartungsvoll jeden Tag die Zeitung aufschlagen mussten – beschäftigt hat. Sie haben ja gesagt, Willi Lemke hat im Sommerloch die große Anstandsoffensive gestartet, und ich habe gedacht, ich muss mich jetzt erst einmal daran erinnern, worum es denn noch im Detail ging. Es waren in der Tat sehr viele Themen, die gekommen sind, also habe ich eingetippt Anstandsoffensive, Lemke und Bremen. Wo bin ich gelandet? Beim erzkatholischen Bistum in Mainz auf der Homepage!
Ich habe mich fürchterlich über Sie aufgeregt, dass Sie Mädchen ganz pauschal als Sexbomben bezeichnen. Das hat mich gewurmt, das hat mich genervt, ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.
und ich fand es auch falsch. Ich finde es richtig, und ich finde auch, es muss sein, dass ein Bildungssenator eine Meinung hat und die auch laut sagt, aber ich finde, es kommt immer noch darauf an, wie ein Bildungssenator das sagt. Es geht hier um Ihre Kundschaft, es geht um die Jugendlichen, und Sie haben ja auch in der Tat gesagt, Sie sind für sie verantwortlich. Dafür, finde ich auch, hätten Sie in dieser Frage den Jugendlichen und besonders den Mädchen etwas mehr Respekt geschuldet und die Sache etwas anders anfassen müssen.
Es haben sich auch einige Jugendliche darüber beschwert und gesagt, wir fühlen uns hier über einen Kamm geschoren, und wir fühlen uns verletzt. Ich finde, das müssen wir hier heute sehr ernst nehmen, die Bremer Gesamtschülervertretung hat sich dazu auch kritisch geäußert.
Was in der Anfrage steht, klingt ein bisschen distanziert, dass man sagt: Die Medien haben das hier so aufgegriffen, das Thema mit dem Anstand, der Disziplinlosigkeit und dass die Jugendlichen nicht so sind, wie wir das gern hätten. Herr Lemke, so einfach können wir uns das nicht machen! Sie haben ja schließlich den ersten Stein geworfen, und Sie oder Ihr Ressort dürfen sich nicht wundern, dass das jetzt auch bundesweit weite Kreise gezogen hat und wir damit Aufmerksamkeit erregt haben.
Es gibt keine empirischen Befunde. Ich habe zwar nicht die beiden Antworten, die der Senat abgeliefert hat, aber ich beiße mich jetzt hier dann einmal so damit durch. Sokrates hat gesagt, die Jugendlichen vor 2500 Jahren waren schon genauso aufsässig und liederlich. Ich denke, in den sechziger oder fünfziger Jahren, Herr Lemke, ich weiß nicht, wann Sie zur Schule gegangen sind, haben Ihre Lehrer sich vielleicht genauso über Sie beschwert, wie Sie das heute machen.
Aber ich glaube, damit wird man der ganzen Sache nicht gerecht. Es sind ganz viele wichtige Themen eigentlich angesprochen worden, und ein Kern muss uns auch immer daran beschäftigen. Ich finde, es kann aber nicht sein, dass man die Jugendlichen jetzt als die Verursacher oder die Schuldigen an einer Bildungsmisere betitelt. Das kann nicht sein. Ich glaube auch, wenn man die Schülerschaft pauschal der mangelnden Disziplin bezichtigt, wird man den Themen nicht gerecht. Sie sind doch seit viereinhalb Jahren als Bildungssenator verantwortlich, und Sie stellen sich damit auch, finde ich, ein sehr schlechtes Zeugnis aus.
Das gilt auch für die CDU. Ich meine, Sie sind doch nicht unbeteiligt an dem Senat und an der Regierung, auch Sie tragen Verantwortung! Wenn Sie das heute beklagen, dann müssen Sie sich doch auch fragen, was Sie in Ihrer Bildungspolitik in Bremen
Im Grunde geht es doch um die Kernfrage: Welche Werte haben wir heute im Jahr 2003 in der Bildung und in der Erziehung, und können wir uns überhaupt noch in unserer pluralen Gesellschaft auf einen Wertekanon in Sachen Bildung und Erziehung einigen? Schulen, und das, glaube ich, ist auch Konsens, sind auf intakte Sozialformen angewiesen. In der Schule muss in der Tat eine angemessene Arbeitsatmosphäre herrschen. Für das vernünftige Miteinander sollten sich alle an der Schule Beteiligten verantwortlich fühlen. Um überhaupt Regeln einhalten zu können, bedarf es eines Regelwerkes. Wir haben schon darüber geredet. Verschiedene Schulen erarbeiten einige Regeln mit den Schülern. Die Schüler unterschreiben das als Art Schulvertrag, und diese Regeln müssen von den Lehrerinnen und Lehrern, von den Schülerinnen und Schülern und zum Teil auch von den Eltern akzeptiert und unterstützt werden. Bei dem Punkt möchte ich auch das Thema Schuluniform ansprechen. Ich glaube, Schuluniformen kann man nicht verordnen. Das eignet sich immer einmal wieder für eine Schlagzeile in der Zeitung, aber das muss ein Prozess von innen sein, den die Schülerinnen und Schüler mittragen. Es gibt einige Schulen, die Schüler darüber haben abstimmen lassen, ob alle künftig im gleichen Schul-T-Shirt zur Schule kommen wollen. Ich finde, das muss man den Schülerinnen und Schülern überlassen, aber das kann nicht Aufgabe eines Bildungssenators sein, die Schüler von Kopf bis Fuß gleich einzukleiden. Zweitens, in der klassischen Halbtagsschule wie in Bremen bleiben die notwendige Sozialerziehung und die Persönlichkeitsbildung weitgehend auf der Strecke, weil der Fachunterricht fast 100 Prozent der zur Verfügung stehenden Zeit bindet. Erst die Ganztagsschule würde den Freiraum eröffnen, um Schule im ausreichenden Maß als soziales Gefüge wahrzunehmen. In einer Schule, der es nicht gelingt, eine Atmosphäre der Achtung und der Anerkennung zu schaffen, wird auch der Benimmunterricht, den Herr Lemke will oder der im Saarland gemacht wird, überhaupt nicht helfen und greifen. Wenn der Senat jetzt die Einführung der Ganztagsgrundschulen verzögert und das nicht als Priorität setzt, wird man da auch keine Trendwende erreichen, und man wird ganz schwer das Thema einer veränderten Kultur an der Schule umsetzen können. Ganztagsschulen sind für uns Grüne ein Schlüssel dafür, eine veränderte Schulkultur in Bremen zu erreichen.
Selektion und Ausgrenzung statt auf gemeinsames Lernen setzt, schafft sich seine Probleme selbst. In skandinavischen Staaten ist Vandalismus an Schulen ein Fremdwort. Zwischen den Lehrkräften und den Schülerinnen und Schülern herrscht eine entspannte Atmosphäre, weil dort der oberste Grundsatz „Niemand darf beschämt werden“ lautet.
Der Bildungssenator hat durchaus Recht, wenn er fordert, dass es darum gehen muss, Schule lebendiger zu gestalten und die Unterrichtsstruktur zu verändern. Aber wir Grünen bezweifeln ausdrücklich, dass die Rückkehr zum gegliederten Schulsystem da Schwung bringen wird, im Gegenteil! Noten und Auslese fördern nicht das Bewusstsein der Schüler, dass sie gern zur Schule gehen, im Gegenteil, Schüler werden dadurch demotiviert.
Viertens, Willi Lemke hat gesagt, dass die Elternund Großelterngeneration sich eingestehen müsse, dass die Reformoffensive der sechziger und siebziger Jahre in einer Sackgasse geendet sei, weil ein schlüssiger pädagogischer Gegenentwurf fehlt. Das mag teilweise so sein, aber ich glaube nicht, dass alle Kinder so lupenrein achtundsechzigermäßig erzogen wurden. Was stattgefunden hat, ist aus meiner Sicht unverzichtbar und richtig. Kinder werden als eigenständige Persönlichkeiten gesehen. Das hat sich seit den sechziger Jahren ganz massiv geändert. Schule braucht eine vernünftige Balance zwischen Autorität und Freiheit. Zur Professionalität einer Lehrkraft gehört auch, dass die Lehrer über Sozialkompetenzen Bescheid wissen und dass sie das Erlernen zum integralen Bestandteil des Unterrichts machen.
Wenn aber Kinder Aggressionen von außen in die Schule mit hineintragen, dann werden auch gesellschaftliche Defizite deutlich, bei deren Behebung die Schulen, wir haben das hier schon oft diskutiert, überfordert sind. Es geht aber nicht um eine Schuldfrage, sind die Eltern schuld, ist die Schule schuld, sind die Schüler schuld, sondern es muss darum gehen, dass wir, Herr Rohmeyer hat das kurz angesprochen, darum ringen müssen, dass es Partnerschaften gibt. Wir machen in Bremen oder auch in Deutschland insgesamt den Fehler, dass es hier nicht um eine Kultur der Anerkennung geht, sondern es geht immer um das Zeigen auf den anderen und um die Frage, wer denn nun schuld ist, aber man selbst will es nicht sein. Eltern sind aber eben keine Maschinen, die gleichmäßig fehlerfreie Erziehungsleistungen abliefern können. Eltern brauchen auch Unterstützung. Die Schule kann sie liefern, und auch Eltern können der Schule, den Kindergärten wertvolle Impulse bieten.
Wenn wir als Politiker etwas verändern wollen, kann es nicht ausreichen, den anderen immer als Versager zu betiteln. Viel zu spät werden in unse
rem Bildungssystem die Eltern als ernst zu nehmende Partner zugelassen. In England, Dänemark und Schweden, das sind sehr erfolgreiche Länder, die gute Ergebnisse bei den Schulleistungen der Schülerinnen und Schüler vorweisen können, ist die Einbindung der Eltern integraler Bestandteil der pädagogischen Zusammenarbeit. Lehrer finden sich in unseren Schulen in wenig erfolgreichen Unterrichtsstrukturen wieder, sie sind Einzelkämpfer. Auch deshalb brauchen wir ein längeres gemeinsames Lernen für alle Kinder, gerade auch in Ganztagsschulen, und damit integrative Schulformen, damit auch Lehrer andere Unterrichtsformen wählen können und mit den Kindern anders pädagogisch arbeiten können.
Herr Lemke, ich bin jetzt gespannt, was Sie sagen, Sie sind ja in der Debatte schon ziemlich zurückgerudert! Wir dürfen nicht vergessen, bei der Pisa-EUntersuchung, das ist mir noch deutlich im Kopf, kam als ein Ergebnis heraus, die Bremer Schüler, so schlecht sie bei den Leistungen im naturwissenschaftlichen Bereich, im Lesen oder in den anderen Fächern waren, haben hervorragende soziale Kompetenzen. Jemand sagte, sie können nicht lernen, aber sie können reden, und die Bremer Schüler haben schon viele Wettbewerbe europaweit und auch bundesweit gewonnen. Ich finde, auch das muss ein Bildungssenator anerkennen und auch einmal sagen, dass es Schulen gibt, die in schwieriger Situation mit den Schülern, die sie haben, arbeiten und dort auch gute Ergebnisse erringen.
Das Schwarze-Peter-Spiel zwischen SPD und CDU, ist das nun mein Ressort oder dein Ressort, kann ich hier irgendwie nicht verstehen.
Es muss darum gehen, dass wir in Bremen ein Bildungssystem schaffen, das die Kinder in den Mittelpunkt stellt und nicht mit den Fingern immer auf den jeweils anderen zeigt. – Danke schön!