Protokoll der Sitzung vom 09.10.2008

in den Bereichen brauchen. Sie sind doch derjenige, der in den sozialen Bereichen kein Geld braucht, das sagen Sie doch jedes Mal!

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Insbesondere die CDU hat während der Großen Koalition dafür gesorgt, dass die Kinder- und Jugendhilfe nur unter dem Kostenfaktor gesehen wurde. Das ist einfach so, und das vergessen Sie. Immer wieder haben die Kolleginnen und Kollegen des Sozialdienstes Junge Menschen und der Personalrat des Amtes auf Folgerisiken des rigiden Sparkurses hingewiesen, und zwar insbesondere auf den Personalabbau von über 30 Prozent und auf den hohen Spardruck im Bereich der Hilfen für Kinder und Jugendliche. Diese Bedenken und Risikomeldungen wurden von der Amtsleitung und auch senatorischen Behörde sowie von Politikern nicht ernst genommen, sondern ständig ignoriert.

Auch die Forderungen der Kolleginnen und Kollegen, wieder mehr nach fachlichen und nicht nach fiskalischen Gesichtspunkten zu entscheiden und hierzu in einen Diskurs zu treten, wurden nicht aufgegriffen. Es scheint, als musste erst ein Kind sterben, damit nun alle aufgeschreckt werden, um die Situation im Amt zu verbessern, aber auch viele wollen plötzlich alles vorher und besser gewusst haben.

Jetzt gilt es allerdings, die Situation aus fachlicher Sicht zu sehen und verantwortlich und ruhig zu analysieren, um dann die notwendigen Veränderungen einzuleiten. Vorher müssen jedoch diejenigen, die die bisherigen Einsparungen beim Personal und den wachsenden Spardruck bei den Hilfen für Kinder und Jugendliche politisch und fachpolitisch zu verantworten haben, sich fragen, und sich auch fragen lassen, ob jetzt eine Umkehr vom bisherigen Weg erforderlich ist, und dann auch entsprechend handeln. Diejenigen, die nicht aufhören zu beklagen, dass der öffentliche Dienst zu teuer ist, dass zu viel Geld, auch besonders für Kinder und Jugendliche, ausgegeben wird, müssen sich fragen lassen, welche Verantwortung sie für diesen Bereich tragen, und die jetzt sichtbar gewordene Situation des Jugendamtes in Bremen sehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Fragen lassen sich nicht einfach mit dem Hinweis auf die baldige Einführung der elektronischen Fallakte beantworten, denn damit lassen sich weder die aufgerissenen finanziellen Löcher stopfen, noch können damit die vorgenannten Mängel nachhaltig behoben werden. Das ist zumindest der einhellige Tenor jener Menschen, die mit dieser Akte arbeiten müssen.

Darüber hinaus geht auch die Forderung nach Zwang zur Fortbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an der Realität vorbei. Viele der engagier

ten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Jugendamt würden sich nur zu gern weiterbilden, um den vernachlässigten Kindern dieser Stadt zu helfen. Aber nur zwölf Euro, ich wiederhole, zwölf Euro für Kolleginnen und Kollegen zur Fortbildung zur Verfügung zu stellen, das kann nur ein Witz sein, und zwar ein ganz schlechter,

(Beifall bei der LINKEN, bei der CDU und bei der FDP)

ganz zu schweigen von der nach wie vor bestehenden chronischen personellen Unterversorgung, die eine Wahrnehmung entsprechender Angebote faktisch unmöglich macht. Zusammen genommen müssten wir uns also dafür einsetzen, dass zum einen die Kolleginnen und Kollegen unter verantwortbaren und erträglichen Arbeitsbedingungen ihrer hohen Verantwortung gerecht werden können. Zum anderen müssen wir dafür sorgen, dass die Kinder- und Jugendhilfe derart konzeptionell ausgerichtet wird, dass damit die Sicherung des Kindeswohles gewährleistet werden kann.

Angesichts dieser beiden zentralen Zielsetzungen ist für meine Fraktion entscheidend, was der Senat in dieser Angelegenheit seit dem Schicksal des kleinen Kevin unternommen hat und auch noch weiter unternehmen wird. So haben wir beispielsweise sehr positiv zur Kenntnis genommen, dass die finanziellen Beschränkungen in diesem Jahr ganz offensichtlich weniger rigide sind. Wir begrüßen auch ausdrücklich, dass Bremens Kinder- und Jugendschutz durch die dringend notwendige Einstellung von 20 neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern personell gestärkt werden soll. Allerdings ist die unhaltbare Situation und die Lage im Jugendamt spätestens seit dem Frühjahr bekannt.

Aufgrund der viel zu hohen Arbeitsbelastung kritisierten zahlreiche Kolleginnen und Kollegen das Erfordernis, viele Überstunden machen zu müssen, obwohl sie gleichzeitig hören, dass sie keine Überstunden machen sollen, die stetig steigende Arbeitsverdichtung mit der Folge häufiger Krankheitsausfälle, das Verfahren bei nicht besetzten Stellen – frei werdende Stellen werden nämlich erst nach Monaten besetzt – , den permanenten Zeitmangel, der die Erfüllung fachlicher Weisungen teilweise unmöglich macht, wie zum Beispiel die Aktenführung. Die unzumutbare Erhöhung des Arbeitsvolumens und der Arbeitsdichte ist auf zusätzliche Aufgaben, wie zum Beispiel vermehrte Hausbesuche und Notruf- und Bereitschaftsdienste, zurückzuführen. Trotz des hohen Engagements der Kolleginnen und Kollegen ist die Personalausstattung viel zu gering, um diese wichtigen Aufgaben angemessen zu erfüllen und die Fälle zeitnah und strukturiert bearbeiten zu können.

(Beifall bei der LINKEN)

Eine arbeitswissenschaftliche Untersuchung hat ergeben, dass eine bessere personelle Ausstattung zwingend notwendig ist. Mit den vorgenommenen Einstellungen wurden nur Personaleinsparungen der Vergangenheit kompensiert, nicht aber die Qualität der Dienstleistungen verbessert. Gleichzeitig bemühen sich aber nach wie vor vermehrt Kolleginnen und Kollegen um Versetzungen in andere Bereiche, wodurch auch Fachwissen durch Wegfall der erfahrenen Kolleginnen und Kollegen verloren geht.

Auch vor diesem Hintergrund reichte DIE LINKE bei den Haushaltsberatungen Anfang dieses Jahres einen Änderungsantrag ein, der im Jugendamt 20 neue Stellen für Casemanagerinnen und -manager geschaffen hätte. Damals ist er mit den Stimmen der Koalition abgelehnt worden, aber heute kommt die Sozialsenatorin aufgrund der gestiegenen Nöte nicht umhin, diesen Vorschlag umzusetzen. Dass diese Einstellungen nicht ad hoc durchgeführt werden können, verstehen wir selbstverständlich, schließlich erfordert die Suche und Einstellung von qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Zeit. Was wir aber nicht verstehen, ist die Tatsache, dass erst für sieben neue Stellen die Finanzierung gesichert ist. Die fehlende Finanzierung der anderen 13 Stellen muss umgehend geklärt werden, und auch die Befristungen auf Ende 2009 müssen für alle Kolleginnen und Kollegen aufgehoben werden, da sie für alle Beteiligten untragbar sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Bis auf diese Kritikpunkte stimmen wir den vom Sozialressort geplanten und den bereits realisierten Maßnahmen aber ausdrücklich zu. Wir begrüßen das kommunale Kinder- und Jugendschutztelefon, einen aufsuchenden Hintergrund- und Krisendienst, eine Weiterentwicklung der Arbeit im ambulanten Sozialdienst Junge Menschen, die dargelegten Präventionsmaßnahmen, wie den Ausbau des familienbegleitenden Hebammenprogramms beim Gesundheitsamt, für dessen Ausweitung wir uns im Übrigen ebenfalls bei den Haushaltsberatungen explizit ausgesprochen haben. Dass wir diese Schritte für wichtig halten, haben wir auch in den entsprechenden Gremien bereits deutlich gemacht. Sowohl im Jugendhilfeausschuss als auch in der Sozialdeputation haben wir keine grundsätzlichen Vorbehalte gegen diese Maßnahmen geäußert.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten uns aber auch bewusst sein, dass durch diese Einzelmaßnahmen die grundsätzlichen Probleme in der Kinderund Jugendhilfe nicht gelöst werden können. Viel wichtiger als einzelne Maßnahmen oder Instrumente ist es doch, die eigentliche Zielsetzung nicht aus den Augen zu verlieren: die Sicherung des Kindeswohls. Aus diesem Grund ist es aus Sicht meiner Fraktion nicht nur erforderlich, die unverantwortlichen Personaleinsparungen der letzten Jahre zurück

zunehmen, sondern auch den Einspardruck auf die Kolleginnen und Kollegen des Jugendamtes aufzuheben. Wir brauchen eine Stärkung der fachlichen Kriterien in der Aufgabenwahrnehmung. Für Kinder und Jugendliche muss ausreichend Geld zur Verfügung gestellt werden. Das ist gesetzliche, staatliche und auch moralische Verpflichtung, denn Kinder und Jugendliche haben keine Lobby, die ihre Interessen vertreten kann.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir müssen die unverantwortliche Bürokratisierung im Jugendamt bekämpfen, und schließlich brauchen die Kolleginnen und Kollegen ausreichende Wertschätzung, Rückenstärkung und Unterstützung durch Politik, Ressort und Amtsleitung für ihre äußerst schwierige und risikoreiche Tätigkeit. Um sich aber in der Kinder- und Jugendhilfe nicht in Einzelmaßnahmen zu verlieren, soll der Senat diese in eine Gesamtkonzeption einbinden und dabei sein Augenmerk auf die Präventionsarbeit richten, aber das ist meiner Ansicht nach leider noch nicht ausreichend der Fall.

(Beifall bei der LINKEN)

Die rot-grüne Koalition ist mit dem Ziel angetreten, die soziale Spaltung der Stadt zu bekämpfen, nur leider musste nicht nur ich feststellen, dass das nicht selbstverständlich ist, die Existenz sozialer Problemlagen – und hierzu gehört ganz sicherlich auch die Situation in der Kinder- und Jugendhilfe – politisch einzugestehen. Auch an der notwendigen Unterstützung bei den Kindern und Jugendlichen und auch ihren Eltern vor Ort lässt sich einiges verbessern.

Anstelle der bedingungslosen Einführung der elektronischen Fallakte plädieren wir für eine deutliche Aufwertung und Entgettoisierung der Stadtteile mit besonderen Problemlagen, wie hoher Erwerbslosenzahl und damit einhergehender Armut. Wer täglich um seine Existenz bangen muss, hat wenig Kraft, seine Rechte an gesellschaftlicher Teilhabe zu erkämpfen. Das betrifft Kinder in ganz besonderem Maße. Deshalb müssen wir ihnen die Möglichkeit geben, sich in Kindergärten, mit kleinen Gruppen, in der Ganztagsschule, auf dem Spielplatz um die Ecke, im Jugendfreizeitheim oder in Sportvereinen zu verabreden und miteinander zu spielen. Diese Angebote müssen Kinder unabhängig vom Wohnort und vom Einkommen ihrer Eltern wahrnehmen können.

Von mir noch soviel: Wenn wir es heute nicht schaffen, in die Zukunft unserer Gesellschaft zu investieren, werden wir es mit Folgekosten zu tun haben, die kaum noch zu begleichen sind.

Noch einmal ein Wort zur CDU: Den meisten von uns ist das Heft hier ja bekannt, ich muss sagen, das hier ist das einzige, was Sie bisher machen. Statt solche billigen Magazine zu drucken, sollten Sie lieber einmal kreativer mitarbeiten, sich mit den Leuten im

Amt unterhalten und ernsthaft helfen. Ich muss sagen, wenn es darum geht, hier einzelne Personen durch die Stadt zu jagen, sind Sie immer die Ersten, die dabei sind, aber wenn es darum geht, irgendwie mit anzupacken, sind Sie die Letzten, die mitmachen. Das ist scheinheilig,

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

das ist niveaulos, das ist keine Politik. Ich persönlich werde hier nie eine persönliche Geschichte mit unterstützen, bei der man einfach einzelne Personen durchs Dorf treibt, das ist einfach unzumutbar, damit helfen wir keinem, und wir machen uns als Politikerinnen und Politiker unglaubwürdig. – Danke!

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Tittmann.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach Ihrer Rede eben zu urteilen, könnte man der Meinung sein, wir hätten schon eine rot-blutrot-grüne Koalition, aber das dauert wohl noch ein bisschen. Ich kann es kurz machen, es ist schon fast alles gesagt worden, und wir müssen die Debatte nicht unnötig nach Ihrem altbekannten Motto „Eigentlich ist schon ja schon alles gesagt worden, nur noch nicht von mir“ verlängern.

(Abg. D r. B u h l e r t [FDP]: Dann setzen Sie sich doch wieder hin!)

Ich werde dem Dringlichkeitsantrag zur Mißbilligung der Wahrnehmung der Verantwortung von Frau Senatorin Rosenkötter selbstverständlich zustimmen, da ich der Meinung bin, dass sich nach dem schrecklichen Fall Kevin unter der nachfolgenden Senatorin Frau Rosenkötter nicht viel oder fast gar nichts geändert hat. Das zeugt eindeutig von mangelnder Fachkompetenz

(Abg. Frau B u s c h [SPD]: Dafür sind Sie ja auch der Richtige, der das beurteilen kann!)

und vielleicht von fehlendem Verantwortungsbewusstsein. Die altbekannten Missstände sind unter der Verantwortung von Frau Senatorin Rosenkötter meines Erachtens immer noch nicht beseitigt worden, zum Beispiel – das wurde hier schon erwähnt – ist die dringend notwendige elektronische Aktenführung immer noch nicht eingeführt worden, und die personelle Verstärkung ist nicht ausreichend. Seit fast zwei Jahren sind also dringend erforderliche notwendige Forderungen des Untersuchungsausschusses immer noch nicht einmal ansatzweise umgesetzt wor

den, eine Weiterbildung und eine dringend erforderliche Nachschulung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind immer noch nicht effektiv genug und schon gar nicht ausreichend.

Frau Senatorin Rosenkötter, das sage ich hier in aller Deutlichkeit, Sie haben eine mangelnde Führungsqualität, oder besser gesagt, Sie besitzen überhaupt keine Führungsqualifikation, denn so lange – fast zwei Jahre ist es nun schon her – darf es wirklich nicht dauern, bis endlich die Empfehlungen des Untersuchungsausschusses umgesetzt werden. Dafür trägt Frau Senatorin Rosenkötter die Verantwortung. Darüber hinaus sind wir uns alle wohl einig, dass sich ein so schrecklicher Vorfall wie der Fall Kevin nie mehr wiederholen darf. Das aber bedarf einer verantwortlichen politischen Persönlichkeit mit Fachwissen und qualitativer Führungsstärke und mit sehr hohem Verantwortungsbewusstsein und Fachkompetenz. Diese dringend erforderlichen Eigenschaften besitzt Frau Senatorin Rosenkötter meines Erachtens nicht.

Darum, Frau Senatorin Rosenkötter, treten Sie hier und heute freiwillig zurück, um weiteren Schaden abzuwenden! Sie sind Ihren Aufgaben zum größten Teil nicht gewachsen. Dem Antrag werde ich selbstverständlich zustimmen! – Ich danke Ihnen!

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Möhle.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich am Anfang ein paar ganz persönliche Worte sagen. Die Arbeit in dem Untersuchungsausschuss hat mich damals sehr betroffen gemacht, hat meinen Blick auf das, was man Sozialpolitik nennt, deutlich und auch nachhaltig geändert. Ich habe seitdem den Satz einer Zeugenaussage immer wieder im Kopf, der besagt, der kleine Kevin hatte keinen Muskeltonus, war entwicklungsverzögert und weinte ohne Tränen. Das macht ein bisschen deutlich, womit man es in diesem Fall konkret zu tun hatte. Es ging nämlich um die kleine Person, den kleinen Menschen Kevin, es geht nicht um politischen Klamauk. Dieser kleine Kevin ist zu Tode gekommen, obwohl er unter Amtsvormundschaft stand. Amtsvormundschaft bedeutet, an Eltern statt übernimmt der Staat die Verantwortung für das Kind, und dieser Verantwortung ist der Staat nicht gerecht geworden. Deshalb war es richtig, seinerzeit einen Untersuchungsausschuss einzurichten. Deshalb war es richtig, die ganzen Stationen des Lebens dieser kleinen Person nachzuvollziehen.

Senator Mäurer war der erste, der den Bericht erstattet hat, relativ schnell, relativ zügig, und schon in dem Bericht konnte man mit Schrecken feststellen, wie wenig die einzelnen Teile ineinander griffen, wie wenig es funktioniert hat, dass zum Beispiel ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

der Casemanager mit den Krankenhäusern, mit den Ärzten, mit allen zuständigen Hilfsinstanzen zusammengearbeitet hat. Der Casemanager ganz persönlich, aus meiner Sicht ist es vielleicht dramatisch, hat im Grunde die Kommunikationskette komplett zerstört und durchbrochen. Eigentlich konnte man sich im Nachhinein an jeder Stelle des Lebens des kleinen Kevin fragen, warum an dieser Stelle eigentlich niemand eingegriffen hat. Es ist mir beim Lesen des ersten Berichts von Herrn Senator Mäurer schon so gegangen, dass ich ratlos davorstand und gefragt habe: Wieso nicht?

Es gab einen Ärztebericht der Klinik, darin stand, sechs Knochenbrüche, darin stand, dass der Junge vermutlich misshandelt wurde. Das war klar, es war bekannt, und trotzdem ist dieser kleine Junge seinem Ziehvater zurückgegeben worden. Das sind erschreckende Dinge gewesen. Wir haben durch die ganze Zeit des Untersuchungsausschusses – das will ich an dieser Stelle hier auch noch einmal sagen – der Versuchung widerstanden, parteipolitische Profilierung auf Kosten dieses Kindes zu betreiben. Wir haben versucht, ganz ernsthaft, sachlich und auch aufklärungsorientiert herauszufinden, wo die Fehler lagen. Ich rate uns allen hier im Haus, an dieser Linie festzuhalten.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Für mich selbst – das kann ich deutlich sagen – gibt es ein paar Sätze von Zeugen, die mich umgehauen haben. Ich führe einmal ein paar Zitate an. Ein Zitat der Sozialzentrumsleiterin war: „Ich bin von einem Junkie über den Tisch gezogen worden.“ Darüber muss man nachdenken. Wie kann es sein, dass jemand, der in dem Bereich arbeitet, am Ende sagt, ich bin von einem Junkie über den Tisch gezogen worden? Das weiß jeder Laie, da brauche ich null sozialfachliche Kenntnis zu haben, um zu wissen, dass man Junkies nicht trauen darf, sondern dass man sehr genau kontrollieren muss.

Der nächste Satz, den ich auch zitieren will, ist, auf die Frage – ich bin mir nicht mehr ganz sicher, ob das der Kollege Pflugradt gefragt hat –, ob das denn kontrolliert worden sei, kam von einem Drogenberater die Aussage: „Nein, Kontrolle mögen die nicht!“ Das ist für mich fachlich nicht in Ordnung, und das sind Dinge, die wir in dem Untersuchungsausschuss herausgefunden haben, aufgeklärt haben, und dann haben wir einen Bericht erstellt und gemeinsam beschlossen. So gesehen, Frau Dr. Mohr-Lüllmann, habe ich mit dem Zitat, das Sie von mir gebracht haben, überhaupt kein Problem. Ich glaube, jede Regierung muss sich daran messen lassen, wie sie mit den kleinsten Menschen ihrer Gesellschaft umgeht.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der LINKEN)

Ich hatte meine Rede ein bisschen anders vorbereitet, muss aber sagen, im Laufe dieser Debatte möchte ich doch eine andere Rede halten, als ich mir das ursprünglich gedacht habe, weil ich glaube, dass es wesentlich und wichtig ist, dass wir schauen, wie es eigentlich weitergeht in dem Bereich.

Wenn ich die Zahl höre, circa 600 Inobhutnahmen in diesem Jahr, muss man sich das einmal vorstellen: Das sind 600 kleine Menschen, die in Familien leben, die nicht in der Lage sind, mit den Kindern richtig umzugehen, 600 Fälle, die bekannt sind! Ich will gar nicht von der Dunkelziffer reden, von der man überhaupt keine Ahnung hat.

(Abg. D r. B u h l e r t [FDP]: Darüber reden wir auch!)