Protokoll der Sitzung vom 09.12.2010

Ich hatte aber – und da komme ich jetzt zu dem Antrag der LINKEN –, was die Frage des Gedenktages ausmacht, das Gefühl, es gibt mittlerweile in gewisser Weise so eine Art Inflation von Gedenktagen. Es gibt einen Weltspartag, es gibt einen Tag ohne Fleisch, es gibt einen Tag für dieses, und es gibt einen Tag für jenes. Ich glaube, dass diese historischen Fragen so viel wichtiger sind, als dass ihnen konzentriert auf einen Tag oder zwei Tage „verordnet“ gedacht werden soll. In Wahrheit stehen wir vor der Aufgabe heute noch wie eh und je, dass wir verhüten und verhindern müssen, dass sich rechtsradikale Kräfte in diesem Land wieder zu Wort melden können

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

und dafür sogar noch in Ansätzen, in Teilen der Bevölkerung einen Resonanzboden finden. Da ist tägliches Erinnern, alltägliches Leben gegen Rechtsradikalität von uns allen gefordert. In diesem Sinne ist ein Gedenktag an der Stelle, Herr Erlanson, nicht wirklich hilfreich. Wir können im Übrigen die Ankündigung der NPD, am 1. Mai im nächsten Jahr zu einer Demonstration aufzurufen, gleich auch für gemeinsame Aktivitäten gegen Rechtsradikalität nutzen.

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Ich glaube, um das auch noch einmal in Richtung CDU zu sagen, dass es wenig Sinn macht, alles in einen Topf zu werfen, ordentlich umzurühren und dann zu sagen, aber die „Ostzone“, das hat meine Oma immer gesagt, die ehemalige DDR war ja auch ein Unrechtsstaat! Das ist in der Tat so gewesen. Ich glaube aber auch, dass die Tradition der PDS und auch dann der LINKEN sich durchaus selbstkritisch damit auseinandersetzt.

(Abg. B ö d e k e r [CDU]: Das kann man so oder so sehen!)

Ich finde die Vorwürfe langsam ein wenig langweilig. Die LINKE definiert ihre Politik zum Teil aus der heutigen Gesellschaft, und ich muss sagen, wir müssen uns mit deren Forderungen, deren politischen

Ideen, die sie aus der heutigen Gesellschaft beziehen, auseinandersetzen und nicht immer mit der Keule kommen: Ihr habt damals aber auch!

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Das dazu, weil ich wenig Interesse daran habe, linke Positionen ins linksextremistische Lager zu drängen, wo man sie dann überhaupt nicht mehr behandeln kann, sondern tatsächlich in der Alltagspolitik eine klare deutliche Auseinandersetzung – auch der Streit mit linken Positionen gehört für mich dazu – sowie ein Stück politische Normalität an dieser Stelle!

In diesem Sinne lehnt die SPD-Fraktion einen Gedenktag ab. Im Übrigen wäre das auch kein Feiertag, an dem man arbeitsfrei hat. Darauf bräuchte man sich dann auch nicht zu freuen. Es wäre nur ein verordnetes Gedenken. Wir lehnen diesen Antrag ebenfalls ab. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Möllenstädt.

(Abg. Ts c h ö p e [SPD]: Immer noch Frak- tion?)

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will den Einstieg einmal ein wenig anders wählen, da es mir eigentlich weniger darum geht – so verstehe ich auch den Antrag nicht –, über die Geschichte einer Partei, die hier im Haus vertreten ist, zu urteilen, sondern der Antrag befasst sich sehr konkret mit der Frage, an welchem Tag den Opfern des Nationalsozialismus in Deutschland am besten gedacht werden kann. Es ist hier in der Debatte bereits ausgeführt worden, und die Meinung haben auch wir als Liberale, dass der 27. Januar der geeignete Tag ist. Dazu hat es auch eine breite Debatte – Herr Dr. Kuhn hat das ausgeführt – in der Vergangenheit gegeben, an deren Schluss diese Entscheidung stand, und ich finde, dieser Tag ist wie kein anderer geeignet, der Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken und damit natürlich auch der Opfer des Zweiten Weltkriegs insgesamt, interjection: (Beifall bei der FDP)

da genau an diesem Tag ein Lager in Auschwitz befreit wurde, das symbolträchtig ist wie kein anderer Ort für das Regime des Nationalsozialismus. Deshalb glauben wir, es ist gut, dass der 27. Januar der offizielle Gedenktag ist. ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

Ich will aber auch eines sagen, hier ist vom verordneten Gedenken gesprochen worden,

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Das hat er doch in Anführungsstrichen gesagt!)

das ist etwas, was ich als Begrifflichkeit schwierig finde. Natürlich bieten bestimmte Tage auch besonderen Anlass für Berichterstattungen, für Diskussionen, für Vertiefungen, aber es bieten auch alle anderen Tage im Jahr natürlich die Möglichkeit, und das wird mittlerweile richtigerweise auch in den Schulen sehr intensiv unabhängig von Gedenktagen gemacht, lieber Kollege Möhle. Es hat sich erfreulicherweise auch einiges in den letzten Jahren getan, dass man die Aufarbeitung von Geschichte wirklich auch an jedem Tag, wenn man es möchte, vornehmen kann, und das wollen wir eigentlich lieber stärken, als einzelne weitere Gedenktage zu installieren. Das wird der Sache nicht gerecht.

(Beifall bei der FDP)

Ich will hier abschließend auch sagen, der 8. Mai scheint mir aus Gründen, die richtigerweise vom Kollegen Kau hier in der Diskussion angesprochen worden sind, und wahrscheinlich auch nicht in der Gefühlslage aller Deutschen wirklich ein verbindender Tag zu sein. Wenn man das weiß, und ich denke, das wird gerade auch in der grünen Fraktion, die ja das Bündnis 90 immer noch mit im Namen trägt, Verständnis finden, dass wir das so sehen, dass es Menschen gibt, die sich in den Jahren danach in den neuen Bundesländern unterdrückt gefühlt haben, für sie soll natürlich auch keine Hürde aufgebaut werden, der Opfer auch an einem Tag vernünftig zu gedenken. Deshalb glauben wir, der 8. Mai ist aus dieser Überlegung nicht geeigneter als der 27. Januar, sondern eher weniger geeignet, um wirklich auch einen geeigneten Gedenktag zu haben.

(Beifall bei der FDP)

Dementsprechend werden wir auch den Antrag der Fraktion DIE LINKE ablehnen. Es ist aber auch klar, und ich denke, das verbindet uns alle hier im Hause, dass natürlich am 27. Januar, aber auch darüber hinaus der Opfer des Zweiten Weltkriegs – übrigens auf allen Seiten, bei den Siegern und bei den Besiegten – gedacht werden soll und auch erinnert werden soll an die schrecklichen Gräuel dieses Krieges, die das Regime des Nationalsozialismus über Deutschland und Europa gebracht hat. – Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Eine Kurzintervention des Abgeordneten Erlanson!

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich wollte mich noch einmal zu Wort melden, um klarzustellen, natürlich soll das keine Konkurrenz zum 27. Januar sein, das war mir schon sehr wohl bekannt. Wie Herr Möhle richtig gesagt hat: Diesem Hohen Haus und allen hier in Bremen vertretenen demokratischen Parteien wird es gut anstehen, dem Naziaufmarsch am 1. Mai gemeinsam etwas entgegenzusetzen.

Ich will aber einmal sagen, die Reaktion von Herrn Kau hat mich schon ein bisschen erstaunt, die Herr Dr. Möllenstädt jetzt auch noch ein bisschen unterstützt hat. Ich empfinde das in der Tat einfach als ein Stück Geschichtsklitterung, was da betrieben wird. Der 8. Mai ist in der Tat eine Befreiung gewesen. Was danach in der Aufteilung passiert ist, wie sich die Alliierten, wie sich die Sowjetunion danach verhalten haben, das steht auf einem ganz anderen Blatt.

(Abg. S t r o h m a n n [CDU]: Hat den Men- schen vor Ort aber auch nichts genützt!)

Das hat mit diesem Tag und mit dem Ende des Faschismus und dem Ende des Weltkriegs nichts zu tun. – Danke! (Beifall bei der LINKEN)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Damit ist die Beratung geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer dem Antrag der Fraktion DIE LINKE mit der Drucksachen-Nummer 17/1374 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür DIE LINKE)

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grü- nen, FDP und Abg. T i m k e [BIW])

Stimmenthaltungen? Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt den Antrag ab.

Initiative für eine betriebliche Qualifikationsoffensive Antrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/ Die Grünen vom 9. September 2010 (Drucksache 17/1421)

Dazu als Vertreterin des Senats Frau Senatorin Rosenkötter. ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

Die Beratung ist eröffnet.

Als erste Rednerin erhält das Wort die Abgeordnete Frau Ziegert.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Mit der Erholung des Arbeitsmarkts häufen sich in den letzten Wochen verstärkt die Klagen aus der Wirtschaft über einen Fachkräftemangel, auch hier in Bremen: Obwohl wir eine sehr hohe Arbeitslosigkeit haben, berichten laut IABBetriebspanel über 20 Prozent der Betriebe über Engpässe bei der Stellenbesetzung. Ob es sich hierbei nun um einen gefühlten oder einen wirklichen Mangel handelt, ist unter Experten des Arbeitsmarkts höchst umstritten. Eine umfangreiche Studie der HansBöckler-Stiftung kommt aktuell allerdings zu dem Ergebnis, dass es weder gegenwärtig einen akuten noch auch auf längere Zukunft gesehen einen drohenden Fachkräftemangel an akademisch gebildeten Fachleuten gibt, im Gegenteil, im Augenblick werden so viele Akademiker ausgebildet, dass die Nachfrage auch noch auf längere Zeit befriedigt werden kann. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommen auch das IAB der Bundesagentur für Arbeit sowie die Friedrich-Ebert-Stiftung.

Richtig ist allerdings auch – das haben wir ja hier auch teilweise schon diskutiert –, dass es in einigen Branchen Engpässe gibt, vor allen Dingen ragt hier der Gesundheits- und Pflegebereich hervor, wobei ich einmal zum Pflegebereich in der Altenpflege gerade sagen möchte, dass das auch sehr viel mit der Bezahlung der Pflegekräfte zu tun hat, denn es zeigt, für einen Mindestlohn von 8,50 Euro werden sich kaum junge Leute dazu bewegen lassen, in diesen wichtigen und qualifizierten Beruf zu gehen. Hier ist schon sehr deutlich, wo der Hebel zur Veränderung liegt.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Es gibt sicher auch in einigen anderen Branchen Engpässe, aktuell zum Beispiel in einigen Bereichen der Metallbranche oder auch in Bezug auf IT-Spezialisten.

Die Chancen für Ungelernte werden schlechter, und das ist auch das, worauf ich nachher den Schwerpunkt legen werde. Was allerdings auch richtig ist, und ich glaube, das sollte man in der gegenwärtigen Diskussion nicht vergessen: Natürlich wird es offensichtlich angesichts der verbesserten Arbeitsmarktlage für die Betriebe schwieriger – hier insbesondere auch für kleine und mittlere Unternehmen –, Fachkräfte zu halten und Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt zu finden. Wenn allerdings, wie jüngst zu lesen war, der Siemens-Konzern 300 Stellen für Ingenieure in Leiharbeit nicht besetzt bekommt, dann ist das in meinen Augen kein Zeichen für einen drohenden Fachkräftemangel, der staatliche Interven

tionen erfordert, sondern es ist eigentlich ein Zeichen für eine Normalisierung auf dem Arbeitsmarkt.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen – Abg. J ä g e r s [SPD]: Sie soll- ten lieber einmal anständige Löhne zahlen, dann bekommen sie auch genügend Leute!)

Ja, und nicht in Leiharbeit, Herr Jägers!

Insofern muss der Ruf der Wirtschaftsverbände, jetzt ganz schnell die Zuwanderung von ausländischen Fachkräften zu forcieren, indem vor allen Dingen die Einkommensgrenze herabgesetzt werden soll, die bisher Voraussetzung für ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht ist, misstrauisch stimmen. Ab dem 1. Mai 2011 gilt ohnehin die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der EU. Der deutsche Arbeitsmarkt für Akademiker auch außerhalb der EU ist ohnehin bereits offen.

Die Forderung der Wirtschaft nach Absenkung der Einkommensgrenze für Hoch- und Höchstqualifizierte, um die geht es ja, auf 40 000 Euro im Jahr nährt vielmehr den Verdacht, dass dahinter die Vorstellung steht, hier qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland zu billigen Preisen importieren zu können und damit Druck auf das hiesige Gehalts- und Lohnniveau auszuüben. Ich denke, das ist etwas, das wir nicht unterstützen können. Deshalb sagen wir ganz klar Ja zum erleichterten Zuzug ausländischer Fachkräfte nach Deutschland, zum Beispiel durch vereinfachte Aufenthaltsverfahren, aber dann auch für eine angemessene und faire Bezahlung.

Wer übrigens glaubt, wir könnten die demografische Herausforderung in erster Linie über den internationalen Arbeitsmarkt lösen, der springt auf Dauer zu kurz. Natürlich würde auch ich mich freuen, wenn Deutschland, wenn Bremen ein Anziehungspunkt – wie es so schön heißt – für die besten Köpfe und die besten Spezialisten aus aller Welt sein würde, das fände ich prima. Ich glaube aber, dass es sich kein Land und auch keine Region leisten kann – und am wenigsten unser Land, Deutschland, dessen Wirtschaft vor allem auf der Qualifikation und guten Arbeit der Beschäftigten beruht –, die Versäumnisse eigener Bildungs- und Qualifizierungsanstrengungen durch Zuzug qualifizierter Arbeitskräfte aus dem Ausland zu kompensieren und dabei die Anstrengungen im eigenen Land zu vernachlässigen.