Ja, wir haben es jetzt! Bei vielen mag das Vermögen ein bisschen geringer geworden sein, aber bei relativ vielen ist es eben nicht geringer, und es ist immer noch genug da, um mit einer vernünftigen Vermögenssteuer etwas für die Finanzierung von Armutsbekämpfung zu tun.
Wenn man Armut bekämpfen will, muss man Umverteilung bekämpfen. Das kann man nicht auf Landesebene. Das kann man vor allen Dingen deswegen nicht, weil diese Form von Armut mittlerweile fester Bestandteil der gesamtbetriebswirtschaftlichen Rechnung dieser Gesellschaft, dieses Kapitalismus, ist. Er hat sich dahin entwickelt, dass er vergleichsweise viele Leute braucht, die nicht arbeiten, vergleichsweise viele Leute, die prekär arbeiten, vergleichsweise viele Leute, die zu Niedriglöhnen arbeiten. All das ist mittlerweile notwendig, um die sogenannte Wettbewerbsfähigkeit bei den Gewinnen in unserem Land zu realisieren. Deswegen ist es ein Prinzip, ein System, in dem wir leben. Ich denke, wir müssen da heran. Wenn wir diese Systematik der immer höheren Gewinne auf Kosten von immer schlechteren Arbeitsbedingungen, immer niedrigeren Löhnen nicht durchbrechen, dann haben wir keine Chance, Armut zu bekämpfen, auch nicht auf Landesebene.
Wir haben hier die Situation, in der es droht, dass jeder, der nicht unmittelbar und in Vollzeit und mit all seiner Kraft, sogar noch mit mehr, als er leisten kann, dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht, droht, arm zu werden. Das sind junge Menschen, alleinerziehende Frauen, ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Langzeitarbeitslose. Wenn man die herausnimmt, die noch Zielgruppe einer sehr intensiven Form von Beschäftigung sind – ich sage einmal, die Menschen zwischen 20 und 40 Jahren – und den Rest betrachtet, wird man feststellen, dass ungefähr 75 Prozent der Menschen in diesem Land möglicherweise von Armut gefährdet sind, wenn sie in ganz bestimmte Lebensrisiken kommen.
Dass es anders gegangen wäre, ist vergleichsweise auch klar. Wenn wir zu einem bestimmten Zeitpunkt angefangen hätten, die Arbeitszeit zu verkürzen und die Lohnerhöhung dem Produktivitätszuwachs anzupassen, hätten wir heute wahrscheinlich eine Situa
Ja, Sie verstehen das nicht, und das wird auch nicht mehr! Wir wissen also, dass Armut auf Bundesebene bekämpft werden muss. Das heißt aber noch lange nicht, dass wir auf Landesebene einfach zuschauen müssen.
Ich komme noch einmal zurück zu dem Bericht. Der Bericht weist auch die Prozesshaftigkeit der Armutsentwicklung auf. Das will ich betonen, weil es immer noch so ist, als hätte man Zeit, und meiner Meinung nach läuft einem die Zeit ein Stück weit davon. Es sind eben Armutsprozesse. In Stadtteilen, in denen früher überwiegend Wohlhabende und Reiche gewohnt haben, werden es mehr Wohlhabende und Reiche. In Stadtteilen, wo früher überwiegend nicht so wohlhabende Menschen gewohnt haben, werden es mehr Menschen, die Schwierigkeiten haben, ihre Existenz zu bestreiten.
Wenn man ungefähr 100 000 Euro im Jahr verdient und, ich sage einmal, ein Vermögen von einer Million Euro hat, das würde ich schon als reich begreifen.
Ich habe gesagt, beides! Schauen Sie in den Reichtumsbericht, darin steht es doch! Es gibt Menschen, die haben vergleichsweise viel Geld, und sie werden mehr, und der Mittelteil verschwindet. Das können Sie doch nicht einfach ignorieren.
Wir müssen also auf Landesebene Armut bekämpfen. Fakt ist auch, dass dieser Bericht deutlich macht, bisher hat das, was wir an Armutsbekämpfung leisten können, noch nicht gereicht, damit sich die Verhältnisse ändern und damit sich diese Prozesse verändern.
Es ist wahr, dass auch unter Rot-Grün die Armut zugenommen hat. Das ist in meinen Augen zunächst kein Vorwurf und auch nicht als solcher zu begreifen, sondern zunächst muss man feststellen, dass es so ist, und dann muss man sich die Frage stellen, auch unter rot-grüner Landesregierung: Haben wir eigentlich das, was wir machen konnten in den letzten zwei Jahren, angefangen oder nicht? Da, sage ich auch ganz deutlich, sind Chancen verpasst worden.
Vor einem Jahr haben wir hier einen Antrag gestellt, mit dem wir gesagt haben, wir brauchen einen Masterplan Armutsbekämpfung. Da haben Sie ge
sagt, wir warten noch einmal ein Jahr, bis der Lebenslagenbericht fertig ist. Jetzt ist der Lebenslagenbericht fertig, und jetzt ist es immer noch nicht so weit, dass Sie sagen, wir brauchen so etwas wie einen Masterplan Armutsbekämpfung. Ich sage, da hätten wir mehr machen können, und das ist die Kritik, die ich an dieser rot-grünen Regierung habe. Armutsbekämpfung ist bisher in keiner Form ausreichend durchgeführt worden, und es ist nicht gelungen, Armutsbekämpfung so durchzuführen, dass sie wirksam ist.
Ich komme zum Schluss! Zwei Sätze zum Haushalt: Wir wissen alle, in welcher Haushaltssituation wir uns bewegen. Ich fordere diese Landesregierung auf, in den Verhandlungen deutlich zu machen, dass wir so etwas wie konjunkturbedingte Armut im Land Bremen haben
und dass wir möglicherweise in der Lage sein müssen, mehr als bisher für Armutsbekämpfung auszugeben und dafür möglicherweise Schulden in Kauf nehmen müssen.
Letzter Satz: Ich verweise auf unseren Antrag, und ich möchte gern, dass nicht nur die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel eruiert werden, sondern, wenn man die Maßnahmen zusammen nimmt, auch die notwendigen finanziellen Mittel! – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich sagen, auch wenn diese Debatte ein bisschen hitzig ist, ich freue mich darüber, dass diese Debatte so ausführlich geführt wird, weil ich glaube, dass uns das zukünftig in allen Bereichen von Politik weiterhin begleiten wird.
Ich kann sehr gut verstehen, wenn dieser Bericht nicht von allen in Gänze gelesen worden ist. Auch ich habe dafür relativ lange gebraucht, ihn komplett zu lesen, aber es ist in meiner Rolle natürlich auch meine Aufgabe, dies zu tun. Herr Dr. Buhlert, bei Ihnen habe ich aber den Eindruck, Sie haben ihn gar nicht gelesen!
Zu Herrn Bartels möchte ich einfach noch einmal sagen: Sie haben gesagt, dass Ihnen das stellenweise sehr nahe gegangen ist. Das ging mir im Übrigen ähnlich, weil die Beschreibungen der Lebenslagen – völlig egal, ob es sich um Migranten handelt oder um ältere Menschen, Frauen, Kinder, Jugendliche oder was auch immer – in diesem Bericht so deutlich und lebensnah geschildert sind, dass es mir an der Stelle ganz genauso gegangen ist. Trotzdem glaube ich, dass man diesen Bericht auch unterschiedlich interpretieren kann, dass Sie andere Sachen daraus lesen als Herr Dr. Buhlert, wenn er ihn lesen würde, oder DIE LINKE oder auch wir.
Was die Agenda 2010 betrifft: Dass wir davon grundsätzlich Abschied genommen haben, ist natürlich völliger Unsinn! Es ist nur so, dass wir erkannt haben, dass es Korrekturbedarf gibt, und darüber darf man doch reden. Wo ist denn da das Problem?
Sie brauchen sich um die Sozialdemokraten in diesem Land wirklich keine Sorgen zu machen. Im Übrigen sind Bundestagswahlen Gott sei Dank auch immer noch etwas anderes als Landtagswahlen.
Den Antrag der LINKEN lehnen wir ab, Herr Frehe hat es schon gesagt, zum einen, weil er sich zum Teil von jeglicher Haushaltsrationalität verabschiedet, und zum anderen werden da auch Punkte benannt, die wir sowieso schon umsetzen. Ich nenne dabei einmal das Kulturticket, was wir mittelfristig auch noch mit dem Sozialticket verbinden wollen. Teilweise werden auch sozialdemokratische Selbstverständlichkeiten gefordert wie der Einsatz gegen die Aufweichung des Kündigungsschützes. So etwas brauchen Sie Sozialdemokraten nicht zu erklären!
Das schaffen wir schon allein. Wir müssen uns, wie Herr Frehe schon sagte, an realistischen politischen Zielen orientieren, und ein „Höher, Schneller, Weiter“ bringt uns an dieser Stelle wirklich nicht nach vorn. – Vielen Dank!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wie Sie gesehen haben, nimmt die Debatte nun doch einen etwas ruhigeren Verlauf, und ich denke, das ist auch gut so.
Wir beschäftigen uns hier mit einem sehr schwerwiegenden Thema, dem wir uns als Koalition auch in besonderer Weise zugewendet haben, wie von Herrn Dr. Buhlert freundlicherweise aus dem Koalitionsvertrag zitiert wurde.
Ich möchte zunächst zu Herrn Rupp sagen, es ist in der Tat so, dass wir über viele Dinge reden können und überlegen können, dass es auch vernünftig ist – Herr Rupp, vielleicht hören Sie kurz einmal zu –, dass wir die verschiedenen Vorschläge sehr wohl zusammenführen können. Sie können es sich ja dann von Ihren Fraktionskollegen erklären lassen, was ich gesagt habe. Ich finde es richtig, dass man das diskutieren und zusammenführen kann, wenngleich natürlich Unterschiede bleiben werden.
Wir werden dabei bleiben, eine Politik zu betreiben, die realisierbar ist. Wir werden versuchen, diese sich in der Tat selbst verstärkenden Armutsprozesse konzeptionell zu durchbrechen. Ein wesentliches Element ist, relativ klare infrastrukturelle Strukturen zu schaffen, die egalitär sind, die also alle in gleicher Weise in Anspruch nehmen können und die niemanden zurücklassen. Das haben wir insbesondere bei dem Schwerpunkt gemacht, den wir hier auf die Kinder- und Jugendhilfe gelegt haben, und das werden wir auch noch weiter ausbauen, um hier eben solche sich selbst verstärkenden und auch verfestigenden Armutsprozesse zu durchbrechen.
In einem Punkt möchte ich Herrn Dr. Buhlert Recht geben. Der Teil des Reichtumsberichtes ist in der Tat sehr dürftig ausgefallen, der hätte noch etwas weiter ausgeführt werden können. Das ist aber nicht ein Problem der Autoren, sondern der Datenlage. Unsere Reichtumsberichterstattung basiert im Wesentlichen auf den Daten der Finanzämter, und die sind sehr spärlich. Insbesondere über das, was Sie angeführt haben, nämlich dass Reichtum in gewisser Weise auch nötig ist, um es in Realkapital zu investieren und damit ökonomische Prozesse anzukurbeln, gibt die Reichtumsberichterstattung kaum Auskunft. Das Problem ist aber, dass das in den letzten Jahren, das können wir an anderen Daten ersehen, nicht in Realkapital investiert worden ist, sondern in Finanzkapital.
Ich weiß nicht, ob Sie sich einmal mit John Maynard Keynes auseinandergesetzt haben, aber da ist es so, dass wir darin eine Konkurrenz sehen. Wenn die Zinsen hoch sind oder die attraktiven Geldanlagen sehr viele Profite abwerfen, dann fehlt dieses Geld für Realkapital, und dies ist genau ein Problem in den letzten Jahren gewesen, das dann auch zu weniger Arbeitsplätzen geführt hat. Diesen Prozess sollten Sie sich einmal anschauen! Reichtum, wie er hier vorkommt, ist eigentlich mehr ein Reichtum, der in unproduktives Kapital fließt und dann auch nur eine kleine Bevölkerungsschicht reicher macht und die anderen aber ärmer, so wie das in dem Bericht auch dargestellt ist.
weit mir bekannt ist, beginnt sie mit Milton Friedman, einem amerikanischen Ökonomen, dem es im Wesentlichen darum ging, Sozialleistungen so zusammenzufassen, dass man sie reduzieren und auf ein Mindestmaß begrenzen kann. Bei allen Diskussionen um Bürgergeld fehlt mir, dass eine bedarfsgerechte Differenzierung erfolgt, denn selbst wenn ich von 1 000 oder 2 000 Euro Bürgergeld ausgehen würde, und mit an die gesamten Krankenversicherungsleistungen denke, dann, denke ich, ist Armut in der Tat vorprogrammiert. Bürgergeld führt zu kollektiver Armut!
Herr Dr. Buhlert, wenn Sie beklagen, dass der Koalitionsvertrag nicht so furchtbar von den Befunden abweicht, die jetzt im Armuts- und Reichtumsbericht gemacht worden sind, dann kann ich nur sagen, ja, wir haben, als wir den Koalitionsvertrag formuliert haben, sehr genau überlegt – wir sind ja mitten in der Gesellschaft –, welche Lebenslagen wir hier zugrunde legen müssen. Wenn diese jetzt noch statistisch und empirisch bestätigt werden, dann heißt es einfach, die haben vorausgedacht und die richtigen Schwerpunkte gesetzt, und dieser Koalitionsvertrag ist, wenn man so will, ein Juwel an Regierungspolitik.
Noch einmal zu Herrn Bartels: Sie habe ich in einem Punkt nicht richtig verstanden. Ich habe verstanden, dass Sie es beklagen, dass zum Beispiel ein so hoher Anteil aufstockende Leistungen in Anspruch nehmen muss und nicht von der Arbeit leben kann, also das, was man in der Wissenschaft als „Working Poor“ bezeichnet, und dass der Anteil in Bremen so hoch ist, und gleichzeitig engagieren Sie sich gegen Mindestlohn. Eine dieser wesentlichen Elemente, dieses „Working Poor“ zu vermeiden, ist der Mindestlohn, und ich kann überhaupt nicht verstehen, wie Sie die beiden Dinge miteinander verknüpfen können.