Protokoll der Sitzung vom 03.07.2008

Dazu

Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE

vom 3. Juli 2008 (Drucksache 17/480)

Dazu als Vertreter des Senats Herr Senator Nagel.

Die gemeinsame Beratung ist eröffnet.

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Liess.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will mit einer Ausführung der IHK Nord, dem Zusammenschluss von 14 Industrie- und Handelskammern der Küstenländer, beginnen, die am 1. Juli 2007 erklärt hat: Deutschland ohne Industrie ist nicht vorstellbar! Das ist richtig!

(Beifall bei der SPD)

Die Industrie sichert mit einem Anteil von fast drei Vierteln der exportierten Güter Deutschlands Rolle als Exportweltmeister. Sie ist es ebenfalls, die den Innovationsstandort Deutschland voranbringt. Von allen Ausgaben der Wirtschaft – also nicht das, was wir zum Beispiel im Hochschulbereich selbst alles so machen – für Forschung und Entwicklung trägt die Industrie 91 Prozent. Ohne die Industrie fehlt vielen Unternehmensdienstleistungen der Kunde. Damit ist die Industrie ein durchaus entscheidender Auftraggeber anderer Wirtschaftsbereiche. Die Industrie ist gerade in diesem Zusammenhang ein Impulsgeber für den Strukturwandel.

Industrielle Kerne sind Kerne der Wirtschaftsentwicklung und auch der Beschäftigung. Nach Angaben des Statistischen Landesamtes Bremen sind 50 000 Menschen in unserem Land direkt im produzierenden Gewerbe beschäftigt. Dabei handelt es sich ne––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

ben hoch qualifizierten Arbeitsplätzen auch um Arbeitsplätze mit weitaus geringerer Qualifikation. Gerade für diese Menschen müssen aber Arbeitsperspektiven geschaffen werden, wenn wir denn die soziale Spaltung, die wir in den Stadtgemeinden immer wieder feststellen, auch überwinden wollen.

(Beifall bei der SPD)

Die IHK hat ausgeführt, ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident: „Die Industrie ist wichtigster Arbeit- und Auftraggeber für die Wirtschaftsregion Norddeutschland. Dennoch fehlt, trotz der außerordentlich hohen Bedeutung der Industrie, eine aktive Politik zur Verbesserung der Standortbedingungen für produzierendes Gewerbe in dieser Region“. Das wollen wir ändern! Wir haben derzeit vielfältige Masterpläne für fast alle Wirtschaftsbereiche, aber bisher fehlt ein Masterplan für eine der Säulen der bremischen Wirtschaft, nämlich für die Industrie. Dabei setzen wir auf eine vernetzte Betrachtung. Dazu gehört beispielsweise die stadtverträgliche Einbindung der industriellen Standorte in die Stadtentwicklung ebenso wie die notwendig zu verbessernden Transferbeziehungen zwischen Wirtschaft und den hohen Leistungen der bremischen Hochschulen.

Weil das häufig zu Fehlinterpretationen führt, möchte ich dem hier abschließend vorbeugen: Das Einsetzen für die Industrie heißt nicht die Verabschiedung von einer Mittelstandsstrategie. Die Annahme, Unternehmen des produzierenden Gewerbes seien stets Großunternehmen, ist schlicht falsch. Mittelstands- und Industrieförderung passen sehr wohl zusammen. Es gilt: Industrieförderung ist auch Stärkung des Strukturwandels.

(Beifall bei der SPD)

Wir brauchen beides. Eine starke Industrie und eine Hinwendung zur Dienstleistungsgesellschaft bedingen einander. Unser Ziel muss es sein, auf beiden Gebieten stark zu sein, dazu soll der Masterplan dienen.

Um nun auch ein anderes Bedenken in eine andere Richtung zu zerstreuen, ein Masterplan Industrie bedeutet nicht, dass wir uns vorgenommen haben, einen Katalog von Ausnahmeregelungen für die Industrie zu erstellen. Selbstverständlich gelten die Richtlinien des Umweltschutzes, des Lärm-, des Emissionsschutzes und so weiter. Der Masterplan Industrie strebt eben keine Ausnahmeregelungen an, aber sehr wohl die Anerkennung, dass Bremen der sechstgrößte deutsche Industriestandort ist.

(Beifall bei der SPD)

Dem muss die Politik dann auch gerecht werden. Im Übrigen – ich werde mich nachher zu dem An

trag der LINKEN noch einmal gesondert äußern – gehen wir davon aus, dass selbstverständlich die Erarbeitung dieses Masterplans unter Einschluss der parlamentarischen Gremien erfolgt, um nicht irgendwie einer anderen Missdeutung den Weg zu bereiten. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie daher um Zustimmung für den Masterplan Industrie!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Möhle.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich versuche einmal, die Begründung dafür, warum wir es richtig und gut finden, einen Masterplan Industrie zu machen, von einer etwas anderen Seite herzuleiten!

(Abg. F o c k e [CDU]: Da sind wir ja gespannt!)

Die Weltwirtschaft ändert sich in einem rasanten Tempo, Weltklimaziele spielen auch in der Industrie, in der Wirtschaft eine immer größere Rolle. Das heißt, die Industrie, die Wirtschaft, übrigens auch in Bremen, steht im Grunde genommen vor einer gewaltigen Transformationsaufgabe. Das darf man nicht verkennen. Das ist einerseits ein hohes Risiko, hat andererseits aber auch gewaltige Chancen. Ich sage einmal, das betrifft nicht nur Fragen der Energieeffizienz, Materialeffizienz, Prozessoptimierung, Fehlerverhütung in der Produktion, all das sind ganz gigantische Aufgaben, die immer auch heutzutage die Frage der Umweltbelastung beinhalten.

Es ist mir sehr wichtig, das an dieser Stelle zu sagen, denn das ist überhaupt kein Gegensatz im klassischen Sinne, Ökonomie/Ökologie, nein gar nicht, an dieser Stelle trifft sich ausnahmsweise die Ökologie mit der Wirtschaft. Niemand wird so weitermachen können wie bisher, darüber müssen wir uns auch in der Industrie sehr deutlich klar werden. Es gibt Ansätze der industriellen Transformation, die, wie ich finde, in diesem Masterplan durchaus auch eine Rolle spielen sollten.

Ich habe mir angeschaut, was unsere Nachbarstadt Hamburg gemacht hat. Die haben nämlich schon einen Masterplan Industrie erstellt. Da steht in der Präambel: „Eine nachhaltige langfristige industrielle Entwicklung erfordert Leitlinien, an denen sich Politik und Industrie orientieren können.“ Ich habe, wie gesagt, nur einen Satz aus der Präambel zitiert, aber daran wird deutlich, was man mit einem Masterplan Industrie im Grunde genommen bewirken möchte. Leitlinien, das heißt eben nicht nur Bestands––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

pflege, das heißt nicht nur Bestandsschutz und auch Bestandssicherung und Bestandsentwicklung, nein, Leitlinien heißt auch: Wohin will man eigentlich perspektivisch politisch?

Wir haben zwei zentrale Fragen, die unsere Wirtschaft für wichtig erachten müsste. Eine Seite ist die Globalisierung, das heißt, Produktionsentwicklungen gestalten sich künftig deutlich anders als noch vor 10, 20 Jahren. Zweitens haben wir die überhaupt nicht zu unterschätzende Aufgabe, den Klimawandel aufzuhalten. Es wäre mir sehr wichtig, das sage ich ganz deutlich an dieser Stelle, wenn diese beiden Punkte in dem Masterplan auch Berücksichtigung finden würden.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Es ist nun kein Geheimnis, dass man grüne Politik nicht spontan mit Industriepolitik in Einklang bringt. Gleichwohl bewahrheitet sich in der Wirtschaft aber schon seit längerem, seit längeren Jahren eigentlich, immer mehr der Spruch der Grünen: mit grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben. Fortschrittliche, moderne Industrie beachtet Umweltschutz, im Übrigen zunehmend auch Sozialstandards. Wenn man sich anschaut, dass der Spielzeughersteller Steiff nunmehr wieder nach Deutschland zurückkommt, dann finde ich das ein außerordentlich positives Signal für den eigenen Heimatstandort.

Ich glaube, dass wir daran arbeiten müssen, mehr für Forschung und Entwicklung zu tun, gerade auch, um die anstehenden Transformationsaufgaben klug zu bewältigen. Die Unternehmen unterhalten selbstverständlich Forschungsabteilungen und leisten da auch eine ganze Menge. Ich glaube aber, dass es die Aufgabe des Staates ist, diesen Transformationsprozess, den ich eingangs geschildert habe, positiv zu begleiten. Das wäre gut für unseren Standort, das wäre gut für die Arbeitsplätze, und das wäre eben auch gut für das Bundesland Bremen. In diesem Sinne danke ich Ihnen für die Aufmerksamkeit!

Lassen Sie mich noch einen letzten Satz zu dem Antrag der LINKEN sagen! Ich glaube, dass es richtig ist, den Prozess der Erstellung des Masterplans auf breite Schultern zu stellen. Ich könnte mir im Übrigen auch vorstellen, dass man die Kammern zu diesen Fragen hört, die wir im Bundesland Bremen haben, und dann die parlamentarischen Gremien selbstverständlich beteiligt. Dieser Prozess selbst könnte spannend werden, und ich hoffe da auf eine interessante Diskussion bei der Erstellung des Masterplans Industrie. – Vielen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Rupp.

Herr Präsident, verehrte Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen! Wir sind durchaus der Meinung, dass so eine Form von Masterplan eine Sache ist, die man entwickeln sollte und muss, möglicherweise deswegen, weil wir möglicherweise verdächtigt werden, Vertreterinnen und Vertreter von Masterplanwirtschaft zu sein. Das ist aber nicht so. Ich glaube, es gibt – natürlich ist es auch in der Debatte angeklungen – einen Begriff davon, dass man in vielen Fragen ein integriertes und zielgerichtetes Vorgehen braucht, um ganz bestimmte Ziele zu erreichen.

Ein bisschen habe ich das Problem, dass dieser Antrag selbst diesem Ansinnen nicht gerecht wird. Ich halte ihn für relativ, ich sage einmal vorsichtig, altbacken. Es schimmert auch ein etwas altbackener Industriebegriff durch diesen Antrag, und das, was eben gesagt worden ist, die Tatsache, dass da andere beteiligt werden sollen, steht nicht darin, ich komme darauf gleich noch einmal zurück. Ich vermute einmal, dass auch der Wirtschaftssenator einem altbackenen Industriebegriff nicht anhängt.

Wir wissen, dass sich mittlerweile Verarbeitung und Dienstleistung in einer Weise verschoben haben, dass es die industriellen Kerne zwar noch gibt, aber dass immer mehr Dienstleistungen, auch verarbeitende Dienstleistungen ausgelagert werden. Wir wissen, dass Dienstleistung und Verarbeitung auf vielfältige Weise verknüpft sind, dass derselbe Dienstleister sowohl für den einen Kern arbeitet als auch für den anderen, dass die industriellen Kerne ganz viele Dienstleistungen, die sie vorher selbst erbracht haben, auslagern. Wir haben es also mit einem sehr komplexen Entwicklungsbegriff zu tun. Das sozusagen auf den Begriff Industrie zu reduzieren, kann sein, dass das ein bisschen altbacken ist, ich bin relativ sicher, das ist damit nicht gemeint.

Wir werden sicherlich insbesondere in der Region die Funktion von Kernen und das, was man so neudeutsch Cluster und Cluster-Strukturen nennt, analysieren müssen. Wir brauchen das, um Beschäftigungswirksamkeit, Arbeitsplatzentwicklung, Umweltschutzkriterien, Stadtentwicklungskriterien überhaupt einmal zu erfassen, und können dann möglicherweise mit einer gezielten Form von Eingriff Beschäftigungseffekte, Standortbindung und Ähnliches erzeugen. Aber da muss man, glaube ich, sehr genau hinschauen, und nur allein auf Industrie zu schauen, ist möglicherweise etwas zu wenig.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich bin auch überzeugt davon, dass es ausgesprochen sinnvoll ist, die regionalen Wertschöpfungsketten in der Region zu betrachten, ausdrücklich unter Einbeziehung von Eigenbetrieben, von landeseigenen Betrieben und möglicherweise auch von Betrieben, ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

bei denen wir nur wenige Anteile haben. Ich bin davon überzeugt, dass es auch für Bremen, auch für den bremischen Haushalt durchaus lukrativ sein kann, die landeseigenen Betriebe, die BLG beispielweise, als Bestandteil eines solchen Konzepts zu betrachten und zu schauen, ob man nicht nur das Risiko teilweise von solchen Dingen trägt. Es ist ja eine viel gescholtene Geschichte, dass die öffentliche Hand in der Regel das Risiko trägt, aber die Gewinne privatisiert werden. Ich finde, dieses Prinzip ist kein besonders interessantes für den Landeshaushalt.

Ich bin auch sehr bereit, ins Risiko zu gehen, aber ich denke, man darf ruhig einmal darüber nachdenken, ob man nicht, wenn es Erfolge gibt, auch am Erfolg beteiligt wird. Deswegen ist die Einbeziehung von landeseigenen Betrieben oder Betrieben mit Landesbeteiligung, Eigenbetrieben in eine solche Wertschöpfungskette, in einen solchen Masterplan Industrie vergleichsweise wichtig.

Deswegen haben wir auch diesen Änderungsantrag vorgelegt, insbesondere auch noch aus einem Grund: Es gibt in Bremen auch eine lange Tradition, sich über Konversion, also über Rüstungskonversion, Gedanken zu machen. Möglicherweise kann es auch Teil eines Masterplans Industrie sein, diesen Gedanken noch einmal wieder aufzugreifen. Ich finde es nachgerade unerträglich, dass auch in Bremen in diesem hohen Maße Rüstungsproduktion stattfindet, und wenn man also einen Plan erstellt, der Masterplan Industrie heißt, finde ich, dass konversionspolitische Zielsetzungen durchaus da hineingehören.

(Beifall bei der LINKEN)

Der zweite Punkt, auf den ich hinweisen möchte, und das gibt unglücklicherweise dieser Antrag überhaupt nicht her, der Antrag sagt: Senat, mache einen Masterplan, und dann fragen wir einmal jedes Jahr, was daraus geworden ist! In der Frage ist der Antrag ausgesprochen dünn und nicht einmal der Ansatz von Partizipation oder partizipativen Elementen, nicht einmal das Parlament ist darin. Wir haben gesagt – gefühlt ist das so ein zweistufiges Verfahren –, ich finde, wir müssen uns auch hier an dieser Stelle über Ziele, Kriterien und Analysen zu diesem Masterplan unterhalten und möglicherweise auch ein Bild machen. Wir müssen hier an dieser Stelle in diesem Hause, möglicherweise auch in den Ausschüssen, bevor man den konkreten Plan macht, sagen, wohin wir wollen, was es für Kriterien gibt, was die Ziele sind, und dass man dann in einer zweiten Stufe sagt, okay, jetzt gehen wir an die Umsetzung, jetzt machen wir die praktischen Dinge unter Einbeziehung von BIG und BIS, und wer damit sonst noch alles zu tun hat.

Die Idee, dass man jetzt beispielsweise auch Kammern fragt, das ist für mich nachgerade selbstverständlich, aber ich würde es auch wichtig finden, wenn man das dokumentiert in einem Antrag. Wenn man eine Absichtserklärung in einem Antrag ernst nehmen soll,

dann, finde ich, muss man auch so eine Form von zweistufigem Verfahren oder das Verfahren, wie man das Parlament und Ausschüsse und möglicherweise andere Gremien beteiligen will, bei der Erstellung eines solchen Masterplans schon in die Verabschiedung hineinstellen, denn so, wie der Antrag jetzt gestrickt ist, geben wir sozusagen einen Blankoscheck für den Senat, und das, finde ich, ist in diesem Hause eher unüblich, und ich glaube auch nicht, dass es beabsichtigt war. Möglicherweise muss man da mehr Sorgfalt walten lassen.

(Beifall bei der LINKEN)

Last, not least, ich bin überzeugt davon, wenn wir das so machen und auch viele in die Erstellung eines Masterplans einbeziehen, dann wird es auch ein Masterplan und kein „Bachelorplan“. – Danke!

(Beifall bei der LINKEN)