Protokoll der Sitzung vom 26.04.2007

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fühlten sich nicht nur überlastet, sie waren es. Auf die vielzähligen Überlastanzeigen reagierte die Amtsleitung überhaupt nicht. Stattdessen wurde in den Controllinggesprächen extremer Druck auf die Mitarbeiter ausgeübt. Zielzahlen sollten auch auf Kosten der fachlichen Entscheidung eingehalten werden. Billigere Maßnahmen hatten Vorrang. Es war nicht nur die Schere im Kopf der Sozialarbeiter, wie Hermann Kleen es formuliert hat, das auch, es gab aber auch Beispiele, in denen aus Kostengründen von der Leitungsebene direkt Einfluss auf fachliche Entscheidungen ausgeübt wurde. Ob der für Kevin zuständige Casemanager nicht doch aus Kostengründen eine Heimunterbringung noch nicht einmal angedacht hatte, war abschließend nicht wirklich herauszubekommen. Der Casemanager hat vor dem Untersuchungsausschuss krankheitsbedingt nicht ausgesagt.

Die Aussage, dass der Spardruck für den Tod von Kevin keine Rolle gespielt hat, relativiert sich vor diesem Hintergrund. Die Haushaltsnotlage in Bremen ist auch mir bekannt. Ich bin auch nicht einfach nur dafür, mehr Geld auszugeben. Ich möchte, dass die eingesetzten Mittel effektiv im Sinne von positiver Sozialwirkung verwendet werden. Ich habe das auch schon auf der Pressekonferenz am Freitag gesagt. 15 Jahre hat das Hilfssystem mit Kevin, Frau Sandra K. und Bernd K. gearbeitet, heute ist die Mutter tot, das Kind ist tot, und der Ziehvater sitzt in der Forensik. Ich sage das ganz ohne jeden Zynismus. Ich sage das, weil alle Beteiligten sich mehr Gedanken darüber machen müssen, welche Wirkung Hilfeangebote real haben könnten und haben müssten.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Professor Blandow erklärte in der vom Ausschuss vorgenommenen Anhörung, dass die Wirkungsanalytik noch nicht sehr weit entwickelt sei und die Wissenschaft noch nicht viel zu bieten hätte. Dennoch glaube ich, dass vieles erkennbar ist. Ganz offensichtlich zum Beispiel ist eine Entgiftung, wie bei Sandra K. und Bernd K. vorgenommen, ohne Nachbehandlung nicht wirkungsvoll. Der Chefarzt der Entgiftungsklinik erklärte dem Ausschuss bei seiner Vernehmung, dass sogenannte Drogenkinder sehr unruhige Kinder seien, entgiftete Patienten dagegen hoch sensibel. Die Problemlage ist sofort erkennbar, und eine Nach- und Weiterbehandlung wäre zwingend nötig gewesen. Das ist aber nicht passiert.

Nach dem Tod von Kevin wurden einige Sofortmaßnahmen angepackt. Das ist gut und auch richtig. Das zeigt aber im Umkehrschluss, dass vorher sehr vieles falsch gelaufen war. Wenn wir – und mit wir meine ich die Politik – verhindern wollen, dass sich solch ein Fall wiederholen kann, dann müssen wir auch ausreichende Haushaltsmittel zur Verfügung stellen. Wir müssen erkennen, dass Kevin die brutale, sichtbar gewordene Spitze eines Eisbergs ist.

Tausend Fälle wurden sofort nach Kevins Tod überprüft. Das war notwendig und richtig. Es zeigt aber auch, dass amtsbekannt tausend Kinder in Verhältnissen leben, die alles andere als kindergerechte Lebensumstände garantieren. Unsere Gesellschaft zerfällt zunehmend an ihren Rändern. Wir dürfen nicht zulassen, dass ganze Stadtteile in soziale Schieflagen geraten.

Wir, einige Kollegen der grünen Fraktion, haben beispielsweise in Gröpelingen vor Ort die Erfahrung gemacht, dass uns Sozialpädagogen mit großer Verzweiflung berichtet haben, wie sich die Situation für sie im Stadtteil darstellt. „Ich habe 14 Kevins, der einzige Unterschied ist, dass sie noch leben“, war die schockierende Aussage einer Sozialpädagogin, die mich tief erschüttert hat. Hilfsnetzwerke gibt es durchaus, nur das Jugendamt weigert sich bis heute, sich da ausreichend mit einbeziehen zu lassen. Da muss schnellstens umgedacht werden.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

„Das Jugendamt soll einfach nur seine Arbeit machen“, auch dies eine Aussage aus dem genannten Gespräch vor Ort! Das muss nachdenklich machen. Ich will nicht, dass wir irgendwann in Bremen eine Situation haben wie in den Pariser Vororten. Meiner Meinung nach muss gerade in den sozialen Brennpunkten die Ausstattung der Sozialarbeit deutlich verbessert werden. Präventive Ansätze müssen befördert und unterstützt werden, gute, hilfreiche Projekte können und dürfen nicht an 10 000 oder 20 000 Euro scheitern.

Auch den Brennpunktschulen kommt eine sehr große Bedeutung zu. Wir brauchen Psychologen und verstärkt Sozialarbeit an den Brennpunktgrundschulen. Schule, Kindergarten, Hort, Wohnen in Nachbarschaften und die freien Träger müssen die sozialen Netzwerke, die es ja vielfach gibt, verstärken, und das Jugendamt muss Teil dieser Netzwerke sein. Dazu braucht es aber auch Zeit, sprich mehr Stellen. Ich glaube, dass wir einen konsequenten neuen Hilfeansatz benötigen, der weit über eine Reorganisation des Jugendamts in Gröpelingen hinausgeht. Wir müssen Sozialarbeit in diesen Bereichen neu definieren.

Der Ausschuss hat unzählige Fallakten zur Überprüfung durchgesehen. Hinter jedem Fall befindet sich eine schier unbeschreibliche Lebenslage. Wenn wir die Kette dieses sozialen Elends durchbrechen wollen, und ich finde, dass wir das müssen, dann brauchen wir auch eine andere politische Wertschätzung von Sozialarbeit. Die nächste Regierung und die neue Bürgerschaft müssen sich daran messen lassen, ob es gelingt, die Ergebnisse dieses Berichts in die politische Arbeit aufzunehmen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Meine Damen und Herren, als nächster Redner erhält das Wort der Abgeordnete Kleen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auch ich möchte mich zu Beginn bedanken, besonders bei Helmut Pflugradt und Klaus Möhle. Ganz eigennützig möchte ich mich aber auch bei den übrigen Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss bedanken, insbesondere bei den Kolleginnen und Kollegen aus meiner eigenen Fraktion. Niemand hat für sich in Anspruch genommen, nur in der zweiten Reihe zu sitzen und deshalb weniger zu arbeiten. Vielen Dank dafür! Ohne die hervorragende Unterstützung unserer Assistenten Corinna Mariji´c und Holger Ilgner wäre ich auch nicht ausgekommen. Ich darf der Ausschussassistenz der Bürgerschaft herzlich danken, ihr Engagement ging auch emotional über das Normalmaß hinaus.

(Beifall)

Der Untersuchungsausschuss „Kindeswohl“ war mein dritter Untersuchungsausschuss, aber er war mit den anderen nicht vergleichbar. Der Respekt vor dem Leiden und vor dem Tod des kleinen Kevin hat es niemals zugelassen, dass der Ausschuss zur politischen Tagesordnung oder zum politischen Ritual des Untersuchungsausschusses übergehen konnte. Dieses Grundverständnis hat bis zum Bericht getragen. Wir haben uns, ohne dass sich jemand verbiegen musste, auf eine gemeinsame Darstellung einigen können. Ich verrate an dieser Stelle auch kein Geheimnis, dass es der ausgezeichneten Vorarbeit der Ausschussassistenz zu verdanken ist, ihr mit großem Gespür verfasster Entwurf hat die Einigung sehr erleichtert.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Meine Damen und Herren, die Nachricht über das Auffinden des toten Kevin, die uns in einer Fraktionssitzung im vorigen Oktober erreichte, war auch für uns ein Schock. Uns war sofort klar, dass dieses Ereignis weitreichende Auswirkungen haben würde. Ich fand es angemessen und richtig, dass Frau Senatorin Röpke keine Minute gezögert hat, die politische Verantwortung zu übernehmen und zurückzutreten. Es war auch gut, dass Bürgermeister Böhrnsen sofort die Aufklärungsarbeit eingeleitet hat und durch Staatsrat Mäurer eine unabhängige Sachdarstellung hat erarbeiten lassen.

Auch der Untersuchungsausschuss war folgerichtig und notwendig. Dass mit Klaus Möhle die Opposition dem Ausschuss unparteiisches Aufklärungsinteresse bestätigt hat, hilft uns hoffentlich, auch über Grenzen hinweg Bremens Glaubwürdigkeit ein Stück ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

wiederherzustellen. Das alles macht Kevin nicht wieder lebendig, aber das als Anfang und vielmehr in Zukunft ist notwendig, um aus dem kurzen, schmerzhaften Leben und dem Sterben von Kevin Lehren ziehen zu können.

Meine Damen und Herren, seit dem 10. Oktober 2006 ist einiges geschehen, um Verantwortung anzunehmen und auszuschließen, dass so etwas wie mit Kevin wieder passieren kann. Der Amtsleiter ist gegangen, der Jugendamtsleiter hatte schon zuvor seine Versetzung in die Wege geleitet, die Stadtteilleiterin macht andere Aufgaben. Gegen unmittelbar Verantwortliche sind dienstrechtliche und strafrechtliche Schritte eingeleitet. Das betrifft insbesondere den Casemanager und den Amtsvormund, und es betrifft den Ziehvater, gegen den wegen Mordes Anklage erhoben wird.

Auch an anderen Stellen wurde individuelles Versagen herausgearbeitet. Das betrifft auch freie Träger und andere Mitwirkende, besonders auch den methadonvergebenden Arzt, der seine Zulassung für die Substitution verloren hat und gegen den wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz ermittelt wird.

Senatorin Rosenkötter mit ihrem Staatsrat Dr. Schuster haben nicht auf die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses gewartet. Sie haben in mehreren Schritten begonnen, Maßnahmen einzuleiten, um den Schutz von Kindern vor Vernachlässigung und Misshandlung zu verbessern. Schon zuvor war in einer Sofortaktion die Lebenssituation von 1000 Kindern aus Risikofamilien überprüft worden.

In einer zweiten Phase wurde mit der Erarbeitung von Eckpunkten für notwendige Veränderungen im System der Jugend- und Erziehungshilfe begonnen. Das Notruftelefon wurde eingerichtet, ein dahinter liegender Krisendienst wird im Herbst seine Arbeit aufnehmen. Erste Personalaufstockungen in den Sozialzentren und bei den Amtsvormündern wurden vorgenommen. Schon die Wiederbesetzung von vakanten Stellen hat die Arbeitsatmosphäre in den Sozialzentren sehr positiv verändert, wie wir in den folgenden Anhörungen erfahren konnten. Auch die Erreichbarkeit des Jugendamtes wird verbessert. In diese zweite Phase gehört die Klausurtagung des Amtes für Soziale Dienste sowie der Handlungsrahmen vom Januar 2007, auch die Leitlinien und Verfahrensregeln für die Beratung und Betreuung drogenabhängiger schwangerer Mütter und Eltern durch die Bremer Drogenhilfe vom Februar, die durch das Gesundheitsamt erarbeitet wurden.

In einer dritten Phase stehen die weitere Entwicklung von Konzepten und deren strukturelle Umsetzung, auch mittel- und langfristig, im Vordergrund. Durch eine fachliche Weisung wurde zur Qualitätssicherung der Standards bei Kindeswohlgefährdung das konkrete Vorgehen beim Verdacht auf akute Kindeswohlgefährdung verbessert, etwa durch die In

formationspflicht an Vorgesetzte und die Festlegung, welche Absprachen mit den am Fall beteiligten Kooperationspartnern zu treffen sind. Auch die Anforderungen an eine Dokumentation wurden verbessert. Weitere Stichworte der Regelung betreffen vermehrte Hausbesuche, die Verbesserung der Dienst- und Fachaufsicht, das Schulungs- und Fortbildungsangebot oder die Optimierung der Organisation der Wochenkonferenz.

Seit einigen Wochen kann in den Sozialzentren wieder verstärkt Supervision zur Verfügung gestellt werden. Einen besonderen Schwerpunkt wird Senatorin Rosenkötter auf die Themen Früherkennung und Prävention legen, wie sie uns im Ausschuss bereits erläutert hat und wozu sie sicher hier noch etwas sagen wird. Die verbindlichen Vorsorgeuntersuchungen waren ja bereits Gegenstand von Berichterstattung wie auch Erstberatung und Früherkennung sowie das Unterstützungsprogramm für Schwangere und Eltern von Neugeborenen. Der Handlungsansatz des Casemanagements wird fachlich und durch entsprechende Qualifizierung und Ressourcen unterstützt.

Meine Damen und Herren, Sie sehen, es ist sehr viel geschehen. Dadurch soll hier nichts beschönigt werden. Die Liste der Versäumnisse im Ausschussbericht ist lang, aber der Respekt vor dem Engagement der Beteiligten gebietet es auch, darauf hinzuweisen, dass das Wächteramt des Staates für das Kindeswohl im Mai 2007 einen anderen Stellenwert hat als im Oktober 2006. Jetzt kommt es darauf an, dass fortgesetzt wird, was begonnen wurde. Nichts von dem, was Bürgermeister Böhrnsen und Senatorin Rosenkötter eingeleitet haben, darf zurückgenommen werden, im Gegenteil, es muss ausgebaut und fortentwickelt werden.

(Beifall bei der SPD)

Ich hoffe sehr, dass auch die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der bremischen Jugendarbeit und im Amt für Soziale Dienste die Arbeit und das Ergebnis des Untersuchungsausschusses in diesem Sinne als Unterstützung verstehen. Viele Betroffene haben sich sehr schwer getan, als Zeugen im Untersuchungsausschuss auszusagen. Viele hatten das Gefühl, nicht als Zeugen gehört zu werden, sondern nach ihrer Ansicht zu Unrecht auf der Anklagebank zu sitzen, und zwar nicht allein wegen Kevin oder ihrer Arbeit im Sozialzentrum, sondern wegen ihrer ganzen beruflichen Lebenseinstellung.

Der Bericht des Untersuchungsausschusses macht hinreichend deutlich, dass individuelles Versagen den tragischen Verlauf des kurzen Lebens von Kevin beeinflusst hat, aber der Bericht schildert auch die Rahmenbedingungen, die die schwere Arbeit vor Ort und im Amt in einen strukturellen Zusammenhang stellen. Die ständige Umorganisation des Amtes für Soziale Dienste, nicht zuletzt wegen Gesetzesänderungen, hat die Mitarbeiter verunsichert, zumal sie nicht

das Gefühl hatten, wirklich umfassend mit ihren Belangen und Interessen beteiligt zu werden.

Inhaltlich hat sich die Arbeit in den vergangenen Jahren verändert. Der Paradigmenwechsel hin zu organisierender, verwaltender Managementtätigkeit war in der Umsetzung schlecht kommuniziert und wurde nicht gelebt. Begriffe wie neue Steuerung, Budgetierung und Controlling wurden nicht als Instrumente moderner Verwaltungstätigkeit auch im Sozialbereich angenommen, sondern als wesensfremd und belastend empfunden. Wer Sozialarbeiter geworden ist, um Menschen zu helfen, auch ganz schwierigen, sich verweigernden und selbst schädigenden Menschen mit Suchtkrankheiten, der will an dem Menschen bleiben und nicht an einem Schreibtisch managen. Ich will das hier nicht verklären, aber soll man dafür jedes Verständnis verweigern, oder muss man nicht doch froh sein, dass es Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gibt, die sich den immer schwierigeren Verhältnissen in manchen Stadtteilen und Wohnquartieren oder Familien auch stellen!

Die personelle und sachliche Ausstattung des Amtes für Soziale Dienste war unzureichend. Die elektronische Fallakte ist immer noch nicht eingesetzt. Qualifizierungs- und Fortbildungsangebote fehlten, insbesondere auch für das Führungspersonal. Es mangelte an Dienst- und Fachaufsicht in den Sozialzentren. Die Erreichbarkeit war schlecht, es bestand keine verbindliche Vertretungsregelung. Wegen des vielfach fehlenden Wiedervorlagesystems war es schwierig, den Verlauf eines Falles aus der Akte nachzuvollziehen.

Nicht nur diese strukturellen Defizite waren festzustellen. Zu den Rahmenbedingungen der Arbeit gehört es auch, darauf haben meine Vorredner hingewiesen, dass es im Bereich Soziales einen hohen, für viele unaushaltbaren Kostendruck gegeben hat. Dieser Spardruck hat zu einem Klima beigetragen, in dem die Handlungsmöglichkeit verantwortungsvoller Jugendhilfe beeinträchtigt war. Das haben nahezu alle Mitarbeiter des Jugendamtes bestätigt. Sie haben berichtet, dass sie wegen des hohen Drucks nicht mehr ausschließlich nach fachlichen Kriterien gedacht haben, sondern dass sie die berühmte finanzielle Schere im Kopf hatten.

Meine Damen und Herren, es ist die Aufgabe der Politik, die richtigen Konsequenzen aus diesen Fehlern zu ziehen. Gerade vor dem Hintergrund der wachsenden sozialen Problemlagen muss künftig die notwendige Ausstattung gewährleistet werden. Wenn wir von den Sozialdienstmitarbeitern erwarten, dass sie nach dem Handlungsansatz des Casemanagements arbeiten, zunehmend auf elektronische und PCgestützte Aktenführung zurückgreifen und vielleicht ein eigenständiges Kostenbewusstsein entwickeln, dann müssen wir die sachlichen und personellen Rahmenbedingungen danach ausrichten.

In der Vergangenheit gab es zu wenig Mitarbeiter, und die nötige Altersmischung aus Lebenserfah

rung und junger Dynamik stimmte nicht. Das Durchschnittsalter war deutlich zu hoch. Viele Jahre PEP haben unübersehbar Spuren hinterlassen. Die Mitarbeiter mussten hoch komplexe Sachverhalte aus dem Leben Kinder und Jugendlicher bewerten und haben in bestimmten Wohnquartieren fast nur mit schwierigsten Problemlagen zu tun. Hier besteht Handlungsbedarf, auch personeller.

(Beifall bei der SPD)

Diese Erkenntnisse sind nicht neu. In den vergangenen Jahren hat es immer wieder, auch innerhalb der Regierungskoalition, Auseinandersetzungen gegeben, ob im Sozialressort die Sparschraube überdreht ist. Im Verlauf der letzten 5 bis 6 Jahre wurden die Haushaltsansätze im gesamten Bereich Soziales wie auch in der Jugendhilfe immer wieder überschritten. Trotzdem wurden weitere Sparvorgaben gemacht. Klaus Möhle hat über Auseinandersetzungen berichtet.

Es gehört auch zum Ergebnis des Untersuchungsausschusses, dass wir als Politik diese Verantwortung annehmen. Es gehört zur Verantwortung, äußerst sparsam mit den finanziellen Ressourcen umzugehen, aber es gehört auch zur Verantwortung, Nein zu sagen, wenn es nicht mehr geht.

(Beifall)

Die Grenze des Sparens mag ein gutes Stück politische Verhandlungssache sein, aber wenn sie objektiv erreicht ist, dann darf man sie nicht überschreiten. In der Vergangenheit ist das an einigen Stellen dennoch geschehen.

Anfang 2006 hat die Große Koalition unter Bürgermeister Böhrnsen die Reißleine gezogen und ist in den finanzpolitischen Kurswechsel eingestiegen. In den bereits beschlossenen Haushalten wurden 40 Millionen Euro zugunsten von Soziales umgeschichtet und zum Teil auf Investitionen verzichtet. Konkret wurden dabei allein 5,5 Millionen Euro für zusätzliche Bedarfe in 2006/2007 im Bereich der Hilfen zur Erziehung anerkannt.

Es wird darum gehen, künftig im Bereich Soziales auch ein Klima zu erzeugen, in dem die Arbeit wieder vom Kopf auf die Füße gestellt wird. Nicht die Überlegung kommt zuerst, was wir uns leisten können, sondern als Erstes muss gefragt werden, was notwendig ist, damit Kinder in Würde leben können, um sie vor Vernachlässigung und Misshandlung zu schützen,

(Beifall)

und dann müssen die notwendigen Maßnahmen haushaltswirksam abgesichert werden! Ein solcher Wechsel in der Herangehensweise ist wohl nicht nur in der Jugendhilfe in Bremen nötig. Wer glaubt, dass

man weiter Aufgaben des Sozialstaates ausschließlich mit dem Ziel hinterfragen kann, um auf sie zu verzichten oder Standards abzubauen, der darf sich nicht wundern, wenn die Gesellschaft gespalten wird und uns der soziale Frieden aus dem Ruder läuft.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Ich stehe hier nicht als Sozialpolitiker, sondern für den Untersuchungsausschuss, aber das darf meinen Blick dafür nicht verstellen, dass sich die Ereignisse, um die wir uns zu kümmern hatten, in eine Entwicklung einordnen, die nicht ungebremst so weitergehen darf, eine Entwicklungen, die unter den Stichworten Kinderarmut, Verelendung, Chancenungleichheit und Segregation diskutiert wird. Eine aktive und präventive Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik muss Priorität haben, um nicht Stadtteile abzukoppeln, Familien aus der Gemeinschaft auszuschließen und die Verarmung und Perspektivlosigkeit eines nicht kleinen Teils der Bevölkerung zu riskieren. Davor dürfen wir die Augen nicht verschließen.

Aber, meine Damen und Herren, auf der anderen Seite würde es uns nicht weiterbringen, wenn pauschal gesagt würde, Soziales brauche nur mehr Geld, und jede Form der Einsparung sei per se schlecht nach dem Motto, Geld ist Gerechtigkeit, mehr Geld ist größere Gerechtigkeit. Die bremische Haushaltssituation wird auch bei einem notwendigen Perspektivenwechsel der Politik zu kostenbewusstem Ausgabeverhalten in allen Bereichen zwingen. Nicht von ungefähr ist einer der zentralen Begriffe des Bremer Anliegens in Karlsruhe der der Eigenanstrengung. Aber es wird darauf ankommen, fachliche Ansprüche und Sparsamkeit miteinander in Einklang zu bringen. Als Beispiel kann man hierfür die modellhafte Leistungsvereinbarung erwähnen, die ein freier Träger der Jugendhilfe, nämlich „Alten Eichen“, mit dem Amt für Soziale Dienste abgeschlossen hatte und die uns in einer letzten Beweisaufnahme noch einmal vorgestellt wurde.