Protokoll der Sitzung vom 22.02.2007

Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt von der Antwort des Senats, Drucksache 16/1288, auf die Große Anfrage der Fraktionen der CDU und der SPD Kenntnis.

Bleiberecht umsetzen, Abschiebungen aussetzen

Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 28. November 2006 (Drucksache 16/1213)

Wir verbinden hiermit:

Bleiberecht für Familien mit langjährigem Aufenthalt

Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 16. August 2006 (Drucksache 16/1107)

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Bleiberecht für Familien mit langjährigem Aufenthalt

Mitteilung des Senats vom 19. Dezember 2006 (Drucksache 16/1254)

Dazu als Vertreter des Senats Bürgermeister Röwekamp.

Meine Damen und Herren, der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Bleiberecht für Familien mit langjährigem Aufenthalt“ vom 16. August 2006, Drucksache 16/1107, ist von der Bürgerschaft (Land- tag) in ihrer 66. Sitzung am 14. September 2006 an die staatliche Deputation für Inneres überwiesen worden. Diese Deputation legt mit der Drucksachen-Nummer 16/1254 ihren Bericht dazu vor.

Die gemeinsame Beratung ist eröffnet.

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Güldner.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute über die Frage, die in den letzten Jahren, aber besonders intensiv in den letzten Monaten bundesweit viele bewegt hat, wie kann man, und zwar nicht nur in Bremen, sondern bundesweit gibt es dieses Problem, ein dauerhaftes Bleiberecht für die in Deutschland insgesamt knapp 200 000 Menschen schaffen, die zurzeit nur geduldet werden. In Bremen und Bremerhaven zusammengerechnet sind dies 3500 Menschen. Es ist eine nicht unerhebliche Gruppe von Menschen, die mit einer ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

sogenannten Duldung bei uns leben. Sie haben davon schon gehört. Es ist irgendein Abschnitt zwischen einer Aufenthaltsgenehmigung, mit der man arbeiten, zur Ausbildung gehen darf, und einer Abschiebung, die nicht möglich ist, also irgendeine Zwischenwelt. Wir Grünen sind schon seit vielen Jahren dafür, diese Zwischenwelt der sogenannten Duldung aufzulösen, meine Damen und Herren.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Ich möchte hier mit etwas Positivem beginnen, weil ich glaube, dass wir, wenn wir einmal die Debatten der letzen Jahre zu diesem Thema nachschauen, nach einer sehr harten Konfrontation auch in den Grundsätzen heute einen wesentlichen Fortschritt verzeichnen können. Wenn Sie heute sowohl die Innenministerkonferenz im letzten November als auch die jetzige Debatte über den Bundestags- und Bundesratsbeschluss noch einmal anschauen, der jetzt ansteht über eine gesetzliche Regelung des Bleiberechts, dann ist zumindest zu verzeichnen, dass es eine grundsätzliche Einigung quer über die Parteigrenzen und Ländergrenzen hinweg zu geben scheint, dass es eine Notwendigkeit zum Handeln in dieser Frage gibt. Es gibt niemanden mehr, der bestreitet, dass diese Notwendigkeit besteht. Im Zuwanderungsgesetz, Sie erinnern sich, ein Gesetzeswerk, das unter sehr großen Mühen zustande gekommen ist, wurde dies auch schon festgestellt als ein Gesetzesziel, die Kettenduldung zu beenden. Leider hat sich in der Praxis dann erwiesen, dass dieses Ziel nicht erreicht werden konnte.

Ich glaube, dass diese grundsätzliche Einigung über die Notwendigkeit zum Handeln von Bayern bis Schleswig-Holstein und bis in den Bundestag eine ganz wichtige Grundlage ist, um hier in dieser Frage voranzukommen. Das ist, jedenfalls wie ich finde, ein großer Fortschritt. Das Problem ist bei mehreren der konkreten Regelungen, die dann am Ende aus den Verhandlungen herausgekommen sind in den vergangenen Jahren, so auch bei dem Beschluss der Innenministerkonferenz vom letzten Jahr, die praktische Umsetzung.

Wir haben immer relativ weitgehende Ziele. Wir haben Vorstellungen, dass die Kettenduldung verschwinden soll, dass die Menschen klare Verhältnisse haben sollen, dass Menschen arbeiten können sollen, um selbst ihren Lebensunterhalt für sich und ihre Familie zu verdienen, dass Jugendliche endlich in Arbeit oder in Ausbildung kommen sollen. Wir haben immer diese klaren Ziele, aber wenn wir dann konkrete Regelungen bekommen, sei es, wie jetzt durch die Innenministerkonferenz, oder sei es durch gesetzliche Regelungen, dann haben wir hinterher wie von Geisterhand plötzlich immer wieder die Situation, dass nur ganz wenige Menschen am Ende von diesen Regelungen profitiert haben werden.

Sie gestatten mir die Vermutung, dass es sich hier um keinen Zufall handelt, sondern dann auf dem Weg der politischen Umsetzung und der politischen Festschreibung der einzelnen Regelungen dafür gesorgt wird, dass am Ende der Kreis derer, die ganz dringend dieser politischen Beschlüsse bedürfen, doch wieder nur sehr klein ist. Ich bedauere dies auf das Äußerste, dass dies auch diesmal schon wieder so geschehen ist, meine Damen und Herren.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wer ist gemeint, wenn wir heute über Menschen reden, die über eine Kettenduldung verfügen? Einige sitzen heute hier auf der Tribüne. Sehr viele praktische Erfahrungen kann man mit diesen Menschen machen, wenn man mit ihnen spricht. Dann löst sich das Bild, das manchmal so in der Öffentlichkeit gezeichnet wird von Menschen, die lediglich zu uns gekommen sind, um auf Kosten unserer Sozialsysteme zu leben, oder von Menschen, die kriminell oder mit anderen Beschuldigungen versehen werden, eigentlich relativ schnell auf.

Es ist allerdings vollkommen verkehrt, und ich habe auch diese Position hier nie vertreten, dass man das Negative der Flüchtlinge und der Menschen mit einer Duldung über einen Kamm scheren kann, was oft geschieht und was wir ablehnen, dass man dies mit dem Gegenteil quasi beantworten sollte. Auch das wäre naiv und völlig unangebracht, nämlich dass Menschen, die in diesem Duldungsstatus leben, als Flüchtlinge nun per se die besseren Menschen wären, das ist meines Erachtens eine vollkommen irregehende Sichtweise.

Wir haben es dort wie bei uns allen mit den ganz unterschiedlichen Wechselfällen des Lebens zu tun, und wir haben es mit ganz vielen Individuen zu tun, mit vielen Familien, jungen und alten Menschen, die ihr eigenes Schicksal haben. Man kann sie pauschal in keinen Topf stecken, weil man jedem Einzelnen von ihnen damit nicht gerecht wird. Gemeinsam ist ihnen allerdings, dass sie es als einen praktisch unmöglichen Zustand empfinden. Das geht nicht nur ihnen selbst so, sondern das finde ich auch.

Für unsere Gesellschaft, für die beiden Städte Bremen und Bremerhaven gilt das gleichermaßen, dass ein Zustand, in dem man zwar nicht wieder nach Hause zurückgehen kann, in dem man aber auch hier nicht ankommen kann, im Wesentlichen geprägt ist durch die Frage, kann ich denn eine Ausbildung aufnehmen, kann ich eine Arbeit aufnehmen, kann ich mich hier denn einigermaßen sicher niederlassen, dass man, wenn man in diesem Zwischenstadium lebt, auf gar keinen Fall hier in irgendeiner vernünftigen Weise existieren kann.

Die Folgen für jeden Einzelnen dieser Menschen, vor allen Dingen für die vielen Jugendlichen, die sich in unseren Schulen in Bremen und Bremerhaven be

finden, dürften ziemlich klar sein. Sie führen quasi ein Leben auf dem Koffer und aus dem Koffer. Ich habe das, glaube ich, an dieser Stelle schon einmal gesagt, es ist nicht so sehr das Problem, dass einige von denen, wie es bei uns in unseren Gesellschaften auch allgemein üblich ist, straffällig werden, was natürlich genauso geahndet werden muss wie sonst auch, sondern es ist vielmehr in einem solchen unerträglichen Wartezustand und Stillstand, in dem man dort leben muss, jedem Einzelnen hoch anzurechnen, gerade dies nicht zu tun, sondern sich mit legalen Mitteln den Lebensunterhalt zu verdienen und mit ebenfalls legalen Mitteln dafür zu kämpfen, endlich einen gerechten Status in dieser Gesellschaft zu erhalten, meine Damen und Herren.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Es ist nicht nur angesagt, das menschliche Schicksal dieser Leute ins Auge zu fassen, sondern auch das Potenzial der Jugendlichen. Es war ja auch das Ziel, das haben die Innenminister so formuliert, das wird jetzt auch wieder in der Diskussion im Bundestag formuliert, diese Potenziale dort auszuschöpfen, wo man sie ausschöpfen kann, und den Jugendlichen, um die geht es ja, aus den Familien eine Perspektive aufzuzeigen. Es gibt ja eine Reihe von Vorschlägen in der aktuellen Debatte, die in diese Richtung gehen.

Jetzt komme ich aber wieder zurück zu meinem Ausgangspunkt. Warum ist es dann so, dass wir eine Situation haben, dass wir in Bremen 3500 Geduldete und bisher bis zum 31. Januar nur 27 positiv beschiedene Anträge haben? Wir haben in Niedersachsen über 20 000 Geduldete und haben auch nur eine zweistellige Zahl

(Abg. K l e e n [SPD]: 69!)

von positiv beschiedenen Anträgen. Wenn man die hehren Ziele vorgibt, die Duldung zu beenden und ein Bleiberecht zu schaffen, und wenn man sich die Ergebnisse anschaut und diese evaluiert, dann, kann man sagen, ist dem mit diesen Regelungen einfach nicht gedient. Jeden, der diese Regelung im Detail kennt, die vielen Hürden, die vielen bürokratischen Hemmnisse, die vielen Stolpersteine, die in den Weg gestellt werden, um dann letztendlich zu einem Bleiberecht zu kommen, verwundert es überhaupt nicht, wenn es dann so endet, dass in ganz Bremen und Bremerhaven bisher 27 Menschen nur davon profitieren konnten. Dann ist diese Regelung gescheitert, und wir müssen sie in dem Sinne nachbessern, wie wir, die Grünen, dies in unseren Anträgen gefordert haben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Bündnis 90/Die Grünen)

Nachdem wir bei den Innenministern schon die Situation hatten, dass der Bundesinnenminister Schäub

le einen relativ weitgehenden Entwurf vorgelegt hatte, der dann von den Länderinnenministern doch sehr stark verwässert worden ist, haben wir jetzt wieder eine Einigung auf Bundestagsebene von CDU und SPD, die einen weiteren Schritt nach vorn gehen will. Sie haben es alle in der Presse gelesen, dass wieder der Wettlauf der Länderinnenminister eingetreten ist. Gestern war Herr Schünemann bei diesem Rennen vorn, heute ist es Herr Beckstein, vorgestern war es Herr Schönbohm, wer nun der härteste Hund im Lande ist und wer verkündet, dass dieser Entwurf des Bundestages auf keinen Fall mit Zustimmung im Bundesrat wird rechnen können.

Ich muss an dieser Stelle sagen, und ich finde – ob wir nun eine bevorstehende Wahl haben oder nicht, mag sie kommen oder nicht –, die Tatsache, dass Herr Röwekamp sich von Bremen aus an diesem Wettrennen der Länderinnenminster nicht beteiligt hat, möchte ich ihm an dieser Stelle ausdrücklich hoch anrechnen. Es bringt auch nichts, dass wir Bundestag und Bundesrat in dieser Weise aufeinanderhetzen, am Ende kommt gar keine Regelung heraus. Dann sind alle die Verlierer, sowohl die Geduldeten, die jeweiligen Gemeinden, in denen sie leben, als auch die Parteien, die diese Regelung beschließen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Bündnis 90/Die Grünen)

Das heißt aber auch, dass heute in der Debatte eine Gelegenheit besteht für den Innensenator dieses Bundeslandes zu sagen, wie er sich die Regelung, die jetzt im Bund ansteht, vorstellt. Ich glaube, er war bisher nicht dagegen, dass die Regelung der Innenminsterkonferenz vom November ergänzt wird durch eine gesetzliche Regelung, die im Bundestag und Bundesrat im Rahmen der Nachbesserung des Zuwanderungsgesetzes und der Anpassung an die europäischen Gesetze erfolgen soll. Mich würde heute interessieren, wie er sich das konkret vorstellt, wie er die vorliegenden Entwürfe, die zwischen SPD und CDU im Bundestag ausgehandelt worden sind, bewertet, wie er die Kritik seiner Innenministerkollegen bewertet und wie sich das Land Bremen in dieser Frage verhalten wird, wenn es konkret darum geht, im Bundesrat diese Regelung zu Fall zu bringen oder nicht.

Herr Präsident, ich komme zum Schluss! Wir Grünen hatten im letzten August einen Antrag vorgelegt, der sich aufgrund des Zeitablaufs durch die Regelung der Innenministerkonferenz erledigt hat. Den ziehen wir heute hiermit zurück. Wir haben dann nach der Innenministerkonferenz im November einen weiteren Antrag vorgelegt. Dieser hat sich, wie ich ausgeführt habe, noch nicht erledigt, weil die wesentlichen Punkte noch nicht geschafft sind, vor allen Dingen die bundesweite Regelung.

Es ist auch nicht geschafft, durch Anpassungen der konkreten Schritte zur Erlangung des Bleiberechts

auch bei uns in Bremen hinsichtlich der großen Zahl der Menschen, die ganz dringend auf uns warten, in dieser Frage – vor allen Dingen denken Sie an die Familien mit den vielen Kindern und Jugendlichen! – weiterzukommen, wenn wir bisher nur bei 27 akzeptierten Fällen stehengeblieben sind. Deswegen werden wir diesen Antrag heute hier noch einmal zur Abstimmung stellen und uns auch weiter, denke ich, in diesem Hause mit der Frage, wie wir irgendwann vielleicht doch zu einer abschließenden effektiven Regelung in dieser Frage kommen, auseinandersetzen. Ich bitte Sie, sich auch von den anderen Seiten dieses Hauses konstruktiv daran zu beteiligen! – Vielen Dank!

(Beifall bei Bündnis 90/ Die Grünen)

Nächster Redner ist der Kollege Kleen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Dr. Güldner ist ja ein bisschen moderat an die Sache herangegangen. Das ist leider im Bleiberecht nicht immer so, sondern sehr oft wird über Bleiberecht mit großer ideologischer Befrachtung debattiert, was einen immer wieder wundert, wenn man sich mit der Materie beschäftigt, denn eigentlich ist die Verhandlung darüber, wie man mit geduldeten Migranten umgeht, überhaupt nicht geeignet für ein Schwarz-Weiß-Denken. Wer herangeht und sagt, jeder, der es geschafft hat, hierher zu kommen, soll auch hier bleiben dürfen, der weiß natürlich, dass bei schwerer Strafbarkeit und diesen Dingen sofort ein Stopp einsetzen muss. Das glaube ich unbestritten.

Aber wir haben als Sozialdemokraten ein ganz anderes Problem: Wir wollen keine ungesteuerte Zuwanderung in einen prekären Markt von ungesicherten, von schwer gesicherten, von tarifrechtlich doch instabilen Arbeitsmärkten. Wir wollen nicht, dass geduldete Ausländer hier zu Dumpinglöhnen beschäftigt werden, weil sie unter Druck stehen, und wir wollen auch nicht, dass skrupellose Arbeitgeber die Möglichkeit ausnutzen könnten, geduldeten Migranten einen Arbeitplatz anzubieten und damit die Tariflöhne von anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu unterwandern. Auch das wollen wir nicht.

(Beifall bei der SPD)

Das hat die Debatte über das Zuwanderungsrecht erschwert, das weiß jeder. Arbeitsminister Müntefering hat da eine Rolle gespielt, aber wir stehen dazu, dass wir als Sozialdemokraten auch diesen Blick haben. Wir haben zurzeit eine solche Debatte ganz konkret in Hamburg mit einem Mitarbeiter, der einen Arbeitsplatz angeboten bekommen hat und dafür 1400 ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

Euro bekommen soll, aber der Tariflohn liegt bei 1607 Euro. Die Arbeitsbehörde hat gesagt, das geht nicht, das können wir so nicht annehmen. Ich finde, das ist ein ganz schwieriger Fall, weil wir natürlich wissen, wie die konjunkturelle Situation ist, und weil wir natürlich wissen, wie problematisch das ist.

Auf der anderen Seite wollen wir nicht, dass der Tariflohn heute 1607 Euro beträgt, weil wir genau solche Fälle positiv bescheiden, die Gewerkschaften nicht in der Lage sind, einen solchen Tarifvertrag bei der Verhandlung zu halten. Das wollen wir genauso wenig.

(Beifall bei der SPD)

In Hamburg haben wir eine sehr lobenswerte Lösung dafür erkennen können, weil der Arbeitgeber gesagt hat, ich will den Mann haben, dann zahle ich Tariflohn.