Protokoll der Sitzung vom 30.09.2009

(Beifall bei der CDU und bei der LIN- KEN)

Was ich aber nicht akzeptiere, ist, dass man während der Debatte auch noch einen Änderungsantrag erhält, wenn man gleichzeitig den Kollegen lauschen muss. Ehrlich gesagt, ich habe ihn quergelesen! Der Antrag der LINKEN ist gespickt von gestrigen Parolen und Gerede. Ich finde, bei diesem ernsthaften Thema sollten wir uns hier nicht mit solchen Anträgen überschütten.

(Abg. Frau N i t z [DIE LINKE]: Armuts- bekämpfung ist kein Gerede, Herr Bartels!)

Ich muss Ihnen sagen, ich habe echt Sorge um die SPD,

(Abg. Frau B u s c h [SPD]: Darf man lü- gen, Herr Bartels?)

weil seit dem Sonntag nicht klar ist, was Sie machen. Denken Sie daran, Sie haben 35 Prozent bekommen, als Sie noch die Hartz-Gesetzgebung verteidigt haben, im Wahlkampf haben Sie weitestgehend davon Abstand genommen, jetzt sind es 23 Prozent!. Beim Mindestlohn ist das Ergebnis vom Sonntag deutlich: Die Menschen im Lande haben die Parteien gewählt, die nicht dem Mindestlohn hinterherhängen. Er ist kein Allheilmittel gegen die Armut in unserem Lande!

(Beifall bei der CDU)

Die CDU-Fraktion wird nicht nur den Antrag der Koalition ablehnen, sondern natürlich auch den Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE. – Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU – Abg. D r. G ü l d - n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: In Bremen haben 60 Prozent der Bürger Leute gewählt, die für den Mindestlohn sind!)

Als Nächster erhält das Wort der Abgeordnete Dr. Buhlert.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich bin hier schon auf den Mangel an Ideen in dem Bericht eingegangen.

(Abg. P o h l m a n n [SPD]: Jetzt kommt unser großer Magnus!)

Wenn Sie sich einmal die Mühe machen, Herr Kollege Pohlmann, den Armutsbericht und den rot-grü

nen Koalitionsvertrag gegenüberzustellen und die einzelnen Punkte vergleichen – ich habe das gemacht, ich sage Ihnen, das ist kein großer Spaß für einen Liberalen – dann werden Sie eines erkennen: Identität! Es ist genau das Gleiche. So löblich das Vorlegen eines Berichts zur sozialen Lage des Landes ist, mir persönlich wäre es lieber, der Senat würde handeln und nicht schreiben.

(Beifall bei der FDP)

Hier wurde weniger die Lage analysiert, als vielmehr der Koalitionsvertrag mit Daten aufgehübscht und unterlegt, statt selbstkritisch reflektiert zu werden und damit das Thema angemessen anzugehen. Das müssen Sie doch einmal zugeben. Mir gehen hier die Vorschläge nicht weit genug, und sie sind auch nicht kreativ genug.

Lassen wir einiges wie Alleinerziehende und Wohnungslose, die im Koalitionsvertrag, warum auch immer, vergessen wurden, einmal weg. Was übrig ist, sind rund zwei Drittel Vorschläge, die wort- und inhaltsgleich im Koalitionsvertrag auftauchen. Das ist nicht gerade kreativ, und dafür sind wir uns hier als Liberale zu schade. Die restlichen Vorschläge, beispielsweise die Förderung der Zahngesundheit von Kindern, was wichtig ist, oder die Erhöhung der Beschäftigungsquote, sind entweder speziell wie Ersteres oder inhaltslose Allgemeinplätze, die nicht unterfüttert sind wie Letzteres. So lässt sich keine zukunftsorientierte Politik machen! Entweder setzen Sie sich wirklich mit dem Problem und dem, was bisher falsch gelaufen ist, auseinander oder Sie ersparen uns solche Berichte, denn an den meisten Stellen ist nichts Neues darin.

(Beifall bei der FDP)

Ich möchte noch einmal auf die dargestellte Lage eingehen: Auch da ist einiges einseitig dargestellt, und das Licht am Ende des Tunnels, das wir zumindest 2008 und 2009 auch noch hatten, und da war die Krise schon da, wird häufig nicht gesehen. Der Bericht spricht von zunehmender Armut in Bremen und Bremerhaven und davon, dass sich die sozialen Gegensätze vertiefen. Das ist nicht an allen Stellen richtig! Sie geben beispielsweise im Bereich von Hartz IV in einer Tabelle eine zunehmende Tendenz an, hören aber bei den Zahlen im Dezember 2007 auf. Zieht man neuere Zahlen aus 2008 hinzu, dann erkennt man, danach wurde es besser.

Die Zahl der Ausbildungsplätze in 2008 lag um 20 Prozent höher als in 2004. Die Situation ist trotz der Krise an etlichen Stellen besser als früher. Das heißt wohlgemerkt nicht, dass der Senat an der Verbesserung der Lage irgendeinen Anteil hätte. All ihre Programme für Langzeitarbeitslose können nichts bringen, wenn es keine Jobs gibt. Die wurden in Zeiten des Wirtschaftswachstums von den Unternehmen geschaffen und eben nicht von Ihnen. Ihre Arbeitsmarkt

politik zielt häufig auf Beschäftigungsprogramme und Ein-Euro-Jobs und nicht auf den ersten Arbeitsmarkt, wie Sie uns an vielen Stellen glauben machen wollen. Sie können ja einmal schauen, wofür die ESFMittel eingesetzt werden: Sie werden nicht für die Schaffung von Arbeitsplätzen im ersten Arbeitsmarkt eingesetzt! Da ist unsere Kritik angebracht und einer der Punkte, warum wir Ihrem Antrag nicht zustimmen werden.

(Beifall bei der FDP)

Unternehmen, Handwerker und Gewerbetreibende haben ihren Anteil und ihre Verantwortung daran, dass Arbeitsplätze hier geschaffen worden sind. Jetzt kommt die Finanz- und Wirtschaftskrise, und der Senat sieht weiter zu und macht weiter wie vorher. Dabei werden Sie sich vermutlich sogar heimlich über die Finanzkrise freuen, beklagt der Senat doch die Zunahme der Einkünfte aus Vermögen. Damit ist es ja jetzt wohl nichts mehr. Das ist aber die typische Neidhaltung, die ich bei Sozialdemokraten und Linken immer wieder entdecke. Das ist nicht die Sicht, die wir haben. Das verkennt, dass wir Vermögen und Kapital brauchen, um Arbeitsplätze zu schaffen. So etwas dürfen Sie nicht verkennen, wir brauchen Vermögen und auch Einkünfte aus Vermögen.

Ich freue mich, dass Bremer und Bremerhavener Kaufleute, Investoren und Unternehmer ihr Geld in den vergangenen Jahren gewinnbringend und beschäftigungsfördernd investiert haben. Das darf man nicht vergessen! Das ist auch ein großer Beitrag, den Private leisten, um Armut durch Beschäftigung zu bekämpfen. Dies ist nämlich die Grundlage für all das, was hier verteilt werden kann. Armutsbekämpfung passiert nicht durch Verteilen, sondern erst einmal durch Erwirtschaften, damit auch etwas zum Verteilen da ist.

(Beifall bei der FDP – Abg. D r. S i e l i n g [SPD]: Zum Spekulieren oder was?)

Unsere Gesellschaft braucht die Investitionen und ihre Besitzer, die sich durch ihre unternehmerische Tätigkeit – und da meine ich unternehmerische Tätigkeit, damit das klar ist, Herr Sieling – oder beispielsweise ihr Mäzenatentum für unsere Städte engagieren. Das Thema Reichtum fehlt jedoch in dem Bericht vollkommen. Warum nennen Sie den Bericht dann Armuts- und Reichtumsbericht? Armutsbericht hätte hier genügt. Sie wollen umfangreich Armut bejammern, das tun Sie hier. Gleichzeitig wurde damit auch die Qualität des Berichts für mich deutlich. Ich habe das schon gesagt, 400 Seiten ohne kreative Ideen, ohne Neues, vieles aus dem Koalitionsvertrag nur unterfüttert, das ist nicht das, was wir uns vorstellen, und genauso ist es mit Ihrem Antrag. Die ESF-Mittel habe ich erwähnt! Wir haben einen anderen Ansatz in der Sozialpolitik und auch bei Transferzahlungen. Wir wollen keinen Mindestlohn, wir wollen ein

Mindesteinkommen, das habe ich immer wieder deutlich gemacht.

Wir haben ein Bürgergeldkonzept, und das tragen wir hier weiter vor. Wenn wir sagen, bis das kommt, erhöht doch einmal bitte die Bedarfssätze für Kinder und berechnet sie neu, dann wird das mit großem Buhei von der vereinigten Linken abgelehnt. Das kann nicht richtig sein! Das sind die Ansätze, die wir hier vorgetragen haben, und das ist Bundespolitik, da erwarten wir etwas Entsprechendes vom Senat, und das haben wir nicht gesehen. Weil die ganze Richtung Ihres Antrags nicht stimmt – auch wenn das eine oder das andere darin richtig ist – werden wir ihn ablehnen und würden ihn noch mehr ablehnen, wenn die Änderungsanträge der LINKEN, die ja nicht durchkommen werden, durchkämen, denn dann hätte er noch einen ganz anderen Drall.

(Beifall bei der FDP)

Uns geht es darum, Armut nicht zu verwalten, sondern zu bekämpfen. Das passiert durch bessere Bildung und durch Arbeitsplätze, die von Privaten und nicht vorrangig durch den Staat geschaffen werden sollten. Diese Beschäftigungspolitik, die hier in den Siebzigerjahren gemacht worden ist, war der falsche Weg, und wir können doch nicht wieder den Irrweg gehen und Bremen damit noch tiefer in die Krise reiten.

(Beifall bei der FDP)

Den LINKEN muss ich auch noch einmal etwas zu ihrem Antrag sagen: Die Bundestagswahl ist vorbei! Was ich da gelesen habe war die Zusammenfassung ihrer Wahlplakate, das kann es doch wirklich nicht sein, wenn es denn darum geht, hier seriöse Politik zu machen, und dazu sollten wir doch jetzt nach der Bundestagswahl zumindest eine Zeit lang zurückkommen. Ich will nicht noch unseren Antrag zu Hinzuverdienstmöglichkeiten von Jugendlichen erwähnen oder nochmal die Bedarfssätze für Kinder. All das sind Dinge, die wir hier vorgetragen haben. Wir brauchen da ein anderes Herangehen. Manches Gute tun Sie ja, aber insgesamt muss man sagen, dieser Bericht ist ein Armutsbericht über die Arbeit der Koalition. – Herzlichen Dank!

(Beifall bei der FDP – Abg. Frau S t a h - m a n n [Bündnis 90/Die Grünen]: Das war ein Armutsbericht für die FDP!)

Als Nächster erhält das Wort der Abgeordnete Rupp.

Herr Präsident, verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte damit beginnen, dass ich insbesondere ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

der CDU Respekt dafür ausspreche, dass Sie vor diesen Zahlen Respekt haben und dass Sie akzeptieren, dass es in Bremen Armut und Armutsentwicklungen gibt und dass Sie deutlich gemacht haben, dass Ihnen diese Form von Armut nicht egal ist, sondern dass Sie sie bekämpfen wollen. Im Unterschied dazu finde ich die Haltung der FDP, das wäre nur ein ideologisches Pamphlet, zynisch. Das wird den konkreten Bedingungen hier in Bremen nicht gerecht. Wer diese Zahlen als ideologisches Pamphlet diskreditiert, hat mit der Realität in diesem Land nichts zu tun und macht deutlich, dass er Armut nicht bekämpfen will, sondern dass Armut ein notwendiger Teil seiner Ideologie ist.

(Beifall bei der LINKEN – Abg. D r. B u h - l e r t [FDP]: Dann pflegen Sie weiter Ihre Vorurteile!)

Sie sagen interessanterweise, ich pflege meine Vorurteile. Ich begreife diesen Armuts- und Lebenslagenbericht nicht als Vorurteil. Ich akzeptiere diese Fakten. Die Zahlen, die darin stehen, sind so oder so ähnlich auch vorher schon erhoben worden, sie sind in Kontinuität zu den Arbeitnehmerkammerberichten und zum Stadtmonitoring. Wie viele Fakten und Zahlen brauchen Sie eigentlich, bis Sie akzeptieren, dass hier in Bremen eine sehr große Anzahl von Menschen arm ist oder von Armut bedroht ist? Reichen da Zahlen nicht aus? Müssen Sie dort einmal leben, um zu erfahren, wie das ist? Ich verstehe nicht, dass man das als ideologisches Pamphlet hinstellt. Das ist wirklich das Letzte, was ich hier in diesem Haus gehört habe.

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Im Übrigen ist es bei uns kein Zufall, dass wir das, was wir auf Wahlplakate schreiben, auch in politische Anträge ummünzen. Ich verstehe gar nicht, wo das Problem ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie sagen, zum Verteilen muss etwas da sein. Der Teil des Reichtumsberichts sagt, auch in Bremen ist mittlerweile an vielen Stellen mehr Geld vorhanden als vorher, und ich sage, zum Verteilen, auch um Armut zu bekämpfen, ist in Bremen, aber auch im gesamten Bundesgebiet mittlerweile genug da. Man muss nur mit dem Verteilen anfangen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich habe auch einen Zwischenruf von dem Kollegen Günthner aufgenommen, dass wir so täten, als

wären wir mittlerweile in Schwarzafrika. Nein, das tun wir nicht! Ich wollte Ihnen noch einmal versichern, dass wir schon unterscheiden zwischen Lebenssituationen in Schwarzafrika, die in der Tat noch dramatischer sind als hier. Wir schließen aber auch nicht die Augen vor der Dramatik in unserem Land, und vor allen Dingen verschließen wir nicht die Augen davor, dass es nicht besser wird, sondern schlimmer.

Was ich zur Kenntnis genommen habe, ist, dass unser Angebot, über die einzelnen Dinge noch einmal zu debattieren, aufgenommen worden ist. Jetzt habe ich damit natürlich ein Problem, wir haben diesen Antrag auch gestern erst bekommen. Wir waren leider gezwungen – wir konnten nicht zu etwas einen Änderungsantrag schreiben, was wir nicht kannten –, sehr kurzfristig zu reagieren. Meine Bitte ist, dass wir diese Debatte fortsetzen. Wir können gern irgendwann einmal auch in den Ausschüssen über diese einzelnen Maßnahmen reden, ich bitte, das auch als Debattenbeitrag zu verstehen. Ich würde mich freuen, wenn wir in der Tat mögliche Ansätze von Ihrer und unserer Seite so zusammenführen, dass möglicherweise etwas Besseres daraus wird. Möglicherweise wird es nicht gehen, weil wir andere Ansätze haben. Das Angebot habe ich aber angenommen.

Ich finde, das ist auch kein Überbietungswettbewerb, sondern wir finden, allein die Tatsache, dass man sagt, das ist möglicherweise zu wenig, ist noch kein Überbietungswettbewerb. Der Lebenslagenbericht sagt, dass zwischen 120 000 und 180 000 Menschen arm sind. Es gibt Erhebungen, die möglicherweise nahelegen, dass es mehr sind. Bundesweite Erhebungen sagen, dass die Anzahl der Menschen, die von Transferleistungen leben und arm sind, und die Anzahl der Menschen, die nicht von Transferleistungen leben und arm sind, ungefähr gleich groß sind. Wenn das stimmt, wären es in Bremen wahrscheinlich 220 000 bis 230 000 Menschen. Das Problem ist natürlich, man kann es nicht genau sagen. Mir sind aber 120 000 zu viel, und dass es möglicherweise 180 000 oder 220 000 sind, macht mich nicht sonderlich froh.

Klar ist auch, Armut entsteht nicht aus Lebenslagen, zumindest nicht zunächst. Armut entsteht im Wesentlichen durch eine Umverteilung von oben nach unten, und das sagt auch der Reichtumsbericht. Er macht klar, dass auch in Bremen die Zahl der Menschen, die mehr Geld verdienen, größer geworden ist und die Zahl der Menschen, die Transferleistungen bekommen, größer geworden ist, und dazwischen wird es dünner. Das ist ja nicht ausgedacht, das ist ja wahr. Also haben wir das Problem, dass offensichtlich zwischen denjenigen Menschen, die reicher werden, und denjenigen, die ärmer werden, ein Vermögenstransfer stattfindet. Wenn dann noch Vermögen einfach aufgrund der Tatsache entsteht, dass man Vermögen hat, das man anlegen kann, ohne noch einmal dafür zu arbeiten, wird klar, dass das, was ich oft gesagt habe, dass Reichtum ein ökonomisches Pro

blem auch in unserem Land ist, noch einmal bestätigt wird.

(Abg. I m h o f f [CDU]: Jetzt haben wir es ja endlich! – Abg. S t r o h m a n n [CDU]: Aber das ist ja auch weg!)

Ja, wir haben es jetzt! Bei vielen mag das Vermögen ein bisschen geringer geworden sein, aber bei relativ vielen ist es eben nicht geringer, und es ist immer noch genug da, um mit einer vernünftigen Vermögenssteuer etwas für die Finanzierung von Armutsbekämpfung zu tun.