Protokoll der Sitzung vom 20.05.2010

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist die Beratung geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Hier ist getrennte Abstimmung beantragt worden, darum lasse ich zuerst über die Ziffern I. 1, I. 2, I. 3 und II. 2 abstimmen. Wer den Ziffern I. 1, I. 2, I. 3 und II. 2 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen! interjection: (Dafür CDU, FDP und Abg. T i m k e [BIW])

Ich bitte um die Gegenprobe!

(SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE und Abg. M ö h l e [parteilos])

Stimmenthaltungen? Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt die Ziffern I. 1, I. 2, I. 3 und II. 2 ab. Nun lasse ich über die Ziffer II. 1 des Antrags abstimmen. Wer der Ziffer II. 1 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür CDU, FDP und Abg. T i m k e [BIW])

Ich bitte um die Gegenprobe!

(SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE und Abg. M ö h l e [parteilos])

Stimmenthaltungen? Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt die Ziffer II. 1 ab.

Damit ist der gesamte Antrag abgelehnt.

Nationalem Stipendienprogramm im Bundesrat nicht zustimmen

Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und der SPD vom 12. Mai 2010 (Drucksache 17/1294)

Wir verbinden hiermit:

Nationales Stipendienprogramm für Bremen nutzen

Antrag der Fraktionen der FDP und der CDU vom 18. Mai 2010 (Drucksache 17/1298)

Dazu als Vertreterin des Senats Frau Senatorin Jürgens-Pieper, ihr beigeordnet Herr Staatsrat Othmer.

Die gemeinsame Beratung ist eröffnet.

Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Schön.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat ein nationales Stipendienprogramm beschlossen, welches im Bundesrat zustimmungspflichtig ist. Wir möchten, dass Bremen im Bundesrat nicht zustimmt,

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

und zwar weil es das Gegenteil von dem ist, was wir an Studienfinanzierung brauchen. Wir brauchen vor allem eine sozial gerechte Studienfinanzierung. Es kann und darf nicht sein, dass 71 Prozent der Akademikerkinder eine Hochschulausbildung aufnehmen, aber nur 23 Prozent der Nicht-Akademikerkinder. Nicht-Akademikerkinder sind nicht dümmer, sie haben lediglich schlechtere Chancen im Bildungssystem und bei der Finanzierung ihres Studiums. Nun kommt die schwarz-gelbe Bundesregierung und verschärft diesen Missstand. Sie will bis zu acht Prozent Studierende über dieses Programm fördern. Das ist teuer und nicht zielführend.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Es ist geplant, dass nach Begabung und Leistung Stipendien von 300 Euro im Monat von den Hochschulen vergeben werden. Diese 300 Euro sollen zu 50 Prozent von der privaten Wirtschaft, zu 25 Prozent vom Bund und zu 25 Prozent von den Ländern finanziert werden. Die Verwaltungskosten sollen die Länder zahlen, die Hochschulen sollen die privaten Spender einwerben, die privaten Spender können sich die Person und die Studiengänge aussuchen und sie fördern, und sie müssen sich nur für zwei Semester verpflichten. Wem soll solch ein Stipendienprogramm eigentlich helfen? Ein Jahr Finanzierungsgarantie, dabei viel Verwaltungsaufwand, das hilft niemanden. Wir wissen von den Begabtenförderwerken, dass gerade die Studierenden aus den Akademikerfamilien deutlich bessere Chancen als die Kinder aus NichtAkademikerfamilien haben. Das ist kein Beitrag zur Chancengleichheit und um den Fachkräftemangel zu bekämpfen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Dieses Programm wird die sozialen Disparitäten erhöhen und ist das Gegenteil von mehr Chancengleichheit. Gleichzeitig wird es die regionalen Disparitäten erhöhen, gerade in wirtschaftlich weniger ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

starken Regionen werden Unternehmen weniger Potenziale haben, Studierende zu fördern. Gleichzeitig will die Bundesregierung das Büchergeld für die Stipendiaten der Begabtenförderwerke von 80 auf 300 Euro im Monat erhöhen. Dagegen laufen selbst die Nutznießer, die Stipendiaten, Sturm. In einer Online-Petition haben sie auf die soziale Schieflage aufmerksam gemacht und sind der Auffassung, dass die Bundesregierung in der Form davon Abstand nehmen soll. Was ist das für eine Regelung, bei der selbst die Nutznießer in dieser Form Nein sagen? Wir sagen das auch und bitten den Senat, auf die Bundesregierung einzuwirken, um das Geld zur Ausstattung der BAföG-Mittel einzusetzen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Das ist bitter nötig, denn das BAföG wird lediglich um zwei Prozent angehoben, das bedeutet im Durchschnitt, dass Studierende 13 Euro im Monat mehr bekommen, bei dem Höchstfördersatz sind das 22 Euro. Stipendiaten sollen hier also eindeutig bevorzugt werden, wie gesagt, es ist kein Beitrag zur Chancengleichheit.

Allein in das nationale Stipendienprogramm sollen in der Endstufe 330 Millionen Euro öffentliches Geld fließen. Für das BAföG will der Bund lediglich 645 Millionen Euro bei deutlich viel mehr Studierenden, die darüber gefördert werden, ausgeben. Das zeigt, dass die Bundesregierung viel über Chancengleichheit im Bildungssystem redet, aber genau das Gegenteil bewirkt.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Notwendig ist aus unserer Sicht, eine sozial gerechte Studienfinanzierung auf die Beine zu stellen und das BAföG weiterzuentwickeln. Anstatt Niedrigstipendien altersunabhängig nach Leistung zu vergeben, wollen wir, dass die familienbezogenen Leistungen wie Kindergeld oder Steuerfreibeträge an die Studierenden direkt gegeben werden. Diese Leistungen kommen dann allen Studierenden und nicht nur einigen wenigen zugute. Studierende sind Erwachsene und sollen auch als solche behandelt werden.

Wir erwarten deshalb in diesem Antrag vom Senat, dass er sich dahingehend auf Bundesebene einsetzt, deswegen bitten wir um Zustimmung zu unserem Antrag. Wir werden den Antrag der CDU und der FDP ablehnen, weil er genau das Gegenteil von dem ist, was wir für richtig halten. – Herzlichen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Böschen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ganze 13 Euro wird eine BAföGStudentin ab Herbst im Schnitt mehr erhalten. Das heißt im Klartext: Ein Kinobesuch und eine Portion Popcorn! Das Ganze wird dann allerdings auch nach dem Ende des Studiums wieder zurückzuzahlen sein.

Viel großzügiger ist das schwarz-gelbe Geschenk dagegen, das wir als nationales Stipendienprogramm für die vermeintlich leistungsstärksten Studierenden hier organisiert bekommen. Mit diesem Gesetz sollen künftig, unabhängig vom Elterneinkommen, leistungsstarke Studierende ein Stipendium von monatlich 300 Euro bekommen. Gleichzeitig soll, ebenfalls einkommensunabhängig, das Büchergeld für die rund 20 000 Stipendiatinnen und Stipendiaten der Begabtenförderungswerke von Stiftungen, Kirchen und Wirtschaft von 80 Euro auf 300 Euro monatlich klettern. Ein Extra-Taschengeld für eine kleine Elite, das nicht zurückgezahlt werden soll!

Bildungserfolg in Deutschland ist wie in kaum einem anderen Industrieland durch soziale Herkunft und ökonomischen Status geprägt, und das wird auch beim Hochschulzugang deutlich. Leider hat sich das in den letzten Jahren sogar noch verstärkt, denn während sich seit 1983 der Anteil der Studierenden aus höheren Herkunftsgruppen bis 2006 fast verdoppelt hat, hat sich der Anteil der Studierenden aus niedrigeren Herkunftsgruppen nahezu gleichzeitig halbiert. Es ist also allerhöchste Zeit, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um die Hochschulen sozial zu öffnen. Da hilft aus unserer Sicht nur eine Ausweitung beim BAföG.

Eine einkommensunabhängige Förderung wie das BAföG konzentriert das Geld dort, wo es benötigt wird. Eine Ausweitung könnte die Zahl der Studienanfängerinnen und -anfänger und der Absolventinnen und Absolventen erhöhen,

(Abg. S t r o h m a n n [CDU]: Könnte!)

und sie könnte insbesondere Studienabbrüche aus finanziellen Gründen verhindern, denn wir wissen sehr genau, einer der wichtigsten Abbruchgründe ist tatsächlich die finanzielle Notlage. Dafür ist eine Weiterentwicklung beim BAföG nötig, nämlich eine deutliche Ausweitung der Gefördertenquote, eine Anhebung der Freibeträge und Bedarfssätze und eine Ausdehnung der Altersgrenze.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Um die Leistungsfähigkeit des BAföG zu erhalten, sollte ein System etabliert werden, das die automatische Anpassung der Bedarfssätze und Einkommensgrenzen an die Lebenshaltungskosten sichert. Stattdessen wird das BAföG aber jetzt gerade einmal um zwei Prozent erhöht, und ein wahrer Geldregen soll

über die sogenannten leistungsstärksten Studierenden ausgeschüttet werden, gegen den sich allerdings interessanterweise selbst von Teilen der Begünstigten Widerstand erhebt. Es ist schon toll, dass einige Begünstigte selbst vorschlagen, das Geld an sozial Schwache abzugeben. Ich kann nur sagen, Hut ab vor diesen Begünstigten!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Wenn es nach der Bundesregierung geht, kommt es hier jetzt zu einem Einstieg in eine neue Stiftungskultur, denn der Bund und die Länder sollen die Hälfte der 300 Euro aufbringen, während die anderen 150 Euro von den Hochschulen bei Sponsoren eingeworben werden sollen. Das wird für unsere Hochschulen in Bremen richtig schwer, denn während es vielleicht in Ballungsgebieten noch leicht fällt, Sponsoren zu finden, sieht das hier in Bremen ganz anders aus. Einige große Unternehmen haben auch bereits erklärt, dass es ihnen nicht möglich ist, sich weiter finanziell zu engagieren.

Andererseits kommt auf die Hochschulen selbst ein Verwaltungsaufwand zu, den sie unter den derzeitigen Bedingungen überhaupt nicht bewältigen können. Selbst wenn es gelänge, Wirtschaft und Privatleute zu Stipendienvergaben zu mobilisieren, halten wir es für falsch, öffentliche Mittel an eine private Finanzierung aus der Wirtschaft zu binden, denn selbstverständlich, das kann man doch nachvollziehen, wird sich eine Sponsorin auch bei den Kriterien der Vergabe mit einmischen wollen. Das heißt, Unternehmen werden dann entscheiden, welchen Studiengang sie fördern wollen,

(Unruhe bei der CDU und bei der FDP)

und ob das gerade die Geistes- und Sozialwissenschaften sein werden, meine Damen und Herren, glaube ich ganz bestimmt nicht, sie werden herunterfallen. Ein Leistungsstipendium, das vom guten Willen der Wirtschaft abhängt, nutzt in der Regel eben den wirtschaftsnahen Studiengängen.

Besonders verlogen finde ich bei dieser ganzen Debatte allerdings, dass sie immer wieder mit dem Verweis auf die Gerechtigkeit geführt wird, weil es ja ausschließlich um Leistung ginge. Dabei belegen die verschiedenen Untersuchungen sehr deutlich, dass in den bisherigen verschiedenen Stipendienprogrammen immer die Kinder aus Akademikerfamilien besonders gefördert werden. Denn Jugendliche –

(Abg. Frau D r. S p i e ß [CDU]: Das ist doch nicht wahr!)

Sie kennen die Zahlen, Frau Dr. Spieß, also lesen können wir doch beide! – aus sozial schwachen Familien bewerben sich sehr viel weniger um ein Stipen

dium. Das liegt einerseits sicherlich an dem Informationsmangel, aber andererseits eben auch daran, dass es für sie überhaupt keine Selbstverständlichkeit ist, so etwas zu tun, und sie sehr häufig davon ausgehen, dass sie nicht gut genug sind.