Protokoll der Sitzung vom 14.12.2011

(Dafür SPD, Bündnis 90/Die Grünen und DIE LINKE)

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen CDU)

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt dem Buchstaben c) des Antrags zu.

Städtebauförderung erhalten, sozialen Zusammenhalt in den Stadtteilen stärken

Große Anfrage der Fraktionen Bündnis 90/ Die Grünen und der SPD vom 18. Oktober 2011 (Drucksache 18/76)

D a z u

Mitteilung des Senats vom 22. November 2011

(Drucksache 18/135)

Dazu als Vertreter des Senats Herr Staatsrat Golasowski.

Gemäß Paragraf 29 unserer Geschäftsordnung hat der Senat die Möglichkeit, die Antwort auf die Große Anfrage in der Bürgerschaft zu wiederholen.

Ich gehe davon aus, Herr Staatsrat Golasowski, dass Sie darauf verzichten wollen, sodass wir gleich in die Beratung eintreten können.

Die Aussprache ist eröffnet.

Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Wendland.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Unsere heutige Debatte zum Thema „Soziale Stadt“ ist am besten erfahrbar, wenn wir die eigenen Füße in die Hände nehmen und durch die betroffenen Quartiere streifen.

(Abg. Frau B ö s c h e n [SPD]: Füße in die Hände?)

Genau! Die Füße in die Hände, ein schönes Bild!

Vor 14 Tagen war ich mit Kollegen aus meiner Fraktion in Huckelriede. Der Quartiersmanager vor Ort betonte den Erfolg des Programms, dass nicht nur in Steine, sondern auch in Köpfe investiert wird. Er meinte wohl damit, dass es wichtig ist, nicht nur in bauliche Aspekte zu investieren, sondern auch gerade in niedrigschwellige Projekte und Angebote. In Huckelriede zeigt sich das zum Beispiel in Schulmeiderprojekten in der Wilhelm-Kaisen-Schule, in Alphabetisierungskursen für Sinti und Roma und in der Kindertagesstätte, die Räume für Eltern bereitstellt, um für sie Sozial- und Schuldnerberatung anzubieten. Um es auf den Punkt zu bringen: Es geht darum, bauliche Maßnahmen zwingend mit sozial-, bildungs- und arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen zu verknüpfen. Das ist in Bremen so, und so gelingt es uns auch, das nachbarschaftliche Zusammenleben der Menschen zu stabilisieren.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD) ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft. Gute Nachbarschaften sind der Kitt für sozialen Frieden und solidarischen Zusammenhalt in Wohnquartieren. Das Besondere hier in Bremen und Bremerhaven beruht ja gerade darauf, dass wir den Blick auf einzelne Quartiere legen und nicht, wie andere Städte es machen, große Stadtgebiete festlegen. Durch den Blick auf die einzelnen Quartiere ist es möglich, Akteure aus örtlichen Initiativen und Vereinen, aus Politik und Verwaltung, Wohnungswirtschaft und die Bewohner miteinander zu verbinden. Das Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“ wird deshalb durch das kommunale Programm „Wohnen in Nachbarschaften“ ergänzt. „WiN“ stellt ergänzende Mittel für Angebote in den geförderten Gebieten bereit, die beiden Programme greifen wie Zahnräder ineinander. Diese Kombination ist in der Bundesrepublik einmalig. Die von der schwarz-gelben Regierung beschlossene Kürzung der Mittel für das Programm „Soziale Stadt“ gefährdet eine solche integrative Stadtentwicklungspolitik. (Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Die sozialpolitischen Folgen für die Bremerinnen und Bremer in den Quartieren mit schlechten Sozialindikatoren können dramatisch werden. Die kurzsichtige Mittelkürzung bedroht wichtige Projekte, die den Folgen von sozialer Spaltung und Armut in den Stadtteilen entgegenwirken. Jeder Euro aus der Städtebauförderung löst, das wissen wir, bis zu sieben Euro Folgeinvestitionen aus. Wer hier wie die schwarzgelbe Bundesregierung kürzt, gefährdet auch Arbeitsplätze im örtlichen Handwerk und im Baugewerbe.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Vor allem aber finden Investitionen, auch private, in Quartieren statt, in denen sonst nicht investiert wird. Laut Antwort des Senats ist zu befürchten, dass sich spätestens ab 2013 die Projektlaufzeiten aufgrund von Streckung der Maßnahmen verlängern, die Maßnahmen in einzelnen Quartieren reduziert oder im schlimmsten Fall sogar ganze Gebiete aufgegeben würden. Insbesondere die Investitionen in neue Quartiersbildungs- und Familienzentren seien gefährdet. Gerade aber diese Investitionen in Quartiersbildungszentren, in Familienzentren, Bewohnertreffs zeigen doch, wie Bildungs-, Sozial- und Kulturprojekte mit arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen bisher ganzheitlich zusammengeführt werden konnten.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Meiner Meinung nach muss dieser ganzheitliche Ansatz auch weiterhin den Rahmen bilden, in dem

die Bedarfsermittlung in den Quartieren erfolgt, die das Bauressort zurzeit durchführt. Dabei darf sich die Bewertung nicht nur auf die rein baulichen Notwendigkeiten reduzieren. Der Mehrwert in den Quartieren entsteht ja gerade dadurch, dass vorhandene und neue niedrigschwellige Projekte und Angebote unter einem Dach zusammengeführt werden können. So entstehen gemeinsame Räume und Verbindungen zwischen Alt und Jung, Deutschen und Migranten sowie auch Kranken und Gesunden. Wir erwarten, dass dies auch weiterhin ein zentraler Gesichtspunkt bei der baldigen Bedarfsfeststellung in den Quartieren ist.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich finde, der Bund ist weiterhin in die Verantwortung zu nehmen, ausreichend Mittel für den sozialen Frieden und solidarischen Zusammenhalt in den Städten zur Verfügung zu stellen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Deshalb darf der rot-grüne Senat nicht nachlassen, sich gegenüber dem Bund für eine Rücknahme der Kürzung der Mittel für das Programm „Soziale Stadt“ einzusetzen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Zudem wollen wir die bremischen Komplementärmittel im Haushalt aufrechterhalten.

Sozialer Zusammenhalt kann aber nicht von oben verordnet werden, sondern er zeigt sein Gesicht in den Verbindungen, die zwischen den Bremerinnen und Bremern in den Straßen entstehen, er zeigt sich in den gemeinsam geplanten und durchgeführten sozialen und kulturellen Projekten, beim Zusammensein und Lernen in Quartiers- und Familienzentren und bei der gemeinsamen Arbeit im Stadtteil. Dieses Gesicht des Zusammenhalts muss Bremen erhalten bleiben.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als Nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Bernhard.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der letzte Beitrag spricht mir völlig aus dem Herzen, nichts anderes habe ich vor ein paar Stunden hier auch schon gesagt. Ich bin damit vollkommen d’accord und kann es sehr gut nachvollziehen. Genau das trifft auch die Beschreibung bezüglich der Bedeutung der sozialen Projekte, die wir haben. Gerade diese Verknüpfung, ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

die in Bremen über das Konsensprinzip innerhalb dieser partizipatorisch wirklich sehr guten Aufstellung in den Quartieren vorhanden ist, können wir nur weiter unterstützen. Mir ist allerdings nicht ganz klar, wie Rot-Grün seine Kritik begründet, denn mir fehlt darin die Frage, was denn der Senat jetzt macht.

Schauen wir uns doch einmal genau an, was passiert! Die Kürzungen für die gesamte Städtebauförderung wie auch für die „Soziale Stadt“ sind ja eklatant. Nach der Senatsvorlage vom 4. April dieses Jahres finanziert der Bund 2,7 Millionen Euro in einem Gesamtrahmen von 8,1 Millionen Euro, der Gesamtrahmen beträgt also exakt das Dreifache. Und was machen wir? Wir kürzen den eigenen Beitrag entsprechend. Dabei denke ich mir: Warum kürzen wir denn da gleich mit, wenn der Bund kürzt? Erzählen Sie mir jetzt nicht, dass wir das müssten, es wäre vorgeschrieben oder sonst etwas! Das ist nicht der Fall.

Es gibt Verwaltungsvereinbarungen zwischen Bund und Ländern, wonach hier bis zu 33 Prozent übernommen werden, und der Rest muss kofinanziert werden. Es gibt überhaupt keine Veranlassung, die Kofinanzierung abzusenken. Wenn ich es mir ansehe, haben wir im Jahr 2009 3,2 Millionen Euro vom Bund bekommen, davon waren 947 000 Euro für das Programm „Soziale Stadt“, und 2010 hatten wir dafür 859 000 Euro. Das ist noch nicht so sehr viel weniger. Im Jahr 2011 sind es 262 000 Euro, das ist ein absoluter Absturz. Es ist richtig, dass damit Quartiersbildungszentren, Bildungseinrichtungen und so weiter kofinanziert wurden. Wir haben so etwas wie LOS, Lokales Kapital für soziale Zwecke, das Mikroprojekte finanziert, wir haben Wohnen in Nachbarschaften. Wir haben nicht mehr STÄRKEN vor Ort, das fällt nächstes Jahr weg. Gekoppelt mit all dem, was wir gerade in der Arbeitsmarktpolitik machen, ist das ein herber Einbruch. Da muss ich mich fragen: Warum machen wir so dasselbe wie die Bundesregierung und mit welcher Begründung?

Bremen hat Schulden, natürlich, die hat der Bund auch. Bremen deckt seinen Haushalt mit Krediten, macht der Bund auch. Da frage ich mich doch allmählich, warum Sie denn hier jammern! Sie machen doch genau dasselbe! Das sind doch Krokodilstränen, die hier vergossen werden. Die Anfrage mit der Antwort und der Einschätzung, so richtig sie ist, macht keinen Sinn, wenn man sagt, wir kritisieren das, was wir selbst dann auch noch tun.

Ich sage es noch einmal: Wir werden einen Antrag stellen, die Kofinanzierung nicht abzusenken. Die Begründung, warum wir die Mittel absenken, möchte ich hier einmal hören, das würde mich interessieren. Es gibt überhaupt keine dafür, und das ist etwas, bei dem wir sagen, da fehlt es einfach an Glaubwürdigkeit! – Danke!

(Beifall bei der LINKEN)

Als nächster erhält das Wort der Abgeordnete Pohlmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zu der Fragestellung, die Frau Bernhard eben hier angesprochen hat, was die rot-grüne Regierungskoalition macht, werde ich selbstverständlich gern antworten. Ich nehme es auch gern auf, weil ich glaube, dass es uns noch einmal eine richtige Steilvorlage gibt, um zu entwickeln, was wir im Rahmen der Politik des sozialen Zusammenhalts als Regierungskoalition auf den Weg gebracht haben und wie wir uns das vorstellen, einmal in der Koalitionsverhandlung und aktuell auch im Haushaltsaufstellungsverfahren.

Gestatten Sie mir aber, an die gute Rede der Kollegin Frau Wendland anzuknüpfen, die noch einmal aufgeführt hat, welche umfassenden, breiten und auch in den Stadtteilen wirkenden Programme wir haben! Ich unterstreiche noch einmal das, was sie ausgeführt hat, dass wir nämlich mit den Programmen „Soziale Stadt“, mit „WiN“ als Landesprogramm in Kombination hier bundesweit beispielhaft weit über 20 Jahre Arbeit geleistet haben. Das ist auch in der Antwort auf die Große Anfrage der Grünen und der SPD deutlich geworden.

Der entscheidende Punkt aber ist doch – und ich bin dabei auch sehr darauf gespannt, was jetzt der Vertreter der CDU gleich sagen wird –, was diese Bundesregierung, die vor zwei Jahren in ihrer Koalitionsvereinbarung noch groß getönt und auch große Versprechungen in allen Bereichen der Wohnungspolitik gemacht hat, umgesetzt hat. Da muss man heute bilanzieren, es ist nicht viel übrig geblieben. Wenn man sich anschaut, was dort realisiert und umgesetzt worden ist, dann ist das nicht nur ein Stillstand, sondern eine absolute Kehrtwende.

Die Reduzierung der jährlichen Fördermittel von 569 Millionen Euro im Jahr 2009 auf 455 Millionen Euro im Jahr 2011 wurde von der schwarz-gelben Bundesregierung mit einer Politik der Haushaltskonsolidierung begründet. Bei einer weiteren Kürzung, das haben Sie auch angesprochen, haben durch eine breite Solidarität aller Bundesländer, aller Bundesbauminister und -ministerinnen – das war im Juni dieses Jahres und ziemlich einmalig – alle Vertreter der Landesregierungen, egal von welcher politischen Konstellation sie in einigen Bundesländern getragen wurden, gesagt, dass sie sich eindeutig gegen diese Kürzungspläne aussprechen.

Darüber hinaus – ich nenne nur Städtetag, Kirchen, Wohlfahrtsverbände – haben alle mobilgemacht und gemeinsam erreicht, dass es nicht zu einer weiteren Kürzung der Städtebauförderungsmittel gekommen ist. So niedrig es auch ist, liegen wir immerhin bei 455 Millionen Euro. Dies hat gesamtgesellschaftliche Folgekosten: Mit dieser Politik erzeugt diese Bundesregierung viel höhere Kosten, die verursacht werden, wenn wir diese Projekte nicht mehr in Gänze wei

terentwickeln können. In der Antwort des Senats sind sie aufgeführt worden. Es hat also auch eine unmittelbare Auswirkung auf die Kosten und insbesondere auf die sozialen Zusammenhänge in unseren beiden Städten.

Erinnert sei einmal an eine der Schlussfolgerungen anderer europäischen Länder wie Frankreich und Großbritannien, die aus den Unruhen in den Vorstädten 2005 und 2007 gelernt und danach gesagt haben: Wir nehmen diesen Politikansatz – das, was wir hier in Deutschland entwickelt haben – zum Anlass, um hiermit auch soziale Missstände vor Ort zu bekämpfen und insbesondere auch die lokale Bevölkerung einzubeziehen, um so auch ein ganzes Stück des gesellschaftlichen Zusammenwirkens wieder zurück zu gewinnen. Wir hatten hier also eine Vorbildfunktion. Dann muss man sich schon fragen – wenn die Bundesregierung dann 140 Millionen Euro jährlich kürzen will, dann ist das für mich auch eine steuerpolitische Frage –, was dies bei einer Gesamtverschuldung von 22 Milliarden Euro bedeutet.

Ich stelle hier die These auf, dass es CDU und FDP auf Bundesebene bei der Städtebauförderung hauptsächlich zuerst um ihre Ideologie geht, nicht nur um das Sparen, sondern um auch eine veränderte Schwerpunktsetzung. Es ist doch hochinteressant: Es wird nicht nur insgesamt abgesenkt, sondern in den Gesamtprogrammen, wenn ich es einmal so sagen darf, werden zum einen bekannterweise – dazu haben die beiden Kolleginnen vor mir gesprochen – Mittel im Programmm „Soziale Stadt“ drastisch gekürzt, zum anderen wird aber das neue Städtebauförderungsprogramm „Kleinere Städte und Gemeinden“ drastisch nach oben gefahren. Man kann ja sagen, hier will sich Herr Ramsauer mit seinen Gemeinden im Voralpenbereich noch weiter entwickeln, das ist auch eine politische, eine bürgerliche, ideologische Aussage. Das machen wir nicht mit, das ist eine falsche Politik!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)