Ich gehe davon aus, Herr Senator Mäurer, dass Sie die Antwort auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE nicht mündlich wiederholen möchten, sodass wir gleich in die Aussprache eintreten können.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Grund für die Anfrage war, dass der Senat bekundet hat, Kettenduldungen zu reduzieren und auch Kettenduldungen reduziert zu haben. Das begrüßen wir durchaus, denn Kettenduldungen bedeuten eine immense psychische Belastung für die Betroffenen. Sie leben über Jahre auf gepackten Koffern und müssen jederzeit mit ihrer Abschiebung rechnen. Das verhindert nicht nur gesellschaftliche Inklusion, es nimmt vor allen Dingen Kindern die Zukunftsperspektive und macht nicht wenige von ihnen krank.
Bremen belegt in der Dauer der Duldung einen Spitzenplatz. 72 Prozent der Geduldeten sind kettengeduldet, also schon über sechs Jahre lang in diesem Status. Das ist im Vergleich der Bundesländer der höchste Wert und liegt weit über dem Bundesdurchschnitt, der bei 59 Prozent liegt. Es gibt also genügend Gründe, die Kettenduldungen zu reduzieren, und es gibt genug Möglichkeiten dazu. Der Bremer Erlass war ein positives Beispiel, das wir auch würdigen. Dass dabei immer noch Maßstäbe der guten Integration angelegt werden, finden wir falsch, weil immer noch Schülerinnen und Schüler abgelehnt werden, deren Noten aus Sicht der Ausländerbehörde zu schlecht sind. Dabei ist eigentlich allen klar, dass sich gerade auch der unsichere Aufenthaltsstatus negativ auf den Bildungserfolg auswirkt.
Der häufigste Duldungsgrund ist ja immer noch die Passlosigkeit. Das Aufenthaltsgesetz beinhaltet Möglichkeiten, von der Passpflicht abzusehen. Wenn die Passbeschaffung unzumutbar ist, dann kann davon abgewichen werden. Unzumutbarkeit ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, wie der Senat sagt, das heißt aber im Umkehrschluss, es besteht auch Spielraum.
Einige Botschaften weigern sich zum Beispiel, Papiere für Geduldete auszustellen. In diesen Fällen sollte die Ausländerbehörde öfter Ausweisersatzpapiere erteilen. Dies wäre dann doch eine generelle Lösung, wie sie der Innensenator anstrebt. Das wäre auch eine Lösung im Sinne der Betroffenen, die, wie gesagt, schon jahrelang so leben. Mit einem Ausweisersatz könnten wiederum einige von ihnen auch eine Aufenthaltserlaubnis bekommen.
Eine erfreuliche Zahl ist, dass seit dem Jahr 2007 die Zahl der Duldungen in Bremen von 3 013 auf 1 762 zurückgegangen ist, das sind 1 251 Duldungen weniger. Darunter sind auch die 112 jungen Menschen, die mit dem Bremer Erlass einen Aufenthalt bekommen haben. Die weniger erfreuliche Zahl ist allerdings, dass im gleichen Zeitraum 280 Menschen aus Bremen abgeschoben worden sind. Da hört es dann aber in der Antwort auf die Anfrage leider auch schon auf mit den Auskünften des Senats. Er kann und will nicht sagen, aus welchem aufenthaltsrechtlichen Status heraus diese Abschiebungen stattgefunden haben. Die ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.
Er kann auch nicht sagen, über welchen Weg abgeschoben wurde. Die Bundespolizei führt die Abschiebungen in Amtshilfe für die Bundesländer durch. Ihre Behördenaufsicht, das Bundesinnenministerium und die Bundesregierung, kennt die Abschiebungswege. Es wäre also nicht so schwer gewesen, an diese Informationen heranzukommen. Die Bundesregierung hat auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Frau Jelpke angegeben, dass im letzten Jahr 25 Abschiebungen aus Bremen über den Luftweg stattgefunden haben, fünf weitere Abschiebungen aus Bremen fanden dann wohl über einen anderen Flughafen oder über den Landweg statt. Hier können wir aber nur spekulieren, weil die Antwort leider keine Informationen beinhaltet.
Auch die Abschiebungen nach der Dublin-II-Verordnung wären nicht schwer herauszubekommen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat in Bremen eine Außenstelle und führt über die Abschiebungen in die sogenannten Ersteinreiseländer eine Statistik. Dort hätte man einfach einmal nachfragen können.
Selbst über Abschiebungen, die im Rahmen der Bremer Erlasse stattgefunden haben, gibt es leider keine Auskunft. So ermöglicht ein Erlass des Innensenators vom Mai 2010 die Abschiebung kranker Menschen, indem sie im Ausland bis zu zwei Jahre lang medizinisch versorgt werden. Wir finden, das ist ein ziemlich großer Aufwand, um Menschen loszuwerden. Wie schlecht die medizinische Versorgungsinfrastruktur zum Beispiel im Kosovo ist, haben wir ja nicht nur aus der Presse erfahren. Der Senat verrät uns aber nicht, wie viele Menschen so wohin und wie abgeschoben wurden. Er sagt, dass es darüber keine statistische Erfassung gibt. Bremen veranlasst aber die Abschiebung, deswegen muss die Behörde eigentlich auch wissen, auf welchen Anlass sie sie angewendet hat.
Mehr Auskunft haben wir bei den Gerichtsverfahren bekommen. Die Tabellen sind nicht ganz leicht zu interpretieren. Einem nicht unwesentlichen Anteil der eingereichten Klagen beim Verwaltungsgericht im Bereich Migrationsrecht wurde stattgegeben. Es liegt nahe, dass ein Großteil der Klagen von Betroffenen eingereicht wurde. In rund 200 Fällen wurde ihnen recht gegeben. Interessant wird es bei den Berufungen und Beschwerden, die die Ausländerbehörde anschließend eingereicht hat. Da hat die Ausländerbehörde also schon einmal unrecht bekommen und hätte zugunsten der Betroffenen entscheiden müssen, ist dagegen aber noch einmal vorgegangen. Seit dem Jahr 2007 ist dies in 440 Fällen passiert. Wir sagen an dieser Stelle, die Ausländerbehörde könnte darauf auch einmal verzichten und gleich zugunsten der Betroffenen handeln. In 83 Fällen hat sie ein zweites Mal unrecht bekommen. Die gesamten Berufungsund Beschwerdeverfahren haben über 600 000 Euro
gekostet, die man sich an dieser Stelle hätte sparen können. Als Fazit aus den Antworten auf die Anfrage möchte ich Herrn Senator Mäurer bitten, die Aussagen, aus welchen Gründen die Abschiebung erfolgt ist, ob auch Kranke oder Traumatisierte darunter waren, in anderer Form noch einmal zu konkretisieren. Außerdem sollten Sie die Ausländerbehörde vielleicht dazu anhalten, unsinnige Berufungsverfahren zu vermeiden, damit das ehrgeizige Ziel, die Anzahl der Kettenduldungen wirklich deutlich zu reduzieren, das Sie, Herr Senator, immer wieder aussprechen, in dieser Legislaturperiode erreicht wird.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte diese Große Anfrage gern etwas anders bewerten. Wenn ich mir die umfassende Fragestellung, aber auch die Antworten anschaue, gibt es natürlich immer Dinge, die man gern noch konkreter haben möchte. Wenn DIE LINKE bessere Informationen hat, finde ich, sollte sie sie auch dem Senat zur Verfügung stellen. Hier aber zu unterstellen, dass nicht ausführlich genug informiert wird oder womöglich Informationen vorenthalten werden, weise ich für die SPD-Fraktion zurück.
Frau Hiller, ich habe nicht unterstellt, dass uns die Antworten vorenthalten wurden, sondern ich habe nur gesagt, man hätte einmal beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und beim Bundesinnenministerium nachfragen können. Ich habe diese Antworten nämlich auch nicht, deswegen haben wir ja gefragt.
Das hört sich aber schon anders an. Eben dachte ich, dass es Informationen gibt. Ich gehe erst einmal davon aus, dass der Innensenator, weil ich auch weiß, wie wichtig ihm dieses Thema insgesamt ist, dem auch sehr genau nachgeht und den Informationen – falls es welche gibt, das sind ja jetzt Mutmaßungen – nachgehen wird. Ich möchte aber eigentlich der LINKEN dafür danken, dass sie diese Große Anfrage gestellt hat, weil ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.
dies die Gelegenheit gibt, der Bürgerschaft, aber auch den Bremerinnen und Bremern noch einmal zu zeigen, mit welchem Engagement und Nachdruck der Bremer Senat, aber auch die rot-grüne Koalition sich dem Thema widmet, Flüchtlingen im Land Bremen auch eine Möglichkeit zu geben, einen klaren Aufenthaltsstatus zu erhalten.
Duldungen, das wissen wir alle, sind ein unerträglicher Zustand, weil sie ein Schwebezustand sind und die Menschen, die geduldet werden, nicht arbeiten können, weil sie keine Ausbildung absolvieren können und deswegen auch für ihren eigenen Lebensunterhalt gar nicht sorgen können. Dieser Zustand ist für die Flüchtlinge meistens viel unerträglicher als für alle anderen.
Ich möchte die Zeit jetzt nutzen, auch darauf hinzuweisen, dass sich – so wirkt es häufig bei der LINKEN – nicht nur DIE LINKE der Situation von Flüchtlingen im Land Bremen annimmt und sie ernst nimmt. Dies ist überhaupt nicht so. Seit dem Jahr 2007 sind wir sehr engagiert dabei, uns der Situation von Flüchtlingen anzunehmen und sie auch zu verbessern. Ich glaube, dass gerade am Umgang mit Flüchtlingen deutlich wird, welche Grundwerte eine Gesellschaft beziehungsweise eine Regierung hat. Ich kann für Bremen sagen, dass wir sehr engagiert sind und insbesondere auch der Senator für Inneres, Herr Mäurer, sich diesem Thema sehr stark widmet. Von der schwarz-gelben Bundesregierung erwartet man manchmal ein höheres Engagement.
Wir haben seit dem Jahr 2007 fast eine Halbierung der Duldungen – das haben die LINKEN soeben selbst gesagt, Frau Vogt – erreicht, sie wurden um über 40 Prozent reduziert. Ich finde, das ist für fünf Jahre ein sehr gutes Ergebnis, das wir hier wirklich einmal würdigen sollten.
Der Bremer Innensenator hat, gerade was Jugendliche und Kinder angeht, eine Vorreiterrolle eingenommen, indem er mit seiner Initiative in der letzten Legislaturperiode dafür gesorgt hat, dass auch auf der Bundesebene eine Regelung eingehalten wird, die es erleichtert, Kindern und Jugendlichen eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, auch wenn ihre Eltern noch nicht über alle Voraussetzungen für den Erhalt einer Aufenthaltserlaubnis verfügen. Für Kinder und Jugendliche, die in Deutschland aufgewachsen sind und hier leben, ist es besonders wichtig, dass sie sich gut integrieren, hier eine Perspektive haben, indem sie auch eine Ausbildung machen, studieren und ein selbstständiges Leben führen können. Ich finde, es ist ein großes Ergebnis für ein kleines Bundesland, genau das auch auf Bundesebene zu erwirken.
Wir wollen dies nun in ähnlicher Form auch für erwachsene Flüchtlinge erreichen. Flüchtlingen soll so schnell wie möglich die Möglichkeit eröffnet werden,
dass sie arbeiten und sich in der Zeit, in der sie in Bremen sind, integrieren können, auch gegebenenfalls mit der Perspektive, in Bremen und Bremerhaven zu bleiben, nämlich gerade dann, wenn auf Jahre und Jahrzehnte absehbar ist, dass es keine Möglichkeit gibt, in die Heimat zurückzukehren.
Leider – und das wissen Sie, Frau Vogt, auch sehr gut – sind die rechtlichen Grundlagen, über die wir hier sprechen, allesamt Bundesrecht. Gerade das Bundesland Bremen ist selbstverständlich sehr engagiert, das Bundesrecht zu erweitern. Erst einmal muss aber auch Bremen sich an das Bundesrecht halten. Deswegen geht es genau darum, die bestehenden Ermessensspielräume im Sinne der bestmöglichen Integration der Flüchtlinge zu nutzen. Das wir dies erreichen wollen, haben wir in den Koalitionsvertrag geschrieben, und es ist auch unser Ziel.
Allerdings geht es an manchen Stellen nicht so schnell, wie wir es uns wünschen. Sicherlich wird die Bundestagswahl im nächsten Jahr von zentraler Bedeutung dafür sein, wie es auf Bundesebene mit der Flüchtlingspolitik weitergeht. Ich sage es hier klar heraus: Ich wünsche mir, dass es auch dort eine rot-grüne Regierung gibt, die sich genau diesen Themen verpflichtet!
Eine weitere Maßnahme, um genau diese Ziele zu erreichen, haben wir in der letzten Deputationssitzung beraten und beschlossen, und zwar geht es um die Härtefallkommission. Die Kompetenzen der Bremer Härtefallkommission sollen ausgeweitet werden – oder wurden es jetzt –, um mehr Menschen auch auf diesem Weg eine schnelle aufenthaltsrechtliche Perspektive zu verschaffen. Ich freue mich, dass gerade auch dabei die Zivilgesellschaft, die Kirchen, aber auch andere Verbände stark eingebunden ist, um es genau zu prüfen.
Ich möchte daran erinnern, dass aufgrund des Rücknahmeabkommens keine Roma-Familien und andere Minderheiten in den Kosovo abgeschoben werden müssen. Dies ist eine Initiative des Innensenators, ebenso wie die momentane Frage der syrischen Verfolgten des Assad-Regimes.
Es gibt viele Maßnahmen, die wir ergriffen haben, die aufgrund der Anfrage auch deutlich geworden sind, und ich hoffe, dass wir den eingeschlagenen Weg auch mit hohem Engagement für eine humane Gesellschaft in Bremen weiterverfolgen. – Danke!
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch für die CDUFraktion hat dieses Thema eine sehr große Relevanz. DIE LINKE hat eine Große Anfrage, über die wir hier jetzt diskutieren, mit über 31 Fragen an den Senat gerichtet. Ich nehme einmal an, Herr Senator, dass mit der Beantwortung in Ihrem Hause und auch im Ausländeramt mehrere Mitarbeiter einige Tage beschäftigt waren.
Insofern ist es natürlich immer sehr interessant, welche Schlussfolgerungen DIE LINKE aus solch einer umfangreichen Großen Anfrage zieht. Ich bin ein bisschen enttäuscht, Frau Vogt, wenn ich Ihre Ausführungen dazu höre, die aus meiner Sicht doch ziemlich einseitig sind. Sie haben die Kettenduldungen angesprochen – das ist ein großes Thema, ohne Frage –, die auch wir reduzieren wollen, das haben wir immer wieder betont. Allerdings hat der Senat aus unserer Sicht zumindest in den letzten Jahren seit 2004/2005 schon umfassende Beschlüsse gefasst und auf den Weg gebracht.
Dann haben Sie angesprochen, dass die Maßstäbe der guten Integration angelegt werden sollen. Was soll denn bei der Reduzierung von unsicheren Aufenthalten sonst angelegt werden, Frau Vogt?
Nein, Herr Präsident! Frau Vogt, Sie können gleich noch einmal reden. Meine fünf Minuten Redezeit laufen schnell ab, ansonsten würde ich Ihnen die Zwischenfrage gern gestatten.
Die Abschiebepraxis wird von Ihnen grundsätzlich kritisiert, sicherlich ist daran auch das eine oder andere auszusetzen. Nennen Sie dann aber auch wirklich die Gründe dafür! Was mich stört, ist, dass Sie keine einzige Frage zu den Organisations- und Personalproblemen sowie Überlastanzeigen im Ausländeramt gestellt haben. Das ist auch eine Diskussion, die wir hier seit einigen Jahren zu der Thematik „Probleme im Ausländeramt und mit den Ausländern“ führen. Dazu haben Sie auch jetzt in Ihrer Debatte keinen einzigen Hinweis gegeben, obwohl Sie ja sonst immer sehr viel Wert darauf legen, dass die Mitarbeiter mitbedacht werden. Meine Damen und Herren, ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.
für die CDU-Fraktion ist ein verantwortungsbewusster Umgang mit den Problemen der betroffenen Ausländer und den Ressourcen des Ausländeramts von großer Bedeutung.
Natürlich will ich jetzt auch auf die Große Anfrage eingehen. Es handelt sich bei dem Ausländerrecht um ein sehr komplexes und schwieriges Rechtsgebiet, jede Entscheidung greift in die persönlichen Lebensumstände von Menschen mit in der Regel problematischen Lebensverhältnissen ein. Wie der Antwort des Senats auf viele Fragen und der täglichen Praxis zu entnehmen ist, wirken sich in der Bearbeitung darüber hinaus umfangreiche Einflussnahmen aus dem politischen Bereich mit häufig ideologischem Hintergrund aus. Das ist in der Regel bei dem Verwaltungshandeln wenig dienlich.