Wir haben das im Rechtsausschuss diskutiert, wir sind ausführlich informiert worden, wie die Staatsanwaltschaft vorgegangen ist, Sie haben dort keine
Kritik an dem staatsanwaltschaftlichen Verhalten geübt. Wir haben auch nichts feststellen können, was man hätte anders oder besser machen können, und dann hieraus eine Aktuelle Stunde zu machen, wo Sie ein Potpourri von unterschiedlichen Forderungen und Diskussionen, von der Jugendpolitik über Innenpolitik bis hin zur Justizpolitik hier präsentieren, das finde ich eher peinlich!
Was ist passiert? Passiert ist, dass ein Gericht einen Haftbefehl außer Vollzug gesetzt hat und dann anschließend eine Erleichterung für einen Discobesuch eingeräumt hat. Dieser Beschluss wäre überprüfbar gewesen. Dafür haben wir ein Rechtssystem, dafür haben wir die Möglichkeit, gegen diesen Beschluss Beschwerde einzureichen. Wir kennen den Beschluss nicht. Wir kennen nicht die Gründe des Richters, die er dargelegt hat, um dies zu machen, also können wir auch letztendlich nicht vollständig beurteilen, was den Richter dazu bewogen hat.
Grundsätzlich ist es aber so, dass Richter in vielen Fällen Prognoseentscheidungen treffen müssen. Sie müssen zum Beispiel bei der Frage eines Hafturlaubs, bei der vorzeitigen Entlassung, beim Freigang, immer müssen Richter Vermutungen darüber anstellen, ob diese Möglichkeiten, diese Erleichterungen dazu führen können, dass neue Straftaten entstehen.
Dieses Mal scheint ein Richter eine falsche Prognose erstellt zu haben. Das ist aber kein Justizskandal, wie Herr Tittmann, Ihr offensichtlicher neuer Koalitionskollege, es gesagt hat,
es ist aber auch nicht, wie Sie sagen, eine Justizpanne. Das ist keine Justizpanne, sondern das ist eine Entscheidung, die ein Richter getroffen hat, die viele nicht nachvollziehen können, die auch Zweifel in unserer eigenen Fraktion hat entstehen lassen. Das ist eine Entscheidung, die man auf dem Rechtsweg hätte angreifen können, aber die nicht die Politik in dieser Art und Weise kommentieren sollte. Die gesetzgebende Körperschaft setzt das Recht, aber die Gerichte wenden sie an, und wir sollten diese Rollenverteilung meines Erachtens auch deutlich einhalten.
Ich will nicht auf die vielen Dinge eingehen, die Sie hier noch angesprochen und dargestellt haben, angefangen von der Jugendpolitik, wie Prävention möglich gemacht werden soll, bis hin zu der Frage, wie bei der Sekundärprävention auf Gewalt reagiert werden soll, denn im Grunde genommen würde das
nicht eine Debatte in der Aktuellen Stunde bedeuten, sondern das wäre eine intensive differenzierte Debatte, wo wir verschiedene Elemente von Jugendpolitik bis auch zu justiziellen Reaktionen diskutieren müssen. Eine solche Debatte mit einer Einzelentscheidung eines Richters zu verknüpfen halte ich für völlig verfehlt.
Herr Kollege Frehe, ist Ihnen bekannt, dass dieses Parlament aus dem jeweiligen Abstimmungsverhalten des Abgeordneten Tittmann bisher keine Rückschlüsse auf innerliche Verbundenheit oder Koalitionen getroffen hat, und sind Sie bereit, diese gute demokratische Tradition des Parlaments auch in Zukunft zu beachten? Ich finde es unerhört, was Sie der CDU-Fraktion an dieser Stelle unterstellt haben!
Ich finde es gut, wenn diese demokratische Tradition fortgesetzt werden würde, aber ich hatte in der Art und Weise der Präsentation der Kollegin Winther das Gefühl, dass sich erstaunliche Übereinstimmungen zwischen dem, was sie vorgetragen hat, und dem, was Herr Tittmann hier geäußert hat, ergeben haben.
Sehr geehrter Herr Frehe, vielen Dank für diesen Stilwechsel, wir werden darauf zurückkommen! Ich habe eine weitere Frage, weil Sie sagen, das Thema ist eigentlich nicht für eine Aktuelle Stunde geeignet. Wie erklären Sie sich
dann eigentlich, dass Ihre Fraktion im Deutschen Bundestag für die Sitzung am 16. Januar 2008 eine Aktuelle Stunde zu dem Thema „Haltung der Bundesregierung zur Bekämpfung der Jugendkriminalität“ angemeldet hat?
Ich glaube schon, dass es richtig ist, dass sich Entwicklungen im Bereich der Jugendkriminalität ergeben, die auch eine Aktuelle Stunde rechtfertigen können,
aber nicht eine Verknüpfung zwischen einer sogenannten Justizpanne und dann der Aussage, „wie sicher ist Bremen“.
Ich möchte noch einmal zu dem Grundsätzlichen zurückkommen. Der Einzelne mag Entscheidungen von Gerichten als falsch erachten und den Kopf darüber schütteln. Das habe ich vorhin auch schon jedem zugestanden, und auch wir haben da einige Zweifel. Wenn man dies hier aber zu einer politischen Bewertung macht, dann, denke ich, sollten wir uns zurückhalten. Die Unabhängigkeit der Justiz und der Gerichte ist wesentlich für die demokratische Struktur dieses Staates. Wenn jeder seine Rolle spielt, dann kann es dem Staat gut gereichen, also halten wir uns zurück bei der Art und Weise der Bewertung von gerichtlichen Entscheidungen. – Danke schön!
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! „Justizpanne führt zu Messerstecherei, wie sicher ist Bremen?“, das ist der Titel dieser Aktuellen Stunde, und ich muss Ihnen sagen, es gibt einiges an dieser Aktuellen Stunde, was ich nicht so ganz verstehe, und das will ich ausführen.
Am Mittwoch, dem 16. Januar, fand eine Sitzung des Rechtsausschusses statt. Alle Parteien in diesem Rechtsausschuss haben beim Tagesordnungspunkt „Vorfälle auf der Discomeile“ miteinander verabredet, diesen Punkt, der sowohl die Schießerei wie auch die Messerstecherei auf der Discomeile beinhaltete, in nicht öffentlicher Sitzung zu behandeln. Der ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.
Bericht des ermittelnden Staatsanwaltes danach hat diese Einschätzung bestätigt, dass es sich hierbei um noch laufende Ermittlungen handelt und es von daher nicht geboten ist, einen solchen Punkt in der Öffentlichkeit zu diskutieren.
Dann frage ich mich, Frau Winther: Woher kommt jetzt der Sinneswandel? Warum kommen Sie jetzt, ein paar Tage später, auf einmal auf die Idee, hier im Parlament aus diesen Vorgängen eine Aktuelle Stunde zu machen, obwohl die Ermittlungen immer noch laufen? Ich erinnere an den Artikel im letzten „Weser-Kurier“, in dem noch der Aufruf nach Zeugen gewesen ist, es werden zu bestimmten Vorfällen also immer noch Zeugen gesucht. Das kann ich nicht verstehen, und ich muss auch deutlich sagen, deshalb werde ich mich zu diesem Punkt hier öffentlich nicht äußern.
Vorredner haben es schon gesagt, auch in diesem Rechtsausschuss war es zwischen uns allen Konsens zu sagen, da gibt es eine Richterentscheidung, die muss akzeptiert werden. Man kann unterschiedlicher Meinung sein, aber wir waren eigentlich auch da alle der Meinung, es bringt jetzt nichts, hier mit irgendeiner vorschnellen Richterschelte um die Ecke zu kommen und das großartig zu problematisieren. Das kann man tun, wenn die Ermittlungen und der Fall tatsächlich einmal abgeschlossen sind. Dann kann man sich noch einmal zusammensetzen und eine Bewertung vornehmen. Auch da verstehe ich Ihren Sinneswandel überhaupt nicht, Frau Winther.
Ich will aber zu einem zweiten Punkt der Fragestellung kommen, nämlich „wie sicher ist Bremen“. Dazu kann man als ein Indiz die polizeiliche Kriminalstatistik, PKS, heranziehen. Sicher ist mir auch klar, dass diese Statistik wie jede andere Statistik auch gewisse Unschärfen hat. Eine wichtige Unschärfe bei dieser Statistik besteht einfach darin, dass bestimmte Straftaten weder angezeigt noch verfolgt werden. Sie fehlen also dann in dieser Statistik, und mittlerweile weiß man durch eine begleitende Forschung auch, dass bei dieser PKS dieses Dunkelfeld in keiner feststehenden Relation zu den dann tatsächlich erfassten Delikten liegt. Es gibt da eine Unschärfe, aber trotzdem sage ich einmal, die PKS ist das Beste, was wir zurzeit haben.
Wenn man sich diese einmal anschaut, stellt man fest, ich habe mir den 5. Controllingbericht der Jugendhilfe im Strafverfahren angesehen, denn, ich sage einmal, durch diese unselige Diskussion von Roland Koch in Hessen ist eben wieder einmal besonderer Fokus auf die Jugendkriminalität geworfen worden, das ist sicherlich immer ein wichtiges Thema, die Frage ist eben nur, wie man es thematisiert. Wenn man sich dann die Statistik der Tatverdächtigen anschaut – natürlich die Tatverdächtigen, nicht die Verurteilten, das heißt also, diese Statistik wird immer ein Stück
höher sein als die tatsächlichen Zahlen –, aufgeteilt nach den drei Kategorien Jugendliche, Heranwachsende und Erwachsene, dann wird man feststellen – da muss ich jetzt genau auf mein Blatt schauen, ich will Ihnen ja auch das Richtige sagen –, im Jahr 1997 waren es 2815 tatverdächtige Jugendliche, das war der Höchststand 1997, im Jahr 2001 waren es 2345 Tatverdächtige, das ist ein sehr niedriger Stand, im Jahr 2005 war es der absolut niedrigste Stand bisher in diesem Zehnjahreszeitraum von 2278 Tatverdächtigen, und im Jahr 2006 gibt es eine leichte Steigerung auf 2464 Tatverdächtige. Also, es ist das erste Mal, dass man sagen kann, es gibt bei den Jugendlichen einen geringfügigen Anstieg. Insgesamt muss man allerdings sagen, innerhalb dieser zehn Jahre ist es ein Rückgang von 2815 auf 2460 Tatverdächtige.
Sieht man sich das Gleiche noch einmal für die Heranwachsenden an, wird man feststellen, im Jahre 1997 waren es 2166 Tatverdächtige, im Jahre 2003 war der niedrigste Stand mit 2154, und heute beziehungsweise im aktuellen Bericht von 2006 liegen wir bei 2165 Tatverdächtigen. Auch da haben wir, bezogen auf den Zehnjahreszeitraum, einen Rückgang von 2166 auf 2165 Tatverdächtige. Er ist gering, aber immerhin ist es ein Rückgang.
Bei den Kindern ist es so, dass im Jahr 1997 1504 Tatverdächtige gewesen sind, und danach gibt es eigentlich nur noch eine fallende Kurve, sie fällt bis zum Jahr 2006 auf nur noch 768 Tatverdächtigen, das heißt, bei den Kindern gibt es eine permanente Linie nach unten.
Wenn man jetzt noch einen Schritt weiter geht und diese Zahlen ins Verhältnis zu der entsprechenden Gesamtaltersgruppe setzt, wird man feststellen, über strafmündige Kinder von 8 bis 13 Jahren kann man sagen, im Jahr 2003 waren es 3,5 Prozent, 2006 waren es 2,6 Prozent. Schaut man die Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren an, da waren es 2003 11,9 Prozent und 2006 11,7 Prozent. Schaut man die Heranwachsenden von 18 bis 20 Jahren an, da waren es 2003 12,6 Prozent und 2006 12,2 Prozent. Das heißt, auch auf dieser Front kann man feststellen, in Bezug zur jeweiligen Altersgruppe gibt es einen Rückgang der Tatverdächtigen, zumindest einen leichten.
Bei den nichtdeutschen Tatverdächtigen, das ist jetzt auch eine Geschichte, die wiederum durch den Wahlkampf in Hessen hochgepusht wird, muss man feststellen, dass es in der Tat bei den Nichtdeutschen eine Steigerung der Tatverdächtigen von 2005 nach 2006 um 78 Tatverdächtige gegeben hat. Das heißt, seit vier Jahren haben wir bei den nichtdeutschen Tatverdächtigen erstmals eine Steigerung um 0,3 Prozent. Wenn ich mir das ansehe – es ist leider etwas schwer, ich wäre froh, wenn wir hier einen Beamer
oder so etwas hätten, dass man solche Zahlen für Sie auch einmal ein bisschen besser verdeutlichen könnte, aber den haben wir nicht –, das heißt also, ich bin der Meinung, unter der Fragestellung „wie sicher ist Bremen“ muss man sich doch tatsächlich einmal fragen, ob es jetzt nun so eine Art von Aufschrei und Panikmache ist zu sagen, hier ist eine Explosion.
Ich würde einfach sagen, alles bewegt sich in einem gewissen Rahmen, der natürlich insgesamt zu hoch ist, das ist überhaupt keine Frage, aber alles bewegt sich im Rahmen.
Als Linke glauben wir dennoch, dass diese Zahlen alarmierend sind, aber nicht quantitativ, sondern vor allen Dingen strukturell für dieses Land. Aus unserer Sicht sind diese Daten nur parallel zu lesen, zum Beispiel zum Armutsbericht der Arbeitnehmerkammer.