Protokoll der Sitzung vom 04.06.2008

Die Verallgemeinerung aber, die Sie hier gewählt haben, ist so nicht zulässig.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Dr. Kuhn.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich glaube, es war 1999 oder eher 2000, dass die grüne Fraktion mit meiner Unterschrift einen Antrag eingebracht hat, die Fünfprozentklausel in Bremerhaven abzuschaffen. Das war eine Reaktion auf das Urteil des Staatsgerichtshofs, so heißt er, glaube ich, auch in NordrheinWestfalen, in dem er die Frage geklärt hat, dass die Fünfprozentklausel nach der neuen Kommunalverfassung mit der Direktwahl der Oberbürgermeister und der Landräte nicht mehr zwingend notwendig ist. Die Debatte, die wir jetzt in Schleswig-Holstein haben, gab es sechs, sieben Jahre zuvor auch in Nordrhein-Westfalen. Das setzt sich sozusagen sukzessive durch.

Unser Antrag ist hier damals abgelehnt worden. Ich bin nicht überzeugt worden, dass die Abschaffung nicht möglich und sinnvoll wäre, weil dort eben eine Abwägung vorliegt. Eines aber kann ich Ihnen sagen, ich habe wenigstens verstanden, dass es dort einen Abwägungsprozess gibt, den man ernsthaft machen muss, und dass es auch die Abwägung gibt, dass man das Argument nicht vom Tisch wischen kann, dass wir eine Kommunalwahl hier in Bremen haben, für die es nicht in Frage kommt, weil es überhaupt keine Bereitschaft gab, die Fünfprozentklausel im Landtag zu verändern, da gibt es auch keinen Verfassungsrechtler, der sagt, das wäre nicht erlaubt, man muss es aber wollen. Das will gegenwärtig niemand. Dass wir aber auf der anderen Seite Bremerhaven haben, für die dann etwas anderes gelten würde, das ist objektiv ein gewisses Problem. Davon kann man nicht weg.

Ich halte dennoch nach wie vor unseren damaligen Antrag für richtig: Die Abschaffung der Klausel könnte möglich sein. Aber ich finde es nicht in Ordnung, so zu tun, als gäbe es nicht objektive Probleme, über die man nachdenken muss.

Wir haben übrigens, und das möchte ich auf jeden Fall zurechtrücken, Herr Kollege Möllenstädt, als wir darüber geredet haben, ob wir den Ausschuss zur Erleichterung der Volksgesetzgebung, zur Veränderung des Wahlrechts einsetzen, darüber gesprochen, ob wir die Frage der Fünfprozentklausel von Anfang an mit aufnehmen sollen. Wir haben gesagt, auch ich habe das gesagt: Nein, das machen wir nicht, einfach aus dem Grund, dass Bremerhaven das Prä hat. Das macht auch in diesen besonderen Konstellationen einen Sinn. Wir können als Landtag sagen: Es ist uns jetzt egal, was die sagen, wir machen es so, wie wir es für rich

tig halten, theoretisch, prinzipiell, das kann man machen. Dann muss man aber gute Gründe haben. Ich finde, es gibt gute Gründe, sich auch anzuhören, was die Bremerhavener gewählten Vertreter zu sagen haben. Sie haben sich inzwischen geäußert. Bei der Debatte hatte jeder die Chance, sich öffentlich zu beteiligen. Viele von uns würden sagen, die Debatte hätte breiter, intensiver oder sonst was sein können, ja, gern! Es gab aber diese Debatte an einem zentralen Ort, in der Stadtverordnetenversammlung.

Sie hat sich jetzt klar geäußert, und das ist der Grund dafür, warum wir es nicht am Anfang, sondern nach der Bremerhavener Äußerung jetzt auf die Tagesordnung bringen, bringen müssen. Wir Grünen haben uns übrigens insoweit nicht verändert, dass wir vertragstreu sind. Wenn wir etwas mit Partnern vereinbaren, dann machen wir es auch.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Das haben Sie vorher gewusst, dass haben die Delegierten der SPD gewusst, das haben die Mitglieder der grünen Mitgliederversammlung gewusst, was in der Koalitionsvereinbarung steht. Sie haben in Abwägung all der Dinge zugestimmt. Jetzt befinden wir uns in der Prüfung. Jetzt sind noch einmal alle Argumente ausgetauscht worden. Ich will es hier jetzt gar nicht machen, denn es ist hier jetzt vielleicht noch nicht der Ort. Wir beide sind in dem Ausschuss. Wir werden uns sicherlich bemühen, die vorliegenden Gerichtsurteile so zu interpretieren, dass sie möglichst viel Spielraum für neue Entscheidungen lassen. Am Ende werden wir aber zu einer Beurteilung kommen.

Wie man das ganze Verfahren, was wir hier ab Sommer letzten Jahres mit dem Ausschuss, jetzt mit der Debatte hier, mit der Überweisung, mit dem Einvernehmen, dass wir dort eine Prüfung auch mit Sachverständigen und eine zweite Lesung machen, wie man das als „heimlich, still und leise“ bezeichnen kann, das will mir überhaupt nicht in den Kopf, Herr Kollege!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Absurd!)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Dr. Möllenstädt.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Aber der Se- nat wird das doch auch verfassungsrecht- lich geprüft haben!)

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Ehmke, Ihre Ausführungen haben ja nun eigentlich nicht die Frage beantwortet, warum eine Fünfprozenthürde denn eigentlich wünschenswert sein soll, denn Sie haben

sich einzig und allein darauf konzentriert, hier darzustellen, warum sie denn verfassungsrechtlich vielleicht möglich sein soll. Ich stelle in Abrede, dass es überhaupt der politische Wille einer Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger ist, so etwas zu haben. Das ist überhaupt nicht erkennbar. Dass es vielleicht der Wille von einer Mehrheit der Politik in Bremerhaven ist, das mag durchaus so sein. Das kann aber für die politische Entscheidung auch in diesem Haus nicht maßgeblich sein.

(Beifall bei der FDP)

Im Übrigen möchte ich auch die Kolleginnen und Kollegen der SPD darauf hinweisen, dass wir hier über einen Dringlichkeitsantrag sprechen. Wenn das alles langfristig schon Ihre Absicht gewesen wäre, hätten Sie es ja nicht als Dringlichkeitsantrag einbringen müssen, sondern dann hätte es vielleicht auch ein ordentlicher Antrag auch getan.

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Sie wissen, dass sich die beiden gar nicht unterscheiden! Das müssen Sie auch mitbekommen haben!)

Dann haben Sie die Frage der Prüfung vor Ort angesprochen. Niemand zwingt Bremen, das in dieser Weise zu prüfen. Ich habe es eben in Abrede gestellt, dass man überhaupt den politischen Willen haben muss, die Fünfprozenthürde wieder einzuführen. Den haben Sie aber, und dann sagen Sie es auch, und begründen Sie, warum Sie diesen politischen Willen haben! Dazu haben Sie heute kein Wort verloren. Sie sind es komplett schuldig geblieben.

(Beifall bei der FDP – Abg. D r. S i e l i n g [SPD]: Zuhören würde helfen!)

Das finde ich doch schon sehr dürftig. Da war Herr Dr. Kuhn zum Beispiel viel ehrlicher. Er hat gesagt, wir haben damals einen Antrag gemacht, weil wir es für wünschenswert hielten, dass die Fünfprozenthürde in Bremerhaven abgeschafft wird. In Ordnung! So weit, so gut! Die Frage ist damit aber doch nicht beantwortet. Dass Sie dann sagen, na ja, jetzt haben wir einen Vertrag geschlossen, und wir sind vertragstreu. Sie sind doch nicht nur Ihren Mitgliedern vertragstreuepflichtig, sondern Sie sind es doch auch den Wählerinnen und Wählern schuldig, dass Sie diese Position, die Sie im Wahlkampf vertreten haben, auch einhalten. Das ist das, was wir hier anklagen. Ob Sie Ihre Mitglieder betrügen, das ist Ihre Sache, aber auch das wäre nicht anständig, das will ich auch ganz klar sagen. Nur, Sie sind in dieser Frage umgefallen. Dabei bleibt es. Sie können nicht begründen, warum Sie es eigentlich wollen.

(Abg. D r. S i e l i n g [SPD]: Das muss ein Vertreter der Umfallerpartei sagen!)

Deshalb muss man hier in aller Klarheit sagen, wenn die CDU mit den dürftigen Argumenten, die Herr Bödeker hier beigebracht hat, arbeitet, lohnt es sich ja schon fast gar nicht, darauf einzugehen.

(Beifall bei der FDP)

Ich spare es mir auch. Sie glauben doch nicht im Ernst, dass in all den Großstädten, die keine Fünfprozenthürde haben, kein Haushalt verabschiedet würde? Gerade Bremerhaven ist doch nicht das Beispiel, dass es funktioniert. Schauen Sie sich doch einmal an, wie lange Sie gebraucht haben, den Haushalt für das laufende Jahr aufzustellen. Das ist doch die Realität, Herr Bödeker. (Beifall bei der FDP)

Wenn das der Beweis sein soll, dass es mit Fünfprozenthürde besser geht, dann kann ich Ihnen nur sagen, den Gegenbeweis haben Sie selbst geliefert. – Herzlichen Dank!

(Beifall bei der FDP)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Tittmann.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muss leider noch einmal nach vorn kommen! Herr Ehmke, Sie haben vollkommen recht. Hier findet eine stundenlange Debatte über das Wahlrecht statt. Wir diskutieren, wir debattieren, wo das Ergebnis aber schon lange vorher feststeht. Das müssen Sie den Bürgern auch erklären. Sie wissen doch ganz genau, wenn eine Koalition, egal welcher Couleur, nur eine Stimme Mehrheit hat, kann man mit dem Willen des Volkes machen, was man will. Da braucht man hier nicht erst drei Stunden zu diskutieren. Das steht vorher fest, dann wird abgestimmt, und gut ist es! Das wissen Sie doch ganz genau! Herr Dr. Möllenstädt, ich kann mit Sicherheit hier mehr über Demokratie reden, mehr zur Demokratie beitragen, als Ihr FDP-Ehrenvorsitzender und vorbestrafter Otto Graf Lambsdorff. Herr Bödeker, ich habe hier niemandem etwas geraubt.

(Abg. G ü n t h n e r [SPD]: Was ist denn mit der Waschmaschine der DVU?)

Ich habe auch keine schwarzen Koffer, ich bin ehrlich, und das bleibt dabei. Ich war immer ein aufrechter Demokrat, und das bleibt auch so! – Ich danke Ihnen!

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Rupp.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Ihr kennt von früher doch noch die Fünfundneunzigpro- zenthürde! – Heiterkeit)

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es gibt ein paar Dinge, aus denen kann man lernen, und wir haben es getan, andere möglicherweise nicht. Was ich sagen wollte, ist, wir haben meines Erachtens keine normale Debatte, es ist auch kein normales Gesetzgebungsverfahren, weil die Entscheidung, ob man in Bremerhaven die Fünfprozenthürde abschafft, nicht durch die Stadtverordnetenversammlung gefasst wurde, sondern durch ein Element direkter Demokratie. Das macht sozusagen den Unterschied aus.

Deswegen ist es die Frage, ob man sozusagen in der Stadtverordnetenversammlung überhaupt das Recht hat, zumindest das politisch-moralische Recht, diese Fünfprozenthürde wieder abzuschaffen, ohne die Bürgerinnen und Bürger dazu zu befragen. Meiner Meinung nach wäre das ein Weg gewesen, wie man dort einen einigermaßen korrektes und auch den Willen der Menschen in Bremerhaven widerspiegelndes Verfahren gewesen. Stattdessen hat man sich so entschieden, und das ist das Signal, was ausgeht, dass man Elemente direkter Demokratie und die darauf fußende Entscheidung ein Stück weit diskreditiert.

Ich meine, wenn man es jetzt so macht, unabhängig von der Frage, ob das sinnvoll ist und so weiter, das will ich nicht diskutieren, aber wenn man es so macht, ist es ganz deutlich, dass wir den Elementen direkter Demokratie und dem Ansinnen, was dahinter steht, einen echten Bärendienst erweisen. Deswegen werbe ich dafür, wenn es in Bremerhaven abgeschafft werden soll, fragen Sie die Bremerhavener Bürgerinnen und Bürger zu diesem Thema! Dann sind Sie möglicherweise legitimiert, das auch hier in formal richtige Grenzen zu packen.

(Beifall bei der Linken)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Der Senat hat keine Meinung?)

Wir kommen zur Abstimmung.

Es ist namentliche Abstimmung beantragt worden.

Meine Damen und Herren, wer bei dem Gesetz zur Änderung des Bremischen Wahlgesetzes, Drucksache 17/426, in erster Lesung seine Zustimmung, seine Stimmenthaltung oder sein Nein signalisieren möchte, möge sich dann deutlich mit Ja, Nein, Enthaltung melden.

Ich rufe die Namen auf.

(Es folgt der Namensaufruf.) ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft. (A) (C)

Meine Damen und Herren, ich gebe Ihnen das Ergebnis bekannt: Mit Ja haben gestimmt 67, mit Nein haben gestimmt 12, Stimmenthaltungen keine. Somit steht das Ergebnis fest.

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) beschließt das Gesetz in erster Lesung.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, es ist beantragt, den Gesetzesantrag nach der ersten Lesung an den nichtständigen Ausschuss „Erleichterung der Volksgesetzgebung und Weiterentwicklung des Wahlrechts“ zu überweisen.