Protokoll der Sitzung vom 17.10.2012

und wir müssen auch darüber diskutieren, wie wir diese soziale Segregation in Bremen endlich einmal in den Griff bekommen. Da müssen wir auch unliebsame Fragen stellen. Ich sage für meine Fraktion, ich scheue diesen Weg nicht. – Ich danke Ihnen!

(Beifall bei der LINKEN)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. vom Bruch.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Verlauf der Debatten ist nicht überraschend, er folgt in diesem Feld der Bildungspolitik offensichtlich immer dem gleichen Ritual: Aus Erklärungsmustern der Studie werden Rechtfertigungsmuster von Ihnen,

(Abg. Frau G a r l i n g [SPD]: Das ist doch Unsinn!)

und wenn das nicht mehr hilft, dann verweisen Sie im Zuge der Argumentation auf das Betreuungsgeld, auf die vermeintliche Zuständigkeit des Bundes. Abwegiger kann eine Argumentation eigentlich nicht mehr sein,

(Beifall bei der CDU)

anstatt hier einmal zuzugeben – und das ist genau die Botschaft der Studie, übrigens der Langfassung, Herr Güngör –,

(Abg. G ü n g ö r [SPD]: Es macht nicht den Eindruck, als hätten Sie die Langfassung ge- lesen!)

dass die Studien in der Vergangenheit eben eine bemerkenswerte Konsistenz und Gleichförmigkeit in ihren Aussagen bewiesen haben. Seit IGLU-E im Jahr 2006 hat sich eben im Ranking so gut wie nichts getan, und das ist auch Ihre Verantwortung, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der CDU)

Frau Vogt, ich habe darauf hingewiesen, und zwar sehr mit Vorbedacht, dass es natürlich auch darauf ankommt, die Schulen gut auszustatten, da haben Sie völlig recht. Dass wir aber an dieser Stelle immer nur eine Diskussion über das Geld führen, ist eben nicht die zentrale Botschaft dieser Studie, sondern es ist eine Frage, wie Qualität in diesem Land organisiert wird, und das hat eben nicht nur etwas mit Geld zu tun.

Wir brauchen in diesem Land eine Kultur der Anstrengung, und diese Anstrengung muss bei Ihnen beginnen, Frau Senatorin, im Senat, und sie muss sich in den Schulen fortsetzen. Ja, wir brauchen eine verbesserte Ausstattung der Schulen, wir brauchen eine Überprüfung der Curricula und der Stundentafeln, ob sie im überregionalen Vergleich überhaupt noch konkurrenzfähig sind, wir brauchen eine individualisierte Förderung, Herr Güngör, und wir brauchen gerade in sozial schwierigen Lagen auch eine verbesserte Zusammenarbeit mit den Eltern, gerade im Primarbereich. Alles das sind Dinge, die wir auf den Weg bringen, aber das sind keine neuen Erkenntnisse, das hätten Sie in den letzten Jahren schon machen können und müssen.

(Beifall bei der CDU)

Ich will diese Rede und diesen Tagesordnungspunkt aus meiner Sicht aber nicht abschließen, ohne auch eine versöhnliche Botschaft zu geben: Ich glaube, dass dies, was sich hier in dieser Stadt, in dieser Studie wieder gezeigt hat, eine Angelegenheit aller politischen Kräfte ist. Es kommt darauf an, dass eine Anstrengung, eine Kraftanstrengung, für Bildung in dieser Stadt stattfindet, dass wir hier endlich vorankommen und nicht auch künftig bei diesen schwierigen Ergebnissen bleiben, die wir hier heute wieder zu diskutieren haben. – Herzlichen Dank!

Als nächste Rednerin hat das Wort Frau Senatorin Jürgens-Pieper.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mit dem Ländervergleich stehen uns erstmals differenzierte Informationen über den Leistungsstand im Deutsch- und Mathematikunterricht in der Grundschule zur Verfügung. Erstmals heißt, wir können eben leider nicht anknüpfen an die IGLU-Studie, an Punktzahlen, um zu messen, ob wir in der Zwischenzeit besser geworden sind. Wir wissen allerdings aus der SEK-I-Studie aus dem Jahr 2009, dass unser Reformtempo gut ist, aber es ist immer noch nicht so, dass wir andere überholen. Das ist so, das muss man feststellen, und es ist leider so, das sage ich auch ganz deutlich.

Es hat gerade in der letzten Woche einen Senatsempfang für die Grundschule am Pfälzer Weg im Rathaus gegeben, weil sie einen deutschen Schulpreis bekommen hat. Stolze Kinder, stolze Lehrer, eine stolze Schulleitung, die auf gute Erfolge in den VERAErgebnissen und im Übergang auf das Gymnasium und die Oberschulen hinweisen konnte, sofern es dort schon welche gibt, und vor allem stolze Schülerinnen und Schüler, außerordentlich selbstbewusst! Es ist übrigens eine Schule, die noch keine Ganztagsschule ist, sondern möglichst im nächsten Jahr starten soll, wenn dann die finanziellen Mittel da sind, und die im Augenblick die Ganztagsbetreuung zusammen mit dem Hort macht.

Wir haben mit der Deputation gerade eine Schule besucht, die den Deutschen Schulpreis im letzten Jahr bekommen hat. Es ist eine Grundschule, die als offene Ganztagsschule organisiert ist, die Marktschule in Bremerhaven. Welches Bild hat man, wenn man in diese Schulen hineinschaut oder auch hineingeht und mit denjenigen redet, die die Arbeit machen, im Verhältnis zu dem, was wir hier an Ergebnissen vorliegen haben? Dieses Bild gibt mir manchmal Rätsel auf, muss ich ehrlich sagen.

Die Pressereaktion nach diesem Ländervergleich war auch übrigens außerordentlich sachlich und verhalten, anders als es hier gerade diskutiert worden ist, und zwar deshalb – ich glaube, Frau Vogt hat es gesagt –, weil jetzt offensichtlich nach einigen Ländervergleichen alle bemerken, es verfestigt sich etwas, leider, ein Muster. Das hat nichts mit Personen, Kultusministern oder senatorinnen zu tun – selbstverständlich bin ich für diesen Ressortbereich verantwortlich, falls Sie das jetzt gleich fragen wollen –, sondern es hat in der Tat etwas mit der sozialen Zusammensetzung zu tun.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Tatsächlich!)

Es hat aber nicht nur etwas damit zu tun, da hat Herr Dr. vom Bruch völlig recht, denn wir haben auch eine Aussage darüber, dass noch andere Faktoren eine Rolle spielen müssen, welche auch immer es sind.

Jetzt kommt das, was die Ministerrunde auch so betroffen gemacht hat an dem Abend, als das Ganze dargestellt worden ist: Wir haben ein Bild von Zahlen, wir haben auch eine ganze Reihe von Auswertungen, aber wir haben keine Aussagen darüber, was denn nun eigentlich wirksam ist und warum das eine in einem Bundesland besser ist als das andere. Es gibt kaum Wirksamkeitsforschung, das kann man fordern, wir werden morgen in der Kultusministerkonferenz zum ersten Mal hoffentlich eine Wirksamkeitsforschung für Sprachförderung beschließen. Wir wissen nicht, welche Maßnahme genau in der Sprachförderung wirksam ist, wir wissen allerdings aus skandinavischen Ländern, dass die frühe Förderung absolut wirksam ist, je früher sie ansetzt, desto besser. Es ist in der Tat so, dass dies eines der wenigen Ergebnisse ist.

Wir wissen auch, dass die Sprachbildung schon vor der Einschulung abgeschlossen ist, deshalb brauchen die Kinder ja so lange – über die Grundschule hinaus –, bis sie das aufgeholt haben, was sie nicht von zu Hause mitbringen. Das ist genau der Punkt an dieser Stelle, und deshalb gibt dieses Bild, das wir hier aus der Studie haben, zum Teil Rätsel auf. Zum Teil ist es stark beunruhigend, wenn man die starke soziale Kopplung gerade in Bremen betrachtet, sie ist am stärksten.

(Abg. Frau A h r e n s [CDU]: Tja!)

Ja, dieses „Tja“ zeigt so die gesamte Unkenntnis der Studie!

Diese starke Kopplung ist in etwa gleich mit dem Städtevergleich, aber wie der Städtevergleich zustande gekommen ist, das möchte ich dann doch gern mit den Experten diskutieren. Ich war erst sehr erfreut, dass es ihn gibt. Darin sind 17 Großstädte aufgeführt, allerdings so zusammengesammelt, dass ein Flächenland wie Bayern seine Grundschulen in der Probe zieht, und dann sind ein paar Grundschulen aus München dabei, die in den Städtevergleich kommen. Dann zieht das Land Nordrhein-Westfalen in der ganzen Fläche seine Grundschulen, und dann sind einige aus Dortmund oder Bochum dabei, die in den Städtevergleich kommen. Was ist das im Verhältnis zum Städtevergleich von Bremen oder Berlin? Gar nichts, weil es gar keine Aussage macht! Die Bremer Studie bezieht sämtliche Grundschulen in den Stadtgemeinden Bremen und Bremerhaven ein, sämtliche! Demgegenüber haben wir ein Bild von wenigen Grundschulen aus München oder Dortmund, die dort dann zusammengenommen wurden. Dies bringt es wirklich nicht!

(Abg. Frau A h r e n s [CDU]: Wenn man nichts zu tun hat, dann redet man über Sta- tistik!)

Was wir brauchen, allerdings wahrscheinlich kaum finanzieren werden, Frau Ahrens – aber da bin ich einmal gespannt auf Ihre Anträge! –, ist dann eigentlich noch einmal ein Städtevergleich im Verhältnis zu Berlin und Bremen, der bestimmte Städte angeht, die eine gleiche Zusammensetzung haben, dort übrigens auch noch eine gleiche Zusammensetzung in den ethnischen Gruppen, denn es spielt auch eine große Rolle, wie deren Zusammensetzung ist. Das hat vermutlich wieder etwas mit der Bildungsferne der Familien zu tun.

(Glocke)

Frau Senatorin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Vogt?

Bitte, Frau Abgeordnete!

Es ist eigentlich eher eine Anmerkung, weil Herr Dr. vom Bruch eben München hervorgehoben hat! Ich glaube, dass man auch bei den Städten nicht Äpfel und Birnen vergleichen darf, denn in München lebt jedes achte Kind in Armut, in Bremen ist es jedes dritte und in Hamburg jedes vierte Kind.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Deswegen können wir überhaupt keine Vergleichsstu- die machen!)

Ich habe ja gesagt, ein Teil der Wahrheit ist, dass diese Kopplung ganz extrem ist.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Gibt es über- haupt einen Gutachter auf der Welt, den Sie akzeptieren?)

Jetzt komme ich aber auf den eigentlichen Nährwert der Studie, und die geht uns übrigens auch gemeinsam an, Herr Röwekamp, auch wenn Sie vielleicht nicht mehr daran denken! Herr Röwekamp, wir haben in unserem Konsens beschlossen, dass wir unsere Schulen und den Übergang der Schulen am Regelstandard organisieren. Damals war er noch nicht so sehr bekannt, das ist der mittlere Standard, die mittlere Kompetenzstufe. Die Studie zeigt etwas Beruhigendes: Sie zeigt nämlich, dass wir den Regelstandard deutschlandweit erreichen, und sie zeigt auch, dass wir ihn in Bremen erreichen.

Ein großer Teil der Kinder,

(Abg. D r. v o m B r u c h [CDU]: Über 50 Prozent!)

über 50 Prozent, erreicht den Regelstandard oder mehr. Deshalb war ich den Journalisten außerordentlich dankbar, dass nicht nur dieses, ich sage einmal, Zerrbild, das Sie eben hier dargestellt haben, Platz greift. Wenn wir sagen, der Mittelwert gibt einen Unterschied von einem Lernvorsprung der bayerischen Kinder von einem Jahr wieder, dann stimmt das natürlich nicht, sondern wenn wir einen Regelstandard mit einer bestimmten Gruppe von Kindern von über 50 Prozent in Bremen auch erreichen, dann heißt das schlichtweg, dass auch ein Teil der Kinder den höchsten Kompetenzwert erreicht und natürlich auch den mittleren Kompetenzwert. Das soll heißen: Auch in Bremen schaffen es die Schulen durchaus, auch Schüler in die höchste Kompetenzstufe zu bringen, und das haben die Journalisten freundlicherweise berichtet. Das heißt, nicht alle bremischen Schüler sind ein Jahr im Lernrückstand.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Das wäre ja auch noch schöner!)

Das haben Sie aber einmal so formuliert!

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Nein, das habe ich nicht so formuliert!)

Ich habe das so im Ohr!

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Werden Sie doch am besten Gutachter, dann würden Sie uns allen helfen!)

Herr Röwekamp, ich war froh, dass die Journalisten im Gegensatz zu Ihnen differenziert berichten! Wenn Sie sich die Presselage in den letzten Wochen angesehen haben, dann kann man nur sagen, war da anders als bei Ihnen eine außerordentliche Differenziertheit in dieser Betrachtung vorhanden. Wenn wir jetzt den Regelstandard betrachten, dann heißt das für uns, dass bei den Schulen, die ja den Übergang von Klasse vier zu Klasse fünf Jahrgang mit diesem Regelstandard organisieren, die Grundschullehrer in ihrer Bewertung sogar etwas niedriger beim Erreichen liegen, als es die Studie zeigt. Das interessiert aber vielleicht weniger, weil es die Mühen der Ebenen sind.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Nein, weil es nichts hilft!)

Weil es nichts hilft!

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Genau!)

Ich habe Sie zitiert, Herr Röwekamp!