Im Übrigen müssten Sie als Sozialdemokrat eigentlich wissen, dass so etwas, wenn es dort eine Systemveränderung gibt und tatsächlich auch Mehrkosten auf die Menschen zukommen würden, dann automatisch natürlich Gegenstand von Tarifverhandlungen werden würde, das ist doch ganz sonnenklar. Entscheidend ist aber doch, dass nicht mehr der Staat derjenige ist, der hier die Beitragssätze festsetzt und sich dann immer entscheiden darf, ob er dann wahlweise dem Wunsch der Arbeitgeber nach niedrigen Beiträgen oder dem Wunsch der Versicherten nach
Deshalb ist diese Strukturreform zukunftsweisend, wegweisend. Den Mut haben Sie nie gehabt, diese Dinge in den Jahren wirklich einmal in Angriff zu nehmen, in denen Sie regiert haben, lieber Herr Tschöpe, und ich glaube, insofern macht es auch keinen großen Sinn, auf einer solchen billigen Rhetorik, die Sie heute wieder vorgetragen haben, hier eine Debatte aufzusetzen. – Vielen herzlichen Dank!
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Dr. Möllenstädt, Sie sagen, das sei hier Herumgejammere, und Sie sagen, die Aufregung sei völlig unangebracht. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie angebracht die Aufregung angesichts dieser Reformpläne oder dieser Gesetzespläne Ihrer Bundesregierung hier in diesem Haus ist.
Kann man zwei so verschiedene Themen wie Gesundheitsreform und Hartz-IV-Reform in eine Aktuelle Stunde oder in eine Rede packen? Ja, man kann es, weil gleiche Grundprinzipien der schwarz-gelben Bundesregierung angewandt werden, wenn Sie zu Ihren politischen Entscheidungen kommen! Das Erste ist das monatelange Chaos zwischen den Koalitionspartnern, innerhalb der Parteien und Fraktionen der Bundesregierung, innerhalb der Koalition, und aus diesem Chaos, das ahnte man schon seit Wochen und Monaten, kann gar nichts Vernünftiges herauskommen, weil Sie untereinander gar nicht vernünftig miteinander reden. Das Einzige, was Sie zu leiten scheint, ist, sich gegenseitig zwischen CSU, CDU und FDP zu bekämpfen, und so sehen diese beiden Gesetzesvorlagen Ihrer Bundesregierung auch aus.
Das zweite Grundprinzip: Sie haben vor der Wahl und auch im Koalitionsvertrag Dinge angekündigt, ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.
nehmen wir die Gesundheitsreform, von denen nun nichts umgesetzt wird. Sie haben ganz große Töne gespuckt. Was herauskommt, sind jetzt Beitragserhöhungen, und die auch noch mit einer Schieflage zwischen den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern. Ich komme gleich noch einmal darauf zurück.
Das dritte Grundprinzip: Die Partikularinteressen, das ist ein schwieriges Wort, man könnte auch sagen, die Lobbys, die bei Ihnen vor der Tür stehen aus Industrie, aus Pharmaindustrie, aus vielen anderen Zusammenhängen, haben sich durchgesetzt, für die sind Sie empfänglich, und für die machen Sie Politik. Das ist Ihre Zielgruppe, das ist Ihre Peergroup, und das sieht man auch diesen Gesetzen ganz deutlich an. Auch das ist ein Grundprinzip Ihrer Politik.
Das vierte Grundprinzip: Die Vorgaben des Verfassungsgerichts werden nicht eingehalten. Das können Sie hier auch nicht schönreden, es ist einfach so, und das kann man im Detail auch nachweisen. Das sind die gemeinsamen Grundprinzipien dieser beiden Reformvorhaben. Ist es so, das könnte man bei der Hartz-IV-Gesetzgebung vermuten, dass Sie nur arme Menschen, dass Sie nur Transferempfänger als diejenigen, die Sie weiter belasten, im Auge haben? Nein, das ist nicht so. An der Gesundheitsreform sieht man, dass Sie auch die Normalverdiener, die normalen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer quasi als diejenigen ansehen, die Sie schröpfen, um anderen etwas zuzuschieben. Das ist auch ein Grundprinzip Ihrer Politik und auch dieser beiden Reformen, über die wir heute reden.
Sie sagen, wir sollen uns nicht aufregen, ich sage Ihnen einmal, was mich ganz besonders ärgert: Sie spielen jetzt die Niedrigverdiener gegen die HartzIV-Empfänger aus.
Welcher Niedrigverdiener, welcher Mensch mit einem geringen Einkommen, der den ganzen Tag arbeitet – dahin wenden Sie sich ja von CDU und FDP immer, das sind diejenigen, mit denen Sie versucht haben, dieses politisches Vorhaben zu begründen –, hat etwas davon, wenn Sie jetzt die Hartz-IV-Sätze so drehen und wenden, dass das mit den fünf Euro und mit den null Euro für die Kinder dabei herauskommt? Kein Mensch mit einem niedrigen Einkommen hat etwas davon. Sie tun zwar öffentlich so, und Sie bekommen dafür auch Zustimmung, weil vieles in der Öffentlichkeit unklar geblieben ist, aber aus
schließlich ein gerechter Mindestlohn würde diesen Menschen etwas nützen. Den Regelsatz der HartzIV-Empfänger nicht weiter höher festzusetzen, nützt diesen Menschen überhaupt nicht, meine Damen und Herren.
Das ist jetzt genau der Trick, wie Sie Ihre HartzIV-Reform verkaufen wollen. Sie sagen, das ist zwar vielleicht hart für diejenigen, die kein eigenes Einkommen haben, aber für die, die wenig verdienen, für die vielen, die den ganzen Tag arbeiten gehen, ist das doch eine Befriedigung, wenn man sagt: Seht her, die Hartz-IV-Empfänger bekommen auch nicht mehr! Gleichzeitig verweigern Sie ihnen den Mindestlohn, der ihnen zusteht.
Wie ist es bei den Kindern und Jugendlichen? Da haben Sie einen Eindruck erweckt, als ob nun ganz viele Dinge hinzukämen, damit diese Kinder und Jugendlichen endlich aus der Abhängigkeit ihrer Eltern, teilweise schon Großeltern von Transfereinkommen herauskommen. Nur, da haben Sie gar nichts Konkretes gesagt: Sie haben weder Konkretes zu der Höhe gesagt, Sie haben weder gesagt, wie die Chipkarte umgesetzt werden soll, Sie haben den Zugang und den Bezug völlig unklar gelassen. Dass ausgerechnet die Jobcenter, deren eigentliche Aufgabe es sein sollte, die Menschen zurück in die Arbeit zu bringen, jetzt auch noch hier in diesem Fall den Musikunterricht oder die Nachhilfe organisieren sollen, ist ein absolut schlechter Witz. Das ist ein schlechter Witz für die Betroffenen, das ist ein schlechter Witz für die Jobcenter, und es ist eine vollkommen absurde Idee.
Lassen Sie mich an dieser Stelle, da man an sozialpolitische Themen auch zu Recht heute nachdenklich herangehen soll, noch ein kleines Wort an die Fraktion DIE LINKE richten! Herr Erlanson, Sie haben gesagt, und ich weiß gar nicht, wo das bei Ihnen endet, 500 Euro Regelsatz, 10 Euro Mindestlohn, 30-Stunden-Woche, wahrscheinlich mit vollem Lohnausgleich! Natürlich können Sie auch, wenn Sie damit innerparteilich Probleme haben, dann sagen, 1 000 Euro Hartz IV, 20 Euro Mindestlohn und 20-StundenWoche bei vollem Lohnausgleich. Ich weiß nicht, wer bei Ihnen dann Vorsitzender wird, wer da die höchsten Zahlen erfindet.
Wir müssen auch einmal einsehen, dass Sozialpolitik keine reine quantitative Veranstaltung ist. Es ist nicht so! Das sehen wir daran, dass die Verfestigung von sozialen Notlagen nicht allein durch die Milliarden Euro gelöst werden kann, die bundesweit von Bund, Ländern und Kommunen für Sozialpolitik ausgegeben werden. Deswegen sollten wir wenigstens
einmal einen Gedanken darauf verwenden, dass der Transfer nicht das Einzige ist, sondern dass wir eine soziale Infrastruktur im Bildungs- und auch im Sozialwesen brauchen, dass wir Hilfen und Projekte brauchen, die wir auch evaluieren müssen, ob sie den Menschen auch tatsächlich etwas nützen. Das ist ein zweites Feld, wo wir uns sozialpolitisch profilieren können und müssen, da nicht allein wie bei Ihnen quantitativ die Höhe der Zahlen den Menschen auf Dauer weiterhilft, sondern auch die Qualität von sozialpolitischer Arbeit, von Bildung, von Infrastruktur für ein besseres Leben eine ganz große Rolle spielt, und die kommt bei Ihnen in keiner einzigen Rede, in keinem einzigen Antrag vor, meine sehr verehrten Damen und Herren von der LINKEN.
Das heißt aber nicht, dass die Höhe des Regelsatzes diesem Punkt untergeordnet ist. Ich gebe Ihnen in der Frage des Regelsatzes absolut recht, ich sage nur, die qualitative Debatte über die Qualität von Sozialpolitik muss dazukommen. Die Höhe des Regelsatzes ist keine Frage, die wir ins Belieben von beliebigen Rechentricks stellen können, sondern sie ist – und das haben sowohl Sie als auch der Kollege Tschöpe gesagt, und ich schließe mich dem ausdrücklich an – eine Frage der Menschenwürde und der Menschenrechte, sie ist im Grundgesetz verbrieft. Hier gibt es einfach kein Vertun, hier muss endlich ein Regelsatz her, der dieser Menschenwürde, die im Grundgesetz und auch vom Bundesverfassungsgericht gefordert wird, entspricht. Das ist im Moment in dieser Vorlage der Bundesregierung nicht der Fall.
Lassen Sie mich noch, ich hatte es am Anfang gesagt, auf die Gesundheitsreform zurückkommen! Wir Grünen werben seit langem dafür, eine Bürgerversicherung in der Krankenversicherung einzuführen, die alle mit einbezieht, die heute in die Krankenversicherungen nicht einzahlen. Eine solche Bürgerversicherung ist überfällig, und sie würde auch viele Probleme des Defizits, das beschrieben worden ist, lösen. Was Sie jetzt machen, ist gar keine Reform, es ist einfach eine Erhöhung der Beitragssätze. Das ist das Schlichteste, was man tun kann. Was Sie dann noch machen, Sie sagen: Na ja, die Beitragssätze sollen steigen, darauf soll auch noch ein Einmalbetrag kommen, den sollen in Zukunft aber die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zahlen, der Anteil der Arbeitgeber wird bei 7,3 Prozent eingefroren.
Ihr Bundesvorsitzender, Herr Westerwelle, ist in den Wahlkampf hinausgegangen und hat mehr Netto vom Brutto versprochen. Sind höhere Krankenkassenbeiträge für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
mehr Netto vom Brutto? Sie sind weniger Netto vom Brutto, meine Damen und Herren, und das große Versprechen – fast hätte ich einen freudschen Versprecher gemacht – haben Sie nicht gehalten, das Sie im Bundestagswahlkampf hier angekündigt haben. Ich glaube, dass etliche der Stimmen Ihrer knapp 15 Prozent, die Sie damals geholt haben, auf dieses Versprechen, dass die Menschen weniger Sozialabgaben zahlen müssen, auch zurückgehen.
Wenn Sie einmal schauen, wie Ihre Gesundheitsreform kommentiert wird, dann haben Sie praktisch gar keinen Ausweg, als hier auch selbstkritisch einmal nach vorn zu gehen und zu sagen, dass das im Prinzip ein riesiger Flop ist. Die Einzelheiten sind hier ja schon genannt werden, ich brauche sie nicht zu wiederholen.
Was ist die Kommentarlage dieser Gesundheitsreform des FDP-Gesundheitsministers Rösler? Da heißt es entweder in einem Kommentar der „Welt“, die Ihnen durchaus nahestehen dürfte, „Wieder ein Gesundheitsreförmchen“, oder in der „Tagesschau“ das Motto des Kommentars: „Armseliger hätte die Reform nicht sein können“. Ich darf noch weiter zitieren aus dem Kommentar in der „Tagesschau“: „So einfallslos ist bisher noch kein Gesundheitsminister in Deutschland ans Werk gegangen. Die Versicherten zahlen die Zeche. Bei Industrie und Pharmaherstellern wird dagegen nur ein ganz kleines bisschen der Gewinn gekappt.“ Selbst in dem weiteren Springer-Organ, nämlich der „Bild“, wird Ihre Gesundheitsreform schlichtweg, wie es dort so üblich ist, in einer sehr kurzer Formel beschrieben: „So krank ist die Gesundheitsreform dieser Bundesregierung.“
Ich weiß gar nicht, ob Sie irgendwo jemanden – ich habe lange gesucht – gefunden haben, der diese Art der Gesundheitsreform, nämlich Beitragserhöhung schlicht auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer umzulegen, weitere Pauschalbeträge oben daraufzusatteln und dann in einem sehr undurchschaubaren System des angeblichen Sozialausgleichs, das auch noch nicht finanziert ist, das auch noch nicht beschlossen ist, das Sie nur ankündigen, dann dies kompensieren zu wollen für diejenigen, die es nicht bezahlen können – –.
Das ist keine grundlegende Reform des Gesundheitswesens, das ist kein Begrenzen der Gewinne der Pharmaindustrie, das ist kein Zurückschrauben der Honorare der Ärzte.
Hier machen Sie auch noch gesundheitspolitisch einen großen Fehler: Sie begrenzen die Honorare der Hausärzte stärker, Sie begrenzen die Honorare der Fachärzte sehr viel weniger, Sie machen den Krankenhäusern das Leben schwer – das werden Sie in Bremen bei den kommunalen, aber auch den freigemeinnützigen Krankenhäusern sehen –, und Sie
bevorzugen einseitig Apotheken, Pharmaindustrie und die Fachärzte. Genau das scheint auch das Ziel zu sein, denn man hat nicht den Eindruck, dass das zufällig geschieht, sondern dass es Ausfluss Ihrer Politik ist, meine Herren von der FDP!
Herr Präsident, ich komme zum Schluss! Wenn Herr Dr. Möllenstädt hier entweder überzeugt oder auch mit der Verzweiflung, dass man es von Bremen aus auch wenig anders machen kann, wenn die Bundesregierung hier so vorprescht, versucht, diese beiden Reformen schönzureden, wenn er sagt, wir sollten uns nicht aufregen, es würde schon alles gut, dann hat er sich, glaube ich, sehr getäuscht. Ich glaube, dass neben der Auseinandersetzung um die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke die Auseinandersetzung um den sozialen Frieden in unserem Land in diesem Herbst und Winter eine große Rolle spielen werden. Wir Grünen sind auf jeden Fall an der Seite derer, die von Ihnen zusätzlich belastet werden. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe, darf ich auf der Besuchertribüne nun die Besuchergruppe aus Celle recht herzlich begrüßen. Es sind Mitglieder der SPD 60 plus. Seien Sie ganz herzlich willkommen!
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn es in dieser Woche einen Skandal gab, ist es das Verhalten der SPD bezogen auf ihr „eigenes Kind“, die Hartz-IV-Gesetzgebung.
Die Ausführungen Ihres SPD-Fraktionsvorsitzenden Herrn Tschöpe haben es bewiesen: Sie verlassen den Pfad der Tugend und begeben sich immer mehr auf den Abenteuerspielplatz, nämlich auf den sozial-populistischen Abenteuerspielplatz, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion!