Protokoll der Sitzung vom 17.10.2007

Wir müssen eine Bildungspolitik gestalten, die nicht unbedingt die Zustimmung der breiten Gesellschaft findet, sondern die Zustimmung der Eltern und Schüler, denn diese sind davon betroffen, und für sie findet diese „Veranstaltung“, nämlich Schule, statt. Deswegen müssen wir auch sehen, was die Eltern und Schüler mögen.

Da haben wir im weiterführenden Bereich zwei Schularten, auf die sich konzentriert wird, und das müssen wir erst einmal wahrnehmen. Es gibt Gesamtschule und Stadtteilschule auf der einen Seite und durchgängige Gymnasien auf der anderen Seite. Mit dieser Realität müssen wir umgehen, und dafür müssen wir Antworten finden, daran kommen wir nicht vorbei.

Da bin ich auch nicht bei Wunschträumen, die die Bildungssenatoren einmal geäußert haben, sondern ich frage: Was können sich Eltern und Schülern vorstellen? Das werden wir auch mit diskutieren und dann dafür sorgen müssen, dass es in allen Schulformen, auch am Gymnasium, eine Berufsorientierung gibt.

(Beifall bei der FDP, bei der SPD, beim Bünd- nis 90/Die Grünen und bei der Linken)

Wir wissen doch, dass ein Großteil der Abiturienten eine Berufsausbildung anstrebt und nicht nur eine Hochschulreife mit entsprechender Studierfähigkeit

benötigt, sondern auch für einen Weg mit lebenslangem Lernen vorbereitet sein muss, entsprechend über einen Beruf, um dann immer noch die Frage beantworten zu können, studiere ich oder studiere ich nicht. Auch da müssen wir weitergehen!

(Beifall bei der FDP)

Wir müssen uns auch überlegen, wie ist der Weg zur eigenständigen Schule zu schaffen, die wir immer mehr haben wollen. Wie realisieren wir es bei den verschiedenen Schulen? Auch dafür müssen wir Antworten finden in diesem Prozess. Wie wir ihn organisieren und wofür wir sind, habe ich dargestellt. Wir müssen dazu kommen, auch weiter Schule zu entwickeln im Sinne von, Freiheit für die Lehre in der Schule, sprich, wir müssen in der Schule das Ziel angeben, aber den Lehrern und Lehrerinnen die Verantwortung geben, diese Ziele zu erreichen. Das verstehen wir unter Freiheit der Lehre in der Schule!

(Beifall bei der FDP, bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Eines müssen wir sagen: Lehrer und Lehrerinnen haben es studiert und können es, und denen müssen wir vertrauen. Wenn Sie es nicht tun, müssen Sie sich die Frage stellen, wie Sie es anders organisieren wollen. Das möchte ich doch einmal bitte schön beantwortet wissen! Wir müssen doch denjenigen, die dafür eingestellt sind, diese Arbeit zu tun, als Erstes einmal zutrauen, das sie die Arbeit beherrschen. Dass es den einen oder anderen gibt, der dies besser kann als der andere, das ist normal, das haben wir überall im Berufsleben.

(Abg. Frau B u s c h [SPD]: Wie in der Politik!)

Es ist wie in der Politik! Da haben Sie völlig recht! Es ist genau die Sichtweise, die wir haben und auf die wir eingehen müssen.

Wir müssen, und damit soll dann auch Schluss sein, weniger Abbrecher haben, weniger Abhängigkeit des Bildungserfolgs vom Elternhaus, weniger Sitzenbleiber, und wir brauchen, das ist ein Ziel der FDP, das wir verfolgen, den Wettbewerb zwischen den Schulen. Deswegen benötigen wir auch weiterhin eine freie Schulwahl im Lande Bremen! In diesem Sinne werden wir uns konstruktiv an den Debatten im Unterausschuss oder im Fachausschuss, egal, wie wir es nennen, beteiligen, damit es besser wird, besser wird für die Schüler und Schülerinnen im Lande Bremen! – Herzlichen Dank!

(Beifall bei der FDP, bei der SPD, beim Bünd- nis 90/Die Grünen und bei der Linken)

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Stahmann.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Ich fand die Rede von Thomas Röwekamp in Teilen sehr gut, er hat sehr gut beschrieben, wie es Eltern geht, die ein etwa zehnjähriges Kind haben, das nach Klasse vier die Schule wechseln muss und vor welchen Herausforderungen die Eltern dann stehen. Es sind wirklich schwerwiegende Entscheidungen, vor die Eltern gestellt werden, und es ist nicht leicht zu entscheiden, ob ein Kind im Alter von zehn Jahren eher eine wissenschaftliche Laufbahn nehmen wird oder ob das Kind eher praktisch begabt ist.

Das ist auch ein Punkt, über den man reden muss. Ich fand es sehr gut, Thomas Röwekamp, dass Sie hier auch so offen eingeräumt haben, dass mit der Abschaffung der Orientierungsstufe jetzt nicht „alles in Butter ist“ im bremischen Schulsystem, dass nicht alle Entscheidungen der Großen Koalition das Beste bewirkt haben für Bremens und Bremerhavener Schülerinnen und Schüler, sondern dass es noch erheblichen Reformbedarf an Bremens Schulen gibt.

Weniger gut fand ich aber, wenn Sie einer Senatorin einen Vorwurf daraus machen, dass sie eine eigene Meinung hat.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Ich finde es hingegen sehr gut, dass wir eine Senatorin haben, die eine eigene Meinung – –.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Hatten wir das bisher nicht?)

Eine Senatorin, die auch eine eigene bildungspolitische Linie hat, an der man sich reiben und mit der man sich auseinandersetzen kann. Ich erachte das für diese Diskussion für ausgesprochen wichtig. Frau JürgensPieper hat wirklich gute Erfahrungen, sie kommt aus dem Geschäft und ich glaube, dass das auch der Deputation und den Beratungen im Ausschuss nutzen wird.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Hatte das ihr Vorgänger nicht?)

Gar nicht gut finde ich das Wort „Kriegserklärung“ in einer Debatte,

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

bei der wir über bessere Bildung für die Schülerinnen und Schüler sprechen. Mir wäre es lieber, und ich biete es auch an, die Friedenspfeife auszupacken, liebe CDU.

(Zurufe von der CDU) –––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft. Wir haben uns bis zuletzt bemüht und es geschafft, mit den Kolleginnen und Kollegen der FDP und der Linken in einen konstruktiven Dialog einzutreten. Wir geben nicht auf, die CDU davon zu überzeugen, dass wir zusammenarbeiten müssen, und wir laden Sie herzlich ein in den Fachausschuss, für den wir uns aus vielen Gründen entschieden haben, dass Sie dort ganz eng mit uns zusammenarbeiten. Wir wollen, dass Sie da mitmachen, und wir brauchen Sie auch, weil Sie ganz wichtige Themenbereiche ansprechen und auch abdecken, die wir dort bearbeiten müssen. (Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Ich finde es falsch, dass wir gleich den Krach anzetteln und sagen, die einen sind ideologisch, die anderen sind nicht ideologisch. An einigen Punkten sprach eben schon wieder die reine Ideologie, das kann man nicht vermeiden, und Sie wissen auch, dass ich für ein längeres gemeinsames Lernen stehe.

Sie sagen, man muss auf die Gymnasien aufpassen! Ich finde, wir müssen über beide Punkte reden, und das ist wichtig, auch deswegen, lieber Thomas Röwekamp, nicht jetzt gleich zerstreiten, sondern mitmachen in diesem Ausschuss! Kollege Güngör hat gesagt, es kommen bundesweite Experten, international anerkannte Experten sollen eingeladen werden, von denen wir alle profitieren können.

Es ist klar, dass Bremens und Bremerhavener Schulen besser werden müssen, und man muss kein Prophet sein, im Dezember werden die neuen Pisa-Ergebnisse veröffentlicht, und Bremen wird nicht in der nationalen oder internationalen Spitzengruppe landen, aber es wird wahrscheinlich einen leichten Trend zur Besserung geben. Ich möchte hier anerkennen – ich höre schon Zwischenrufe von Ihnen, Herr Rohmeyer –, dass die Große Koalition in den letzten Jahren auch sehr wichtige Schritte in Richtung Qualitätsverbesserungen an Bremer und Bremerhavener Schulen eingeleitet hat, das möchte ich hier anerkennen! Was Sie aber von mir nicht hören werden, ist, dass ich sage, die letzte Schulreform war der große Wurf. Das war sie eben nicht!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der Linken)

Wir müssen „dicke Bretter bohren“, oder wir müssen „eine harte Nuss knacken“. Für mich ist die große Nuss die soziale Kopplung der Bildungschancen im Land Bremen. Es muss Ziel aller Fraktionen sein, diese Ungerechtigkeit Schritt für Schritt – schneller wird es auch nicht gehen – zu beseitigen. Der Bildungserfolg hängt auch im Jahr 2007 vom familiären Hintergrund ab. Kinder aus armen Familien oder mit Migrationshintergrund haben es ungleich schwerer im Bremer Schulsystem, dabei ist Bremen ein Einwanderungsland. Ich möchte daran erinnern, dass 40 Pro

zent der Bremer Kinder Migrationshintergrund haben.

(Zuruf des Abg. D r. B u h l e r t [FDP])

Sogar 50 Prozent, ruft der Kollege Dr. Buhlert zu, das ist richtig! Darauf sind unsere Schulen und unser Schulsystem nicht genügend eingestellt, und wir müssen diese Herausforderung annehmen, denn wir können diese Talente, die dort zweifelsohne vorhanden sind, nicht verschwenden. Wir müssen die Kinder fördern, das ist eine große Herausforderung, die wir annehmen müssen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der CDU)

Thomas Röwekamp hat absolut recht, begabte Kinder werden in Bremen zu wenig gefördert.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der CDU)

Das ist eine Diskussion, die wir immer wieder aufnehmen müssen. Das hört man von den Eltern an den Gymnasien, aber das erfährt man auch von Eltern, deren Kinder auf den Gesamtschulen sind. Auch dort gibt es begabte Kinder, und wir müssen sehen, dass wir solch einen Unterricht anbieten, auch Angebote unterbreiten, wie diese Kinder ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten weiterentwickeln können. Manche Kinder lernen einfach schneller, andere brauchen mehr Förderung, aber alle Kinder haben einen Anspruch auf Förderung, und das darf auch diesen Schnelllernern nicht verweigert werden.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Aktuelle Zahlen zeigen im Augenblick zwar eine leichte Besserung bei der Quote der Jugendlichen ohne Schulabschluss in Bremen, im Jahr verlassen aber immerhin noch 8,9 Prozent der Jugendlichen die Schule ohne Schulabschluss. Das sind ungefähr 480 Jugendliche, die wir Jahr für Jahr in Bremen ohne Schulabschluss von der Schule wegschicken.

Daran kann ein Bundesland kaputtgehen. Ich sage es noch einmal ganz deutlich: Wir können es uns nicht leisten, Jahr für Jahr an die 500 Jugendliche ohne Schulabschluss von der Schule zu schicken, die wir dann für 40 Millionen Euro in teure Qualifizierungsmaßnahmen stecken.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Hier müssen wir etwas tun. Wir müssen früher investieren, statt später zu reparieren. Das hat sogar Norbert Kluge, der Chef von McKinsey, gesagt, und

ich finde, es ist ein ganz wichtiger Gedanke, der von der Wirtschaft in die Politik hineingetragen wird. Man muss die Kinder früh fördern, um später dann auch bessere Ergebnisse in der Breite zu erreichen, aber auch, um in der Spitze besser zu werden.

Tatsache ist, dass wir in Bremen im Augenblick nicht nur etwa drei, sondern mindestens fünf Schulformen in der Sekundarstufe I haben. Ein Stadtstaat wie Bremen leistet sich aus Sicht der Grünen also ein hoch differenziertes, teures System, das jedoch überhaupt nicht zum Erfolg führt. Bremens Schulen produzieren unzählige Abbrecher, darunter ist ein hoher Anteil an männlichen Migranten, und gleichzeitig verlassen zu wenige Jugendliche die Schule mit Abitur, auch das ist ein Defizit!

Andere europäische Länder schaffen Abiturientenquoten von 60 bis 70 Prozent. Bremen schneidet im bundesweiten Vergleich mit 33 Prozent immer noch gut ab, aber es muss an dieser Stelle auch besser werden. Wir brauchen auf dem Arbeitsmarkt viel mehr gut qualifizierte junge Leute, und wir benötigen eine fundierte Diskussion über die notwendigen Veränderungen des Bremer Schulsystems.

Hierzu beantragen SPD und Grüne heute, gemeinsam mit den Kollegen von der FDP und den Linken, die Einrichtung eines Fachausschusses der Bildungsdeputation, der mit Unterstützung von Expertinnen und Experten nach konkreten Lösungen und Verbesserungsvorschlägen suchen und diese hier auch im Parlament vorstellen wird. Es ist aus unserer Sicht wichtig, auch Schüler und die Elternvertretungen einzubinden, sie möchten gern mitmachen, auch die Lehrer haben ein Interesse, mitzudiskutieren, und das soll alles in diesem Prozess gewährleistet sein.

(Abg. D r. B u h l e r t [FDP]: Diese Zeit haben die Kinder ja auch gar nicht!)

Es ist Zeit für eine Bestandsanalyse für das Schulsystem. Diesen Gedanken haben wir von der CDU aufgenommen. Bevor wir beginnen, müssen wir wissen, wo wir eigentlich stehen. Wie gut sind unsere Schulen, und wo sind unsere Schwachpunkte? Es ist aber auch Zeit, an einigen Punkten jetzt schon gegenzusteuern und nicht erst im Jahr 2009/2010. Das ist ein Punkt, über den auch Dissonanzen herrschen, die CDU wollte ein bisschen später anfangen, und die Koalition möchte jetzt schon beginnen zu arbeiten.

Ich finde, dieser frühe Termin setzt eher die Regierung unter Druck und ist gut für die Opposition hier im Haus. Wir haben gesagt, im Sommer 2008 sollen die Ergebnisse vorliegen, und Sie werden uns als Opposition hier im Haus auch daran messen müssen, ob wir es geschafft haben, aber wir sagen, es ist der richtige Zeitpunkt.