Protokoll der Sitzung vom 05.06.2008

Was die Zeitschiene betrifft, finde ich es eigentlich im Moment nicht so glücklich, dass wir im Augenblick diese Debatte führen. Die Arbeits- und Sozialministerkonferenz hat sich auf Eckpunkte verstän

digt, sie hat Arbeitsgruppen eingesetzt, und sie wird bis Ende Juni ihr Ergebnis vorlegen. Es wäre durchaus sinnvoll gewesen, anschließend hier darüber zu debattieren, und ich hoffe, wir werden dies auch noch einmal tun.

(Beifall bei der SPD)

Worum geht es uns? Es geht um zwei Sachen, die wichtig sind. Zum einen ist wichtig, dass die Hilfe für Arbeitlose aus einer Hand beibehalten werden muss, und das ist für uns in Bremen im Übrigen auch deswegen wichtig, weil diese Zusammenführung von Arbeitslosen und Sozialhilfe – und ich glaube, das ist unumstritten bei allem, was es auch an Kritik an den Hartz-Reformen gegeben hat – ein richtiger, wichtiger und wegweisender Schritt in der Sozialgeschichte der Bundesrepublik gewesen ist und auch Städte wie Bremen und Bremerhaven von den enormen Kosten der Langzeitarbeitslosigkeit entlastet hat.

Wir haben immer gesagt, es kann nicht die Aufgabe der betroffenen Kommunen sein, auf dem Weg der Sozialhilfe die Kosten der Langzeitarbeitslosigkeit zu tragen. Diese Reform hat dazu beigetragen, dass wir in erheblichem Maß von diesen Kosten entlastet sind. Das, denke ich, ist das Positive, und das ist es, was unbedingt beibehalten werden muss. Deswegen warne ich vor solchen Gedankenspielereien, die Arbeitsmarktpolitik wieder in die Hand der Kommunen legen zu müssen, mit allen Risiken finanzieller Art, die damit gerade für solche von Langzeitarbeitslosigkeit bedrohten Kommunen wie die unseren betroffen sind.

(Beifall bei der SPD)

Das Zweite ist der Wunsch, den Einfluss der Kommunen auf die Arbeitsmarktpolitik zu erhalten. Das finde ich richtig, aber wir müssen uns doch einmal ansehen, wie es heute unter den Bedingungen der Arbeitsgemeinschaften läuft. Da ist es ja auch schon so, dass wir eine Kooperationsstruktur haben und dass, wenn wir uns nicht einigen mit dem anderen Träger dieser Arbeitsgemeinschaft, nämlich der Bundesagentur für Arbeit, wir unsere Arbeitsmarktprogramme auch nicht durchsetzen. Man muss sich ja die Größendimensionen vor Augen halten, Frau Schön hat darauf hingewiesen: 100 Millionen Euro für die aktive Arbeitsmarktpolitik pro Jahr von den ARGEn, 15 Millionen Euro aus ESF von uns, und was da an Landes- und Kommunalmitteln ist, ist im Grunde nicht zu rechnen. Da wedelt nicht der Schwanz mit dem Hund, sondern da wedelt immer noch der Hund mit dem Schwanz.

Ich denke, dass wir trotz dieser Bedingungen und Verhältnisse durch Kooperationen und durch Absprachen sehr gute Programme auf den Weg gebracht haben. Gerade haben wir zusammen mit der Bundesagentur für Arbeit in den ARGEn das Programm „Bre

men produktiv und integrativ“ auf den Weg gebracht, wo wir sehr viel für die Stadtteile, für die Kommunen tun und dies in voller Übereinstimmung und Absprache mit der Bundesagentur für Arbeit.

Wenn wir das Geld vom Bund nicht hätten, könnten wir nämlich nicht so viel in dieser Sache machen, und ich finde, dessen sollten wir uns auch bewusst sein, wenn wir jetzt hier an die Wand malen, welche schrecklichen Einflüsse vom Bund auf uns zukommen könnten.

(Beifall bei der SPD)

Zum anderen gehe ich fest davon aus, dass es uns gelingen wird, auch in Zukunft in einem kooperativen Job-Center, wie immer es heißen wird, dies weiter beibehalten zu können. Wir müssen eine Lösung suchen, die, soweit ich das verstanden habe, auch das Ressort anstrebt. Ausnahmsweise muss ich einmal unser Monopolblatt loben, das, wie ich finde, neulich einen sehr informativen Artikel dazu herausgegeben hat.

(Abg. D r. S i e l i n g [SPD]: Das ist wohl wahr! Wir wussten gar nicht, dass sie das kön- nen!)

Die Politik, die das Ressort anstrebt, ist vernünftig, nämlich zu sagen: Lasst uns versuchen eine Lösung zu finden, die so weit wie möglich bei getrennter Trägerschaft, wie sie das Verfassungsgericht nun einmal fordert, die Kooperation zwischen den beiden Akteuren absichert, weil dies ja auch die einzig vernünftige Lösung ist. Man kann Arbeitsmarktpolitik nicht zentralistisch betreiben, man kann Arbeitsmarktpolitik nur regional angepasst betreiben.

Im Übrigen muss ich sagen, weil ich auch im Verwaltungsausschuss der Bundesagentur sitze, dass die einzelnen Agenturen vor Ort sehr unterschiedlich und angepasst auf den regionalen Arbeitsmarkt mit ihrem Einsatz der arbeitsmarktpolitischen Programme umgehen. Das ist schon heute so.

Frau Schön, im Übrigen ist es nicht so, dass wir jetzt mehr Geld für Qualifizierung herausgeholt haben, sondern dass die BAgIS und die ARGE von sich aus gesagt haben: Wenn jetzt die Arbeitsmarktsituation besser ist, lohnt es sich, mehr zu qualifizieren und mehr Geld in die Qualifizierung zu stecken. Das ist ja auch vollkommen vernünftig, und darauf haben wir uns sehr leicht einigen können.

Ich möchte jetzt zu der Frage des Weges und des Ziels kommen! Auch ich finde natürlich, und darauf können wir uns schnell einigen, eine Verfassungsänderung, mit der die jetzigen ARGEn abgesichert werden, wäre gut. Ich muss dazu aber auch sagen, dass im Augenblick niemand – jedenfalls soweit ich das sehe, aus allen veröffentlichten Meinungen, aus allen Meinungsäußerungen – wirklich glaubt, dass man eine solche Verfassungsänderung durchbringen kann, und zwar nicht nur deswegen, weil die nötigen

politischen Mehrheiten fehlen, sondern weil dies auch eine Rückabwicklung der Föderalismusreform I bedeuten würde, und das will im Augenblick niemand. Von daher ist es natürlich richtig zu sagen: Wir prüfen dies, weil wir es für richtig halten. Es ist aber auch richtig zu sagen: Wir müssen uns darauf einstellen, dass es nicht geht. Dann müssen wir die zweitbeste Lösung suchen, die immer noch eine gute sein kann, und das ist eine weitestgehend mögliche gesetzliche Absicherung der Kooperation in dieser inhaltlichen Frage. (Beifall bei der SPD)

Zum Schluss möchte ich dann noch auf ein Thema eingehen, das eigentlich das Wichtigste ist. Diese Arbeitsgemeinschaften sichern nicht „nur“ die Arbeitsmarktpolitik – „nur“ ist in Anführungsstrichen zu setzen, weil es wichtig ist – und bieten Wege in den Arbeitsmarkt für Arbeitslose, sondern sie sichern auch den Lebensunterhalt für, es wurde hier schon gesagt, 100 000 Menschen in Bremen und Bremerhaven. Hier darf es keine Verunsicherung dadurch geben, dass sich der Prozess über die Diskussion, was jetzt wie organisiert werden soll, die neue Trägerschaft, allzu lange hinzieht. Wir sehen jetzt schon, und das ist unbestritten, dass bei den Arbeitsgemeinschaften Erosionsprozesse eintreten, weil die Mitarbeiter verunsichert sind und weil die Mitarbeiter nicht mehr wissen, wie es weitergeht, und weil sie nicht mehr wissen, ob dieser Arbeitgeber, bei dem sie heute arbeiten, nächstes Jahr noch bestehen wird. Deswegen kann ich nur appellieren – und in der Deputation hatten wir auch den Appell des Leiters der BAgIS hier in Bremen –, dass wir darauf hinwirken, dass im Bund die Arbeits- und Sozialminister zu einer zügigen Entscheidung kommen. Wenn man dann geprüft hat, ob die Frage der Verfassungsänderung geht oder nicht – sie wird dadurch, dass man sich jahrelang Zeit lässt, dann auch nicht reifer – und zu einer Entscheidung gekommen ist, sollte man dies auch schnell machen. Wir haben in unserem Antrag geschrieben, es muss ausreichend Zeit sein, um diese Verwaltungsänderung noch umzusetzen. Ich sage ganz klar: Ausreichend Zeit heißt für mich, die gesetzlichen Voraussetzungen bis Ende diesen Jahres oder spätestens Anfang des nächsten Jahres zu schaffen, damit Klarheit ist und eventuelle verwaltungsmäßige Umstrukturierungen nicht überhastet, sondern in Ruhe vorgenommen werden können und damit die Arbeitslosen und die Beschäftigten weiterhin einen verlässlichen Partner haben, auf den sie sich wegen ihrer Leistungen verlassen können – das hängt ja sehr stark damit zusammen –, und auch wissen, wo es langgeht. Hier ist gesagt worden: Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit! Es gibt für alles einen Spruch, und ich kann dann auch einen sagen, und der heißt: Getretener Quark wird breit, nicht stark! – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Nitz.

Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste! Wer behauptet, er hätte bereits die gute Lösung, die ganz klar und logisch und auch einfach umsetzbar ist, der macht sich und anderen etwas vor.

(Beifall bei der Linken)

Bei der Durchsicht der Anträge ist es unserer Meinung ziemlich bemerkenswert, dass sie in vielen Ansprüchen nahe beieinander liegen, während sie aber gleichzeitig versuchen, mehr oder weniger auffällig die momentanen Favoritenmodelle der A- beziehungsweise B-Länder zu unterstützen. Wir fänden es gut, wenn wir nicht zu schnell auf die Ebene der Modelldiskussionen kämen, sondern uns einmal vergegenwärtigten, was eigentlich die Probleme an diesen Modellen und an dem jetzigen Zustand sind.

Eigentlich wollen wir doch alle erstens eine deutlich stärkere Entscheidungsmacht und Organisationshoheit der Kommunen- und der Landespolitik, aber bei voller finanzieller Verantwortung des Bundes beziehungsweise der Bundesagentur.

Eigentlich wollen wir zweitens alle Entscheidungsspielräume der kommunalpolitischen und landespolitischen Ebene im Einsatz arbeitsmarktpolitischer Mittel und Instrumente, aber bei einer garantierten bundesweiten Einheitlichkeit der Leistungssätze.

Eigentlich wollen wir alle drittens eine Situation, wo es sich für die Kommune beziehungsweise für das Land lohnt, Beschäftigung anstelle von Arbeitslosigkeit zu finanzieren, aber ohne dass die Kommunen und die Länder auf den finanziellen Risiken hoher Arbeitslosigkeit sitzen gelassen werden. Das ist richtig so, und das sollte auch das Ziel sein!

(Beifall bei der Linken)

Die Situation, in der wir uns derzeit befinden, ist das Resultat der sogenannten Arbeitsmarktreform, der Hartz-IV-Gesetze. Die Zusammenlegung von Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe, das heißt die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe, und die massive Einschränkung der Arbeitslosenversicherung und der Rechte von Arbeitslosen war eben kein Erfolg!

(Beifall bei der Linken)

Sie war ein Fehler und ein sozialpolitischer Kahlschlag! Die zunehmende Leistungsausgrenzung spiegelt auch den seit einiger Zeit zu beobachtenden Rückgang der Empfänger von Arbeitslosengeld I wider. Im vergangenen Jahr erhielt nur noch knapp ein Drittel aller re––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

gistrierten Arbeitslosen die eigentliche Hauptleistung dieses Sicherungssystems gegenüber noch circa 50 Prozent in den Neunzigerjahren.

Gleichzeitig stellt die Massen- und Langzeitarbeitslosigkeit, die man über die letzten Jahrzehnte hinweg billigend in Kauf genommen, ja durch Deregulierung gefördert hat, die bisherige Arbeitsmarktpolitik infrage. Es geht eben nicht mehr vorrangig um individuelle Zugangshemmnisse zum Arbeitsmarkt; es geht um massenhaft fehlende Jobs. Es geht um Jobs, die wir heute aus Mitteln der Beschäftigungspolitik erhalten, weil sie aus Sicht der überzogenen Profiterwartungen von Unternehmen finanziell nicht mehr attraktiv genug erscheinen. Deshalb funktionieren viele Instrumente der Beschäftigungspolitik so schlecht, weil sie auf die individuellen Zugangshemmnisse gerichtet sind, während die Arbeitsmarktsituation mitunter eine ganz andere ist.

(Beifall bei der Linken)

Es geht also um die beschäftigungspolitische Begleitung von Strukturwandel, weil wir aktuell keine anderen Instrumente haben als die Mittel der Beschäftigungspolitik und weil wir in Bremen keine anderen Gelder mehr einsetzen als die Gelder der Bundesagentur und die Gelder der Europäischen Union. Es geht auch darum, ob das Land beziehungsweise die Kommune auf den Kosten der Arbeitslosigkeit sitzen bleibt, weil sie durch die Vergabegesetze gezwungen wird, Aufträge nach außen zu vergeben, nur weil die Angebote vermeintlich billiger sind.

Die Sorge der Linken ist es derzeit, dass wir uns zu leicht vom Bund mit den Drohungen erschrecken lassen: Da bleiben Kosten und Risiken der Arbeitslosigkeit an Bremen hängen, dann löst sich die bundesweite Einheitlichkeit der Leistungssätze und Lebensbedingungen auf. Dann werden Sie zu lokalen Abschlägen bei den Sätzen und bei den Instrumenten gezwungen sein. Wir geben uns angesichts dieser im Raum stehenden Drohung nicht mit wenig kommunaler Entscheidungsbefugnis zufrieden, denn diese Entscheidungsbefugnis brauchen wir, wenn Arbeitsmarktpolitik heute sinnvoll sein soll.

(Beifall bei der Linken)

Deswegen finden wir in allen Anträgen die Betonung der kommunalen und dezentralen Spielräume gut. Deswegen finden wir es auch gut, dass im Antrag der Koalition, aber leider nur im Antrag der Koalition, eingefordert wird, dass der Bund dauerhaft in der finanziellen Verantwortung für die Arbeitsmarktpolitik und für das Leistungsrecht bleibt. Ob dabei jetzt das kooperative Job-Center die richtige Lösung ist, ob das Modell der Optionskommunen die richtige Lösung ist, ob die kommunale Aufgabenwahrnehmung für den Bund die richtige und praktikable Lösung ist, wissen wir heute noch nicht. Das weiß ei

gentlich niemand hier im Saal, weil es von ganz vielen kleinen Details abhängt, die wir heute noch nicht beurteilen können, und da, denke ich, sind Sie mit mir und unserer Fraktion auch einer Meinung.

(Abg. Frau S t a h m a n n [Bündnis 90/Die Grünen]: Niemals!)

Wir sind uns auch sicher, dass jedes Modell bestenfalls ein kleineres Übel sein kann, solange wir nicht die grundlegenden Probleme beseitigen. Solange das Hartz-System bleibt, haben wir kein Leistungsrecht, das den Betroffenen Würde und Sicherheit vor Armut bietet. Solange die Aktivierung der passiven Mittel versperrt bleibt, haben wir keine Arbeitsmarktpolitik, in der sich kommunale Beschäftigungsanstrengungen finanziell auszahlen.

(Beifall bei der Linken)

Solange die Trennung der Regelkreise vom Sozialgesetzbuch II und vom Sozialgesetzbuch III erhalten bleibt, haben wir eine stigmatisierte Gruppe sogenannter Langzeitarbeitsloser, denen individuell die Schuld für das, was auf dem Arbeitsmarkt passiert, gegeben wird.

(Beifall bei der Linken)

Selbst einschlägige Evaluationsergebnisse zu den Hartz-Gesetzen verweisen auf die Notwendigkeit der Überwindung der Trennung der Rechtskreise von SGB II und SGB III. Aber solange Sie Lebensarbeitszeiten und Wochenarbeitszeiten verlängern und Tarife aufrechterhalten, die mitunter unter Mindestlöhnen liegen oder die mit der Entwicklung der Produktivität nicht Schritt halten, werden Sie arbeitsmarktpolitisch versuchen, mit einem Sieb Wasser zu schöpfen.

(Beifall bei der Linken)

Wir als Linksfraktion können dem Antrag der Koalition nicht in Gänze zustimmen, weil er unter anderem im ersten Punkt die Arbeitsmarktreform und das Hartz-System verteidigt, nämlich die Zusammenlegung und Entgarantierung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe. Das lehnen wir ab!

(Beifall bei der Linken)

Wir können aber auch den Anträgen der CDU wie auch der FDP nicht zustimmen, weil sie sich nicht klar von dem Szenario abgrenzen, dass der Bund aus der finanziellen Verantwortung entlassen wird und ein Dumpingwettlauf zwischen den Kommunen und den Ländern einsetzt. Stattdessen empfehlen wir, noch einmal einen Gang zurückzuschalten und stattdessen darauf zu drängen, vielleicht noch einmal in die Modelldiskussion einzusteigen und auch den drin

genden Reformbedarf des Hartz-Systems zu überdenken. Mitunter ist das möglich durch öffentliche Anhörungen von Betroffenen. Solange wir noch knapp 100 000 Menschen in Bremen haben, die von der BAgIS abhängig sind, werden sie es auch von einem zukünftigen Nachfolgemodell sein. Das heißt, besondere Anstrengungen sind hier notwendig. Diese Angelegenheit ist nämlich viel zu wichtig, als dass wir sie hier mit gefassten Beschlüssen vorschnell auf Landesebene beenden und ausschließlich dem Taktieren auf Bundesebene überlassen dürfen.

(Beifall bei der Linken)