Protokoll der Sitzung vom 14.03.2013

Ich bitte um die Gegenprobe!

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) überweist entsprechend.

(Einstimmig)

Im Übrigen nimmt die Bürgerschaft (Landtag) von der Antwort des Senats, Drucksache 18/739, auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE Kenntnis.

Modellprojekt „Anonymisiertes Bewerbungsverfahren“ starten

Antrag der Fraktion der CDU vom 12. Februar 2013 (Drucksache 18/760)

Dazu als Vertreterin des Senats Frau Bürgermeisterin Linnert, ihr beigeordnet Herr Staatsrat Lühr.

Die Beratung ist eröffnet.

Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Grönert.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Gefahr, diskriminiert zu werden, ist in der ersten Stufe eines Bewerbungsverfahrens am höchsten. Das heißt, bei der Entscheidung, ob jemand zu einem Bewerbungsgespräch oder zu einem Eignungstest eingeladen wird, stehen zuerst fast immer ganz menschliche Kriterien im Vordergrund. Besonders ältere Menschen und solche mit Migrationshintergrund und Frauen werden viel zu schnell aussortiert. Sie erhalten dann überhaupt keine Chance, einen potenziellen Arbeitgeber von ihren Kompetenzen und Fähigkeiten zu überzeugen.

Wir wissen doch alle, dass Bewerbungen ausgemustert werden, nur weil der Absender in einer bestimmten Straße oder in einem bestimmten Stadtteil wohnt. Wie oft gefällt einem Personalentscheider zwar das Zeugnis, aber nicht die Schule, von der es stammt! Auch der Blick auf das Foto eines farbigen Bewerbers hat schon oft genug eine Bewerbung entschieden, und warum sollten Arzthelferinnen nicht auch ohne ein retuschiertes Bewerbungsfoto gefunden werden können! Hier kann man nicht einfach weiter tatenlos zusehen.

(Vizepräsident R a v e n s übernimmt den Vorsitz.)

Die Expertise für die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die nach Ablauf eines deutschen Pilotprojekts im Jahr 2012 erstellt wurde, bestätigt, dass Diskriminierung durch anonymisierte Bewerbungsverfahren stark reduziert wird. Die Bundesländer BadenWürttemberg und Nordrhein-Westfalen haben mit ihrer Teilnahme an dem Verfahren sehr gute Erfahrungen gemacht und auch Unternehmen zum Mitmachen gewonnen.

Persönliche Angaben wie das Geschlecht, der Familienstand, eine Behinderung, ein Migrationshintergrund, ein Foto, der Name und das Alter sollten ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

bei einer ersten Durchsicht von Bewerbungsunterlagen möglichst nicht sichtbar sein, genauso wenig wie der Absender oder auch die E-Mail-Adresse. Es gibt gute Vorlagen, und alle Modalitäten werden vor dem Verfahren geklärt und eindeutig festgelegt. Sobald dann aber die Personalverantwortlichen entschieden haben, jemanden zu einem persönlichen Gespräch oder einem Eignungstest einzuladen, können sie Einsicht in alle personenbezogenen Angaben nehmen.

Sehr spannend finde ich, dass mancherorts auch die sogenannte positive Diskriminierung ausblieb, sodass statistisch gesehen plötzlich zum Beispiel weniger Frauen als vorher eingeladen wurden. Da eine erste Einladung aber noch keine Einstellung ist, gleicht sich das im weiteren Verlauf eines Bewerbungsverfahrens wieder aus.

Ich weiß, dass sich unsere Senatorin Frau Stahmann schon lange für die Umsetzung eines Projekts „Anonymisierte Bewerbung in Bremer Unternehmen“ einsetzt, aber mich beschäftigt schon seit Beginn der Legislaturperiode die Frage, warum nicht einfach in den Bremer Behörden mit solch einem Verfahren gestartet wird. In Hamburg – Herr Werner hat vorhin in der letzten Debatte Hamburg schon einmal als positives Beispiel angeführt – hat vor einigen Monaten die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen unter der Federführung ihrer Kollegin Frau Dr. von Berg ein anonymisiertes Verfahren beantragt. Nach der Ablehnung durch den Hamburger Senat im Januar sagte sie, ich zitiere: „Das ist ein Ausdruck von Arroganz.“ Weiter kritisierte sie, dass der Senat die anonymen Verfahren noch nicht einmal testen will. Sie betonte: „Die Verwaltung muss als Vorbild vorangehen.“

Ich bekam in der Sozialdeputation vor Kurzem die Auskunft, dass es in Bremen keinen Sinn macht, weil es im öffentlichen Dienst schon Quoten gebe, was sich mit den anonymisierten Bewerbungsverfahren nicht vertragen würde.

(Abg. Frau B ö s c h e n [SPD]: Quatsch!)

Doch machen wir uns nichts vor, auch bei der Berücksichtigung von Quoten kann natürlich diskriminiert werden, weil man zum Beispiel nach Sichtung der Fotos dann vielleicht lieber die hell- als die dunkelhäutige Bewerberin mit Migrationshintergrund einlädt, oder es wird ein bestimmtes Herkunftsland favorisiert. Sobald Name, Absender und Foto zu sehen sind, nimmt man also von den zehn Bewerbungen der entsprechenden Gruppe vielleicht trotzdem nur die fünf, die einem am besten gefallen. Vorhandene Quoten schützen eben nicht vor Diskriminierung.

Ein Modellprojekt in den Bremer Behörden soll ein Signal dafür sein, dass wir in unserer Stadt Diskriminierung wirklich verhindern wollen. Im Bericht zum Netzwerk gegen Diskriminierung wird vom Bremer Senat behauptet, dass Bremen bereits aktuell eine diskriminierungsfreie Einstellungs- und Personalpraxis

im Sinne des Gesetzes umsetzt und gewährleistet. Wer das so glaubt, wie das da steht, kann ja bitte einmal die Hand heben!

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Wissen Sie etwas anderes, Frau Ab- geordnete?)

Ja, von Menschen schon!

In unserem Antrag fordern wir deshalb wenigstens ein Modellprojekt für die Behörden und für die Bürgerschaftsverwaltung. Wir werden einer geplanten Überweisung unseres Antrags zwar zustimmen, aber zufrieden bin ich damit letztlich nicht. Nach Meinung der CDU-Fraktion kann und muss der öffentliche Dienst Vorbild und Vorreiter sein.

(Beifall bei der CDU)

Es war eigentlich meine große Hoffnung, dass sich dann viele große und kleine Bremer Betriebe freiwillig dem Verfahren anschließen, damit alle arbeitssuchenden Menschen wenigstens am Anfang ihrer Bewerbung die gleiche Chance haben.

Ich will noch etwas zu der Anmerkung von Herrn Dr. Kuhn sagen: Ich hatte das wieder herausgestrichen, aber ich glaube eben nicht, dass die Senatorinnen und Senatoren bei jeder Bewerbung und bei jedem Bewerbungsverfahren danebensitzen und das auch von da aus persönlich gewährleisten können. Genauso wenig sitze ich daneben und kann es persönlich gewährleisten, aber ich glaube, es ist schon von der Tendenz her bekannt, dass da trotzdem Diskriminierung geschieht. – Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Mahnke.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer von uns kennt das nicht? Man bekommt eine Bewerbung, der erste Blick fällt auf das Foto, und schon arbeitet das Unterbewusstsein. Ob wir wollen oder nicht, der erste Eindruck ist schon vorhanden. Ob dieser positiv oder negativ ist, sei einmal dahingestellt. Genauso verhält es sich bei vielen anderen Merkmalen, die wir in einer Bewerbung lesen, sei es nun der Name, der vielleicht auf einen Migrationshintergrund schließen lässt, oder die Überlegung, ob die Frau, die sich bewirbt, in einem Alter ist, in der sie vielleicht noch Kinder haben möchte. All diese Überlegungen schießen einem durch den Kopf, und keiner von uns wird sich davon völlig freisprechen können. Durch solche unbewusste Überlegungen kann für den Bewerber bereits jede Chance auf ein Vorstellungsgespräch verbaut sein. ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

(Beifall bei der SPD)

Studien belegen, dass besonders Frauen mit Kindern und Migranten davon betroffen sind.

(Abg. Frau B ö s c h e n [SPD]: Und Alte!)

Und ältere Bewerber, genau!

Im Jahr 2010 hat die Antidiskriminierungsstelle des Bundes ein Pilotprojekt für anonymisierte Bewerbungen initiiert. Durch eine Anfrage in der Fragestunde hatte ich bereits damals darauf hingewiesen und gefragt, ob Bremen sich daran beteiligen könnte. Leider ist das bis heute nicht geschehen. Ich muss jedoch als Bremerhavenerin sagen: In Bremerhaven werden nach dem Sommer die Auszubildenden im öffentlichen Dienst über ein anonymisiertes Bewerbungsverfahren eingestellt.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Das Pilotprojekt „Anonymisiertes Bewerbungsverfahren“ der Antidiskriminierungsstelle wurde im Jahr 2012 abgeschlossen und evaluiert. Zu Beginn standen folgende Fragen im Vordergrund: zum einen, ob die Stellenbesetzungen ohne die bislang üblichen persönlichen Angaben zu Alter, Geschlecht, Familienstand und so weiter möglich sind und wie hoch der Zeitaufwand dafür ist, und zum anderen, welche Wirkungen sie haben! Nach dem Modellversuch ist die Einschätzung der Personalverantwortlichen, dass sich anonymisierte Bewerbungsverfahren nahezu in allen Beschäftigungsbereichen umsetzen lassen und Stellen erfolgreich besetzt werden können. Besonders das Weglassen des Fotos trägt nach Angaben einiger Personalverantwortlicher zu einer Fokussierung auf die Qualifikationen bei und wurde als positiv bewertet. Einige berichteten sogar von Bewerbern, die sie mit herkömmlichen Verfahren womöglich überhaupt nicht eingeladen hätten, die aber in einem Bewerbungsgespräch sehr überzeugt hatten.

In der Evaluierung wurden aber auch die Bewerberinnen und Bewerber befragt, und dabei schätzten 41 Prozent der Befragten ihre Chancen, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden, bei einem anonymisierten Verfahren höher ein als bei einem herkömmlichen Verfahren, und 54 Prozent gaben an, dass sie ihr Potenzial in einem solchen Verfahren wesentlich besser darstellen konnten. Durch die Evaluierung des Projekts konnten genau die Personengruppen, über die wir auch in diesem Zusammenhang diskutieren, herausgefiltert werden, und es wurde deutlich, dass sich ihre Chancen erhöht haben.

Frauen hatten im Vergleich zum herkömmlichen Verfahren bessere Chancen, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden, das galt vor allem für jüngere Frauen, die etwa wegen eines möglichen Kinderwunsches im herkömmlichen Bewerbungsver

fahren potenziell benachteiligt wurden. Auch die Chancen der Bewerberinnen und Bewerbern mit Migrationshintergrund, die zuvor schlechtere Chancen auf eine Einladung hatten, wurden durch die Einführung dieses Bewerbungsverfahrens verbessert.

Die Auswertung des Pilotprojekts ist durchgängig positiv und scheint allen Beteiligten daher sinnvoll, vor allem dadurch, dass es zu einer Verlagerung des Fokusses auf die Qualifikationen kam. Es konnte auch festgestellt werden, dass anonymisierte Bewerbungen die Förderung der unterrepräsentierten Gruppen nicht ausschließt.

Ich würde mich freuen, wenn wir durch die Diskussionen in den Ausschüssen, wohin wir diesen Antrag jetzt überweisen, einen Weg für Bremen finden, um dieses Verfahren einzuführen. – Herzlichen Dank!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. Kuhn.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Meine Kollegin Frau Manhke hat schon erwähnt, dass wir diesen Antrag der CDU in eine Reihe von Ausschüssen, in eine Deputation und an den Vorstand der Bremischen Bürgerschaft überweisen werden. Sowohl dies als auch die unterschiedliche Zusammensetzung der Rednerliste heute zeigen, wie komplex das Thema ist und von wie vielen Seiten man es betrachten sollte.

Ich will jetzt nur einige Anmerkungen dazu machen, welche Fragen sich uns stellen, wenn wir das dann in den Ausschüssen debattieren! Es ist natürlich ganz unbestreitbar, dass es in unserer Gesellschaft immer noch sehr viel offene, aber viel gefährlicher noch, sehr tief sitzende und überkommene Neigungen zur Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt gibt. Das macht sich manchmal am Alter, am Geschlecht, am sozialen oder auch religiösen Umfeld und Herkunft, selbst an der Postleitzahl fest. Das ist alles gut erforscht, und das gibt es tatsächlich im weiten Umfang. Wenn man dann in einem Bewerbungsverfahren in den Unterlagen keine Hinweise mehr auf Geschlecht, Alter, Herkunft und Wohnort findet, dann bleibt im besten Fall tatsächlich vielleicht die nackte, individuelle Qualifikation, gemessen an Bausteinen der Ausbildung, an Arbeitsnachweisen und vielleicht noch dem persönlichen Stil der Vorstellung. Ich hoffe, ein bisschen von der Person bleibt trotzdem übrig.

Einerseits sind das, was ich gesagt habe, ganz starke Argumente, tatsächlich anonymisierte Bewerbungsverfahren durchzuführen, das ist klar. Andererseits muss man auch klar sagen, dass es damit nicht endet, sondern in der letzten Phase geht es dann doch um die persönliche Bewerbung, um die Vorstellung,

um Gespräche. Auch wenn Studien belegen, dass durch ein anonymisiertes Verfahren eine aktive Förderung nicht ausgeschlossen ist, muss man sich dennoch die Frage stellen, ob, wenn man das durchgehend so macht, man Kampagnen für eine positive Diskriminierung, wie wir sie ja bei der Frauenförderung und bei der Förderung der Diversität der Verwaltung durch Kampagnen wie „Du bist der Schlüssel“ wollen, noch in der Form machen kann, wie wir es gegenwärtig machen.

Es gibt natürlich, da haben Sie recht, Frau Grönert, in der Verwaltung auch noch Menschen, die aus überkommenen oder leider auch wieder neu erworbenen Denkweisen heraus solche Entscheidungen treffen, aber es gibt auch sehr viele Menschen, die den aktiven Versuch machen, sich aus diesem Denken zu lösen und anderes Denken umzusetzen. Programmatisch gehören dieser rot-grüne Senat und seine Verwaltung zu der letzteren Gruppe von Menschen, und es ist auch bei der Einstellungspolitik nachweisbar, dass das wirkt.