Protokoll der Sitzung vom 02.07.2008

Drittens: Welche präventiven Maßnahmen gegen psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugend

lichen werden in Bremen und Bremerhaven durchgeführt?

Die Anfrage wird beantwortet von Herrn Staatsrat Dr. Schulte-Sasse.

Herr Präsident, Frau Abgeordnete, meine Damen und Herren! Für den Senat beantworte ich die Anfrage wie folgt:

Zu Frage 1: Um Informationen über das Vorkommen und die Entwicklung psychischer Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter zu erhalten, sind epidemiologische Studien erforderlich. Für das Land Bremen liegen solche Studien nicht vor.

Für Deutschland wurden erstmals ausführliche Daten über die psychische Gesundheit von Kindern im Rahmen des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys beziehungsweise der ergänzenden BELLAStudie 2003 bis 2006 vom Robert-Koch-Institut erhoben. Danach bestehen bundesweit bei etwa jedem fünften Kind zwischen 7 und 17 Jahren Hinweise auf eine psychische Auffälligkeit. Mit 10 Prozent gelten Angststörungen als häufigste psychische Erkrankung, es folgen Störungen des Sozialverhaltens mit 7,6 Prozent und depressive Störungen mit 5,4 Prozent.

Bezogen auf das Land Bremen hätten danach statistisch gesehen etwa 14 800 Kinder und Jugendliche dieser Altersgruppe eine psychische Auffälligkeit. Jungen und Mädchen sind in etwa gleich häufig betroffen.

Zu Frage 2: Da keine Daten zur Entwicklung der Prävalenz von psychischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter vorliegen, können auch keine Aussagen über die Gründe getroffen werden.

Zu Frage 3: Mit dem Kindergarten- und Grundschulprojekt „ganz schön stark!“, das die Lebenskompetenz durch Training des Selbstbewusstseins, der sozialen Kompetenz und der Eigenverantwortung fördert und in Bremen verstärkt durchgeführt wird, beginnen die präventiven Aktivitäten bereits früh.

Für die Sekundarstufe I gibt es zahlreiche gut evaluierte Präventionsmaterialien zur Suchtprävention und Lebenskompetenzförderung, die in den Schulen verbreitet sind. Ein ganz neues Projekt ist das „Unterrichtsprogramm zur Gesundheitsförderung, Sucht- und Gewaltprävention in Förderzentren“, das aber auch für Haupt- und Sekundarschulen gut geeignet ist. Es hat große Anteile allgemeiner Lebenskompetenzförderung und somit ein breites Wirkungsspektrum in der Prävention psychischer Erkrankungen.

Für Schülerinnen und Schüler sowie Jugendliche in außerschulischen Einrichtungen und deren Lehrkräfte beziehungsweise Betreuer und Betreuerinnen und Eltern gibt es außerdem eine Reihe

aufeinander abgestimmter und in Bremen gut verbreiteter Projekte. – Soweit die Antwort des Senats!

Frau Kollegin Krümpfer, haben Sie eine Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Herr Staatsrat, Sie hatten erwähnt, dass die Anzahl der Kinder in Bremen in etwa 14 800 betragen könnte, die ja relativ hoch ist. Meine Frage ist: Ist es geplant, eine konkrete Datenlage zu ermitteln, um präventive Maßnahmen eventuell regional zu verstärken?

Bitte, Herr Staatsrat!

Ja, das ist schwierig, weil man dazu eine aufwendige und sehr teure epidemiologische Studie durchführen müsste, das werden wir vermutlich nicht finanzieren können. Wir sind darauf angewiesen, dass wir von der These ausgehen, dass in Stichproben erhobene bundesweite Daten im Grundsatz auch für Bremen gelten. Wir haben allerdings ein Problem, das wir kennen, nämlich für den Fall, dass bereits psychische gesundheitliche Störungen bei Kindern aufgetreten oder bekannt sind, sollte man annehmen, dass das Hilfsangebot in etwa flächenmäßig auf Bremen gleich verteilt ist. Das ist nicht der Fall.

Frau Kollegin, haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr!

(Abg. Frau K r ü m p f e r [SPD]: Nein, vielen Dank!)

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Staatsrat, von Frau Dr. Mohr-Lüllmann! – Bitte sehr!

Ich würde ganz gern wissen, ob es eine Datenlage in anderen Bundesländern gibt: Erheben andere Bundesländer psychische Erkrankungen von Kindern?

Bitte, Herr Staatsrat!

Nach meinem Wissen nicht! Es gibt den Bundessurvey, den ich schon erwähnt hatte, aber zusätzliche länderspezifische Untersuchungen epidemiologischer Art kenne ich nicht.

Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Epidemiologische nicht! Gibt es aber ansonsten irgendwelche Erhebungen regionaler Art? Sie schätzen das auf etwas über 14 000. Arbeiten Sie da irgendwie mit

der Psychotherapeutenkammer zusammen, dass man da vielleicht andere Erfahrungswerte für mögliche präventive Maßnahmen erheben könnte?

Bitte, Herr Staatsrat!

Die Schwierigkeit, die bei diesem Thema auftaucht, ist, dass wir auf der einen Seite die Zahlen der Kinder und Jugendlichen haben und auch abrufen können, die sich bereits im System befinden, die also Angebote der Unterstützung angenommen haben. Aber damit haben wir noch lange nicht die Zahl derjenigen, bei denen solche Angebote im Grundsatz sinnvoll wären, die aber das System der Unterstützung nicht aufsuchen. Das Wesen der epidemiologischen Daten ist, dass beide Bereiche erhoben und dargestellt werden. Die Frage, wie viele in Behandlung sind, ist eine wichtige Frage.

Ich hatte aber eben mit meiner Andeutung schon darauf aufmerksam gemacht, dass wir eine ungleiche Verteilung der entsprechenden Hilfsangebote in Bremen haben. Ich will es einmal deutlich formulieren: In den Bereichen, wo wir wahrscheinlich große Probleme aufgrund der sozialen Lage in den Stadtteilen haben, haben wir ein sehr schwaches Angebot. In den Stadteilen, wo wir die besser gestellte Bevölkerung haben, haben wir ein ausgeprägt starkes Angebot.

Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Sehen Sie nicht auch die Notwendigkeit von allgemeinen Unterstützungsmaßnahmen, dass man das in irgendeiner Form verstärken müsste? Sehen Sie da nicht die Möglichkeit, mit der Psychotherapeutenkammer in engeren Kontakt zu treten, um da wirklich auch Maßnahmen zu ergreifen, in Zusammenarbeit vielleicht?

Bitte, Herr Staatsrat!

Das tun wir auch. Allgemeine präventive Maßnahmen, die sich auf die grundsätzliche gefährdete Altersgruppe beziehen – die hatte ich dargestellt –, sind in Bremen in der Fläche gut aufgebaut. Das wird auch in Zusammenarbeit mit den Experten, unter anderen mit der Kammer, durchgeführt. Diese Notwendigkeit besteht und wird auch wahrgenommen.

Eine weitere Zusatzfrage, Frau Kollegin? – Bitte sehr!

Es ist nicht das erste Mal, dass wir hier über dieses Thema sprechen. Damals war völlig klar, dass Bremen-Nord

und Bremerhaven im Wesentlichen unterversorgt sind. Ist das nach wie vor der Fall?

Bitte, Herr Staatsrat!

Ja, ich kann Ihnen auch die Zahlen nennen, und da sehen Sie, wie krass der Unterschied ist: In der Stadt Bremen versorgt ein Kinder- und Jugendpsychotherapeut 2841, in Bremerhaven 19 688. Ich könnte Ihnen das auch für die Stadtteile in Bremen darlegen, da ist es spiegelbildlich ungefähr genauso. Dabei handelt es sich übrigens um ein Phänomen nicht nur in Bremen, sondern in allen Städten, in allen städtischen Regionen, das ist ein ernsthaftes Problem.

Eine weitere Zusatzfrage? – Bitte, Herr Kollege Erlanson!

Herr Staatsrat, ich habe noch eine Nachfrage bezüglich der Datenerhebungen! Wir haben in den verschiedenen Armutsberichten – Sie haben es gerade erwähnt – erneut Hinweise darauf, dass es nicht nur eine unterschiedliche Versorgung in den einzelnen Stadtteilen gibt, sondern dass auch Fallzahlen sehr wahrscheinlich gestiegen sind. Wird das irgendwie noch einmal näher eruiert? Sehen Sie da Möglichkeiten, oder bleibt es die Aufgabe der Kammer, das doch nur zu schätzen?

Bitte, Herr Staatsrat!

Dass Fallzahlen gestiegen sind, ist unbestritten, in Bremen und auch in der gesamten Republik. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe. Diese sind aber – das hatte ich in der Frage 2 bereits beantwortet – im Einzelnen weder in Bremen noch in anderen Regionen, auch nicht für ganz Deutschland, eruiert. Zu den Gründen zählen vor allem eine besondere gewachsene Sensibilität in der Öffentlichkeit, in der Gesellschaft für solche Fragen, dazu zählt aber auch, dass es insgesamt ein deutlich besser aufgestelltes Versorgungssystem gibt, das natürlich auch eine höhere Zahl von Patienten generiert und versorgt.

Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Es ist klar, dass alle ein Interesse daran haben, dass daran etwas geändert wird. Würde das aber nicht die Notwendigkeit nach sich ziehen, dass man zumindest den Iststand noch einmal deutlicher ermittelt? Sehen Sie dazu keinen Anlass?

Bitte, Herr Staatsrat!

Seit Jahren stehe ich für eine deutlich verbesserte Versorgungsforschung in Deutschland. Deutschland ist, was den gesundheitlichen Bereich angeht, in der Versorgungsforschung im Vergleich zu anderen Industrieländern deutliches Entwicklungsland. Diese Aufgabe, die Versorgungsforschung zu entwickeln, ist eine gesamtstaatliche Verantwortung, vor allem auf der Bundesebene angesiedelt. Das kann man auf der einzelnen Länderseite gar nicht allein machen. Diese Forderung ist bisher in der Weise, wie ich sie für notwendig erachte, bundespolitisch nicht aufgegriffen worden. In der Zielsetzung sind wir uns aber völlig einig. Hier haben wir deutlich mehr zu tun, insbesondere die Daten, die bei unterschiedlichen Datenhaltern verfügbar sind, zusammenzuführen.

Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Ich weiß, dass im Bremer Gesundheitsamt, im KIPSY, seit Jahren sehr fundierte Daten erhoben werden, also der kinderpsychologische Dienst mit vielen Ärzten und Ärztinnen auch in Stadtteilen vertreten ist, und im Rahmen der Gesundheitsberichterstattung wird auch evaluiert und teileweise auch veröffentlicht. Ich denke, wir haben sehr gute Daten auch in Bremen, ich habe erwartet, dass Sie das auch erwähnen. Man kann sehr gut auf diese Daten zurückgreifen. Das war und ist immer noch Gegenstand der Diskussionen auch im öffentlichen Gesundheitsdienst.

Bitte, Herr Staatsrat!

Gut, dass Sie das noch einmal erwähnt haben! Die Frage zielte aber auf epidemiologische Daten, die repräsentativ für die gesamte Bevölkerung sind. Das war die Frage, die gestellt wurde. Diese Daten haben wir leider nicht, auch nicht mit diesem Datenbestand. Ich hätte sie aber erwähnen sollen, da gebe ich Ihnen gern recht!

Frau Kollegin, haben Sie eine weitere Zusatzfrage?

(Abg. Frau D r. M o h a m m a d z a - d e h [Bündnis 90/Die Grünen]: Nein, danke!)