Meine Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen, der Haushaltsentwurf, den Rot-Grün vorlegt, ist in der Struktur derselbe Haushalt der Großen Koalition, eher noch magerer, allerdings haushaltstechnisch sauberer. Ich muss an dieser Stelle deutlich sagen, dass ich zumindest in der Frage der Transparenz dieses Haushalts deutlich Fortschritte sehe. Ich denke, diese Form von Transparenz ist immerhin ein erster Schritt, auf andere Art und Weise mit Haushaltspolitik umzugehen und über Geld in diesem Land zu reden. Da muss ich der Finanzsenatorin ein deutliches Kompliment machen. Dieser Haushaltsentwurf ist so transparent, dass man ihn sehr gut kritisieren kann.
Der Haushalt setzt aber den Kurs der weiteren jährlichen Kürzungen fort, er setzt den Kurs der Verarmung der Stadt und des städtischen Lebens fort. Ich erlaube mir, weil der Kollege Röwekamp vorhin sehr intensiv die Verdienste der Großen Koalition in der
Sanierungspolitik gelobt hat, zu sagen: Am Anfang dieser Politik wurde verkündet, es gibt weniger Arbeitslosigkeit, weniger Schulden, mehr Einnahmen und mehr Einwohnerinnen und Einwohner. Keines dieser Ziele ist im Zeitraum der Großen Koalition erreicht worden.
Es gab zu keinem Zeitpunkt des Sanierungszeitraums eine signifikante, geschweige denn nachhaltige Abkopplung im Bundestrend in der Frage der Arbeitslosigkeit. Wir haben heute deutlich mehr Schulden als zu Beginn des Sanierungszeitraums. Sie haben gesagt, Investitionen erzeugen Einnahmen. Ich habe noch mittelfristige Finanzpläne auf meinem Rechner, die sich vor allem durch eines auszeichnen, nämlich nicht eingetretene Mehreinnahmen. Wenn man diese nebeneinander legt, sieht man immer die steigenden Kurven, und jedes Jahr werden sie nach unten korrigiert.
Ich glaube, es gibt überhaupt keinen Grund, in dieser Frage Erfolge zu feiern, vor allen Dingen deswegen nicht, weil stattdessen in diesem Zeitraum öffentliches Eigentum von über zwei Milliarden Euro verkauft worden ist. Man hat für nahezu schon sprichwörtliche Investitionen gesorgt, mehrere tausend Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst vernichtet, große Teile der öffentlichen Daseinsvorsorge sind privatisiert beziehungsweise verehrenamtlich und der Rest ist in einem nahezu handlungsunfähigen Zustand hinterlassen worden.
Oft bekomme ich zu hören, wenn wir das alles nicht gemacht hätten, wie wir es gemacht haben, wäre alles viel schlimmer gekommen. Es kann sein, dass das stimmt, ich bezweifle es. Selbst wenn es stimmt, ist am Anfang der Sanierungspolitik nicht gesagt worden, wir wollen Schlimmeres verhüten. Es ist gesagt worden, wir wollen, dass alles viel besser wird. Das ist nicht geschehen. Gemessen an den eigenen Zielen hat die Große Koalition und die Regierungspolitik gründlich versagt.
Was schlimmer ist, wir haben möglicherweise jetzt genau den Zustand von Gesellschaft, die die Große Koalition und die Apologeten eines neoliberalen Minimalstaats angestrebt haben. Das gilt insbesondere für die CDU in diesem Haus. Herr Röwekamp, ich habe Sie als einen akribischen Kenner des Haushalts kennengelernt.
Das macht ja nichts, man darf ihn doch trotzdem erwähnen, oder? Also, dann machen wir es in einer anderen Person. Ich habe Herrn Röwekamp kennengelernt als einen akribischen Kenner des Haushalts, und ich weiß, dass er Finger in wirkliche Wunden legen kann. Ich weiß aber auch, und das hat er heute
noch einmal bewiesen, dass unglücklicherweise die CDU auch nur einen Hauch Erkenntnis noch nicht hat und dass sie aus den Fehlern der Vergangenheit nicht lernt.
Die SPD und die Grünen, also die rot-grüne Koalition, haben angekündigt, einen anderen Kurs einzuschlagen als die Große Koalition. Meine Damen und Herren, aber für uns ist der einzige wesentliche Unterschied, den der rot-grüne Senat macht, eine geschicktere Inszenierung.
Da wird zum Beispiel erst Panik erzeugt mit einem sogenannten Anpassungskonzept der Kürzung von 400 000 Euro im Bereich der Jugendverbände, und dann wird mit großem Tamtam verkündet, wir sind sozial, mit uns geht das nicht, das nehmen wir zurück, und alle anderen Kürzungen im Sozialressort bleiben darin. Mittel für Mütterzentren werden gekürzt, die Spielplätze werden jetzt von Ein-EuroKräften betreut, um nur zwei Beispiele zu nennen.
Unglücklicherweise werden solche Inszenierungen hin und wieder als gelungen begriffen, aber ich finde sie angesichts von vielen Dingen zynisch, darauf komme ich noch.
berechtigterweise an vielen Stellen, notwendigerweise kann man das nicht reduzieren, aber mit noch mehr Sparen in den Bereichen Soziales, Arbeit, Bildung, Kultur und öffentlicher Dienst. Ich sage Ihnen, das unausgesprochene Leitbild des rot-grünen Senats ist eine Gesellschaft, die sich langfristig auf Armut und Perspektivlosigkeit eines Großteils ihrer Bevölkerung einrichtet und sich lediglich darauf konzentriert, die Folgen dieser Armut zu begrenzen.
Die Folgen der Armut zu begrenzen, heißt für RotGrün, kostengünstig dafür zu sorgen, dass der ökonomisch gescheiterte Teil dieser Gesellschaft befriedet und unauffällig gehalten wird, ohne den ökonomisch
erfolgreichen Teil der Gesellschaft allzu sehr zu behindern oder zu belästigen. Ein Blick in die mittelfristige Finanzplanung und die Modellrechnungen bis zum Jahr 2020 reicht, um zu erkennen, dass die Kursänderung bestenfalls graduell ist, keinesfalls strukturell. Der vorliegende Haushaltsentwurf ist weder rot noch grün, er ist und bleibt ein Entwurf der sozialen Kälte, er ist so schattig, dass es einem schon friert, wenn man nur die Zahlen betrachtet.
Meine Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen, Armut ist die schlimmste Form von Schulden. Ich erinnere mich noch gut an einen Zwischenruf vom Kollegen Buhlert: „Auf Schuldenbergen können Kinder nicht spielen!“ Das stimmt! Auf Ruinen der Sanierung können Kinder auch nicht spielen, Kinder brauchen Spielplätze. So einfach ist das! Sie brauchen Personal, Instandhaltung und Betreuung. Dieser Haushaltsentwurf sagt ganz offen: „Leute, bekommt erst gar keine Kinder mehr hier in Bremen, das ist der beste Beitrag zur Sanierung. Wenn wir dann in 50 Jahren saniert sind, könnt ihr ja welche kaufen!“
In welchem Zustand diese Stadt und dieses Bundesland ist, dafür müssen Sie gar nicht auf mich hören. Die Menschen kommen nicht klar, die Organisationen kommen nicht mehr klar, die Nachbarschaften kommen nicht mehr klar. Das können Sie lesen, müssen Sie nicht von mir hören. Das können Sie im Armutsbericht der Arbeitnehmerkammer, im Bericht über Kinder in Hartz-IV-Familien in Bremen, im Bericht des Gesundheitsamts über fortschreitende soziale Spaltung der Stadt und jeden Tag im „WeserKurier“ lesen.
Tatsache in dieser Stadt ist: Je nachdem, in welchem Stadtteil ein Mensch hier lebt, stirbt er bis zu vier Jahre früher.
Das ist Realität in dieser Stadt. Bremen ist laut Armutsbericht die einzige deutsche Stadt neben Berlin, in der es Jugendbanden gibt, die anfangen, ihre Straßen wirklich gewaltsam zu kontrollieren. Das ist ein Zeichen für ein Gemeinwesen, das gibt es. Das habe ich mir nicht ausgedacht, das kann man in diesem Bericht lesen. Dahin kann man jetzt natürlich die Polizei schicken, das löst das Problem nicht wirklich, aber es zeigt doch nur, dass mehr und mehr Jugend
liche in dieser Stadt längst die Hoffnung aufgegeben haben, wir hätten ihnen irgendetwas zu bieten. Das sind Schulden, die Armut anhäuft. Wie wollen Sie das denn noch zurückholen in ein paar Jahren, wenn wir tatenlos zusehen, dass sich feste Armutsgebiete bilden, wenn in Generationen Zirkel von Armut entstehen?
Wir müssen lernen, dass Armut mehr ist als der Mangel an materiellen Mitteln zum Lebensunterhalt. Armut ist keine Niedrigversorgung, es ist eine Unterversorgung. Armut bedeutet auch den Mangel an kultureller und sozialer Substanz, Mangel an bezahlter und anerkannter Arbeit, Mangel an Perspektive und Zuversicht. Armut heißt auch Armut an Chancengleichheit, sie zerstört den sozialen Zusammenhalt. Armut heißt auch Armut an gesellschaftlicher Teilhabe, sie gefährdet Demokratie. Armut heißt auch Armut an Gleichberechtigung, sie verspielt die Aussichten auf eine solidarische zukunftsweisende Lebensweise für Frauen und Männer. Armut ist kein statischer Zustand!
Die Studie der Arbeitnehmerkammer weist nach, wir haben es mit stadtteilbezogenen und sich selbst verstärkenden Armuts- und Reichtumsprozessen zu tun. Dazu ein Beispiel: Sie wissen vielleicht, in Stadtteilen, in denen es schon immer viele Sozialhilfeempfänger und ALG-II-Bezieher gab, wurden diese in den letzten Jahren mehr, in Stadtteilen mit weniger Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern und ALGII-Bezieherinnen und -beziehern werden diese weniger.
Der rot-grüne Haushalt akzeptiert allerdings diese Abwärtsspirale von sich selbst verstärkender Armut. Statt Armutsbekämpfung findet Armutsbeaufsichtigung statt. Das Beschäftigungspolitische Aktionsprogramm wollen Sie um circa 80 Millionen Euro kürzen. Das ist gerade einmal die Hälfte von dem, was pro Kopf gerechnet Städte wie Hamburg, Berlin und Bremen für Beschäftigungsprogramme ausgeben. Dafür steigern Sie dann die aufsuchende Sozialarbeit um 22 Millionen!
Meine Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen, wir wissen mittlerweile genau, was es kostet, wenn wir eine Lehrerin oder einen Sozialarbeiter mehr einstellen. Was wir nicht genau wissen und was in diesem Haushalt auch niemanden kümmert, ist: Was kostet es uns eigentlich, wenn wir sie nicht einstellen?
Was passiert dann? Welche Auswirkungen hat das? Unglücklicherweise sind es nicht genug, und die Frage ist damit nicht beantwortet. Die Frage ist nicht be
antwortet, was passiert, wenn wir einen Lehrer oder eine Lehrerin zu wenig einstellen. Diese Fragen müssen wir uns stellen.
Die Antwort ist, diese fehlenden Lehrerinnen und Sozialarbeiterinnen erzeugen Armut in dieser Stadt, und was das ist, habe ich gerade eben erläutert.
Was passiert in den Stunden, in denen die Kinder nicht beaufsichtigt sind? Da fängt etwas an, was wir nicht mehr aufhalten können.
Ich will da an Folgendes erinnern: Als diese Stadt über den vermeidbaren Tod eines kleinen Jungen schockiert war, hat der Präsident des Senats, Jens Böhrnsen, gesagt: „Das Geld, das wir brauchen, um solche entsetzlichen Vorfälle zu verhindern, müssen wir haben. Notfalls bauen wir eine Straße weniger!“ Dafür gab es viel Beifall, auch meinen, aber in der jetzigen rot-grünen Regierung hat sich dieser Jens Böhrnsen offensichtlich nicht durchgesetzt. Sie geben nach dem Willen dieses Haushaltsentwurfs zukünftig 29 Millionen Euro mehr für Straßenbau aus, dafür kürzen Sie die Wohnungsbauförderung um 6,5 Millionen Euro, sparen 8 Millionen Euro bei den Schulen ein, kürzen 3 Millionen Euro bei diversen Leistungen im Bereich Jugend und Soziales. Ich befürchte, das ist nicht das, wofür Rot-Grün vor 8 Monaten gewählt worden ist.
Ich sage Ihnen, diese Armutsprozesse kann man überdies nicht stabilisieren. Das war gestern oft der Fall, dass man die Situation stabilisieren will. Man muss sie stoppen! Ich sage Ihnen auch, wenn Sie ein Dokument brauchen, mit dem Sie die Situation Bremens in Karlsruhe dokumentieren wollen, schicken Sie den Armutsbericht nach Karlsruhe. Wenn das nicht reicht, um entsprechende Beihilfen zu bekommen, weiß ich nicht, was man noch tun muss.