Zweitens hat das Land Bremen eine signifikant hohe Zahl Kinder, die gesetzlich dazu gezwungen sind, in Armut aufzuwachsen. Die Kinderarmut in Bremen liegt bei 27 Prozent, in Bremerhaven sind es sogar 32 Prozent. Das sollte uns alle im Zusammenhang mit der hier geführten Debatte zum Nachdenken bringen.
Drittens sind wir bis zum heutigen Tag nicht in der Lage, das Kindeswohl von in Bremen ankommenden Flüchtlingskindern angemessen zu beachten und umzusetzen. Das beweist aktuell auch die schlimme Lage in der Erstaufnahmestelle für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Bremen.
Wir dürfen bei diesem Thema nicht ausblenden, dass wir zwar etwas Richtiges tun, wenn wir das Kindeswohl im Grundgesetz verankern, jedoch müssen wir insbesondere auch in der Praxis die Rechte von Kindern endlich umsetzen!
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie haben heute einen Antrag vorgelegt, der mittels einer Bundesratsinitiative die Kinderrechte im Grundgesetz verankern will. Dabei geht es Ihnen um die Förderung und Entwicklung der Persönlichkeit und insbesondere um den Schutz des Kindeswohls bei jeglichem staatlichen Handeln. Das hört sich erst einmal gut an.
Uns als CDU-Bürgerschaftsfraktion ist der Schutz der Kinder und der Kinderrechte auch ein besonderes Anliegen. Zum Thema Kindeswohl haben wir an ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.
dieser Stelle auch schon viele Debatten geführt, zuletzt zur besseren finanziellen Ausstattung der Organisationen in dieser Stadt, die sich um den Kinderschutz bemühen. Es ist nämlich nicht nur der Verein Schattenriss, sondern es sind eben auch der Deutsche Kinderschutzbund, das Jungenbüro oder auch das Mädchenhaus, die ebenfalls in Geldschwierigkeiten sind. Diesen Antrag, meine Damen und Herren, haben sie vor nicht einmal vier Wochen abgelehnt. Für den Kinderschutz fehlt, im Gegensatz zu anderen Projekten, hier in Bremen das Geld. Auf die Gefahr, dass Sie, Herr Möhle, mir gleich wieder vorwerfen, dass ich vom Thema abschweife, möchte ich an dieser Stelle ein paar einleitende Worte zum Schutz des Kindeswohls in Bremen sagen, denn genau um dieses Thema geht es ja heute. Sechs Jahre nach dem Fall Kevin, Sie haben es selbst erwähnt, haben Sie uns hier im Herbst glauben machen wollen, dass wir in Bremen und Bremerhaven bei dem Thema Kinderschutz auf einem guten Weg wären, obwohl auch heute noch 70 bis 80 Prozent aller Kinder substituierter oder drogenabhängiger Eltern in Bremen und Bremerhaven, in welcher Form auch immer, in Kontakt mit Drogen kommen beziehungsweise im häuslichen Umfeld Kontakt zu Drogen haben. Sechs Jahre nach dem Fall Kevin versuchen Sie, den demokratischen Kinderschutz mit einem tripolaren System aus Eltern, Kindern und Gemeinwohl als große Errungenschaft darzustellen. Beim Kinderschutz kann es aber nicht darum gehen, die drogenabhängigen Eltern zu schützen, sondern es muss aus unserer Sicht einzig und allein das Wohl und das Recht des Kindes auf seine freie Entwicklung im Vordergrund stehen.
Ich könnte jetzt an dieser Stelle einmal mehr aus dem Bericht der Gesundheitsämter Bremen und Bremerhaven aus dem Jahr 2011 zitieren, zum Beispiel – Zitat –: „Leider war auch im Jahr 2011 die Leistungserbringung durch personelle Diskontinuitäten beeinträchtigt.“ Bremer Bericht aus dem Jahr 2011! Die tägliche Arbeit war eher durch situativ bedingtes Reagieren geprägt als durch die täglich erforderliche Begleitung von Eltern und Kindern. Bericht aus Bremerhaven aus dem Jahr 2011! Ich könnte zum wiederholten Male auch darauf hinweisen, dass laut gerade erst vorgelegter Vorlage in der Sozialdeputation „eine altersspezifische Jugendhilfe und Gesundheitsplanung konzeptionell bis heute nicht vorliegt“. Das hat die Behörde selbst schriftlich niedergelegt. Ich möchte nur festhalten, dass wir uns als CDU-Bürgerschaftsfraktion auch in Zukunft für eine auskömmliche Finanzierung des Kinderschutzes in Bremen einsetzen werden, und damit meine ich auch die personelle Ausstattung
und den restlichen Bereich, denn jedes Kind, dessen Rechte in Bremen und Bremerhaven missachtet werden, ist ein Kind zu viel. Ich komme nun, nachdem wir einen kurzen Blick auf Bremen und das, was wir hier konkret machen könnten, aber nicht tun, gelenkt haben, auf Ihr Thema zurück, nämlich Ihren Wunsch, die verfassungsrechtliche Verankerung der Kinderrechte vorzunehmen. In unserer Landesverfassung findet sich zu dem Antrag, der hier vorlegt worden ist, zumindest der dritte Punkt gar nicht wieder. Wenn ich richtig informiert bin, haben Sie von der SPD und den Grünen hier eine Zweidrittelmehrheit.
(Abg. Frau D r. S c h a e f e r [Bündnis 90/ Die Grünen]: Sollen die Kinderrechte jetzt aufgenommen werden oder nicht?)
Ich frage mich also: Warum haben Sie hier keinen entsprechenden Antrag für die Änderung der Landesverfassung vorgelegt, wenn Ihnen dieses Thema tatsächlich so am Herzen liegt? Sie haben recht, vor zehn Jahren haben die Grünen, als sie noch in der Opposition waren, das Thema Kinderrechte auf die Tagesordnung genommen, und da haben Sie sich im Übrigen anders verhalten. Dort haben Sie den Konsens mit den Regierungsparteien gesucht, und wir haben gemeinsam überlegt, wie wir die Kinderrechte in die Landesverfassung aufnehmen können, und wir haben sie auch aufgenommen. Wenn es Ihnen wirklich so sehr darum gegangen wäre, warum sind Sie im Vorfeld nicht auf uns zu gekommen und haben sich mit uns über das Thema unterhalten?
Bei dem Thema „Natur in die Kitas – Kinder in die Natur!“ haben wir auch einen konsensualen Antrag erreicht. Hier ziehen Sie aber eine reine Show ab, weil die nahe Bundestagswahl droht. Ich sage Ihnen, auch im Bundestag braucht man eine entsprechende Zweidrittelmehrheit, und auch dort geht es darum, die CDU mit ins Boot zu holen. Im Übrigen hat der Bundestag dieses Thema gerade in den Rechtsausschuss überwiesen. Er hat gestern beschlossen, dazu im Juni eine Anhörung durchzuführen. Ich verstehe also nicht, warum wir nun hier eine Bundesratsinitiative brauchen, wenn sich der Bundestag schon mit dem Thema beschäftigt und im Juni eine Anhörung durchführt. Papier und Paragrafen, das muss Ihnen klar sein, meine Damen und Herren, sind geduldig. Es kommt auf konkrete Taten an!
Konkrete Taten können wir hier in Bremen machen, denn wenn in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland steht, Kinder sind zu schützen, heißt das noch lange nicht, dass hier in Bremen die Kinder tatsächlich geschützt sind, wenn wir es nicht tun.
(Beifall bei der CDU – Abg. Frau D r. S c h a e f e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Also lehnen Sie den Antrag ab?)
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Für den Bremer Senat möchte ich mit Blick auf den vorliegenden Antrag „Kinderrechte verfassungsrechtlich absichern“ etwas versöhnlichere Töne anschlagen, Frau Ahrens.
Sie haben recht, im Jahr 2002 ist es dem Parlament mit allen Fraktionen gelungen – die Grünen waren damals in der Opposition –, die Kinderrechte in der Landesverfassung zu verankern. Das, finde ich, ist immer noch ein großer Erfolg.
Die Rednerinnen und Redner aller Fraktionen haben betont, dass es nicht ausreicht, das aufzuschreiben, sondern dass das auch in konkretes Handeln einfließen muss, dass das Recht auf gewaltfreie Erziehung, wie Herr Möhle es eben auch noch einmal betont hat, wichtig ist, damit die Kinder auch aufwachsen können und nicht verschreckt sind. Damals wurde aber auch diskutiert, dass wir den Eltern helfen müssen, das hatte damals Frau Striezel betont. Frau Hannken saß mit uns gemeinsam im nicht ständigen Ausschuss, der sich mit der Thematik befasst hat. Im Jahr 2002 haben wir dann die Kinderrechte in der Bremischen Landesverfassung, das Recht auf gewaltfreie Erziehung, als eines der ersten Bundesländer verankert.
Ich glaube auch, dass man mit Fug und Recht sagen kann, auch für alle meine Vorgängerinnen im Amt, dass seit dieser Zeit auch eine Menge passiert ist. Trotz des schrecklichen Todes des kleinen Kevin sind viele positive Dinge in Bremen passiert. Das Thema Kindeswohl ist wichtig. Es ist wichtig hinzuschauen. Wir begehen morgen das hundertjährige Jubiläum des Jugendamtes in Bremen. Es ist wichtig, in diese dunklen und finsteren Kapitel, und da gibt es einige, ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.
hineinzuschauen. Auch während anderer Perioden in Deutschland hat das Jugendamt nicht immer eine gute Rolle bei den Rechten der Kinder gespielt. Ich glaube, ich kann hier für meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und auch für Frau Rosenkötter sagen, die ja damals nach dem schrecklichen Tod eines Kindes das Zepter im Sozialressort übernommen hat, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Jugendamt sehr sensibel sind, was die Rechte der Kinder angeht, die mit suchtkranken, abhängigen Eltern zusammenleben.
Die Kinderrechte – und darauf achten auch die Familiengerichte in Bremen – werden als eigenständig wahrgenommen und werden nicht verschwiegen oder unterdrückt. In allen Verfahren – Herr Professor Stauch sitzt auch für das Justizressort hier – wird sehr darauf geachtet, dass die Kinder eigene Beistandschaften haben, dass Kinder gehört werden in Verfahren, in denen es auch um das Verhältnis zu ihren Eltern geht, in denen es darum geht, dass Eltern sich trennen. Ich finde diesen Vorwurf hart, den Sie hier gemacht haben, und den muss ich auch an dieser Stelle zurückweisen.
Dass die Kinder Rechte haben, ist wichtig, und zwar dass die Kinderrechte auch in den Kitas gelebt werden. Wir machen dazu eigene Bildungsblöcke in den Einrichtungen, auch in den Schulen werden Kinder darüber aufgeklärt, was eigentlich ihre Grundrechte sind, auch als Staatsbürger. Wir unterstützen das Bremer Bündnis für Kinderrechte. Wir fördern das Bremer Elternnetz, das auf die Eltern zugeht, die ihre Kinder schlagen, die merken, dass sie sich als Eltern nicht gut verhalten. Das ist ein sehr großes Tabuthema. Eltern sind auch zutiefst bestürzt, wenn ihnen so etwas passiert. Herr Möhle hat das ja gesagt, die Hand rutscht aus, sie werden provoziert. Das dann zu überwinden, loszugehen, um den Kontakt zu suchen, jemanden anzusprechen, der einem hilft, das ist wichtig, und diese Beratungsangebote stellen wir in Bremen mittlerweile zur Verfügung.
Ich finde es absolut richtig, dass wir die Kindertageseinrichtungen zu Kinder- und Familienzentren umbauen, die eben auch Elternarbeit mit in den Fokus nehmen, nicht nur die Kinder bilden, betreuen und erziehen, sondern auch die Eltern unterstützen. Das ist, glaube ich, auch eine wichtige Entwicklung in den letzten zehn, elf Jahren gewesen, die wir in Bremen genommen haben.
Wir wollen als Bremer Senat, dass die Kinderrechte in das Grundgesetz aufgenommen werden, daher werden wir uns auch auf allen Ebenen, in denen wir können, dafür einsetzen. Es wird jetzt dazu eine erneute Anhörung geben. Ich glaube auch, dass die Diskussion sowohl in der FDP als auch in der CDU schon weiter voranschreitet, Frau Ahrens, und ich halte gar
Sie hätten mitwirken können. Es ist ja gang und gäbe im Parlament, dass man sich noch Anträgen anschließen kann, auch noch Veränderungen vornimmt, wenn man auf die Kolleginnen und Kollegen zugeht. Ich denke, das wäre sicherlich auch bei diesem vorliegenden Antrag möglich gewesen.
Ich will noch darauf eingehen, dass, wenn wir die Kinderrechte in das Grundgesetz aufnehmen, sich daraus natürlich auch viele Folgewirkungen ergeben. Das Kindergeld würde folglich nicht mehr an die Eltern gezahlt, sondern wäre ein Anspruch des Kindes auf diese Förderung. Es würden sich auch rechtliche Fragen in Richtung der Kindergrundsicherung ergeben. All das sind aus meiner Sicht wichtige sozialpolitische Fragen. Ich bin froh, dass die Regierungsfraktionen hier im Hause es auch so sehen, dass in dieser Richtung etwas passieren muss in Deutschland.
Herr Tuncel hat die Rechte von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen angesprochen. Darüber werden wir heute Nachmittag noch einmal ausführlicher sprechen. Es ist wichtig, dass wir dort Angebote weiter verbessern und dass wir auch die Dinge benennen, die in den letzten Wochen und Monaten nicht gut gelaufen sind. Herr Tuncel, dort haben Sie mich auch an Ihrer Seite, wir wollen uns mit Ihnen dafür einsetzen, dass die Angebote verbessert werden. Darüber würde ich gern heute Nachmittag noch einmal ausführlicher mit Ihnen sprechen.
Ein weiterer Punkt ist aus meiner Sicht das Recht auf Teilhabe. Wir haben in den letzten Monaten und Jahren sehr viel darüber gesprochen, wie wir Kindern die Teilhabe in unserer Gesellschaft ermöglichen. Dann hat die Bundesregierung das Bildungs- und Teilhabepaket erfunden. Wir als Bundesland Bremen, als Bremer Senat haben uns eindeutig dazu positioniert und gesagt, dass das ein falsches Instrument ist, und dabei bleibe ich auch.
Auch wenn wir im bundesweiten Vergleich dafür gesorgt haben, dass möglichst viele Kinder und Jugendliche in Bremen teilhaben können, erreichen wir immer noch nicht alle Kinder und Jugendlichen über dieses Bildungs- und Teilhabepaket. Ich bitte jede Bundesregierung, die im Herbst an den Start geht, darüber nachzudenken, wie wir ein Instrument finden, dass wirklich alle Kinder erreicht und dass das Thema Kinderarmut wirksam angeht.
In Bremen müssen wir uns aus meiner Sicht bei den Vereinen und bei allen, die das Bildungs- und Teilhabepaket in den letzten Monaten unbürokratisch umgesetzt haben, bedanken. Frau von der Leyen ist auch nachdenklich geworden und sieht, dass wir nicht alle Kinder und Jugendlichen erreichen, die sie im Blick hatte.
Der Bremer Senat setzt sich jetzt – und das ist die letzte Bemerkung, die ich in dieser Debatte machen möchte – vehement dafür ein, dass wir das Programm der Schulsozialarbeit weiter durch den Bund finanziert bekommen. Dadurch erreichen wir nämlich wirklich alle Kinder in den Schulen und können die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben fördern. Das ist aus meiner Sicht auch ein Kindergrundrecht, das wir damit einlösen. Wir würden uns über die Unterstützung der CDU, auch auf Bundesebene, sehr freuen. – Danke schön!
Wer dem Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und der SPD mit der Drucksachen-Nummer 18/803 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!