Protokoll der Sitzung vom 22.03.2012

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Bisher gab es in Deutschland für Migrantinnen und Migranten oft das Problem, dass ihre ausländischen Abschlüsse nicht oder erst nach langwierigen, unübersichtlichen Prozeduren anerkannt wurden. Diese Erfahrung habe ich auch gemacht.

Vor 18 Jahren kam ich als ausgebildete Lehrerin von Russland nach Deutschland. Dort habe ich nach meinem fünfjährigen Studium sechs Jahre lang an einer allgemeinbildenden Schule, SEK II – also Sekundarstufe II –, unterrichtet und gearbeitet. In Bremen angekommen habe ich zunächst zwei Jahre als Haushaltshilfe und Küchenhilfe gearbeitet. In der Bundesagentur für Arbeit wurde meine Frage nach weiteren Möglichkeiten zur Ausbildung, zum Beispiel habe ich Altenpflegerin angefragt, mit der Begründung „mangelhafte Sprachkenntnisse“ abgelehnt.

Integration habe ich für mich als Leistung bringen definiert. Vor diesem Hintergrund habe ich zwei Alternativen für mich gesehen: weiterhin als Reinigungskraft zu arbeiten oder zu studieren. Ich habe mich für die zweite Alternative entschieden. Solche oder ähnliche Geschichten können in Bremen viele Migrantinnen und Migranten erzählen. Das Gesetz zur Anerkennung im Ausland erworbener Abschlüsse ist daher längst überfällig.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Leider kommt das Gesetz für diejenigen zu spät, die seit vielen Jahren wegen der fehlenden Anerkennung ihrer Ausbildung als Verpacker und Leiharbeiter tätig sind. Wir reden häufig über fehlende Integration und Fachkräftemangel, geben aber den Menschen mit ausreichender Qualifikation nicht die Chance, ihre Fähigkeiten in der Berufswelt einzubringen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Mit dem neuen Anerkennungsgesetz erhalten viele Zuwanderer erstmals einen Rechtsanspruch auf ein Prüfverfahren zur Anerkennung ihrer im Ausland erworbenen beruflichen Abschlüsse.

Das Anerkennungsgesetz ist trotz eines langen Anlaufs und einiger positiver Aspekte ein zu kurzer Sprung in der Gesetzgebung. Am 1. April 2012 tritt das Gesetz in Kraft, die entscheidenden Punkte der Umsetzung sind aber nicht oder nicht ausreichend geregelt. Weiterhin gilt nämlich: Für die einzelne Anerkennung sind immer noch eine Vielzahl von Stellen zuständig. Ebenso müssen die Länder ihre eigenen Gesetze anpassen, da nach wie vor bestimmte Berufe auf Länderebene geregelt sind. Es bleibt also bei einer zum Teil verwirrenden Vielfalt von Anerkennungsstellen. Es muss sichergestellt werden, dass das geplante Beratungsangebot in Bremen und Bremerhaven verfügbar ist und mit den regulären Informationsangeboten, vor allem der Bundesagentur für Arbeit, und den zuständigen Kammern verzahnt wird.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Bei der neu eingerichteten Beratungsstelle für Weiterbildung bei der Arbeitnehmerkammer, geplant ist ab April, wird es auch für Migranten die Möglichkeit geben, sich über notwendige Zusatzqualifikationen beraten zu lassen. Es soll also nicht mehr bei einer einfachen Ablehnung bleiben. Stattdessen müssen den Menschen konkrete Ratschläge für Fortbildungen gegeben werden, den Taxi fahrenden Biologen oder die kellnernde Betriebswirtin darf es nicht mehr geben.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Wir begrüßen das Gesetz als einen ersten richtigen Schritt in die richtige Richtung, auch in Deutschland eine Willkommenskultur zu schaffen. Langfristig muss man sich auch Gedanken darüber machen, ob und wie weitere Vereinfachungen oder gebündelte Anerkennungsverfahren möglich sind. Wir müssen darauf achten, das Vorgehen der Länder aufeinander abzustimmen, damit Anerkennungen beispielsweise auch in allen anderen Bundesländern Gültigkeit ha

ben und nicht jedes Mal neu beantragt werden müssen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Wir werden diesen Prozess ebenfalls aufmerksam und kritisch begleiten. Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag! – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Tuncel.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Gesetz zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen war wirklich kein großer Wurf. Es hat große Defizite und macht schon im ersten Artikel deutlich, worum es der Bundesregierung geht. In Paragraf 1 steht: „Dieses Gesetz dient der besseren Nutzung von im Ausland erworbenen Berufsqualifikationen für den deutschen Arbeitsmarkt.“ Es geht also darum, den von der Wirtschaft beklagten Fachkräftemangel zu beheben.

Motivation des Gesetzgebers und der Unternehmer ist die wirtschaftliche Verwertbarkeit bisher ungenutzter Potenziale in Deutschland. Das geschieht aber erst zu einem Zeitpunkt, an dem viele Hochqualifizierte mit deutschen Abschlüssen selbst abwandern und eine Lücke hinterlassen. Die soll jetzt gefüllt werden. Dahinter steht eine reine NützlichkeitsLogik. Die deutsche Wirtschaft soll wettbewerbsfähig bleiben. Aus Sicht der LINKEN ist das von Anfang an ein falscher Ansatz.

Alle Menschen, die hier leben, sollten ein Recht auf wirtschaftliche Teilhabe haben.

(Beifall bei der LINKEN und bei der SPD)

Dazu gehören zwei Dinge: Zunächst müssten rechtliche Beschränkungen aufgehoben werden. Doch es gibt weiterhin Arbeitsverbote und Vorrangigkeitsprüfungen für eingewanderte Arbeiterinnen und Arbeiter. Außerdem wird die wirtschaftliche Teilhabe durch die Anerkennung von allen Qualifikationen ermöglicht, die in anderen Ländern erworben wurden. Dazu sollten Bildungsabschlüsse, Berufsabschlüsse und Berufserfahrungen zählen. Die Bundesregierung hat sich aber nur auf die Berufsabschlüsse beschränkt, sie sind auch direkt von wirtschaftlichem Nutzen. Die Anerkennung von Schulabschlüssen wird nicht verbessert. Aber selbst bei den Berufsabschlüssen ist es der Regierung nicht gelungen, ein wirkungsvolles Gesetz zu schaffen. In Deutschland leben 2,9 Millionen Men––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

schen mit ausländischen Abschlüssen. Die Bundesregierung räumt selbst ein, dass nur 300 000 Menschen von dem Gesetz profitieren werden.

Ab dem 1. April besteht ein Rechtsanspruch auf ein Bewertungsverfahren von Berufsabschlüssen, die im Ausland erworben wurden. Das gilt aber nur für solche Berufe, deren Prüfungsordnung auf Bundesebene festgeschrieben ist, dazu gehören zum Beispiel Ärztinnen und Ärzte, Krankenpflegerinnen und -pfleger oder auch Handwerksmeister. Die Anerkennungsverfahren für ausländische Abschlüsse bei Berufen, die auf Länderebene reglementiert sind, müssen auch auf Länderebene angepasst werden. Dazu gehören zum Beispiel Lehrerinnen und Lehrer oder Erzieherinnen und Erzieher. Sie sind von dem Bundesgesetz nicht erfasst. Nicht erfasst sind weiterhin die 350 nicht gesetzlich reglementierten Berufsabschlüsse wie in handwerklichen, schulischen oder dualen Ausbildungen. Dazu gehören Berufe in Industrie und Handwerk, in der Landwirtschaft, bei Anwälten, Notaren und Steuerberatern, in der Gastronomie und im Groß- und Einzelhandel.

Bremen hat die Zuständigkeit für die Anerkennungsprüfung dieser Berufe den Kammern übertragen. Die Anerkennung von handwerklichen Abschlüssen in Bremen macht seit 1994 die Handwerkskammer. Die Prüfung von Berufabschlüssen in Handel und Logistik hat die Bildungssenatorin 1998 der Handelskammer übertragen. Für die Prüfung aller weiteren Berufsabschlüsse sind die Bundesländer zuständig. In Bremen sind das die senatorischen Behörden für Gesundheit, Justiz, Bildung und Wissenschaft. Teilweise kommt es aber zu Unklarheiten über die Zuständigkeiten, das ist in der „Brain-Waste“-Studie dokumentiert.

Auch werden Gebühren für das Verfahren erhoben. Die IHK rechnet mit 100 bis 600 Euro, dazu kommen noch Kosten für eventuelle Weiterbildungsmaßnahmen. Es kann also schnell in die Tausende Euro gehen. Auch für die Anerkennung von ausländischen Bildungsabschlüssen werden Gebühren erhoben, und zwar nicht zu knapp. Im November 2011, also vor vier Monaten, hat die Bildungssenatorin die Änderung der Kostenverordnung der Bildungs- und Wissenschaftsverwaltung vorgelegt.

Für die Bewertung und Aufstellung aller Hochschulabschlüsse, außer der Lehramtsstudiengänge, ist die Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen zuständig. Sie hat Gebühren zwischen 50 und 100 Euro, an die die Bildungssenatorin gebunden ist. Bei akademischen Lehramtsabschlüssen ist aber die Bildungssenatorin allein zuständig. Im letzten November betrugen die Gebühren 150 Euro, jetzt liegen sie zwischen 58 und 1 160 Euro. Schon eine Auskunft kann bis zu 300 Euro kosten, die Genehmigung bis zu 535 Euro, das ist viel mehr, als die Zentralstelle nimmt. Das benachteiligt die Berufsgruppe und macht Bremen für eingewanderte Lehrer uninteressant, obwohl doch gerade auch unser Bildungssystem eine plura

listische Gesellschaft widerspiegeln sollte. Wie Sie sehen, bleibt weiter ein Flickenteppich an Zuständigkeiten und Verfahren bestehen.

Wir hatten hier Ende 2010 in der Bürgerschaft eine zentrale Servicestelle für die Anerkennung akademischer und nicht akademischer Bildungs- und Berufsabschlüsse beantragt, die nicht auf Bundesebene reglementiert sind. Damals wurde es zwar als sinnvoll angesehen, die Anerkennungsverfahren zu bündeln, aber unser Antrag wurde trotzdem abgelehnt. In Dänemark gibt es eine zentrale Anlaufstelle für internationale Bildung. Eine ähnliche Stelle hat DIE LINKE im Bundestag gefordert, sie könnte dann auch auf Informationen der Kammern zurückgreifen. Beim Bund wurde diese nicht beschlossen. Nutzen Sie also die Möglichkeit, zumindest in Bremen eine solche Stelle einzurichten, ansonsten bleibt Ihr Antrag, dem wir aber trotzdem zustimmen werden, ohne wirklichen Nutzen. – Danke!

(Beifall bei der LINKEN)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Grobien.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 4. November 2011 hat das Gesetz zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen den Bundesrat passiert und wird nun am 1. April 2012 in Kraft treten. Der Gesetzentwurf kommt aus dem Haus der Bundesbildungsministerin Schavan und findet uneingeschränkt die Zustimmung der CDU-Bürgerschaftsfraktion.

(Abg. S c h m i d t m a n n [Bündnis 90/Die Grünen]: Dann ist ja alles gut!)

Meine Fraktion und ich sind aber ein wenig erstaunt, wie die Koalitionsfraktionen mit dem von ihnen getragenen Senat umgehen. Die Wortwahl dieses Antrags löst bei uns Verwunderung aus. Wenn man Ihren Antrag richtig liest, dann unterstellen Sie, dass die Beratungen von Migrantinnen und Migranten bisher von Personen vorgenommen werden, die unter Umständen nicht immer interkulturell sensibilisiert sind. Was für ein Vorwurf, sonst müsste man das ja nicht so beantragen! Sie unterstellen dann noch, dass Bescheide nicht verständlich sind und keine nachvollziehbare Begründungen haben, oder sollte es einen anderen Grund geben, warum Sie das in Ihrem Antrag so formulieren? Entlarvt dieser Antrag Kommunikationsstörungen zwischen Bürgerschaftsfraktionen und Senat?

Die CDU-Bürgerschaftsfraktion ist selbstverständlich sehr zufrieden mit dem Anerkennungsgesetz, das in der kommenden Woche in Kraft tritt. Frau Dr. Schavan und ihr Ministerium haben gute Arbeit geleistet.

(Beifall bei der CDU)

Das von der Bundesregierung auf den Weg gebrachte Anerkennungsgesetz ist ein richtiger Schritt hin zu mehr Integration und zudem ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung des Fachkräftemangels in Teilen der deutschen Volkswirtschaft. Viele Deutsche und nach Deutschland Zugewanderte haben in anderen Ländern unter zum Teil großen Anstrengungen gute, seriöse und solide berufliche Qualifikationen und zertifizierte Abschlüsse erworben, oftmals in Sektoren, die auch in Deutschland zurzeit dringend am Arbeitsmarkt gebraucht werden. Bisher aber fehlten einheitliche Bewertungsverfahren und Maßstäbe. Durch die Neuregelung wird erreicht, dass künftig für Anerkennungssuchende, Arbeitgeber und Betriebe nachvollziehbare und bundesweit möglichst einheitliche Bewertungen zu beruflichen Auslandsqualifikationen zur Verfügung stehen. Das neue Gesetz ist also ein Meilenstein in der Bewertungspraxis.

Das neue Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz – was für ein Wort! – schafft erstmals für Unionsbürger und Drittstaatangehörige einen allgemeinen Anspruch auf eine individuelle Gleichwertigkeitsprüfung. Einheitliche Kriterien und Verfahren sorgen für größtmögliche Transparenz für alle Beteiligten, Antragsteller, Arbeitgeber und zuständige Stellen. Große Bedeutung kommt dabei der zügigen Anerkennung zu. Künftig muss innerhalb von drei Monaten über die Gleichwertigkeit der Berufsqualifikation entschieden werden. Anerkennungssuchende können sich über ein neues Internetportal, das auch in der kommenden Woche freigeschaltet wird, breit gefächert informieren, es leitet die Betroffenen zu den richtigen Stellen.

Die Umsetzung des neuen Gesetzes ist Ländersache, und deshalb ist es eigentlich auch nicht erforderlich, mit diesem Antrag den Senat zu einem Handeln aufzufordern, zu dem er sowieso verpflichtet ist.

(Beifall bei der CDU)

Die Bremische Bürgerschaft hat sich in der 17. Legislaturperiode mehrere Male mit dem Thema beschäftigt und es auch erschöpfend debattiert. Wir als CDU werden daher den Antrag ablehnen, nicht weil wir in der Sache anderer Meinung wären, im Gegenteil, sondern weil zu diesem Thema nach breiter Debatte alles gesagt ist, der Bund gehandelt hat und jetzt der Senat handeln muss. Dazu bedarf es in unseren Augen keiner neuerlichen Aufforderung. Ihre Beschlusspunkte beziehen sich entweder auf Verwaltungshandeln oder die Umsetzung, und als Abgeordnete verweise ich in diesem Zusammenhang noch darauf, dass es unserem Menschenbild entspricht, Eigenverantwortung vorauszusetzen und auch einzufordern.

(Beifall bei der CDU)

Wir werden das Thema zu gegebener Zeit im Wissenschaftsausschuss wieder aufrufen und das Ressort auffordern, einen Sachstandsbericht über die Umsetzung und die Auswirkungen zu geben. – Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Mohammadzadeh.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Frau Grobian,

(Heiterkeit)

ich habe die Aufgabe, Sie aus diesem langen Schlaf zu wecken.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Der Zug der Integration fährt und fährt, aber die Ewiggestrigen – die FDP und auch bald die CDU – sind Auslaufmodelle.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)