Protokoll der Sitzung vom 03.07.2008

(Abg. H i n n e r s [CDU] meldet sich zu einer Zwischenfrage. – Glocke)

Herr Staatsrat, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung des Abgeordneten Hinners?

Gern!

Bitte sehr!

Herr Staatsrat, Sie haben eben einige Bundesländer aufgezählt. Glauben Sie denn, dass in diesen Bundesländern eine ähnlich große Drogenproblematik vorhanden ist, wie wir sie hier in der Stadt Bremen haben?

Das sind natürlich Flächenländer, das mag so sein, aber bei der Einstellungspraxis geht es immer um die Fälle, die tatsächlich aufgetreten sind. Das sind die Fälle, die man hat. Diese Fälle werden insgesamt entweder eingestellt oder verfolgt. Von daher ist die Problematik, auf die sich das bezieht, gleich, das ist ganz deutlich. Da besteht kein Unterschied zwischen Flächenland und Stadtstaat, denn es geht nur um die Fälle, die aufgetreten sind, und die werden entweder sanktioniert, oder sie werden eingestellt. Da kann ich nur festhalten: Bremen liegt insoweit im unteren Mittelfeld und mehr nicht.

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Ja!

Bitte sehr!

Sinnvoll wäre es gewesen, Sie hätten Bremen mit Hamburg oder Berlin verglichen, was die Einstellungszahlen angeht. Die Staatsanwaltschaft hat natürlich bei der Beurteilung von Einstellungen – beispielsweise wegen geringer Schuld – auch darauf zu achten: Wie sensibel ist das Thema in der Stadt? Wie ist die Prävention an der Stelle – wehret den Anfängen – angesiedelt? Ich finde, wenn Sie hier jetzt schon mit Zahlen anderer Bundesländer vergleichen, dann muss die Bremer Situation eindeutig miteinbezogen werden.

Die Bremer Situation muss einbezogen werden, das ist richtig, aber beachten muss man auch, dass die Einstellungsentscheidung immer eine Entscheidung im Einzelfall ist. Das heißt, die Staatsanwaltschaft muss genau betrachten: Welche Person habe ich vor mir? Welche Möglichkeiten habe ich, hinterher zu therapieren? Da ist es auch ein Unterschied: Bremen hat ein relativ breites Therapieangebot und auch Möglichkeiten, die Sache fortzusetzen. Auch das erklärt im Grunde, dass Bremen eine besondere Situation hat.

Ich möchte gern noch auf einen zweiten Punkt eingehen. Sie haben auch gesagt, Bremen hat eine problematische Praxis, was die geringe Menge betrifft. Das war ein Hauptpunkt bei Ihrer Argumentation. Sie haben gesagt, ein Gramm Kokain, ein Gramm Heroin, das sei viel zu viel, daraus könnte man 100 Portionen bilden, und es würde den Drogenhandel fördern. Wir haben bundesweit eine völlig einheitliche Praxis, was die Einschätzung der geringen Menge bei Canabisprodukten betrifft, das sind 6 Gramm. In Bremen ist es ein Gramm bei Kokain und Heroin. Wenn wir diese Menge heruntersetzen würden, würden wir von der gesamten bundesdeutschen Praxis abweichen. Das ist nicht sinnvoll. Letztlich ist in jedem Einzelfall durch die Staatsanwaltschaft zu entscheiden, ob eine Einstellung richtig ist oder nicht.

Das Justizressort und natürlich der Senat stellt der Staatsanwaltschaft ausreichend Stellen zur Verfügung. Ein bisschen klingt in Ihrer Anfrage mit: Ist möglicherweise die Staatsanwaltschaft zu schlecht ausgestattet, und wird deshalb alles eingestellt? Das höre ich so im Unterton heraus. Darauf will ich ganz klar antworten! In Bremen ist es so, dass ein einzelner Staatsanwalt 1050 Fälle im Jahr erledigt, bundesweit 1030. Auch im Bundesvergleich zeigt sich also, dass Bremen bei der Staatsanwaltschaft eine Ausstattung hat, die dem Bundesdurchschnitt völlig entspricht.

Natürlich verfolgen wir genau, wie in der Staatsanwaltschaft einzelne Bereiche bearbeitet werden. Ich habe auch jetzt vor dieser Debatte noch einmal genau nachgefragt: Wie arbeitet denn die Abteilung 5 in der Staatsanwaltschaft, die sich nur mit Drogen beschäftigt? Da ist es so, dass die Quote der Anklagen deutlich höher ist als in diesem Durchschnitt, den wir gehabt haben, Größenordnung, Mittel, 34 bis 35 Prozent. Das sind die aktuellen Zahlen, die sich jetzt

ergeben. Letztlich ist der Punkt: Es muss im Einzelfall durch die Staatsanwaltschaft entschieden werden, ob ein Verfahren einzustellen ist oder nicht.

Ich kann mich nur dem, was hier auch schon häufig gesagt worden ist, auch von Ihnen selbst, anschließen: Wir müssen beachten, es geht hier nicht um Drogenhändler; es geht um Konsumenten, die mit kleinen Mengen verbotener Drogen umgehen. Nach wie vor ist festzuhalten: Natürlich sind der Erwerb und der Besitz geringer Mengen von Betäubungsmitteln zum Eigenverbrauch verboten und mit Strafe bedroht, das ist völlig klar, daran ändert sich überhaupt nichts. Der Paragraf 31 a des Betäubungsmittelgesetzes schafft nur die Möglichkeit, mit Augenmaß vernünftig auf jeden Einzelfall zu reagieren. Das passiert in Bremen.

Man kann natürlich darüber nachdenken, ob man die Praxis noch verschärft. Das ist erst einmal Sache der Staatsanwaltschaft. Wir haben mit der Staatsanwaltschaft eine bestimmte Praxis vereinbart, nämlich die geringe Menge auf diese Größenordnung festgesetzt. Wenn ich jetzt die Zahlen zu den Einstellungen vergleiche, ist es so, dass wir eigentlich im mittleren Bereich liegen und es nicht spektakulär ist. Es ist nicht so, dass wir ein wirkliches Vollzugsdefizit hätten.

Eines will ich noch betonen: Es gibt Stadtteile mit besonderen Kriminalitätsschwerpunkten, das wird uns auch in dem Punkt „Stopp Jugendgewalt“ beschäftigen. Wir werden unser Augenmerk ganz besonders auf diese Stadtteile richten, das ist Bremen-Nord, das ist völlig klar, das ist auch Kattenturm. Ob das Steintor und das Ostertor dazugehören, muss man genau betrachten. Wir schauen genau, wie viele Intensivtäter es in diesen Bereichen gibt, denn die sind es, die im Grunde in hoher Zahl zur Kriminalität beitragen. Dann wird auch gezielt nachgesetzt, natürlich durch das Innenressort, über die Polizei, aber in der Folge auch durch die Staatsanwaltschaft. Darauf haben wir ein sehr genaues Augenmerk.

Hier geht es im Grunde um eine andere Personengruppe, hier geht es um die Personengruppe der Menschen, die Drogen zum Eigenverbrauch in sehr geringer Menge kaufen. Da muss man sich eben überlegen, auf welche Weise man gegen diesen Personenkreis vorgehen will. Für Bremen halte ich fest: Wir haben keine spektakulär andere Situation als in anderen Bundesländern. Frau Troedel, es tut mir leid, da muss ich Sie etwas enttäuschen. Wenn der Eindruck entstanden sein sollte, dass hier alles eingestellt und nicht verfolgt wird, ist das nicht zutreffend.

(Abg. Frau T r o e d e l [DIE LINKE.]: Noch nicht!)

Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Damit ist die Aussprache geschlossen.

Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt von der Antwort des Senats, Drucksache 17/462, auf die Große Anfrage der CDU-Fraktion Kenntnis.

Sachstandsbericht zur Einführung eines Sozialtickets in Bremen

Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE vom 19. Mai 2008 (Drucksache 17/403)

D a z u

Mitteilung des Senats vom 24. Juni 2008

(Drucksache 17/465)

Dazu als Vertreter des Senats Herr Staatsrat Golasowski.

Ich gehe davon aus, Herr Staatsrat Golasowski, dass Sie die Antwort auf die Große Anfrage hier nicht mündlich wiederholen möchten, sodass wir gleich in eine Aussprache eintreten können.

Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Cakici.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass uns der Senat noch rechtzeitig vor der Sommerpause diesen Sachstandsbericht zur Einführung eines Sozialtickets in Bremen vorgelegt hat. Zwar sollte nach dem Willen des Senats die Beantwortung unserer Großen Anfrage erst in einigen Wochen erfolgen, aber aufgrund der besonderen Relevanz dieses Themas konnten wir der beantragten Fristverlängerung nicht zustimmen.

Warum? Es ist bereits zu häufig und zu lange in dieser Sache nichts passiert. Die Überweisung unseres Antrages, den wir im Oktober vergangenen Jahres an dieser Stelle debattiert haben und auch in den zuständigen Deputationen, war der blanke Hohn. Auch dort ist über unseren Antrag nicht weiter diskutiert worden. Dieses Thema ist mir, ist uns als LINKE und ist auch zahlreichen Menschen in Bremen und Bremerhaven zu wichtig, als dass man es ständig auf die lange Bank schieben kann.

(Beifall bei der LINKEN)

Aus diesem Grund bedanke ich mich ausdrücklich auch im Namen der Menschen, die schon lange und vergeblich auf die Einführung des Sozialtickets war––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

ten, bei den zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die an der vorliegenden Mitteilung in den letzten Tagen und Wochen tatkräftig mitgearbeitet haben.

Gleichzeitig bin ich aber auch enttäuscht von der dürftigen und mitunter nichtssagenden Antwort, die der Senat uns Abgeordneten hier vorlegt. Es mag ja sein, dass Prognosen über die tatsächliche Nutzung eines Sozialtickets nur sehr grob möglich sind, und es mag auch sein, dass sich die Einnahmen aus dem Sozialticket und die gegebenenfalls entstehenden Mehrkosten aus diesem Grund nicht kalkulieren lassen, aber solche Unwägbarkeiten dürfen nicht dazu führen, dass das Sozialticket hier nicht eingeführt wird.

(Zuruf des Abg. F r e h e [Bündnis 90/ Die Grünen])

Das hoffe ich, Herr Frehe!

Sicherlich sollten finanzielle Mehrbelastungen bei der BSAG sowie im bremischen Haushalt möglichst vermieden werden, aber diese Frage sollte nicht unsere Diskussion hier dominieren. Meine Damen und Herren, verehrte Mitglieder des rot-grünen Senats, in Bremen und Bremerhaven verfügen zahlreiche Menschen nur über ein geringes Einkommen. Viele von ihnen sind von Armut bedroht. Viele Menschen in Bremen und Bremerhaven gelten bereits als arm. Mehr als 100 000 Menschen im Land Bremen müssen von sozialen Leistungen leben. Jedes dritte Kind muss in Armut aufwachsen. Am häufigsten von Armut berührt sind Arbeitslose, Alleinerziehende – hier insbesondere Frauen –, Familien mit Kindern, Familien mit Migrationshintergrund und ältere Menschen, insbesondere Frauen.

Meine Damen und Herren, diese Menschen warten dringend auf die Einführung dieses Sozialtickets, um wieder ein Stück mehr in diese Gesellschaft integriert zu sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Andernfalls nimmt die soziale Spaltung weiter zu, nehmen Verarmung, soziale Marginalisierung und Perspektivlosigkeit zu. Ohne ein gezieltes und entschlossenes politisches Gegensteuern wird es immer schwieriger, diese Entwicklung aufzuhalten oder gar umzukehren. Für uns ist die Einführung des Sozialtickets ein wichtiger Schritt, um diese Entwicklungen ein Stück weit aufzuhalten.

Insofern bin ich positiv gestimmt, wenn ich lese, dass aus Sicht des Senats für die Einführung eines Sozialtickets spricht, dass es den Arbeitslosengeld-IIEmpfängerinnen und -Empfängern eine bessere Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist doch, was die Menschen in unseren beiden Städten wollen und was sie interessiert, und nicht die Frage, von wem die

Idee zur Einführung eines Sozialtickets ursprünglich stammt.

Aus diesem Grund fand ich die Debatte, die wir im Oktober vergangenen Jahres zu diesem Thema geführt haben, mehr als peinlich. Denn nun sehen wir anhand der vorliegenden Mitteilung, dass es bereits Anfang der Neunzigerjahre entsprechende Modellprojekte bei der BSAG zur Einführung von ermäßigten Monatskarten für Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger gegeben hat und dass es Runde Tische gegeben hat. Wenn dieser parteiübergreifende Konsens zur Einführung eines Sozialtickets besteht, dann lassen Sie uns alle Energien darauf verwenden, nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen, die für alle Seiten auch finanziell tragbar sind!

Ein Streit über die geistigen Urheberrechte bringt uns an dieser Stelle nicht weiter.

(Beifall bei der LINKEN)

Das interessiert die Betroffenen da draußen auch nicht. Lassen Sie sich von den positiven Beispielen aus den Kommunen inspirieren, in denen ein Sozialticket bereits erfolgreich eingeführt worden ist! Lassen Sie mich auch auf Dortmund verweisen, wo im Februar dieses Jahres ein Ticket eingeführt worden ist, das nur 15 Euro im Monat kostet! Das ist eine Zielmarke, an der wir uns orientieren sollten. Es ist nämlich im Rahmen dessen, was der Hartz-IV-Regelsatz einem Erwachsenen für dessen gesamte Mobilität zubilligt.