Protokoll der Sitzung vom 27.01.2011

Sie wollen uns doch mit den Anträgen, die Sie die letzten Wochen und Monate eingereicht haben, weismachen, dass Sie sich ein wenig von der AgendaPolitik verabschiedet haben. Nicht umsonst haben wir gestern die Debatte um die Leiharbeit geführt. Heute wollen Sie einen Beschluss zum Arbeitslosengeld I fassen, dann wollen Sie vielleicht noch ein bisschen mehr Geld für Kinder und Jugendliche in die

Hand nehmen, dann wollen Sie Mietobergrenzen auf den Prüfstand stellen. Okay, beim Arbeitslosengeld II – das sieht man ganz deutlich auf Bundesebene – haben Sie Ihre Haltung einfach nicht geändert, da gibt es nach wie vor die sehr maue Haltung zu der FünfEuro-Regelsatzerhöhung. Sie wissen auch, dass wir da als LINKE für eine grundsätzliche Neubewertung und vor allem für eine Abkehr von der Agenda-Politik stehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Sich also dann beim Arbeitslosengeld II nur darum zu kümmern, dass der Bund einen höheren Anteil zahlen soll, ist ein bisschen zu einfach gedacht oder zu kurz gesprungen. Es braucht auch das klare Bekenntnis dazu, dass die Regelsätze höher werden müssen. Sie kennen unsere Forderungen, und Sie kennen die Forderungen der Sozialverbände. Die Bitte, die Regelsätze wenigstens auf dieses Niveau anzuheben, wäre doch schon einmal ein erster Schritt. Sie wissen auch, dass wir dafür stehen, dass Sanktionen weg müssen, dass vor allem auch die realen Miet- und Heizkosten bezahlt werden müssen und nicht hier schon wieder Prüfaufträge über Prüfaufträge in Auftrag gegeben werden. Es tut mir leid, aber irgendwie ist es typisch für Ihre Anträge, dass so etwas einfach nicht aufgelistet wird, dass das in Ihren Anträgen fehlt.

(Beifall bei der LINKEN)

Richtig ist auf jeden Fall, wenn man möchte, dass das Arbeitslosengeld I länger gezahlt wird, dann ist natürlich ein ganz besonderer Grund dafür ausschlaggebend. Wenn Arbeitslosengeld I länger gezahlt wird, haben Erwerbslose natürlich auch länger Zeit, sich nach einer neuen, nach einer guten Arbeit umzusehen. Das heißt also, sie müssen nicht das erstbeste Angebot annehmen, bei dem sie wahrscheinlich vom Einkommen her massiv absacken, sondern sie können sich aussuchen, ob sie nicht besser eine gut bezahlte Arbeit annehmen. DIE LINKE steht dafür, dass Menschen mit Behinderungen und über Fünfundfünfzigjährige mindestens zwei Jahre lang Arbeitslosengeld I bekommen sollen, über Sechzigjährige mindestens 30 Monate Anspruch auf Arbeitslosengeld I erhalten sollen. Natürlich stehen wir dafür, dass für jedes Jahr, in dem auch ein Arbeitslosengeld-I-Beitrag geleistet wird, sich der Anspruch um einen Monat verlängert.

(Beifall bei der LINKEN)

Für uns hat die Arbeitslosenversicherung die Aufgabe, im Fall der Arbeitslosigkeit den Lebensstandard abzusichern. Wer gute Arbeit will, darf eben beim Arbeitslosengeld I nicht sparen. Wir gehen heute mit Ihnen und Ihrem Antrag gemeinsam den ersten Schritt, wohl wissend, dass damit nicht das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Das heißt also, wir stimmen Ihrem Antrag erst einmal zu.

Zum FDP-Antrag muss ich sagen, dieser Antrag ist wirklich nur eine Farce. Wie sagen Sie so schön? Ich zitiere: „Die Bremische Bürgerschaft (Landtag) bittet den Senat, sich dafür einzusetzen, die Arbeitslosenversicherung als Risikoversicherung zu stärken, eine Ausweitung von Leistungen für bestimmte Gruppen zu verhindern und mit Blick auf Wachstum und Beschäftigung eine Steigerung der Lohnnebenkosten abzuwenden.“ Die Steigerung der Lohnnebenkosten abzuwenden? Das sehe ich doch richtig, das wird jetzt von einer Partei beantragt, die gemeinsam mit der CDU auf Bundesebene eine Erhöhung der Krankenkassenbeiträge für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zum 1. Januar 2011 eingeführt hat?

(Beifall bei der LINKEN)

Liebe Kollegen, da erübrigt sich doch bestimmt jegliche Debatte zum Thema mehr Netto vom Brutto. Ihre Politik ist unglaubwürdig. Sie sind unglaubwürdig, und Ihren Antrag können wir nur ablehnen!

(Beifall bei der LINKEN)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Nestler.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich, wie viele Bundesratsinitiativen von diesem Landtag in letzter Zeit initiiert werden. Noch erstaunlicher ist es, dass es hier laufend um Gesetze geht, die von der Großen Koalition in Berlin verabschiedet wurden, und zwar durch federführende Erarbeitung sozialdemokratischer Arbeitsminister.

(Beifall bei der CDU)

Wenn man aber ernsthaft Ihr Anliegen verfolgt, wird man zumindest den Verdacht nicht los, dass Ihre eigenen Arbeitsminister in der Vergangenheit in Berlin aus Ihrer Sicht nicht gerade allzu viel richtig gemacht haben können. Dabei haben gerade diese Minister eines mit Sicherheit nicht: Sie haben sich bei ihren Entscheidungen nicht von der CDU unter Druck setzen lassen. Nein, meine Damen und Herren, die Herren Müntefering, Clement und Scholz haben sich – zu diesem Schluss kommt man schon zwangsläufig – nicht einmal von Ihnen beeinflussen lassen. Dieses Gesetz zur Bezugsdauer ist in veränderter Form doch erst seit dem Jahr 2008 in Kraft. Große Teile davon wurden noch durch den Altvorsitzenden der SPD Herrn Beck, und den DGB auf den Weg gebracht.

Wir gehen grundsätzlich davon aus, dass Gesetze der Regel nach eine etwas längere Geltungsdauer haben. Auch wenn Sie hier heute mit den Ergebnissen nicht einverstanden sind, zum Zeitpunkt des Entstehens dieser Gesetze haben Sie sich mit keinem Wort gemeldet, wobei da auch keine Wahl war. Sol

che Ansinnen, solche Versprechen werden da lieber vor einer Wahl aus dem Hut gezaubert, dem ernsthaften Anliegen dienen sie wahrlich nicht. Das, was Sie hier heute wieder abändern wollen, ist ein Kind mit der klaren Handschrift der SPD und sonst nichts!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Dabei debattieren wir hier heute über ein Thema, das für jedes Bundesland von großer Bedeutung ist. Verlängerung des Arbeitslosengeldes I bedeutet schlicht und einfach die sofortige Entlastung der Landeshaushalte, und zwar im erheblichen Maße. Natürlich ist die logische Folge, dass der Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit entsprechend belastet wird und damit, weil der Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit wohl nicht allzu viel hergibt, der Bund in die Pflicht genommen werden soll. Darauf kann man eigentlich zurzeit nur kommen, wenn man selbst nichts mehr zu sagen hat. Man muss sich schon fragen, woher denn das Geld kommen soll. In leere Taschen zu greifen, macht wenig Sinn.

Ich will hier nicht verschweigen, dass es auch bei uns unterschiedliche Auffassungen gibt, was die Verlängerung des Arbeitslosengeldes und die Arbeitslosenversicherung betrifft. Nehmen wir doch einmal die sogenannten sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten, ABM, 50 plus, Bürgerarbeit. Die Beschäftigungsdauer beträgt hier einen längeren Zeitraum. Sozialabgaben werden abgeführt, aber Arbeitslosenversicherung wird hier nicht abgeführt, selbst wenn die Kommunen, das Land, dies auf eigene Rechnung machen wollte, was sich bestimmt lohnen würde. Es geht nicht, da der Bund, das Gesetz dies nicht zulassen. Dies hat zur Folge, dass eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer zwar längerfristig sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist, sie oder er jedoch keine Ansprüche auf Arbeitslosengeld I hat und auch die Betreuung durch die Agentur für Arbeit entfällt.

Das heißt, wenn die Tätigkeiten enden, fallen die Betroffenen zurück in das Arbeitslosengeld II und damit den Kommunen wieder zur Last. Darüber könnte man auf Landesebene wahrlich diskutieren und nach Lösungswegen suchen. Die Frage bleibt jedoch, wer dies hier mit wem regeln soll. Vielleicht würden daraus auch Ansätze entstehen, die eine Bundesratsinitiative begründen könnten. Die schlichte Forderung danach, wohl wissend, dass es mit Sicherheit sofort an den Finanzierungsmöglichkeiten scheitert, tragen wir nicht mit.

Dann Ihre zweite Forderung, höhere Beteiligung des Bundes beim Wohngeld! Da sprechen Sie natürlich jedem Kämmerer aus der Seele. Wir gehen mit Ihnen konform, dass es dort Verhandlungsbedarf gibt, sodass zumindest nicht noch weitere Kürzungen auf uns zukommen, die von den Kommunen nur schwer aufzufangen sind.

Der Deutsche Städtetag bestätigt, dass immer mehr Städte für die Unterkunft von Langzeitarbeitslosen

zahlen. Der Deutsche Städtetag hat auch schon entsprechende Forderungen aufgestellt, denn – das müssen Sie bedenken – der Bund ist nur für die Leistungen zum Lebensunterhalt, das heißt, für das Arbeitslosengeld II verantwortlich. Das Wohngeld, die Kosten der Unterkunft, tragen dem Gesetz nach die Kommunen. Wir müssen eigentlich froh sein, wenn sich der Bund überhaupt noch daran beteiligt und hoffen, dass es nicht weitere Kürzungen gibt.

Vielleicht müssen wir auch einmal schauen, wie es denn um unsere Mieten steht. Vielleicht sind auch die zumindest in bestimmten Bereichen zu hoch. Vielleicht sollte man einmal überprüfen, ob Verdienstmöglichkeiten, und damit meine ich die Zuverdienste bei Hartz IV, nicht mindestens zu einem kleinen Teil auf das Wohngeld angerechnet werden könnten. Derzeit mindert dieser Zuverdienst ausschließlich das Arbeitslosengeld II. Meine Damen und Herren, diese Themen bedürfen zuerst einmal einer Überlegung, einer Klärung und dann einer Lösung, Wege aufzuzeigen und unter Umständen entsprechend einzufordern.

Wir wollen natürlich eine Initiative zur Wahl im Bundesrat, und Sie wollen sie sofort. Wir sagen, machen Sie erst einmal Ihre Arbeit vor Ort, und lehnen Ihren und auch den FDP-Antrag ab. – Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU)

Als nächste Rednerin hat das Wort zu einer Kurzintervention die Abgeordnete Frau Schön.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Im Rahmen der Kurzintervention drei kurze Anmerkungen. Erstens, ich stelle fest, dass FDP und CDU kein Interesse an der finanziellen Entlastung unseres Bremer Haushalts haben.

(Widerspruch bei der CDU)

Ich stelle zweitens fest, dass wir immer wieder Bundesratsinitiativen machen müssen, weil Ihre Bundespolitik einfach so schlecht ist

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

und die Bremer Bevölkerung einfach von Ihrer Politik in Berlin betroffen ist.

Die dritte Anmerkung zur FDP! Herr Dr. Möllenstädt, ich finde es gut, dass Sie das hier in aller Klarheit sagen: Sie stehen für flexible Arbeitsverhältnisse – Ihre Ausführung zur Leiharbeit habe ich von gestern noch gut im Ohr –, Sie wollen keine existenzsichernden Löhne, Sie sind gegen den Mindestlohn. Gleichzeitig wollen Sie aber daraus nicht die Konsequen––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

zen ziehen, wenn Sie soviel Zugeständnisse an Unternehmen machen, die jetzt nach der Krise wieder sehr gut verdienen, und die Börsenkurse zeigen das, dass Sie die Menschen in ihren ungeschützten Beschäftigungsverhältnissen erstens alleinlassen, und zweitens, dass Sie ihnen keine sozial ausreichende Sicherung geben wollen, wenn sie arbeitslos sind. Das zeigt, wo Sie stehen: Sie stehen auf der Seite der Konzerne, aber nicht auf der Seite der Menschen. Das ist hier entlarvend.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Eine weitere Kurzintervention von dem Abgeordneten Dr. Möllenstädt.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Schön, ich will doch eines hier sehr deutlich zurückweisen. Natürlich, so ist es ja auch gesagt worden, da stimmen wir auch völlig überein, steht der Sozialstaat in den nächsten Jahren vor Herausforderungen, dazu gehört auch in ganz elementarer Weise – und das verkennen Sie mit Ihren Ausführungen, die Sie hier getätigt haben – die Finanzierungsseite und nicht nur die Anspruchsseite. Ich weiß nicht, woher Sie das nehmen. Natürlich sind wir für flexible Möglichkeiten der Beschäftigung, weil es auch ein Erfordernis des modernen Arbeitslebens ist, aber daraus die Schlussfolgerung zu ziehen, dass wir schlechte Arbeit wünschen, das Gegenteil ist der Fall, und so waren auch meine Ausführungen weder heute noch gestern zu interpretieren.

(Abg. Frau B ö s c h e n [SPD]: Kurzinter- vention!)

Also, liebe Frau Kollegin! Nachdem wir das eben gehört haben, werden Sie mir auch eben die gebotene Aufmerksamkeit erweisen! Ich finde das auch nicht sachgerecht, Sie selbst haben hier heute ein breites Thema mit einer sehr kurzen Redezeit angeschnitten, wir können das gern an einer anderen Stelle vertiefen, aber ich würde doch eine angemessene Form der Diskussion und Respekt gegenüber den unterschiedlichen Meinungen hier im Haus einfordern.

(Beifall bei der FDP)

Als nächster hat Herr Staatsrat Dr. Schuster das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Angesichts der verschiedenen Debatten, die wir jetzt schon hierzu geführt haben, will ich nur noch ein paar kleine Anmerkungen machen. Zunächst zu der Sache, die im––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

mer wieder kommt, es sei jetzt alles nur Wahlkampf und so weiter, und die SPD, die Grünen oder die Große Koalition hätten das hier alles selbst mitgemacht. Das ist, glaube ich, die falsche Debatte, die wir führen. Natürlich sind die Hartz-Gesetze von Rot-Grün gemacht worden, unter tätiger Mithilfe der FDP und der CDU im Bundesrat, die damals eine maßgebliche Rolle gespielt haben. Es sind auch ohne Zweifel bei diesen Reformen wichtige Reformschritte vollzogen worden, weil es einen bestimmten Reformstau gegeben hat. Gleichzeitig, das hat auch der Bremer Senat schon in verschiedensten Initiativen deutlich gemacht, sind damals allerdings auch einige Fehlentscheidungen getroffen worden, die zu gravierenden Fehlentwicklungen geführt haben, und es ist, finde ich, völlig legitim zu sagen, dass es acht Jahre, nachdem man Gesetze beraten und beschlossen hat, irgendwann einmal Zeit ist, genau zu überlegen, was eigentlich geändert werden muss.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Einen dieser Änderungsgegenstände haben wir heute. Es ist nämlich so, dass inzwischen über drei Viertel aller Arbeitslosen im SGB II und nicht mehr im SGB III sind und das bestimmte Konsequenzen hat und dass es durchaus legitim und aus meiner Sicht völlig richtig ist, darüber nachzudenken, mit welchen Schritten wir eigentlich die Arbeitslosenversicherung wieder stärken können, weil sie offensichtlich ihre Funktion nicht erfüllt. Das hängt vor allem damit zusammen, dass sich inzwischen eine Vielzahl sogenannter prekärer Beschäftigungen – darunter verbergen sich ja ganz verschiedene Beschäftigungsverhältnisse – herausgebildet hat, die dazu führen, dass der Bezugspunkt, den die Arbeitslosenversicherung bisher hat, nämlich der des vollzeiterwerbstätigen Mannes, immer weniger der Fall ist. Darüber müssen wir nachdenken, wie wir darauf reagieren. Da ist ein Bezugspunkt, und das ist auch der Punkt, der hier in den Anträgen angesprochen wurde, über die Verkürzung der Rahmenfrist, der Anwartschaftsdauern und die Verlängerung der Bezugszeiten nachzudenken, wie man diese Funktion der Arbeitsversicherung wieder stärken kann. Das ist aus meiner Sicht völlig richtig und muss auch gemacht werden. Herr Dr. Möllenstädt, Sozialversicherung reduziert sich nicht auf die alternative Risikoversicherung oder kapitalbildende Versicherung. Sozialversicherungen sind grundsätzlich ein Umlagesystem, in denen auch sozialpolitisch gewünschte Entwicklungen und Maßstäbe mit einbezogen werden. Das ist das Kennzeichen der Sozialversicherung, und deswegen wird es eben nicht über Privatversicherungen gemacht, weil die das in ihrem Denken nicht darin haben.

(Zuruf des Abg. D r. M ö l l e n s t ä d t [FDP])

Aber Sie tun doch mit Ihrem Antrag gerade so, als gäbe es nur die alternative kapitalbildende Versiche

rung oder Risikoversicherung. Das ist leider völlig verkürzt, und man hat den Sozialstaat überhaupt nicht begriffen, um den es hier geht.

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)