Protokoll der Sitzung vom 18.02.2009

Chancengleichheit herstellen – Bildungsbenachteiligung von Jungen und jungen Männern bekämpfen!

Antrag der Fraktion der FDP vom 14. Januar 2009 (Drucksache 17/664)

Dazu als Vertreterinnen des Senats Frau Senatorin Jürgens-Pieper und Frau Senatorin Rosenkötter, ihnen beigeordnet die Staatsräte Othmer und Dr. Schuster. Die Beratung ist eröffnet. Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. Möllenstädt.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Jugendarbeitslosigkeit trifft junge Männer in stärkerem Maße als junge Frauen. Im Dezember 2008 waren ausweislich der Statistik der Bundesagentur für Arbeit in der Stadtgemeinde Bremen 1269 Männer, aber lediglich 954 Frauen im Alter von unter 25 Jahren arbeitslos gemeldet. In der Stadtgemeinde Bremerhaven waren es 474 Männer und 352 Frauen. Der Anteil der Jungen, die die Schule ohne einen Hauptschulabschluss verlassen, ist beinahe doppelt so hoch wie bei den Mädchen. Dafür macht etwa ein Drittel der Mädchen eines jeden Jahrgangs Abitur, bei den Jungen sind es nur 25 Prozent. Seitens der Schulen und der Ausbildungsbetriebe werden als Ursachen für die überdurchschnittliche Betroffenheit junger Männer von Arbeitslosigkeit unter anderem mangelnde soziale Kompetenzen und ein zu enges Rollenverständnis zum Beispiel im Hinblick auf die Berufswahl angesehen. Dass die Benachteiligungen von Jungen im Bildungssystem weiterhin so deutlich zutage treten, ist nach unserem Eindruck auch eine Folge von Defiziten in der Gestaltung des Bildungssystems selbst, in der Gestaltung des Schulunterrichts sowie auch der Maßnahmen der Ausbildungs- und Beschäftigungsförderung.

(Beifall bei der FDP)

Geschlechtsspezifische Aktivitäten zur Förderung von Jungen beziehungsweise jungen Männern sind bisher im Land Bremen lediglich in unzureichendem Umfang vorhanden. So ist in dem im Juli 2008 von der Arbeitsdeputation verabschiedeten Landesprogramm „Ausbildung und Jugend mit Zukunft“ im beschäftigungspolitischen Aktionsprogramm in jedem Einzelziel explizit die Förderung junger Frauen vorgesehen. Die Förderung junger Männer findet sich überhaupt ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

nicht wieder, was angesichts der überdurchschnittlichen Betroffenheit junger Männer von der Jugendarbeitslosigkeit doch mehr als überraschen muss.

(Beifall bei der FDP)

Wir halten es für erforderlich, dass der Senat ein Konzept zur Bekämpfung der Bildungsbenachteiligung von Jungen erarbeitet und der Bürgerschaft vorlegt. Erste Maßnahmen sind in dieser Richtung schon in den vergangenen Jahren unternommen worden. Wir erkennen das ausdrücklich an, denken aber, dass es hier eines integrativen Konzeptes bedarf.

(Beifall bei der FDP)

Dieses Konzept soll nach unserer Auffassung unter anderem folgende Zielsetzungen beziehungsweise Anforderungen berücksichtigen: Erstens: Stärkung der Jungenarbeit und jungenspezifischer Förderangebote, damit die sozialen Kompetenzen, die Konfliktund Teamfähigkeit von Jungen beziehungsweise jungen Männern gestärkt werden. Zweitens: Entwicklung und systematische Bewerbung eines Boys’ Day parallel zum Girls’ Day, damit Perspektiven auch in den Sozial-, Pflege- und Erziehungsberufen aufgezeigt werden. Drittens: Überprüfung der Arbeitsmarktprogramme und der Inhalte der Lehrerausbildung und viertens: Gewinnung männlicher Erzieher und Lehrer. Es ist richtig, im Land Bremen gibt es schon viele männliche Erzieher und Lehrer, aber es ist auch richtig, dass in den letzten zehn Jahren dieser Anteil doch ein Stück weit zurückgegangen ist. Das ist übrigens in allen Bundesländern gleichermaßen der Fall.

(Beifall bei der FDP)

Auf die Ankündigung unserer Initiative zu diesem aus unserer Sicht sehr wichtigen Thema im Januar haben wir sehr viele und überwiegend positive Rückmeldungen erhalten. Wir hoffen daher darauf, dass auch die übrigen Fraktionen in diesem Haus die Bedeutung dieses wichtigen Themas erkennen. In diesem Sinne hoffen wir auf eine konstruktive Beratung hier im Plenum und später auch in der Deputation.

(Beifall bei der FDP)

Lassen Sie mich am Ende noch einen Hinweis geben, weil wir ja bereits mehrfach über Fragen der Gleichstellungspolitik diskutiert haben und heute auch ein interessantes Interview mit der Frauenbeauftragten Frau Hauffe in einer großen Tageszeitung zu lesen ist. Ich bin etwas irritiert gewesen, liebe Frau Hauffe, ich bin immer der Auffassung, dass gewählte Parlamentarier sich nicht gegenüber der Verwaltung, aber auch untereinander nicht für ihr Geschlecht rechtfertigen müssen und für das, was sie inhaltlich hier einbringen.

(Beifall bei der FDP)

So sollten wir es in Zukunft auch halten, und ich hoffe, dass diesem Gedanken und diesem Anspruch, den wir hier im Haus haben sollten, auch in der Debatte Rechnung getragen wird. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der FDP)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Böschen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Seit IGLU und PISA wissen wir, dass die Schule in Deutschland Jungen im sprachlichen Bereich sehr viel weniger ausstattet, sehr viel weniger fördert, als das bei Mädchen der Fall ist. Jungen wiederholen häufiger eine Klasse, sie stellen den höheren Anteil derjenigen, die Hauptschulen aber auch Sonderschulen besuchen, und sie machen heute seltener das Abitur, die Hochschulreife. Trotzdem ist die Studienbereitschaft gerade junger Männer mit Hochschulreife deutlich höher als die bei gleich qualifizierten Frauen. Nach dem SEK-I-Abschluss streben Mädchen Berufsabschlüsse an, die wenig geeignet sind, ihre eigene Existenz, geschweige denn die einer Familie, zu sichern. Wir haben einen höheren Anteil von jungen Frauen, die gar keinen Berufsschulabschluss haben, und in Bremen verfehlt trotz durchschnittlich höherwertiger Schulleistung fast jede fünfte junge Frau dieses Ziel des Berufsabschlusses.

Die Perspektiven, die damit verbunden sind, das wissen Sie alle, sind die von gering Qualifizierten, von Altersarmut. Jetzt davon zu sprechen, dass Jungen in unserem Bildungssystem benachteiligt sind, geht völlig an den Tatsachen vorbei.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Die Bildungsrendite von Jungen und Mädchen ist immer noch so, dass die der Jungen deutlich höher ist als die der Mädchen, das belegen alle Zahlen. Wir werden deshalb dem Antrag der FDP nicht zustimmen. Ich als Vertreterin einer geschlechtergerechten Pädagogik muss allerdings sagen, dass ich sehr froh bin, dass hier von der FDP deutlich gemacht wird, dass sie einen Handlungsbedarf dahingehend sieht, auch stärker auf das zu schauen, was den Jungen in unseren Schulen, ich sage einmal, auch durchaus fehlt. Von daher beantragen wir die Überweisung in die Deputation, wo wir zu einer fachlichen Auseinandersetzung darüber kommen können, denn dass unser Schulsystem nicht den Bedürfnissen sowohl der Jungen und Mädchen Rechnung trägt, glaube ich, darüber sind wir alle einer Meinung.

(Beifall bei der SPD)

Es geht allerdings nicht um pauschale Negativurteile, und es geht auch nicht um einen Wettstreit um

größere Diskriminierung. Statt kurzfristiger Angebote brauchen wir eine Verstetigung und eine Absicherung zum Beispiel in den Schulprogrammen, die über das Engagement einzelner Lehrkräfte hinausgeht. Denn diesem Problem, welches hier beschrieben wird, werden wir nur begegnen können, wenn sich Unterricht, wenn sich Schulklima insgesamt dahingehend verändern, dass individuelle Förderung greift und nicht pauschal unterrichtet wird. Hier, meine Damen und Herren, denke ich, müssen wir auch in Bremen noch eine ganze Menge tun. Von daher bin ich froh, dass wir Gelegenheit haben, das in der Bildungsdeputation zu debattieren. – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Fecker.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Dr. Möllenstädt hat in seiner Rede durchaus auf einige richtige Aspekte hingewiesen, und Frau Böschen hat eben auch klar gemacht, dass die Koalitionsfraktionen die Überweisung in die staatliche Deputation für Bildung vorschlagen werden. Wir verstehen das auch, Herr Dr. Möllenstädt, als klares Angebot, sich inhaltlich mit den Themen, die Sie vorgeschlagen haben, auseinanderzusetzen, aber wir verstehen das auch als ein Ringen für eine politische Prioritätensetzung in diesem Bereich. Ich denke, das muss man auch noch einmal sehr deutlich sagen.

Ich glaube nicht, dass das Bildungssystem Jungen absichtlich benachteiligt, aber ich denke, wir müssen schon konstatieren, dass wir Jungen in einigen Bereichen weniger erreichen als Mädchen. Sie haben die Didaktik angesprochen, das ist der eine Bereich. Wenn Sie aber abbiegen und sagen, wir möchten Teamfähigkeit, soziale Kompetenzen haben, dann würde ich das nicht nach Geschlechtern trennen, sondern das gilt für uns Grüne insgesamt als Auftrag in der Lehrerausbildung, den Schülerinnen und Schülern soziale Kompetenzen und Teamfähigkeit beizubringen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Girls’ Day hin, Boys’ Day her, das hilft uns alles nichts, wenn wir es nicht hinbekommen, bestimmte Berufsbilder attraktiver zu gestalten. Das hat mit Bezahlung, aber das hat auch etwas mit Wertschätzung zu tun.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Grundschullehrerinnen und Erzieherinnen sind ganz wichtig für unsere Gesellschaft, ich glaube, dabei habe ich alle an meiner Seite, aber lassen wir sie das auch wissen? Daran setze ich an dieser Stelle einmal

ein ganz deutliches Fragezeichen. Wenn Sie sich anschauen, wie die Bezahlung in den Schulen organisiert ist, dann sind es klar die Grundschullehrkräfte, die am wenigsten in dem Bereich verdienen, und Frau Hauffe hat ja heute im „Weser-Kurier“ den netten Vergleich mit demjenigen gebracht, der an Autos arbeitet, und einer Person, die mit Kindern arbeitet. Daran ist in der Tat etwas, das sollte uns aber auch als Gesetzgeber zu denken geben.

Der Senat hat im Jahr 2007 bereits ein Konzept zur Verstetigung des Girls’ Days vorgelegt. Das ging damals aus einem Beschluss der drei in der Bürgerschaft vertretenen Fraktionen hervor, interfraktionell wurde der Senat aufgefordert. Ich glaube, da müssen wir auch noch einmal diesen Bericht neben Ihren Antrag legen und schauen, was davon eigentlich erledigt ist und worüber wir eigentlich gar nicht mehr zu reden brauchen. Ich glaube, dann könnte die Debatte auch vielleicht insgesamt ein bisschen verkürzt werden.

Insgesamt glaube ich, dass es die FDP mit ihrer sehr forschen Art und dem Suggerieren von extremer Benachteiligung, aber ohne den Blick auf die Realitäten in unserer Gesellschaft zu lenken, sondern nur zentriert auf ein Geschlecht, der Sache nicht gutgetan hat. Ich hoffe, dass wir das in der Bildungsdeputation in einen vernünftigen und sachlichen Rahmen bekommen, denn das Ziel, an dem wir Grüne weiter festhalten, ist eine Geschlechtergerechtigkeit, und so würden wir gern Ihren Antrag auch ummünzen und nicht die Bevorzugung oder Benachteiligung eines der beiden Geschlechter in den Vordergrund stellen. – Danke schön!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Beilken.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Der Titel ist reißerisch. Es hört sich so an, als wenn man jetzt etwa die besondere Förderung von Mädchen aufgeben müsste und nun anders umsteuern würde. Das ist wirklich reißerisch, das kann man im Boulevardblatt einmal machen, um dort eine Schlagzeile zu platzieren.

Es ist schon gesagt worden, wir brauchen geschlechterspezifische Berücksichtigung im Unterricht, in der Schule, und das muss auch verstärkt werden, das ist der Kern, der eben an Wahrheit darin steckt, den alle auch hier bis jetzt genannt haben. Das gilt sowohl für Jungen als auch für Mädchen. Dass es für Mädchen weiterhin auch nötig ist, zeigt sich an dem, was hier als Bildungsrendite benannt wurde oder an dem anschließenden Geldverdienen, dass die Ausbildung der Mädchen und jungen Frauen am Ende immer noch auf Benachteiligung hinausläuft. ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

Wir haben also weiterhin eine Förderung von beiden, allerdings auch eine besondere Auseinandersetzung mit den Problemlagen männlicher Schüler und Jugendlicher. Das gehört in die Entwicklung der Förderung von Heterogenität, von Individualität, heterogenen Lerngruppen. Mit der Methode kleinerer Lerngruppen, wie es bekannt ist, die wir eigentlich alle wollen, die aber nachdem, was Sie heute an finanzpolitischen weiteren Kürzungen verabredet haben, nur in dunkel und in grau gemalt werden kann, was Sie nicht umsetzen können. Daran werden Sie noch öfter erinnert werden, weil Sie sich hier in finanzieller Hinsicht die Hände gebunden haben. Wir haben alle schon Steigerungen für nötig befunden und mit der Mehrheit im Haus verabredet.

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/ Die Grünen]: Die Schulden muss man zu- rückzahlen, Herr Kollege!)

Dann können solche Probleme auch bearbeitet werden, nicht durch solche schmissigen Anträge, sondern dort muss dann wirklich auch investiert werden. Wir werden dort weiterhin in der Bildungsdeputation, wir sind für die Überweisung, an der Stelle ebenfalls auf diese Notwendigkeit hinweisen. – Danke schön!

(Beifall bei der LINKEN)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Motschmann.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Als Frau Arnold-Cramer heute Morgen Silvia Neumeyer fragte, wer die FDP-Anträge debattiert, antwortete sie schlagfertig, das kann man doch an der lila Jacke erkennen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Antrag der FDP, man fragt sich, ist es ein männerpolitisches Thema?

(Zuruf des Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/ Die Grünen])

Wie bitte? Kein lila Tuch, sondern eine lila Jacke, Herr Dr. Kuhn!

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Nein, da sieht man doch den Unter- schied der Geschlechter!)