Protokoll der Sitzung vom 10.12.2008

Die gemeinsame Beratung ist eröffnet.

Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Cakici.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die persönliche Debatte um das Sozialressort wurde hier schon zur Genüge geführt. Damals haben wir uns an den Schmutzkampagnen nicht beteiligt. Trotzdem sehen wir natürlich, dass im Sozialressort nicht alles stimmen kann. Wir hatten viele Missstände auf der Tagesordnung. Unsere Erfahrungen nach eineinhalb Jahren zeigen, dass die senatorische Behörde nicht allen Aufgaben gerecht werden kann. Unter diesen Umständen kann man sich nicht zurücklehnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, nein, man muss sich überlegen, wie man in Zukunft auf Probleme besser reagieren kann.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir möchten die Debatte in eine andere Richtung lenken, und zwar weg von der persönlichen Ebene hin zu einer sachgerechten und ergebnisorientierten Debatte. Was wir wollen, ist die Überprüfung des aktuellen Zuschnitts des Sozialressorts. Wir geben hier ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

bewusst keine Empfehlung ab, sondern warten ab, welchen Vorschlag uns der Senat machen wird.

(Abg. D r. B u h l e r t [FDP]: Sie fragen die Frösche!)

Oberste Priorität muss dabei die Lösung der Missstände in dem Bereich des Sozialressorts sein, mit denen sich fünf unserer sieben Abgeordneten befassen. Ich kann aus persönlicher Erfahrung sagen, wie viel Arbeit das ist. Das Sozialressort ist das Sorgenkind im Senat und steht am häufigsten in der öffentlichen Kritik, und zwar zu Recht. Zu viel läuft immer noch schief, angefangen beim Klinikgau über den Reparaturbetrieb in der Kinder- und Jugendhilfe bis hin zur Baustelle Kindertagesbetreuung.

Wir sind zu der Überzeugung gekommen, dass nun die Struktur und der Zuschnitt des Sozialressorts überprüft werden müssen. Das ist längst fällig, denn wir haben den Eindruck gewonnen, dass dem Ressort die Schäfchen davonlaufen, und das Ressort rennt hinterher. Die Kontroll- und Steuerungsmöglichkeiten sind extrem gering. Meistens wird erst auf Probleme angemessen reagiert, wenn diese schon eskaliert sind. Nicht in wenigen Fällen musste erst die Opposition auf die Barrikaden gehen, bevor überhaupt etwas passiert ist. Zwar ist die Opposition eine parlamentarische Kontrollinstanz, und wir treiben Sie auch gern vor uns her, aber die Vorstellung macht uns Angst, dass das Ressort mit der größten sozialen Verantwortung nicht angemessen auf Probleme reagieren kann.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Größe dieses Mammutressorts verhindert Handlungsspielräume gerade in den Bereichen, in denen es besonders nötig ist. Als sozialpolitische Sprecherin muss ich mit ansehen, wie ein völliges Fehlmanagement in der Kindertagesbetreuung stattfindet.

(Zuruf der Abg. Frau G a r l i n g [SPD])

Doch, doch, darauf komme ich noch einmal zurück! Nicht nur Probleme bei der Bezahlung von Tagesmüttern, sondern auch rechtliche Umstellungen wurden zu spät gesehen. Frau Garling, Sie wissen ganz genau: Das ist nicht nur für die Betroffenen frustrierend, es wirkt auch abschreckend, liebe Kolleginnen und Kollegen, und es wird sicher nicht die nötigen Fachkräfte nach Bremen locken. Präventive Ansätze haben im Bereich Junge Menschen und Familie immer noch letzte Priorität. So wurde die Kürzung der Mittel einiger Jugendfreizeiteinrichtungen erst gestoppt, als das Sozialressort öffentlich unter Druck gesetzt wurde, dass es zurückrudern musste. Auch Flüchtlinge, besonders die jungen, gehören zu den Stiefkindern des Sozialressorts und werden systema

tisch vernachlässigt. Den Grund kann ich Ihnen sagen: Nur wer am lautesten schreit, wird gehört!

Aber gerade ein Ressort für Soziales muss auch ein offenes Ohr für die leisen und unhörbaren Beschwerden von denen haben, die nicht über eine Interessenvertretung oder die entsprechenden Kontakte verfügen. Das ist offenbar im derzeitigen Sozialressort nicht zu leisten. Ich habe schon in vergangenen Reden betont, wie wichtig die sozialräumliche Orientierung in den Quartieren für ein umfassendes Konzept in der Kinder- und Jugendhilfe ist, aber auch in der allgemeinen Sozialarbeit. Genau hier liegt das Problem: Es fehlt an Kommunikation, Kooperation und Koordination im sozialen Bereich. Zwar gibt es einzelne Stadtteile, die hier ganz klar herausgenommen werden müssen, aber auch dort läuft das alles nur so gut, weil sehr engagierte Menschen vor Ort sind.

Kindertagesstätte Pfälzer Weg zum Beispiel: Dort findet unter einem Dach Platz, was es sonst in ganzen Stadtteilen nicht gibt. Dort wird neben der Kinderbetreuung Gesundheitsberatung angeboten, es wird Raum geboten für migrantische Frauengruppen, die sich dort für kreative Freizeitgestaltung organisieren, und es ist eine Anlaufstelle für die Anwohner. Gerade in Tenever ist das ziemlich wichtig, genauso wie in anderen Brennpunkten. Dieser niedrigschwellige und sozialräumliche Ansatz ist genauso unkompliziert wie effizient und sollte sich in allen Stadtteilen etablieren.

Ich denke, modernes Stadtmanagement gehört in die Richtung. Auch hier ist die senatorische Behörde gefragt, die entsprechenden Strukturen zu schaffen und durch Schnittpunkte mit der öffentlichen Verwaltung zu fördern. Allerdings hat das mit der Kindertagesstätte in Tenever auch fünf Jahre gedauert, denn durch den Brand wurden die Räumlichkeiten erst fünf Jahre später zur Verfügung gestellt. Das zeigt einmal mehr die Unfähigkeit der senatorischen Behörde, zeitnah auf dringende Probleme einzugehen. Bei Missständen, gerade in sogenannten sozialen Brennpunkten, muss schneller reagiert werden!

Auch beim Thema Sozialticket, das sogar in Ihrer Koalitionsvereinbarung festgeschrieben ist, lassen sich keine Fortschritte erkennen. Da müssen wir Sie wieder an Ihre selbst ernannten und selbst auferlegten Verpflichtungen erinnern und sicherstellen, dass Sie auch das tun, was Sie den Bürgerinnen und Bürgern versprochen haben.

Der Zuschnitt des Sozialressorts muss aus den Gründen überprüft werden, und zwar ergebnisoffen. Einziges Ziel muss dabei die Optimierung sein und die Handlungs- und Steuerungsfähigkeit in allen Bereichen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das jetzige Sozialressort ist nur mit verkrusteten Strukturen vorhanden und nicht anders. Das Ressort darf nicht mehr den Eindruck erwecken, es sei ein

steuerloses Schiff auf hoher See, das jederzeit kentern könnte.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie schulden es allen Kindern im Land Bremen, auf ihre Bedürfnisse schnell einzugehen, Sie schulden es den Kranken, sich auf eine funktionierende Gesundheitsversorgung verlassen zu können, und Sie schulden es denjenigen, die wichtige, soziale Aufgaben in unserer Gesellschaft übernehmen, sich darauf verlassen zu können, dass sie be- und entlohnt werden können. Das Sozialressort hat ja außer seiner gesellschaftlichen Verantwortung auch eine Verantwortung nach innen. Ich sehe hier nicht, dass sich die Arbeitsbelastung, die mit einer angespannten Personalsituation zusammenhängt, gravierend verbessert hat. Schon geplante Stellenbesetzungen gehen mir eindeutig zu langsam voran. Hier hat die Senatorin auch eine Verantwortung für die Beschäftigten.

Wenn sie das Gefühl haben, völlig überlastet zu sein, dann kann das nur zu Frustration, Krankheit und Demotivation führen. Man muss aber auch intern dafür sorgen, dass eine gewisse Flexibilität besteht, sodass bei langfristigem Ausfall eine Vertretung bereitgestellt werden kann. Das hat man auch an den unterlassenen Zahlungen der Tagesmütter gesehen. Zwei Sozialzentren wurden einfach alleingelassen mit ihrem Personalmangel. Auch hier war die wirtschaftliche Jugendhilfe betroffen, die den Zahlungsfluss für soziale Leistungen abwickelt. Durch solche Planungsdefizite können menschliche Tragödien entstehen, die eine völlig andere Dimension erreichen.

(Beifall bei der LINKEN)

Darum muss die senatorische Behörde mit den ihr zugeordneten Ämtern und Institutionen nicht nur auf ihre Handlungsmöglichkeit nach außen, sondern auch nach innen hin überprüft werden. Wir wollen hier im Gegensatz zu den persönlichen Schlammschlachten der Vergangenheit eine sinnvolle Debatte anregen, das ist uns ganz wichtig. Dass andere Fraktionen auf den Zug aufspringen, ehrt uns sehr, es zeigt, dass unser Ansatz genau richtig ist, und dass die FDP unsere Worte in den Mund des Bürgermeisters legt, kann auch nur ein gutes Zeichen sein. In diesem Fall übersehen wir das Copyright einmal und ermöglichen einmal allen Trittbrettfahrern mitzufahren und auf den Zug aufzuspringen.

Ich denke aber, die FDP ist mit ihrem Antrag einfach über das Ziel hinausgeschossen. Es muss erst einmal überprüft werden – das ist ganz wichtig –, ob eine Umstrukturierung sinnvoll gestaltet werden kann, bevor man hier vorschnelle Entscheidungen trifft. Der Antrag der CDU, der ja ein Dringlichkeitsantrag war, hat mich ein bisschen überrascht. Wir haben uns dagegen ausgesprochen, die Art der Umstrukturierung vorzugeben, bevor eine Prüfung überhaupt stattgefunden hat. Der Sozialbereich war lange genug Reparaturbetrieb unter Sparzwang, wir müssen damit

aufhören, immer alles nur durch die Sparbrille zu sehen. Hier geht es um wichtige Menschen, es geht auch darum, die Handlungsfähigkeit in allen Bereichen sicherzustellen und um nichts anderes!

Wir erwarten von der Regierung, den Zuschnitt ernsthaft und ergebnisoffen zu prüfen und der Bürgerschaft anschließend zu berichten. Über die Art der Umstrukturierung sollten wir dann auf der Basis der Ergebnisse der Prüfung debattieren und jetzt nicht eine Luftdebatte führen. Außerdem erwarten wir, dass noch in dieser Legislaturperiode etwas passiert und Sie sich nicht darauf verlassen, bis wir an der Umstrukturierung selbst beteiligt sind, denn auch, wenn wir uns schon darauf freuen, in dieser Stadt Regierungsverantwortung zu übernehmen, müssen die Probleme jetzt angepackt werden! – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der LINKEN)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. Buhlert.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Im vergangenen Monat haben wir hier über den Misstrauensantrag gegen Senatorin Rosenkötter gesprochen. In der Debatte hat Bürgermeister Böhrnsen von einem Mammutressort gesprochen. Er hat die Handlungs- und Steuerungsfähigkeit des Riesenressorts in Zweifel gezogen. Er hat gefragt, ob wir uns nicht einmal alle überlegen sollten, ob und wie wir Ressortzuschnitte schaffen, die auch mit einem menschenmöglichen Pensum möglichst gut bewältigt werden können.

Damit hat der Bürgermeister die richtige Frage gestellt! Eine Frage, die jetzt und nicht erst in der nächsten Legislatur beantwortet werden muss, und Bürgermeister Böhrnsen hat die Frage auch nicht erst zur Wiedervorlage 2011 gestellt, wie der Sprecher des Senats glauben machen wollte. Denn das war sicher die Intention des Spin-Doctors, als er dazu mit Medien, wie den „Bremer Nachrichten“, sprach, was nachgelesen werden kann.

In der Debatte zum Misstrauensantrag hat mein Fraktionskollege Dr. Möllenstädt deutlich gemacht, dass es im Arbeits-, Gesundheits-, Frauen-, Jugendund Sozialressort an allen Ecken und Enden brennt, lichterloh, hat er, glaube ich, dazu gesagt: Kliniken, das ist hier gestern und heute mehr als deutlich geworden, Kindeswohl, Ausbau der frühkindlichen Bildung – mehr will ich hier an Stichworten gar nicht nennen. Wenn so ein Brandherd dann vermeintlich gelöscht ist, müssen sich die Verantwortlichen dem nächsten zuwenden, der spätestens zu diesem Zeitpunkt mit schöner Regelmäßigkeit wieder ausbricht.

Um bei diesem Bild zu bleiben: Glutnester bleiben, Brandwachen werden nicht gestellt, Gefahr droht

weiter, Abhilfe ist aus unserer Sicht dringend überfällig.

(Beifall bei der FDP)

Es ist Zeit zu handeln, meine verehrten Damen und Herren von der Koalition! Wir von der FDP können ja nachvollziehen, dass die Frage des Bürgermeisters im November nötig gewesen sein könnte, um bei etlichen Koalitionären die Hoffnung auf Beförderung zu wecken und Solidarität einzufordern.

(Beifall bei der FDP)

Doch die Frage der gedeihlichen Ressortgröße ist zu ernst, als dass sie im Raum stehen bleiben darf. Es war ja keine rhetorische Frage, die Bürgermeister Böhrnsen gestellt hat, sondern eine ernst zu nehmende Frage von ihm.

Liebe Kolleginnen und Kollegen aus den Regierungsfraktionen, zeigen Sie doch, dass Sie die Frage Ihres Bürgermeisters ernst nehmen, und ändern Sie den Ressortzuschnitt! Als FDP geben wir eine Antwort: frühkindliche Bildung zu Bildung. Dies vermeidet Reibungsverluste, die unheilige Konkurrenz zwischen Horten, pädagogischen Mittagstischen und Ganztagsschulen würde beispielsweise so schneller eindeutig zugunsten der Ganztagsschulen entschieden werden können.

Streitigkeiten, wie die um die überfällige Verbesserung und Verbreitung der Sprachförderung, hätten sicher so schneller und einfacher gelöst werden können. Bremen sollte hier den Weg anderer Bundesländer gehen: mehr Verantwortung für das Bildungsressort.

(Beifall bei der FDP)

Wir als FDP haben in unserem Wahlprogramm gefordert, die Zuständigkeiten für Kindergärten auf die Bildungsbehörde zu übertragen.

(Abg. G ü n t h n e r [SPD]: Da waren Sie ja auch noch Spitzenkandidat!)

Die CDU hat in ihr Programm geschrieben: „Kinderbetreuung zum Bildungsressorts“, Bündnis 90/Die Grünen hat in seinem Wahlprogramm festgehalten: „Wir wollen die Kindergärten in das Bremer Bildungssystem integrieren.“ Wir als Liberale sagen, es gibt gute Gründe, die Zuständigkeiten zu ändern, auch über die Überlastung des Sozial-, Gesundheits- und Jugendressorts hinaus. Wir fordern Sie alle, insbesondere die Sozialdemokraten, auf, den Weg dafür freizumachen.

DIE LINKE sieht das Problem, verzichtet allerdings – wie wir gehört haben bewusst – auf Lösungsvorschläge. Stattdessen fordert sie eine Prüfung durch den Senat. Wir von der FDP sehen das nicht als nö

tig und zielführend an. Immerhin hat sich diese Koalition in ihrer Koalitionsvereinbarung darauf verständigt, die Brandherde unter einem Dach zusammenzutragen. Sie haben sicher Verständnis dafür, dass wir Ihrem Antrag nicht zustimmen. Wir fragen nicht die Frösche, wie der Sumpf trockengelegt werden kann!

(Beifall bei der FDP)

Die CDU fordert die Verlegung des Bereichs des Arbeitsressorts in das Wirtschaftsressort. Dem können wir Freidemokraten etwas abgewinnen, dem stimmen wir zu! Diese Veränderung wird sicher einen Perspektivwechsel, einen Paradigmenwechsel und sicher einen Wechsel der Schwerpunkte und Arbeitsweise erfordern, doch dies ist aus unserer Sicht auch sinnvoll und angezeigt. Im Wirtschaftsressort besteht die Kompetenz zum Einsatz von EU-Mitteln für die Menschen in Bremen und Bremerhaven. Sicher kann es auch nicht schaden, wenn das Ressort, das die Wirtschaftsförderung verantwortet, auch für die nötige und erforderliche Qualifizierung von Arbeitsuchenden zuständig ist. Kurzum, die FDP sagt Ja zu der Forderung: Arbeit zu Wirtschaft!