Protokoll der Sitzung vom 22.11.2007

nicht gegenüber den Abiturienten andere Bundesländer zu verstecken. Ich glaube, dass es mehr eine Furcht der SPD ist, die das Bildungsressort seit 60 Jahren zu verantworten hat, dass hier Mängel im bremischen Schulsystem aufgezeigt werden, wenn man in einer zentralen Aufgabenstellung im Vergleich zu anderen Bundesländern gegebenenfalls äußerst negativ dasteht, denn die Mängel des bremischen Schulsystems sind durch PISA-Länderuntersuchungen mittlerweile ausreichend dargelegt worden. Von daher kann ich Ihre Furcht davor auch durchaus menschlich nachvollziehen, meine Damen und Herren.

Wir haben eine Diskussion, die auch auf der B-Seite, auf der Unionsländerseite, durchaus zwiespältig geführt wird. Das will ich hier überhaupt nicht verhehlen. Es gibt Kollegen, insbesondere in PISA-führenden Bundesländern, die sagen sich: Warum eigentlich? Unser Abitur ist so gut, wir brauchen uns überhaupt nicht auf ein Niveau mit anderen zu begeben. Diese Haltung teile ich nicht, das sage ich ganz ausdrücklich. Ich glaube, dass ein bremischer Schüler genauso intelligent ist wie ein Schüler in München, Ingolstadt, Stuttgart oder Freiburg.

Für uns ist wichtig, dass wir mit der Diskussion eine Debatte voranbringen, wie wir die Qualität der deutschen Schulabschlüsse, in diesem konkreten Fall des Abiturs, insgesamt voranbringen, und darum werden wir daran festhalten, dass wir in Zukunft über bundesweite Aufgabenstellungen nachdenken müssen, denn die bundesweiten Bildungsstandards, die es schon seit Jahrzehnten gibt – darauf verweist der Senat in seiner Antwort –, haben offensichtlich nicht dazu geführt, dass die Nachteile, die dadurch entstehen, dass wir im bremischen Schulsystem erhebliche Defizite haben, ausgeglichen werden konnten. Ich darf Sie daran erinnern, dass es Hochschulen gab, an denen bremische Abiturienten Aufnahmeprüfungen machen mussten trotz Hochschulzugangsberechtigung, und darum ist es wichtig, dass wir auch in Zukunft intensiv über eine solche bundesweite Aufgabenstellung nachdenken.

Für uns ist wichtig, dass wir diese Debatte führen. Die kategorische Ablehnung von Rot-Grün bestärkt uns darin, ich habe Ihnen meine Vermutung soeben schon dargelegt. Ich bin dafür, dass wir diese Debatte offensiv führen. Wir werden sie in unserer Partei und mit unserer Schwesterpartei in Bayern offensiv führen müssen, aber man darf sich einer Debatte nicht so verweigern, wie Sie es tun. Ich bin gespannt auf Ihre Argumentationen in dieser Debatte und halte darum meinen ersten Redebeitrag jetzt auch sehr kurz, weil ich aus der schriftlichen Antwort des Senats keine weitere Ablehnung erkennen konnte, außer dass Sie Angst haben, sich mit anderen zu vergleichen. Von daher werde ich mich später noch einmal in die Debatte einmischen. – Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU)

Als nächste Rednerin erhält das Wort die Abgeordnete Frau Böschen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Rohmeyer, ich weiß überhaupt nicht, wie Sie auf die Idee kommen, dass wir uns der Debatte verweigern. Egal, ob die Antwort des Senats nun lang oder kurz ist, die Debatte wird hier geführt, und selbstverständlich werden wir sie führen, da beißt die Maus keinen Faden ab!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Ich möchte aber mit einem kleinen Szenario beginnen. Meine Damen und Herren, jedes Jahr im Juni findet in Frankreich ein Wettbewerb der ganz besonderen Art statt, der selbst die Tour de France in den Schatten stellt. 650 000 Kandidatinnen und Kandidaten treffen sich 6 Tage lang in Schulen, Gemeindesälen und Messehallen, wo sie 5 Millionen Arbeiten zu 4000 verschiedenen Themen verfassen, die anschließend von 120 000 Kontrolleurinnen und Kontrolleuren eingesammelt und von 5000 Konrektorinnen und Konrektoren bewertet werden. Das Ganze kostet jährlich 200 Millionen Euro. Das Ergebnis dieser Aktion, meine Damen und Herren, ist das wichtigste französische Ehrenzeichen, nämlich das Baccalauréat oder das französische Zentralabitur.

Für meine Fraktion kann ich sagen, dass wir das für ein bürokratisches Monster und damit für völlig überflüssig halten.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Es wird immer wieder, und auch Herr Rohmeyer hat das getan, für die Einführung dieser bundeseinheitlichen Prüfungen plädiert, für die Verlässlichkeit und Vergleichbarkeit, in diesem Fall auf Bundesebene. Herr Rohmeyer, Sie haben es selbst angesprochen, die Vergleichbarkeit gibt es seit Langem. Seit dem Jahr 1975 gibt es einheitliche Prüfungsanforderungen durch die KMK, und die werden auch regelmäßig angepasst und überarbeitet.

Wenn Sie von der Qualität sprechen, müssen wir ganz deutlich sagen, dass, je zentraler Aufgabenstellungen formuliert werden, desto stärker sie Gefahr laufen, sich tatsächlich auf abfragbares und reproduzierbares Wissen zu konzentrieren. Das kann aber nicht der Sinn einer Abiturprüfung sein und schon ganz und gar nicht im Sinne unserer Fraktion.

(Beifall bei der SPD und bei der Linken)

Kommen wir aber zurück nach Bremen! Sie haben selbst gesagt, im Abitur 2007 haben wir zum ersten Mal ein zentrales Prüfungselement hier in Bremen eingeführt. Alle schriftlichen Arbeiten im Grundkurs

wurden auf der Grundlage einheitlicher Prüfungsanforderungen erstellt, und ab 2008 wird das Ganze durch zentrale Leistungsfächer ergänzt. Diese Umstellung der Prüfungsorganisation wird wissenschaftlich durch das Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung und die PH Freiburg begleitet. Außerdem wurden Schülerinnen und Schüler und auch Lehrkräfte selbstverständlich vor und nach dem Ablauf der Prüfungen befragt. Die ersten Auswertungen lagen uns in der vorletzten Deputationssitzung vor. Sie haben es selbst gesagt, sie waren sehr positiv. Im Dezember, so habe ich das verstanden, wird es einen ausführlichen Bericht dazu geben.

Meine Damen und Herren, jetzt einfach zu sagen, wir haben in Bremen ein zentrales Element eingeführt, und eigentlich müssten wir gleich das Zentralabitur hinterherschalten, ist natürlich überhaupt nicht zielführend. Die Vorbereitungen dieses zentralen Elementes im Abitur waren außerordentlich umfangreich, und dafür möchte ich mich hier noch einmal ganz ausdrücklich sowohl bei der Behörde als auch bei den Schulen bedanken!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Es wurden spezielle Fachkommissionen eingerichtet, und es fand eine rege Rückkopplung zwischen der Behörde, den Leitungen der Fachkommissionen, den Fachkonferenzen, aber eben auch den Schulleitungen statt, und das, was von den Schulen als Anregungen und Ergänzungen eingebracht wurde, wurde in vielen Fällen auch berücksichtigt. Das hat insgesamt mehr als 50 Dienstbesprechungen erfordert, aber den Effekt gehabt, und über den sind wir natürlich sehr froh, dass es diesem Element gegenüber eine ungeheuer hohe Akzeptanz in den Schulen gegeben hat.

Diese Einführung einer zentralen Aufgabenstellung ist in Bremen organisatorisch reibungslos verlaufen. Die Aufgaben hatten ein angemessenes Anforderungsniveau, und das ist doch Dreh- und Angelpunkt der Debatte, dass wir hier keine Verengung der Aufgabenstellungen organisieren, sondern auch tatsächlich das abprüfen, was im Unterricht vorher unterrichtet und bearbeitet wurde. Die zentrale Aufgabenstellung führte eben nicht zu einer Verengung der Aufgabenstellung, sondern sie deckte verschiedene Kompetenzbereiche ab.

Hinterfragt man noch einmal, welches Anforderungsniveau vor allem zentral geprüft werden kann, wird deutlich, dass dort nicht die Transferleistung, Selbstständigkeit oder Kreativität geprüft werden, sondern es bei zentralen Aufgabenstellungen sehr schnell um Abfrage reproduzierbaren Wissens, um eindimensionale Anwendung geht. Das sorgt zwar für eine rege Nachfrage bei den Nachhilfeinstituten,

aber bringt keine Steigerung der Qualität in unseren Unterricht.

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der Linken)

Meine Damen und Herren, die vorliegenden ersten Ergebnisse der Evaluation dieses ersten Bremer teilzentralen Abiturs 2007 können so interpretiert werden, dass das Vorliegen präziser Anforderungsniveaus, die von den Schulen akzeptiert wurden, zu einer deutlichen Angleichung der gestellten Anforderungen nicht nur in der Prüfung selbst, sondern ebenso im vorbereitenden Unterricht führen. Für die Vergleichbarkeit von Abiturergebnissen ist diese Rückwirkung aber zentral notwendig, wird doch die Abiturnote nicht unwesentlich dadurch bestimmt, dass die Leistungen der Qualifizierungsphase aufgenommen werden.

Voraussetzung, und das sage ich hier noch einmal, für diese große Akzeptanz der Prüfungen, die hier in Bremen durchgeführt wurden, sind diese vielen Gesprächsrunden mit den Beteiligten, und wir von der SPD-Fraktion sagen noch einmal ganz klar, dass wir die Forderung nach einem zentralen Abitur für überflüssig halten.

(Beifall bei der SPD)

Sie führt zu einem bürokratischen Monster, und sie steht aus unserer Sicht im Gegensatz zur Forderung aller Parteien nach mehr Eigenständigkeit der Schulen, und mehr Eigenständigkeit, meine Damen und Herren, bei der Unterrichtsgestaltung ist das Erfolgsrezept der skandinavischen Länder.

(Abg. R o h m e y e r [CDU]: Wo es keine zentralen Prüfungen gibt?)

Es gibt zentrale Standards, aber keine zentralen Prüfungen. – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Stahmann.

Herr Präsident, sehr verehrte Damen und Herren! In den Sommerferien meinte die Bundesbildungsministerin Annette Schavan, es wäre schön, wenn alle Schülerinnen und Schüler die gleichen Schulbücher benutzten. Ich fand, es klingt erst einmal vernünftig, aber ich finde, es bleibt auch zu Recht eine Luftnummer,

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD) –––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft. (A) (C)

verbirgt sich doch dahinter der fromme Wunsch, dass beim Lesen der gleichen Bücher und Inhalte, Herr Rohmeyer, alle Schülerinnen und Schüler gleich gut lernen. Ich glaube, es weiß jeder aus seiner eigenen Erfahrung, dass das absoluter Quatsch ist.

Prompt folgt der nächste Diskussionsbeitrag der CDU auf dem Fuße, man solle überall im Lande die gleichen Abituraufgaben stellen. Da wunderte ich mich schon, denn Sie kämpfen auch gern vehement gegen eine sogenannte Einheitsbildung. Gleiche Schulbücher und gleiche Abituraufgaben als Lösung für die Bildungsmisere, darüber müssen wir hier jetzt einmal ein bisschen diskutieren.

Meine Auffassung ist, jedes Kind lernt anders. Es gibt nichts Individuelleres als das Lernen, und Lernwege müssen immer anders aussehen dürfen, auch bei der Bücherwahl und bei der Wahl, finde ich, der landesweiten Abituraufgaben.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

So lernen die Bayern eben in Geschichte, wie der eine König in den See gegangen ist und sich ertränkt hat, und hier in Bremen lernen wir etwas über Klaus Störtebeker. Ich finde, das ist auch richtig, dass man sich zum Beispiel im Fach Geschichte in den Abituraufgaben auch mit regionalen Fragen auseinandersetzt und nicht sozusagen auf zentrale Themen setzt. Darüber können wir uns gleich auch noch einmal austauschen.

Für mich ist wichtig, dass gleiche Lernziele erreicht werden, egal, ob in Bremen, Berlin oder Bayern. Man muss verstehen können, was man gelesen hat, man muss sich Texte erarbeiten können, aber das schafft man nicht mit gleichartigen Prüfungen. Der Weg zum Ziel kann und muss frei wählbar sein dürfen. Das ist die Meinung der Grünen, und das ist, glaube ich, auch die Meinung der SPD.

Das größere Problem der Gymnasien, Herr Rohmeyer, darüber müssten wir eigentlich reden – ich weiß, wir tun es in einer der nächsten Sitzungen –, ist derzeit die Verkürzung der Gymnasialzeit auf 12 Jahre. Dabei haben wir Stundenpläne, die, zugespitzt gesagt, gewissermaßen gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz verstoßen. Ich glaube, das sind die Fragen, über die man eigentlich reden muss: Was sind die wirklichen Probleme der Gymnasien und der Oberstufen? Deswegen besteht die eigentliche Herausforderung aus meiner Sicht in der Anpassung der Lehrpläne an die kürzere Schulzeit sowie in der Schaffung vernünftiger Lern- und Arbeitsbedingungen an den Bremer und Bremerhavener Schulen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Es ist ein bisschen Unfug, was Sie uns hier vormachen, denn eine gemeinsame Position zum Zentral

abitur fanden noch nicht einmal die Bundesländer, die von der CDU regiert werden. Vor allem BadenWürttemberg und Sachsen haben sich dafür ausgesprochen, Thüringen schien bereit, anfängliche Bedenken zurückzustellen, aber Bayern, das haben Sie gesagt, und auch Hessen waren strikt dagegen, die SPD-regierten Länder sowieso, und am Ende hat es, zu Recht, wie ich finde, für den Vorschlag von Annette Schavan eine glatte Abfuhr gegeben. Es wird kein bundesweites Zentralabitur geben, aber es wird bundeseinheitliche Bildungsstandards geben, und das ist auch der richtige Weg.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Die CDU muss sich auch einmal entscheiden. Wir hatten eine ganz ausführliche Debatte über den Föderalismus. Wir Grünen haben gesagt, es wäre gut, wenn man in Deutschland noch einmal grundsätzlich darüber reden würde, wie man zu einer größeren Einheit im Bildungsbereich kommt. Dass die CDU jetzt ihre eigene Bundesbildungsministerin wegföderalisiert hat, kann nicht das Problem unserer Fraktion sein, sondern das ist das Problem der CDU. Wenn die CDU jetzt merkt, dass manche Sachen vielleicht auch nicht in die richtige Richtung laufen, dann ist das spätes Erwachen, aber diese Diskussion haben wir hier ausführlich geführt.

Sich jetzt auf diesem Weg immer wichtig zu machen, kann auch nicht der Weg sein, und dass Sie, Herr Rohmeyer, versuchen, jetzt immer über irgendwelche Sommerlochdebatten der Bildungsministerin hier Aufmerksamkeit zu erhaschen, kann auch nicht der richtige Weg für unser Parlament sein!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Das landesweite Zentralabitur hat sich fast überall in den Bundesländern durchgesetzt. 14 der 16 Bundesländer haben es bereits eingeführt, SchleswigHolstein folgt im nächsten Jahr, nur Rheinland-Pfalz will weiter darauf verzichten. Deshalb ist es auch gut, dass sich die Bildungsminister der Länder auf Bildungsstandards geeinigt haben. Wir müssen festschreiben, welche Kompetenzen Jugendliche schon in der 5., in der 6. oder in der 8. Klasse haben müssen. Das machen auch die anderen erfolgreichen PISALänder so, dass sie diese Bildungsstandards definieren.

Die Bildungsstandards beschreiben, was die Schüler am Ende des Schuljahres wissen müssen, sodass künftig die Schulabschlüsse in Deutschland vergleichbar sind. Sie sollen zunächst für die Fächer Deutsch, Mathematik, Englisch sowie Französisch entwickelt werden, und die neue Regelung soll erstmals für die Schüler gelten, die im Schuljahr 2010/2011 in die gymnasiale Oberstufe eintreten.

Die Tatsache, dass sich die Qualität des Abiturs in den Ländern unterscheidet, wird nicht durch die Einführung eines Bundeszentralabiturs beseitigt. Einheitliche Arbeiten bedeuten aus meiner Sicht nicht, dass die Arbeiten auch einheitlich bewertet werden. Diese Frage beantworten sie nämlich nicht. Dann müssten sich ja auch alle Fragen von einer Stelle, die alle Arbeiten nach dem gleichen Schema bewertet, bewerten lassen, und ich glaube, selbst daran wird es schon in der Praxis scheitern.

Das Zentralabitur ist aus Sicht der Grünen weder ein taugliches Mittel für die Herstellung von Vergleichbarbeit noch ein geeignetes Mittel, die Lernleistungen der Schülerinnen und Schüler zu verbessern. Es gilt stattdessen die einfache praktische Erfahrung, die von der Schulentwicklungsforschung wissenschaftlich gestützt wird: Wer bessere Leistungen und Kompetenzbildung will, muss das Lernen in den Schulen fördern, muss Kinder darin fördern, dass sie gern lernen, und muss das Schulklima verbessern.