Protokoll der Sitzung vom 04.06.2008

Meine Damen und Herren, es ist beantragt, den Gesetzesantrag nach der ersten Lesung an den nichtständigen Ausschuss „Erleichterung der Volksgesetzgebung und Weiterentwicklung des Wahlrechts“ zu überweisen.

Ich lasse deshalb über die Überweisung abstimmen.

Wer der Überweisung des Gesetzesantrags der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit der Drucksachen-Nummer 17/426 zur Beratung und Berichterstattung an den nichtständigen Ausschuss „Erleichterung der Volksgesetzgebung und Weiterentwicklung des Wahlrechts“ seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür SPD, CDU und Bündnis 90/Die Grünen)

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen Die Linke, FDP und Abg. T i t t m a n n [parteilos])

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) überweist entsprechend.

Optionszwang im Staatsangehörigkeitsrecht streichen

Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und der SPD vom 2. April 2008 (Drucksache 17/338)

Dazu als Vertreter des Senats Herr Senator Mäurer.

Die Beratung ist eröffnet.

Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Mohammadzadeh.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich hoffe, dass ich nach dieser lebhaften De––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

batte, die wir hatten, noch Ihre Aufmerksamkeit für dieses Thema gewinnen kann.

Mit der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts im Jahre 2000 hat der Deutsche Bundestag einen Beschluss von historischem Ausmaß gefasst. Mit der Gesetzesänderung reagierte das Parlament auf die veränderten Bedingungen unserer heutigen Gesellschaft, in der Migration eine Erscheinung des Alltags geworden ist. Zuvor galt fast über 100 Jahre das Abstammungsrecht als Grundlage für die deutsche Staatsangehörigkeit als unantastbares Kriterium. Dass es zu dieser Änderung kam, begrüßen wir noch heute sehr.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Durch den automatischen Erhalt der Staatsangehörigkeit für jedes Kind, das auf deutschem Boden geboren wird, vorausgesetzt, ein Elternteil hat seit mindestens acht Jahren einen rechtmäßigen Aufenthalt oder verfügt seit mindestens drei Jahren über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, fand erstmals das Territorialprinzip Eingang in das Einbürgerungsrecht. In seiner vorausweisenden Bedeutung kann dieser gesetzgeberische Schritt nicht hoch genug bewertet werden.

Allerdings müssen sich die Kinder, die neben der deutschen Staatsbürgerschaft auch noch die ausländische Staatsangehörigkeit der Eltern besitzen, nach Vollendung ihres 18. Lebensjahres für eine der beiden Staatsangehörigkeiten entscheiden.

(Abg. S t r o h m a n n [CDU]: Das ist auch gut!)

Sie haben dann nur noch die Option, entweder Deutsche oder Ausländer zu sein. Das wollen wir mit dem heutigen Antrag ändern.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Die sogenannte Optionsregelung zwingt junge Menschen zu einer weitreichenden Entscheidung, die die Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und SPD ändern wollen, denn sie ist aus verschiedenen Gründen höchst problematisch. Das möchte ich gern erläutern!

Seit 2008 sind die ersten jungen Erwachsenen vom sogenannten Optionszwang betroffen. Es sind in Bremen und Bremerhaven zusammen 40 betroffene Menschen, die sich für oder gegen die deutsche Staatsbürgerschaft entscheiden müssen. Das mag zunächst eine kleine Zahl sein. Es werden dann aber von Jahr zu Jahr mehr. Schon im Jahre 2018 wird sie 500 übersteigen. Die absehbaren Folgen sind viel Arbeit für die Behörden und Verwaltungsgerichte auf der einen Seite, große Verunsicherung der jungen Erwachsenen, die hier als Deutsche aufgewachsen sind, auf der anderen Seite. Auch integrationspolitisch ist die Optionsregelung verfehlt.

Integration bedeutet Teilhabe durch gleiche Rechte und Pflichten. Um dies zu erreichen, müsste der Erwerb der Staatsbürgerschaft gefordert werden, nicht ihr Verlust. Es ist doch völlig kontraproduktiv, Menschen, die von ihrer Geburt an Teil dieser Gesellschaft sind, dazu zu zwingen, mit ihrer Volljährigkeit eine Entscheidung zu treffen, die ihre Zugehörigkeit zu diesem Staat infrage stellt.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der Linken)

Meine Damen und Herren, dieses Haus hat vor Kurzem das Bremer Integrationskonzept in aktualisierter Form in großer Einmütigkeit auf den Weg gebracht. Der Senat hat es entsprechend nach den Vorgaben der Bürgerschaft erarbeitet. Es ist deshalb nur konsequent, wenn sich das Land Bremen für die ersatzlose Streichung einer gesetzlichen Regelung einsetzt, die der bremischen Integrationspolitik eindeutig widerspricht. Es bestehen erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Entscheidungszwang. Schon jetzt können sich zum Beispiel die EU-Bürger und die Schweizer einbürgern lassen, ohne ihre bisherige Staatsbürgerschaft aufzugeben. Davon profitieren natürlich auch ihre Kinder. Das Gleiche gilt für die Kinder aus binationalen Ehen, die von ihren Eltern zwei unterschiedliche Staatsangehörigkeiten, also die deutsche und eine andere, gleichsam erben.

Verfassungsexperten haben in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die unterschiedliche Behandlung von Kindern im Hinblick auf eine Mehrstaatlichkeit einen Verstoß gegen Artikel 3 des Grundgesetzes beinhaltet.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der Linken)

Vor diesem Hintergrund bitten wir, die Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und der SPD, den Senat, eine Bundesratsinitiative zu starten, die das Ziel hat, die Optionsregelung aufzuheben, sofern andere Bundesländer eine entsprechende Initiative ergreifen. Bremen soll sie unterstützen. Wir bitten weiterhin darum, dass die Bürgerschaft zu gegebener Zeit über diesen Sachstand informiert wird. Ich bitte um Ihre Zustimmung! – Vielen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der Linken)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Tschöpe.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe eben eigentlich überlegt, ob es sich noch lohnt, nach der sehr umfassenden Darstellung der Kollegin Frau Dr. Mohammadzadeh, nach

vorn zu kommen. Ich möchte aber noch ein paar Gesichtspunkte einfügen!

In Deutschland ist schon länger darüber diskutiert worden, ob es deutsche Bürger geben kann, die noch eine weitere Staatsbürgerschaft haben. Spätestens seit der unseligen Doppelpass-Kampagne von Roland Koch wissen wir ja auch, welches die Hauptargumente sind, die dagegen gesprochen haben. Das erste Argument war: ärgerliche Sache! Wer zwei Staatsbürgerschaften hat, muss vielleicht keinen Wehrdienst leisten, oder wenn er einen Wehrdienst leistet, dann macht er es woanders, wo es viel angenehmer ist als in Deutschland.

(Abg. S t r o h m a n n [CDU]: Das gibt es nirgendwo!)

Herr Strohmann, richtig aufgepasst! Das gibt es nicht! Nach dem Europaratsabkommen von 1997 wird der Wehrdienst immer im Land des Hauptwohnsitzes abgeleistet! Das hätte man eigentlich auch zum Zeitpunkt der Doppelpass-Kampagne prima wissen können. Es war aber ein Argument, das irgendwie gezündet hat.

Das zweite Argument gegen die doppelte Staatsbürgerschaft war, dass die Menschen vorgeblich doppelte Rechte bekommen. Sie haben also in Deutschland Rechte und woanders auch. Das ist totaler Quatsch! Das einzig doppelte Recht, das sie haben, ist, dass sie in dem Land, in dem sie eine weitere Staatsbürgerschaft haben, wählen können. Das hängt nun einmal mit einer Staatsbürgerschaft zusammen, dass ich dort wählen kann. Ein weiteres doppeltes Recht gibt es nicht, außer einem vielleicht. Ich kann natürlich jemanden, der deutscher Staatsbürger ist und woanders eine Staatsbürgerschaft hat, nicht mehr abschieben. Das kann ich bei keinem Menschen machen, der eine deutsche Staatsbürgerschaft hat.

Die dritte Sache, und das fand ich eigentlich in dieser ganzen Debatte immer schofelig, warum man gesagt hat, man darf den Menschen keine deutsche Staatsbürgerschaft geben, war dieses riesige errechnete Nachzugspotenzial: Wenn wir den Türken jetzt hier eine deutsche Staatsbürgerschaft geben, dann kommen Millionen aus der Türkei hierher, ganz Ostkurdistan ist entvölkert, und sie wollen alle die deutsche Staatsbürgerschaft haben. Wenn man sich einmal anschaut, um welche Menschen es geht, dann stellt man fest: Wenn man die Optionsregelung abschafft, geht es um die Menschen, die nachziehen können. Das wären die zusätzlichen Eheleute von Menschen, die ehemals Ausländer gewesen sind, die sich nicht wirtschaftlich unterhalten können. Wie viele mögen das sein? Realistische Zahlen gibt es dafür nicht, man kann hochrechnen, dass es in Deutschland ungefähr 8000 bis 10 000 Menschen sind.

Die zweite Gruppe, die einreisen darf, wenn man die bisherige Regelung entfallen lässt, wäre die Gruppe der 16- bis 18-jährigen Kinder. Da Kinder im Al

ter von 15 Jahren sowieso hätten einreisen dürfen, auch nach gültigen internationalen Vereinbarungen, geht man davon aus, dass es eine Zahl von ungefähr 5000 bis 8000 Menschen ist. Wir reden also über ein Nachzugspotenzial von 20 000 Menschen, weshalb man damals gesagt hat, auf keinen Fall eine doppelte Staatsbürgerschaft. Das fand ich damals schon schofelig. Es ist aber jetzt, glaube ich, noch einmal deutlich geworden, warum diese Optionsregelung auch inhaltlich eigentlich kaum zu halten ist.

Dann kommen die Fragen: Gibt es eine Optionsregelung, ist sie eigentlich geboten, so wie wir sie verabschiedet haben? Man muss feststellen, es gibt keine internationale staatsrechtliche Verpflichtung, dass Menschen nur eine Staatsbürgerschaft besitzen. Leider ist Herr Ella draußen. Ich habe dem „WeserKurier“ entnommen, dass er zwei Staatsbürgerschaften hat. Trotzdem darf er hier im Parlament sitzen, darf hier mit abstimmen, was ich inhaltlich manchmal schwierig finde, aber ansonsten grundsätzlich begrüße.

(Abg. Frau D r. M o h a m m a d z a d e h [Bündnis 90/Die Grünen]: Das bin ich!)

Dies zeigt ja ein Stück weit europäische Normalität an.

Den zweiten Grund, weshalb die jetzige Regelung problematisch ist, hat Frau Dr. Mohammadzadeh auch schon genannt. Ein Schweizer darf nach acht Jahren Deutscher werden und Schweizer bleiben. Das Kind eines Türken, der die deutsche Staatsbürgerschaft hat, darf Deutscher werden und Türke bleiben. Ein Kind aber, das hier von zwei türkischen Staatsangehörigen geboren wurde und hier seit 18 Jahren lebt, muss sich entscheiden, ob es Türke oder Deutscher wird. Das ist ein ganz klarer Verstoß gegen die Gleichbehandlung nach Artikel 3 Grundgesetz, dementsprechend ist eine solche Regelung abzulehnen.

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der Linken)

Wenn man sich die Zahlen, die Frau Dr. Mohammadzadeh hier aufgestellt hat, einmal realistisch überlegt, dann schaffen wir uns selbst ein bürokratisches Monstrum, wenn wir jedes Jahr 500 Anträge zum Thema Optionen zu beantworten, zu bearbeiten haben, und das ohne, dass es rechtlich geboten ist, denn es ist, und das wissen wir, rechtlich zweifelhaft. Deshalb gehört aus Gründen des Pragmatismus und der Gleichheit diese Optionsregelung abgeschafft, und ich würde Sie bitten, unserem Antrag zuzustimmen!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Nachdem ich mir meinen verdienten Beifall abgeholt habe, möchte ich doch noch mit etwas anderem

schließen, wenn Sie gestatten, ein Zitat von Bertolt Brecht: „Der Pass ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustande wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustande kommen, auf leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, ein Pass niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird.“ – Ich danke Ihnen!