Protokoll der Sitzung vom 29.08.2013

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Vor wenigen Tagen lachte die Republik über Herrn Seehofer und die CSU, die eine Maut für Ausländer forderte, um die deutschen Autobahnen benutzen zu dürfen.

(Abg. H i n n e r s [CDU]: Wollen wir nicht einmal sachlich diskutieren?)

Jetzt sind die ausländischen Studenten im Fokus. Auch bei den baden-württembergischen Grünen gibt es eine große Diskussion darüber. Die Idee ist, ihnen höhere Studiengebühren beziehungsweise überhaupt Studiengebühren abzuverlangen, je nach Bundesland. Das erwähne ich, um zu zeigen, wie der gesellschaftliche Hintergrund ist, vor dem wir die Situation der Studenten aus Nicht-EU-Ländern diskutieren. Solche Gedankenblitze helfen weder bei der Behebung des Arbeitskräftemangels, wovon gerade auch Herr Bolayela gesprochen hat, noch bei der notwendigen Willkommenskultur, die schon lange von vielen Experten gefordert wird. Ich fürchte, solche Diskussionen sind abschreckend und wirken auf die hochqualifizierten Arbeitskräfte, die aus dem Ausland zu uns kommen wollen, abweisend. Vor allem diejenigen, die Familien haben, werden sich Länder suchen, die die Gleichstellung der Bürgerinnen und Bürger mit Einheimischen in den Vordergrund stellen.

Nach wie vor ist der Fachkräftemangel ein besorgniserregendes Thema in unserer Bundesrepublik, auch in Bremen. Zum Beispiel im Altenpflegebereich ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

werden in den kommenden Jahren 30 Prozent mehr Fachkräfte gebraucht, als gegenwärtig vorhanden sind. In unseren Hafenstädten Bremen und Bremerhaven gibt es wichtige Logistikbereiche, die sich über einen Mangel an qualifizierten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen beschweren. Die Lage der Studierenden aus Nicht-EU-Ländern ist ein sehr ernstes Thema, und ich finde, die Antwort des Senats enthält eine Vielzahl von Anknüpfungspunkten.

Allein 3 158 Studierende aus Nicht-EU-Ländern, die an den vier staatlichen Hochschulen in unserem Bundesland eingeschrieben sind, sind eine hohe Zahl. Das ist keine kleine Anzahl, das erfüllt mich besonders, und ich drücke auch mit Freude aus, dass von den 3 158 Studierenden 48 Prozent Frauen sind. Man muss auch erwähnen, dass vor allem die Universität Bremen ganz vorn liegt. Die an technischen Fächern orientierten Hochschulen haben einen Nachholbedarf, sie müssen viel stärker das Interesse junger Frauen zum Beispiel für MINT-Berufe und MINT-Studiengänge wecken.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Man könnte auch überlegen, wie man diese Fachbereiche gerade für junge Frauen etwas attraktiver gestalten kann.

Mit erscheint auch wichtig, dass der Zugang zu fachrelevanten Beschäftigungsmöglichkeiten – Herr Bolayela hat das auch gerade erwähnt – im Anschluss an ein Studium gleich mit Praktika angeboten wird.

(Abg. Frau A h r e n s [CDU]: Das machen wir doch schon!)

In der Antwort des Senats werden viele Möglichkeiten zum Erwerb der deutschen Sprache dargestellt, allerdings fehlen hier noch die Fachsprachenkenntnisse, und ich finde, dies muss studienbegleitend angeboten werden.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Ich möchte noch auf folgendes Thema eingehen: Vor ein paar Tagen hat uns eine sehr umfangreiche Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes erreicht, die die Diskriminierung im Bereich Bildung und Arbeitsleben dargestellt hat. Die geführten Interviews haben gezeigt, dass sich gerade im Bereich Studium 25 Prozent der Befragten über persönliche Diskriminierung, Beleidigungen, Beschimpfungen und sexuelle Belästigungen beschweren. Traurig ist auch, dass dieses diskriminierende Verhalten nicht nur von Lehrerinnen und Lehrern, sondern auch vom akademischen Lehrpersonal erfolgte. Deshalb ist mir wichtig, Folgendes zu erwähnen: Neben sozialen und finanziellen Problemen auch Diskriminierungserfahrungen zu machen, führt bei vielen Studenten aus

Nicht-EU-Ländern zu Studienabbrüchen. Für Bremen gibt es leider keine Zahlen, aber es ist mir wichtig gewesen, dies auch mit zu erwähnen.

Zum Schluss vielleicht noch ein Gedanke! Wir wissen – auch Herr Bolayela hat das zum Ausdruck gebracht –, dass viele graduierte Migrantinnen und Migranten, die ihr Studium hier an der Universität und den Hochschulen abschließen, hierbleiben wollen, nicht weil sie müssen, sondern weil sie sich durch ihre intellektuelle und auch akademische Entwicklung mit unserer Universität und Gesellschaft identifizieren. Ich finde, wir müssen und sollten dafür sorgen und uns bemühen, gerade diesen Menschen, die sich erkennbar anstrengen, ein selbstständiges Leben in diesem Land zu führen, die deutsche Staatsbürgerschaft anzubieten, auch deren Kindern. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Vogt.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren hier heute die Große Anfrage zur Situation der Studierenden, die aus Nicht-EU-Staaten kommen. Ein erklärtes Ziel der deutschen Wissenschaftslandschaft ist richtigerweise die Internationalisierung. Die Hochschulen sollen sich deswegen in Richtung der ausländischen Studierenden öffnen, und vielfach funktioniert das auch gut. In Bremen gibt es aktuell über 3 000 Studierende, die keinen Pass aus den EU-Ländern haben. Die meisten dieser Studierenden kommen aus China und der Türkei. Viele studieren – darauf hat der Kollege vorhin schon hingewiesen – naturwissenschaftliche oder technische Fächer, in denen in Deutschland ein Fachkräftemangel herrscht, die also hier auch wichtig sind.

Studierende aus Nicht-EU-Ländern stehen vor besonderen Herausforderungen, wenn sie studieren, die erste betrifft die Sprache. Viele Studiengänge in Bremen sind nach wie vor auf Deutsch, auch Prüfungen sind regelmäßig nicht in einer anderen Sprache abzulegen. In dieser Frage müssen wir als Parlament genau darauf achten, dass die Fremdsprachenzentren gut ausgestattet sind. Studien belegen, dass ausländische Studierende weit häufiger ihr Studium abbrechen. Fast jeder Zweite bricht das Studium ab, dies kann man verhindern, darum müssen wir uns kümmern.

(Beifall bei der LINKEN und beim Bünd- nis 90/Die Grünen)

Wir müssen die Hochschulen dabei unterstützen, ihre Studiengänge noch durchlässiger zu gestalten. ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

Der dritte Punkt, meines Erachtens auch ein ganz wesentlicher, betrifft das Aufenthaltsrecht nach Vollendung des Hochschulabschlusses. Nicht-EU-Bürger müssen anschließend eine Blue Card beantragen, die ihnen aber erst ab einem Jahreseinkommen in Höhe von 46 800 Euro ausgestellt wird. Diese Summe ist unseres Erachtens viel zu hoch, und die zugrundeliegende Logik, dass Ausländer, die hier studiert haben, nur bleiben dürfen, wenn sie Top-Verdiener sind, ist stigmatisierend und unserer Meinung nach auch chauvinistisch. Das muss dringend geändert werden.

(Beifall bei der LINKEN)

DIE LINKE sagt an dieser Stelle ganz klar, wer hier studiert, der darf auch ohne Wenn und Aber hier bleiben.

(Abg. H i n n e r s [CDU]: Egal, was er studiert!)

Bremen und die Hochschulen haben mit dem Konzept „Bremen braucht alle Köpfe“ ein Maßnahmenbündel aufgestellt, um die Situation der ausländischen Studierenden zu verbessern. Ob dieses Programm Wirkung zeigt, müssen wir in den nächsten Jahren überprüfen. Die Bürgerschaft hat den Senat aufgefordert, die Situation der ausländischen Hochschulabsolventen zu verbessern. Menschen ohne deutschen Pass, vor allem sogenannte Nicht-EU-Ausländer, die an deutschen Hochschulen studiert haben, werden unserer Meinung nach ohne jeden Grund gegängelt. Sie sollen, anders kann man die entsprechenden Regelungen nicht interpretieren, nach Ihrem Abschluss möglichst schnell das Land verlassen. Das ist völlig absurd und unserer Meinung nach aus menschlichen Gründen nicht hinzunehmen. Das ist für die Situation in Deutschland komplett absurd und unserer Meinung nach auch unmöglich.

(Beifall bei der LINKEN – Abg. H i n n e r s [CDU]: Für die Heimatländer vielleicht bes- ser!)

Nun gab es einige Verbesserungen auf der Bundesebene. Ausländische Absolventen haben länger Zeit, einen Arbeitsplatz zu finden, und sie können schneller einen festen Aufenthaltstitel bekommen. Ausländische Studierende dürfen länger arbeiten, und außerdem wurde die rechtliche Beratung für ausländische Absolventen verbessert. DIE LINKE erkennt an dieser Stelle an, dass mit der jetzigen Bundesregierung leider wirklich nicht viel mehr zu machen war. Trotzdem reicht uns das Ergebnis nicht, und wir hoffen, dass der Senat das tut, was er hier verspricht: Die Pflicht zum Sprachnachweis muss weg, das Arbeitsverbot für Studierende muss unserer Meinung nach komplett abgeschafft werden, und generell finden wir nach wie vor, wer hier studiert, der darf auch hier bleiben. – Danke!

(Beifall bei der LINKEN)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Grobien.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte es noch einmal wieder ein bisschen positiver in der Diskussion um diese Große Anfrage versuchen. Die Antwort des Senats ist aufschlussreich und zeigt, dass Bremen ein attraktives Ziel für junge Menschen aus der ganzen Welt ist.

(Beifall bei der CDU)

Wir konnten das heute auch schon alle in der Zeitung lesen. Eine Leistung, auf die wir, aber insbesondere unsere Hochschulen, die hierfür sehr engagierte Arbeit leisten, stolz sein können!

(Beifall bei der CDU)

Zudem zeigt die Antwort auch, wie vielfältig die Beratungs- und Unterstützungsleistungen durch die Universität und andere Institutionen sind, also eigentlich eine überflüssige Debatte! Oder Wahlkampf?

Was sind die essenziellen Aussagen der Senatsvorlage? Wir haben im Studienjahr – wir haben unsere Taschenrechner, die das ausrechnen können – 3 158 Studierende aus Nicht-EU-Staaten. Die Anzahl verteilt sich entsprechend den Größenverhältnissen unserer Hochschulen, also in der Universität am meisten und in der Hochschule für Künste zahlenmäßig am wenigsten, auch das kann man an der Grafik in der Zeitung heute gut sehen. Die Geschlechterverteilung ist in der Regel 50 zu 50, also eher ausgewogen mit einer Tendenz zu mehr weiblichen Studenten an der Hochschule für Künste, auch normal.

Besonders begehrt sind die MINT-Fächer und die Wirtschaftswissenschaften bei den Bildungsausländern, das ist im gesamten Bundesgebiet so. Die Fächerkombinationen, insbesondere das technische Element, kommen uns natürlich am Standort Bremen besonders zugute, weil wir die Schwerpunkte Luft- und Raumfahrt-, Automobil- und maritime Wirtschaft haben. Man muss als Ausländer auch über gute Deutschkenntnisse verfügen. Schön, dass so viele Bremer Bildungseinrichtungen ein so vielfältiges Angebot zum Spracherwerb anbieten! Offensichtlich wird auch Englisch gesprochen, und Englisch als Weltsprache und auch als Konzernsprache in vielen Unternehmen hier in Bremen ist auf dem Vormarsch.

Ausländischen Studenten stehen Kindertageseinrichtungen zur Verfügung wie allen anderen Studenten auch. Die Bachelor-Master-Strukturen kommen den Bildungsausländern entgegen, sodass die Abbruchquoten tendenziell sogar sinken. Auch das Angebot für ausländische Studenten, sich in den Studienalltag zu integrieren, ist sehr vielfältig und gut,

Workshops zur Interkulturalität, Kurse zur Studientechnik, um nur einige Beispiele zu nennen.

Auch finanziell in Not geratenen Studenten aus Nicht-EU-Ländern wird in Bremen geholfen. Darlehen vom Studentenwerk, Notfonds der Kirchengemeinden und des Diakonischen Werks sind keine Selbstverständlichkeit, wie ich einmal anmerken möchte. Es gibt viele Beratungs- und Serviceangebote auch nach Abschluss eines Studiums, um den Studenten den Berufseinstieg zu ermöglichen. Leider nehmen nicht viele Studenten an den Fragebogenaktionen der Universität teil, sodass wir nicht wissen, wo sie verbleiben. Bei all dem Angebot und diesen tollen Dingen muss man sich aber fragen, ob ein Student, der zum Beispiel aus China oder Kamerun kommt, nicht weiß, was er tut, wenn er sich in Bremen an der Universität für ein Studium einschreibt. Er wird wissen, dass es keine Vorlesungen in chinesischer Sprache gibt und das Leben in Deutschland anders aussieht als in China.

(Beifall bei der CDU)

Er weiß auch, dass er in Deutschland keine Studiengebühren zahlen muss, was übrigens der Hauptgrund ist, weshalb wir so viele ausländische Studenten in Deutschland haben. Die Diskussion ist ja vorhin auch schon angeklungen.

Aus eigener Erfahrung weiß ich, und das kann ich Ihnen versichern, dass der Servicegedanke weltweit längst nicht so groß ist wie bei uns hier Deutschland. Wenn junge Menschen den Weg in die Internationalität suchen, dann wissen sie meist, worauf sie sich einlassen und brauchen dazu ein bisschen Abenteuerlust.

Gerade die Parteien von links erzählen gern einmal, wie unsozial es in Deutschland zugeht und dass viel zu wenig gemacht wird, um die Schwachen zu unterstützen.

(Abg. Frau V o g t [DIE LINKE]: Stimmt ja auch!)

Ich glaube, Sie haben mit der Großen Anfrage eindrucksvoll belegt, dass dem nicht so ist.

(Abg. P o h l m a n n [SPD]: Danke!)

Deutschland ist sich seiner Verantwortung für die junge Generation bewusst und hat viel getan, aber ich weise auch ausdrücklich auf die Eigenverantwortung des Einzelnen hin, denn die Klausuren schreiben kann die Universität, Gott sei Dank, noch nicht, sondern das muss der Student machen.

(Beifall bei der CDU)

Was mir persönlich fehlt, sind Daten zum Verbleib der ausländischen Studenten, auch das Thema hat

ten wir schon. Es wäre meine Bitte an den Senat, hier entsprechend tätig zu werden. Das sind ganz pragmatische Interessen. Der Fachkräftemangel ist schon angeklungen. Es wäre schön, wenn wir darüber in Zukunft einen besseren Überblick hätten. – Vielen Dank!