Protokoll der Sitzung vom 21.02.2007

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Ich bin erstaunt, dass ein Thema hier noch nicht angeklungen ist, denn wenn wir heute über Familienpolitik reden, dann hören wir doch viel über Familienkrach, über den Familienkrach in und aus der CDU. Ich will das hier deutlich in den Zusammenhang stellen und auch keinen Zweifel daran lassen.

(Zuruf von der CDU)

Also Zeitung lesen hilft immer weiter, das stimmt. Ich will jedenfalls keinen Zweifel daran lassen: Wir Sozialdemokraten sind froh und unterstützen, dass die neue kinderorientierte Politik der früheren SPDBundesfamilienministerin Renate Schmidt so bruchlos fortgeführt wird von Frau von der Leyen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Aber ich wünsche ihr, und da ist das Problem, Herr Rohmeyer, wenn Sie gleich aufgeregt dazwischenrufen, zeigt ja dass das Problem.

(Zuruf des Abg. R o h m e y e r [CDU])

Ich wünsche ihr nämlich viel Erfolg, dass sie sich gegen die Ewiggestrigen in ihrer eigenen Partei durchsetzt und die 500 000 zusätzlichen Krippenplätze auch schafft, für Bremen und Bremerhaven wären das 5000!

(Beifall bei der SPD)

Das ist das, was wir dringend benötigen, und dazu braucht die Politik zwei Dinge: Geld und die Diskussion und die Etablierung eines neuen Erziehungsbildes. Ich will zuerst etwas zu dem Erziehungsbild sagen, denn da hat Frau von der Leyen in der Tat noch die meiste Arbeit in ihrer eigenen Partei vor sich. Ich darf hier nur beispielhaft, Herr Präsident, Sie erlauben mir das, den CDU-Innenminister des Landes Brandenburg, Herrn Schöhnbohm, aus dem „WeserKurier“ von vorgestern zitieren. Der gute Mann sagt: „Es kann nichts Besseres für ein Kind geben, als in den ersten drei Lebensjahren in der Familie betreut zu werden.“ Das ist genau das, womit erst einmal alle Mütter, alle berufstätigen Frauen inzident abgestempelt werden zu Rabenmüttern.

(Abg. R o h m e y e r [CDU]: Das ist Ihre Sicht, Herr Dr. Sieling!)

Darüber können wir gleich reden, Herr Rohmeyer, bleiben Sie ruhig! Zum Zweiten ist das offensichtlich, das unterstreichen auch Sie, wohl nach wie vor die Mehrheitsmeinung innerhalb der CDU und scheinbar auch hier im Hause. Aber der UNICEF-Bericht, darüber reden wir doch, und ich hoffe, Sie haben ihn gelesen, nimmt genau dieses alte Denken auf. Er macht deutlich, dass ein solches Erziehungsbild, das einzig darauf setzt, dass die Mütter zu Hause, nur zu Hause die beste Arbeit leisten können, dass das der Wirklichkeit der frühen Industriegesellschaft und Agrargesellschaft des 19. Jahrhunderts, so sagt der UNICEF-Bericht, entspricht.

Damals hatte die Großfamilie die Aufgabe, die Betreuung zu übernehmen. Damals war die Vielfalt von Wissen und Medien noch lange nicht so ausgeprägt, und schulische Anforderungen sind nicht derartig in die Familien eingedrungen. Im Übrigen waren die Vierzehnjährigen dort in der Regel in der Obhut ihres Lehrmeisters, alles Bedingungen, die sich heute nicht mehr ergeben.

Ich darf, mit Genehmigung des Präsidenten, direkt aus dem UNICEF-Bericht zitieren. Wenn Sie das hier debattieren wollen, dann müssen Sie auch über diese Konsequenzen reden. UNICEF schreibt: „ In der heutigen Dienstleistungsgesellschaft müssen beide

Elternteile zur ökonomischen Basis und wirtschaftlichen Sicherheit der Familie beitragen.“ Sie sprechen in der Studie die Migrations- und kulturellen Wandlungsprozesse an, die unterschiedlichen Lebensformen und Vorstellungen über Familie, die ökonomische Spreizung. Und zum Schluss: „Solche Ausdifferenzierungsprozesse der ökonomischen Entwicklung“, so UNICEF, „können von den Eltern selbst bei der Erziehung ihrer Kinder und der Entwicklung der Lebenschancen der Kinder gar nicht aufgefangen werden, auch wenn der familiär verlässliche Kontext eine der wichtigsten Voraussetzungen für die kindliche Erziehung ist, so ist es heute.“

Da hat Frau von der Leyen richtig gelesen, Herr Rohmeyer, ich bin nicht sicher, ob Sie das auch so gesehen haben, denn UNICEF schreibt: „auch Aufgabe der Kommunen, der Länder und des Bundes, als Aufgabe staatlicher Zukunftsgestaltung auch verlässliche außerfamiliäre Umwelten für die Kinder zu schaffen“.

(Beifall bei der SPD)

Darum geht es, das ist die neue Qualität, die müssen Sie aufnehmen und begreifen, und das heißt, dass die Verantwortung von Gesellschaft und Staat stärker steigen wird, und wir werden uns dem annehmen müssen. Das ist zum Nutzen der Kinder, der Mütter und auch der sich in der Erziehungsarbeit ja auch viel zu stark zurückhaltenden Väter. Diese erweiterte Aufgabe und Verantwortung von Gesellschaft und Staat, das will ich hier sagen, mindert nicht die Bedeutung der Eltern und der elterliche Liebe. Sie schafft eher die zeitgemäßen Voraussetzungen dafür. Meine Fraktionskollegin Margitta Schmidtke hat gerade in der letzten Woche, das finde ich sehr eindrücklich und sehr richtig, die gestiegene Verantwortung der Eltern deutlich gemacht und darauf verwiesen, dass Politik nicht Liebe ersetzen kann. Aber Politik muss den Freiraum für elterliche Liebe schaffen, und daraus ergibt sich eben, dass man dies öffentlich organisieren muss gerade in den komplexer werdenden Gesellschaften.

(Abg. Frau S t a h m a n n [Bündnis 90/Die Grünen]: Liebe kann aber Politik ersetzen?)

Ich weiß nicht, wie das bei Ihnen ist, ich halte es lieber eher damit, dass ich beides mache und die Gleichwertigkeit, die bestimme ich dann allein.

Ich bin jetzt aber bei dem zweiten Aspekt, dem guten und lieben Geld. 5000 Krippenplätze – das ist, heruntergerechnet, das, was Frau von der Leyen will – wird man nicht in Bremen selbst finanzieren können. Das werden wir vor dem Hintergrund unserer finanziellen Lage nicht schaffen. Bundesweit, und darüber muss man auch reden, kostet das 500 000Krippenprogramm von Frau von der Leyen rund 3 Milliarden Euro. Leider sagt die Bundesfamilienministerin nichts über die Finanzierung – bislang! Wahr

scheinlich übrigens deshalb, weil ihr dann die anderen CDU-Männer erst recht auch noch aufs Dach steigen werden.

Aber da hilft der SPD-Bundesfinanzminister Peer Steinbrück, Herr Pflugradt passt auf, der hilft! Das Bundesfinanzministerium hat darauf hingewiesen, dass Deutschland jährlich 184 Milliarden Euro in die Familienförderung steckt, und zwar der Bund steckt dieses Geld hinein, und das ist in der Tat der richtige Hinweis! Da wird man herangehen müssen, um die 3 Milliarden herauszuholen. Das allerdings wird bedeuten, dass wir das Kindergeld, das den Leuten direkt zufließt, eher einfrieren müssen, und vor allem, meine Damen und Herren, müssen wir dazu kommen, das Ehegattensplitting umzustellen zu einem Familiensplitting. Das ist ein Ansatzpunkt, den wir unterstützen.

(Beifall bei der SPD)

Das ist übrigens der Punkt, Herr Rohmeyer sagt, wir brauchen kein Geld ins System, Frau von der Leyen braucht für ihre Politik Geld ins System,

(Abg. R o h m e y e r [CDU]: Wann habe ich das gesagt?)

in Abgrenzung zu Frau Linnert. Da lesen Sie nach, und da werden Sie das Ganze sehen.

Ich bin gemahnt, zum Ende zu kommen, und will deshalb nur sagen, dass wir natürlich auch in Bremen die Dinge werden angehen müssen. Es wird einer Umschichtung im Haushalt bedürfen. Bürgermeister Böhrnsen hat vorgeschlagen, Mittagessen kostenfrei zu machen. Ich finde, Frau Linnert, darüber muss man nicht schlecht reden. Wir werden viele Dinge im Haushalt verändern müssen.

Lassen Sie mich zum Schluss eines sagen, einen Fehler, den wir nicht wieder machen müssen, weil wir eine Neuausrichtung brauchen, den ein handlungsfähiger Staat nicht vertragen kann, den muss man ansprechen. Frau Linnert hatte ihn ja auch angesprochen, und ich sage, das ist ein Fehler gewesen, als nach Scheitern des Kanzlerbriefes Anfang 2005 die Forderung vorgebracht wurde, im bremischen Sozialetat 90 Millionen Euro zu streichen. Das war falsch, in diesem ausgequetschten Sozialressort, was für ein Wahnsinn, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD)

Aber wenn ich mich daran erinnere, mit welcher Leidenschaft, meine Damen und Herren von der CDU, Sie, Herr Neumann, der damalige Fraktionsvorsitzende Kastendiek und der unglaubliche Herr Gloystein dieses Ziel verfolgt haben, zu Einsparungen zu kommen, dann ist das, muss ich sagen, die größte politische Fehlleistung dieser Legislaturperiode gewesen,

und ich bin froh, dass Jens Böhrnsen und ich damals so dafür gerungen haben. Wir haben eine Einsparung von immer noch 25 Millionen Euro im Sozialhaushalt gehabt.

(Glocke)

Das war deutlich zuviel. Daran werden wir immer noch etwas ändern müssen. Es war eine Verbesserung, wir müssen aber vor allem auch, Herr Rohmeyer, Geld ins System stecken. Wir brauchen einen Neuanfang in der nächsten Legislaturperiode, das ist die Konsequenz, wenn man mit der Zäsur der Sanierungspolitik anfängt! – Herzlichen Dank, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD)

Als Nächster erhält das Wort der Abgeordnete Rohmeyer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Dr. Sieling, ich glaube, Sie werden noch ziemlich lange an Frau von der Leyen knabbern müssen, so wie Sie sich hier versuchen abzuarbeiten. Meine Damen und Herren von der SPD, Sie müssen endlich lernen, dass sozialdemokratische Politik noch lange keine gute Sozialpolitik ist, das will ich Ihnen ganz deutlich sagen!

(Beifall bei der CDU)

Ich kann auch nicht die bruchlose Fortführung der guten Politik von Frau Ministerin a. D. Schmidt auf Frau von der Leyen feststellen, weil ich sie, wenn eine gute Politik seitens Frau von der Leyen da ist, feststellen kann. Aber das nur soweit!

Frau von der Leyen hat einen inhaltlichen Vorschlag gemacht, und die Bundesregierung wird garantiert eine Lösung finden zur Finanzierung. Ihr Vorschlag mit dem Kindergeld ist gar nicht so abwegig, aber diese Feststellung wird sicherlich die Bundesregierung treffen. Fakt ist, wenn der Bund etwas vorschreibt, muss der Bund es auch bezahlen können, wenn uns in Bremen das zugute kommt, nehmen wir das natürlich gern an und gestalten das aus, meine Damen und Herren.

Sie sprechen von einem Familienkrach der CDU. Ich weiß nicht, woher Sie Ihre internen Einblicke in die CDU haben, Herr Dr. Sieling.

(Heiterkeit bei der SPD)

Falls es vom Hörensagen sein sollte, Ihre Zwischenrufe deuten darauf hin.

(Abg. K l e e n [SPD]: Was wir vom Hörensagen alles wissen!) ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft. Ja, ich möchte auch nicht Einblicke in die sozialdemokratische Seele haben, da könnte einem ja übel werden. Aber, meine Damen und Herren, Frau von der Leyen steht in der Mitte der CDU mit der Unterstützung der Führung der CDU, und wenn irgendjemand eine Einzelmeinung in der Welt oder sonst irgendwo vertritt, dann ist das so. Frau von der Leyen wird im Übrigen auch ganz deutlich, auch das können Sie nachlesen, von Bürgermeister Thomas Röwekamp unterstützt. Ich hab noch keine konkreten Vorschläge hier von Bremer Sozialdemokraten zu diesem Thema gehört. (Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, Sie werfen uns wieder einmal ein Familienbild aus der Frühzeit der Industrialisierung vor. Es kann einem Kind nichts Besseres passieren, als wenn seine Eltern sich die ersten Jahre voll um das Kind kümmern, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der CDU – Zurufe von der SPD)

Dieses Familienbild vertreten wir, und das ist auch das richtige Familienbild, sehr geehrter Herr Dr. Sieling!

(Zurufe von der SPD und vom Bündnis 90/ Die Grünen)

Ein Weggeben und Betreuen, meine Damen und Herren, kann doch die familiäre Erziehung nicht ersetzen, und wir brauchen die Zusatzangebote für die Eltern, die es nicht leisten können, die arbeiten möchten. Dafür brauchen wir die Zusatzangebote, daran hat es in der Vergangenheit in Deutschland gefehlt, meine Damen und Herren. Aber die familiäre Erziehung gegen eine staatliche Betreuung zu setzen, ist ein Gedankenfehler, den Sie in Ihrer Politik haben und der auch jahrzehntelang schon in Ihrer Politik fruchtet und den wir wahrscheinlich bei Ihnen auch nicht austreiben werden. Darum müssen wir immer zusehen, dass wir Ihre Politik korrigieren oder bestimmen können. Sozialdemokratische Betreuungspolitik ist noch lange keine Erziehungspolitik, die Kinder und Jugendliche voranbringt.

Herr Dr. Sieling, ich möchte Ihnen nur Ihre Kollegin Frau Schmidtke aus der „Norddeutschen“ zitieren. Frau Schmidtke hat gesagt, mit Genehmigung des Präsidenten: „Sie müssen sich wieder verstärkt darauf besinnen, dass vorrangig sie“ – und es geht um die Eltern – „selbstverantwortlich und zuständig für die Kinder und ihre Erziehung sind.“ Das steht im klaren Widerspruch zu Ihnen, Herr Dr. Sieling!

(Widerspruch bei der SPD)