Protokoll der Sitzung vom 11.09.2008

Wir wollen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wir wollen, dass Angestellte und Angestelltinnen die Möglichkeit haben, sich dahin gehend weiterzubilden, dass sie auf sicheren Füßen in ihren Berufen stehen, dass sie die Zeit nicht verschlafen, dass ihr Arbeitsplatz dadurch sicherer wird und dass sie eine gesicherte Zukunft haben. Wenn dann in der Presseberichterstattung des DGB steht, die betriebliche Fortbildung sei Sache der Unternehmen, sagen wir: Was denken Sie denn, was die Unternehmen zurzeit machen? Ich nenne hier als Beispiel nur die Hafenwirtschaft oder den Windanlagenbereich. Wer qualifiziert denn da unter hohem Eigenkostenanteil? Alle, aber doch nicht die Veranstalter von Bildungsurlaub!

(Beifall bei der CDU)

Wir stimmen doch mit dem DGB vollständig überein, das braucht er doch nicht zu beklagen, wenn Sie sagen, wie wichtig Bildung für die berufliche Zukunft ist, und wir stimmen auch überein, wie wichtig Bildung für die demografische Teilnahme ist, und wir greifen mit keinem einzigen Wort die Bildungsangebote der Gewerkschaft an. Warum fühlen Sie sich eigentlich auf die Füße getreten? Wer sagt denn, dass das Bildungsangebot verringert wird, nur weil es Zeitanteile für Bildungswillige gibt? Wenn Bildungswillige mit dem Bildungsangebot wirklich etwas für ihre Zukunft erreichen können, werden sie diesen zeitlichen Anteil auch ohne Probleme einbringen, das ist unsere Meinung!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich will gern einmal ein Beispiel aus dem großen Anbieterpotenzial im Bereich Bildungsurlaubsangebote nennen! Allein im zweiten Halbjahr 2008 werden über 600 Angebote bei einem großen Bildungsträger unterbreitet, und es sind viele dabei, von denen wir sagen, dass sie zwar immer etwas mit Wissenserweiterung zu tun haben, aber mit Bildung, mit Weiterbildung haben sie gewiss nichts zu tun.

Nun gestatten Sie mir, meine Damen und Herren, dass ich die Fortsetzung erst in meinem nächsten Redebeitrag gebe! Sonst müsste ich jetzt den kommenden auseinanderreißen, weil die fünf Minuten wohl fast abgelaufen sind. Ich melde mich also gleich noch einmal wieder und setze dann hier an dieser Stelle fort!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Böschen.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Dr. Möllenstädt, Herr Nestler, zunächst freue ich mich natürlich, wie wichtig auch für Sie die Bildung ist und dass Sie darin tatsächlich ein Element für die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft sehen, aber dass im Bereich des Bildungsurlaubs nun Sport- und Freizeitveranstaltungen den Schwerpunkt bilden, wird ja auch durch Ihre permanenten Wiederholungen nicht besser.

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Die Forderung, dass sich auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer daran beteiligen, muss nicht erhoben werden, denn das tun sie sowieso, das ist Stand und Fakt.

Ich würde jetzt gern einmal auf Ihre drei Veränderungen eingehen, die Sie in Ihrem Antrag formuliert haben! Zunächst geht es darum, die Bezeichnung Bildungsurlaub zu verändern. Nun finden Sie in mir durchaus jemanden, die sehr offen ist für sensiblen Sprachgebrauch, und ich habe großes Verständnis dafür. Auch ich bin der Meinung, Sprache ist verräterisch und schafft sehr häufig Vorstellungen und Fakten, die durch das Wort allein erst einmal so gar nicht vielleicht erkennbar sind. Allerdings bin ich auch ein bisschen enttäuscht, dass Sie das Ganze wirklich nur beziehen auf das Wort Bildungsurlaub, denn in Ihrem Antrag schreiben Sie permanent von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, ohne jemals die weibliche Form zu benutzen,

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN – Unruhe bei der CDU und bei der FDP)

und das, obwohl es nun seit vielen Jahren Verordnungen und Vereinbarungen gibt, genau das zu tun, denn auch das ist wissenschaftlich erwiesen, dass Frauen sich nicht unbedingt mitgemeint fühlen, und wenn dies dann, sage ich einmal, in Ihrer sprachlichen Sensibilität auf einmal bei dem Bildungsurlaub zum Tragen kommt, will ich anerkennen, dass das der erste Schritt auf einem langen Weg zum sensiblen Sprachgebrauch ist.

Sie fordern als Nächstes eine stärkere Konzentration auf berufsrelevante Bereiche. Das lehnen wir ganz klar ab, denn im Gegensatz zur FDP und der CDU wollen wir gerade für Arbeitnehmerinnen die Teilhabe an Bildung in umfassendem Sinne. Das große „I“, Herr Ella!

Bildung ist schließlich mehr als berufliche Qualifikation. Sie soll auch politische und gesellschaftliche Teilhabe fördern und Menschen zu kritischen Auseinandersetzungen mit der Gesellschaft, ihrem Arbeitsleben und ihren Lebensbedingungen befähigen und zur Persönlichkeitsentwicklung beitragen. Wir müssen uns gerade aber vor diesem Hintergrund damit auseinandersetzen, dass gemessen an diesem Ziel die Teilnahmequote am Bildungsurlaub rückläufig und insgesamt zu niedrig ist. Deshalb hat die rot-grüne Koalition in ihrem Koalitionsvertrag auch festgeschrieben, dass die Bildungsbeteiligung erhöht werden soll und zu diesem Zwecke, falls es denn erforderlich ist, auch das Bildungsurlaubsgesetz verändert wird.

Der dritte Punkt, den Sie anführen bei einer Veränderung, bezieht sich auf die Reduzierung des Anspruchs von fünf auf drei Tage, und auch das bei einer Eigenbeteiligung der Arbeitnehmerinnen. Auch da sind wir völlig anderer Meinung. Sie wiederholen hiermit die Forderung der Arbeitgeberverbände und der Industrie- und Handelskammern und versuchen, die Weiterbildung den Qualifizierungsanforderungen der Betriebe unterzuordnen und die Belastungen einseitig den Beschäftigten aufzubürden. Wir meinen, dass berufliche Weiterbildung, die Anpassung der Qualifizierung der Beschäftigten an Erfordernisse der Wirtschaft in erster Linie, so wie Herr Nestler das auch gesagt hat, Aufgabe der Wirtschaft selbst ist, der sie bisher allerdings viel zu wenig nachkommt. Für uns ist Weiterbildung nach dem Bildungsurlaubsgesetz mehr als bloße berufliche Anpassung. Sie steht unter dem Leitbild der mündigen Bürgerinnen

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

und ermöglicht Arbeitnehmerinnen selbstbestimmtes Lernen und mehr Selbstbestimmung in der Gesellschaft und im Arbeitsleben. Daran wollen und werden wir auch in Zukunft festhalten.

Die Reduzierung des Freistellungsanspruchs oder die Kopplung an Einbringung von Erholungsurlaub wollen wir nicht, denn damit erreicht man mit Sicherheit keine höhere Bildungsbeteiligung. Ganz im Gegenteil, wir müssen doch überlegen, wie wir Anreize schaffen können, um die Motivation, sich an den Bildungsmaßnahmen zu beteiligen, zu erhöhen. Wir glauben, dass das nur im Dialog mit allen Beteiligten geschehen kann und fordern deshalb den Senat auf, einen solchen Dialog zu initiieren. Auf dieser Grundlage ist dann zu entscheiden, wie das Bremische Bildungsurlaubsgesetz zu verändern ist. Dabei ist uns allerdings wichtig, dass der auf Selbstbestim

mung und Teilhabe der Arbeitnehmerinnen gerichtete Anspruch des Bildungsurlaubs nicht angetastet wird.

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Schön.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst freue ich mich darüber, dass die FDP dazugelernt hat. Die Älteren unter uns erinnern sich vielleicht noch an die Debatte, die wir hier im Haus 2004 geführt haben. Da hat die FDP noch die komplette Abschaffung des Bildungsurlaubs gefordert,

(Abg. G ü n t h e r [SPD]: Das war der Kumpel von Herrn Ella, Herr Wedler!)

weil es ja Privatsache ist. Da freue ich mich jetzt, dass Herr Möllenstädt sich da ausdrücklich zu dem lebensbegleitenden Lernen bekannt hat und dass der Bildungsurlaub auch eine Berechtigung hat.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der LINKEN)

Die CDU ist sich an der Stelle treu geblieben. Sie hat auch 2004 in Wirklichkeit schon das gesagt, was jetzt auch in dem Antrag steht, die Hälfte Freistellung, die andere Hälfte sollen die Arbeitnehmer bezahlen, das ist das Gleiche wie damals. Wir lehnen den Antrag von der FDP und der CDU ab, weil er eine Einschränkung des Bildungsurlaubs bedeutet, und wir wollen das Gegenteil. Wir brauchen nicht weniger Bildung, sondern wir brauchen deutlich mehr Bildung, und Weiterbildung ist für uns auch nicht nur einfach Privatsache, sondern es ist eine zentrale gesellschaftliche Herausforderung, der wir uns stellen müssen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Wo ist eigentlich Ihr Antrag!)

Ich will vielleicht noch ein paar grundsätzliche Sachen zu der Situation lebensbegleitenden Lernens in Bremen und in Deutschland sagen! Es gibt da erheblichen Nachholbedarf, das sagen alle Studien der letzten Jahre und auch die aktuellen Studien. Es gibt das Lissabon-Ziel, da geht es um eine Weiterbildungsbeteiligung von gut zwölf Prozent. Wir haben hier in Deutschland gerade einmal fünf Prozent, auch Sie, Herr Röwekamp, können noch zu hören, vielleicht können Sie noch etwas dabei lernen. In Finnland

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Ich warte auf Ihren Antrag!) ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft. und in Großbritannien gibt es eine Weiterbildungsbeteiligung von über 20 Prozent, davon haben wir hier in Deutschland nur ein Drittel, also, es gibt einen erheblichen Nachholbedarf, und da wird Ihr Antrag in keiner Weise dem Problem gerecht. (Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD – Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Wir können ja auch über Ihren Antrag re- den! Wo ist der eigentlich?)

Das kommt noch!

Bildungsurlaub ist für uns ein Instrument für lebensbegleitendes Lernen, aber nicht das einzige, und deswegen finden wir auch, dass der Bildungsurlaub zu einem Gesetz für lebensbegleitendes Lernen ausgebaut werden muss und nicht beschränkt werden darf. Frau Böschen hat darauf schon hingewiesen, dass es beim Bildungsurlaub im Moment eine viel zu geringe Bildungsbeteiligung von unter fünf Prozent gibt. Wir haben da erhebliche Potenziale, und die wollen wir auch erschließen.

Die FDP und die CDU sagen, glaube ich, 50 Prozent sollen von den Arbeitnehmern selbst bezahlt werden, da kommen Sie den Arbeitgebern stark entgegen, die Bildung als Kostenfaktor betrachten. Für uns ist genau das Gegenteil der Fall, wir können diesem Gedankengang überhaupt nicht folgen. Bildung ist kein Kostenfaktor, sondern Bildung ist eine Investition in Arbeitnehmer. Gerade vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels ist es dringend notwendig, dass da investiert wird.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD – Abg. E l l a [FDP]: Frau Schön, Sie sind bei einem anderen Antrag!)

Wenn ich Ihnen vielleicht noch einmal zwei Zahlen zitieren dürfte! Es gab letztes Jahr eine IHB-Studie, die ist zu dem Ergebnis gekommen: Nur 46 Prozent der Bremer Betriebe bilden Ihre Mitarbeiter weiter, und dort auch nur ein Drittel der Belegschaft. Das heißt, nur 15 Prozent der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen werden in Bremen von ihren Betrieben weitergebildet. Das heißt doch, dass sich jeder Arbeitgeber in Bremen freuen soll, wenn die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen selbst die Initiative ergreifen, um sich weiterzubilden, davon haben auch die Betriebe selbst etwas. Wir brauchen eine Kultur des lebensbegleitenden Lernens. In den skandinavischen Ländern nehmen die Betriebe sehr viel umfassender ihre Bildungsaufgaben wahr als gerade hier in Deutschland.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Wir sind auch der Auffassung, dass es nicht einfach nur um berufliche Bildung geht. Uns ist glei

chermaßen die allgemeine und politische Bildung wichtig. Frau Böschen hat dazu schon einiges gesagt, ich will das jetzt nicht weiter hier an der Stelle wiederholen. Diesem Gedankengang, nicht von Bildungsurlaub sondern von Bildungsfreistellung zu reden, kann ich mich sehr wohl anschließen. Er ist aber auch nicht neu, da möchte ich noch einmal auf die Debatte von 2004 zurückkommen, das haben sowohl der Kollege Lemke, damals noch Bildungssenator, als auch ich schon in der Bürgerschaft gesagt, das ist nicht neu! Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist auch der Auffassung, dass man vielleicht, um mehr Bildungsbeteiligung zu erzielen, zu einer Stückelung kommen muss, denn für viele Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen ist vielleicht die Hürde geringer, wenn sie nicht gleich eine ganze Woche, sondern vielleicht nur einen Tag, zwei Tage oder drei Tage bei Erhalt des Gesamtanspruchs zum Bildungsurlaub gehen. Auch das ist kein neuer Gedankengang, auch den hatten wir schon 2004. Sowohl der Kollege Lemke, damals noch Bildungssenator, die Kollegin Ziegert als auch ich hatten das auch damals schon in der Bürgerschaft gesagt.

Zu dem dritten Punkt, private Anbieter zuzulassen, was Sie in Ihrem Antrag stehen haben, sagt auch Bündnis 90/Die Grünen, dass wir das richtig finden, weil das auch die Anbieterzahl erhöht, das erhöht auch die Auswahlmöglichkeiten für die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Das Konzept muss allerdings stimmen und auch der Zeitumfang für den Bildungsurlaub. Aber auch das ist in Wirklichkeit kein neuer Gedankengang, auch der steht bereits schon im Hamburger Bildungsurlaubsgesetz und auch im niedersächsischen.

(Glocke)

Aber der Kern – ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin! – Ihres Antrags, die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zu 50 Prozent an den Kosten zu beteiligen, ist grundfalsch, und ich glaube, das ist auch deutlich geworden: Wenn wir mehr Bildungsbeteiligung brauchen

(Zuruf von der SPD: Wem sagen Sie so etwas?)

und wir im europäischen Durchschnitt unterdurchschnittlich sind, dann geht ihr Antrag genau in die falsche Richtung, und deswegen lehnen wir ihn ab. – Herzlichen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der LINKEN)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Nitz.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Damen und Herren! Die Forderung

nach einem bezahlten Bildungsurlaub für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist noch gar nicht so alt. Sie wurde erst 1960 in die politische Diskussion eingebracht. Durch die bezahlte Freistellung von Berufsarbeit sollte die gleichberechtigte Teilnahme an lebensbegleitender Weiterbildung ermöglicht werden, und das auch noch heute. Vor allem bildungsungewohnten und in der Weiterbildung eher unterrepräsentierten Bevölkerungsgruppen ermöglicht der Bildungsurlaub überhaupt die Teilnahme an Weiterbildung,

(Zuruf des Abg. D r. B u h l e r t [FDP])

ein Anspruch, der wegen fortbestehender struktureller Ungleichheit, Herr Buhlert, in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens auch heute noch seine Gültigkeit hat! In der Weiterbildungsforschung wird dem Bildungsurlaub deshalb nach wie vor eine wichtige Impulsfunktion zugesprochen. Denn außerhalb der steigenden Anforderungen, außerhalb der technologischen Entwicklung und des täglichen Arbeitsdrucks müssen auch persönliche, berufliche und gesellschaftliche Perspektiven eröffnet werden, die weit über Anpassungsqualifizierung am Arbeitsplatz hinausgehen. DIE LINKE lehnt die ausschließliche Betrachtung von Bildungsurlaub zum Zwecke der Verwertung für den Arbeitgeber ab.

(Beifall bei der LINKEN)