Ich begrüße die hier anwesenden Damen und Herren sowie die Zuhörerinnen und Zuhörer und die Vertreter der Medien.
Meine Damen und Herren, auf der Besuchertribüne begrüße ich recht herzlich Schülerinnen und Schüler der 9. Klasse der Roland zu Bremen Oberschule, Studierende des ersten Semesters des Internationalen Studiengangs Politikmanagement der Hochschule Bremen und Teilnehmer der TERTIA Berufsförderung GmbH. – Seien Sie alle ganz herzlich willkommen!
Meine Damen und Herren, die interfraktionellen Absprachen können Sie dem Umdruck der Tagesordnung mit Stand von heute, 9.00 Uhr, entnehmen.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich noch darauf aufmerksam machen, dass heute um 13.00 Uhr auf dem Marktplatz eine Veranstaltung der „Städte für das Leben – Städte gegen die Todesstrafe“ stattfindet. Bürgerschaft, Senat, Parteien und Amnesty International wollen gemeinsam die Todesstrafe öffentlich ächten. Zur Kundgebung kommen auch Stelzenläufer, die die Straßenlampen schwarz verhüllen werden. Sowohl Erhard Mische von Amnesty International als auch der Präsident der Bremischen Bürgerschaft werden eine kurze Ansprache halten. Es ist geplant, Petitionslisten „Gegen Todesstrafe“ auszulegen. Ihre Teilnahme beziehungsweise Anwesenheit an dieser Veranstaltung wird gewünscht.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Antrag begehrt die CDU-Fraktion die Einsetzung einer Enquetekommission, also eines Gremiums der Bremischen Bürgerschaft, das paritätisch besetzt werden soll mit Abgeordneten unseres Hauses sowie von uns benannten externen Sachverständigen. Die Enquetekommission soll sich
Warum das Thema Armut? Die Antwort auf die gesellschaftliche Relevanz dieser Fragestellung ergibt sich aus dem Armuts- und Reichtumsbericht des Senats aus dem Jahr 2009. Damals wurde erstmalig umfangreich auch statistisch erhoben, welches Ausmaß und welche Folgewirkungen die Armut in unserem Land, in den beiden Städten Bremen und Bremerhaven, haben. Damals stellte der Senat fest, dass 129 000 bis 179 000 Menschen vom Armutsrisiko betroffen sind. Diese beträchtliche Zahl von Menschen in den beiden Städten unseres Landes ist von Armut bedroht oder lebt von 60 Prozent des Durchschnittseinkommens.
Damals wurde festgestellt, dass 60 000 Menschen in 30 000 Haushalten von Überschuldung betroffen sind. Es wurde ermittelt, dass wir 112 000 Bezieher von Transferleistungen mitten in unserer Gesellschaft haben. Ermittelt wurde, dass jedes dritte Kind unter 15 Jahren Leistungen nach dem SGB II, also staatliche Transferleistungen, bekommt. 41 000 Menschen waren 2009 von Arbeitslosigkeit betroffen. Wie wir zwischenzeitlich durch Studien der Arbeitnehmerkammer wissen, überwiegend Langzeitarbeitslose. 9 Prozent der Kinder haben 2009 ohne jeden Abschluss unsere staatlichen Schulen verlassen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieser vom Senat erstellte Bericht zeichnet ein düsteres Bild über die Lebenslagen vieler Menschen in Bremen und Bremerhaven. Gleichzeitig sind in dem betreffenden Zeitraum, aber auch im vergangenen Jahrzehnt, die Aufwendungen für unsere staatlichen Leistungen, für Transferleistungen, dramatisch gestiegen. 2009, also im Berichtsjahr des Armuts- und Reichtumsberichts, wandten wir aus unserem Haushalt hier in Bremen 814 Millionen Euro ausschließlich für staatliche Transferleistungen auf. Darin sind die zusätzlichen Folgekosten von Armut, wie beschäftigungspolitische Aktionsprogramme, wie Hilfs- und Beratungsangebote, wie Leistungen für Zuwendungsempfänger, die sich um die Folgen der Armut auch in den Stadtteilen kümmern, noch nicht enthalten.
2013, also für dieses Jahr – vier Jahre später –, hat der Senat die Aufwendungen für diese Leistungen mit 976 Millionen Euro veranschlagt. Das entspricht einer Steigerungsrate von 20 Prozent in nur vier Jahren. Nimmt man einen längeren Zeitraum, beispielsweise von 2001 bis 2011, stellt man fest, dass sich die Leistungen um mehr als 45 Prozent erhöht haben. Analysiert man diese Zahlen noch genauer, ergibt sich beispielsweise, dass sich die Hilfen für junge Menschen und Familien in diesem Zeitraum verdoppelt haben. Die Leistungen zur Existenzsicherung haben sich verdoppelt. Die Hilfen für Sucht-, Drogen- und psychisch Kranke haben sich sogar verdreifacht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Senat rechnet in seiner Finanzplanung damit, dass wir
voraussichtlich im nächsten Jahr allein für die Transferleistungen die Schwelle von einer Milliarde Euro erreichen werden.
Was sind die Folgen dieser festgestellten Armutslagen aus dem Jahr 2009? Was hat sich in der Zeit seit 2009 für die von Armut betroffenen Menschen in Bremen und Bremerhaven geändert? Hat sich ihre Lage vielleicht verbessert? Die Statistik kommt zu ähnlichen Ergebnissen wie 2009. In Bremen und Bremerhaven sind unverändert 21,3 Prozent der Menschen – und damit jeder Fünfte – vom Armutsrisiko betroffen. Das betrifft 139 000 Menschen in Bremen und Bremerhaven. 14 Prozent der Haushalte sind überschuldet. Das betrifft 2013 76 000 Menschen. Die Quote der Leistungsbezieher hat sich in den letzten vier Jahren nicht verringert. Die Arbeitslosigkeit liegt mit einem Spitzenwert von 10,7 Prozent im Land noch immer an der Spitze aller deutschen Länder, nur in Berlin sind noch mehr Menschen arbeitslos als in Bremen und Bremerhaven. 8 Prozent – 1 Prozent weniger als 2009, aber immer noch 8 Prozent – der Schülerinnen und Schüler verlassen ohne irgendeinen Abschluss unsere staatlichen Schulen, und immer noch lebt jedes dritte Kind in SGB-II-Bedarfsgemeinschaften und ist damit von staatlichen Transferleistungen abhängig.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, für die CDU-Fraktion steht daher fest: Die Lebenslage der von Armut betroffenen und von Armut bedrohten Menschen in Bremen und Bremerhaven hat sich seit dem letzten Armuts- und Reichtumsbericht des Senats nicht verbessert. Die Lage hat sich sogar noch verschärft.
Welche Schlussfolgerungen wurden aus dem Bericht im Jahr 2009 gezogen? Welche Handlungen wurden empfohlen? Auf welche Armutsbekämpfungsstrategien hat man sich seinerzeit verständigt?
Als Ziel wurde ausgegeben, die Beschäftigungsquoten zu erhöhen. Dieses Ziel wurde nicht erreicht. Es wurde gefordert, die Überschuldung von privaten Haushalten zu verhindern. Die Lage hat sich, wie sich aus den Zahlen ablesen lässt, verschlimmert. Es wurde vereinbart, Arbeitslosigkeit auch präventiv, durch gute Ausbildung und Qualifikation, zu vermeiden. Die Zahlen zeigen, dass dieses Ziel nicht erreicht worden ist. Es wurde vereinbart, die Langzeitarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Die jüngste Studie der Arbeitnehmerkammer belegt, dass das nicht gelungen ist. Es wurde vereinbart, die Quote der Schulabbrecher von 9 auf 4,5 Prozent zu halbieren. Hier gibt es eine kleine, geringfügige Verbesserung, meine Damen und Herren, aber das Ziel wurde, auch wenn es ehrgeizig war, nicht erreicht.
Für die CDU-Fraktion steht daher fest: Mit den bisher zum Einsatz gebrachen Mitteln und Werkzeugen und auch mit den Zielen aus den Beratungen des Armuts- und Reichtumsberichts des Jahres 2009 lassen sich die Lebenslagen der von Armut betroffenen und
von Armut bedrohten Menschen in Bremen und Bremerhaven eben nicht bekämpfen. Meine Damen und Herren, wir brauchen eine Neuausrichtung unserer Politik der Bekämpfung von Armut in Bremen und Bremerhaven!
Dabei bekenne ich für die CDU-Fraktion: Ja, wir haben keine Patentantwort, wir können Ihnen nicht sagen, vorschlagen und einen Kriterienkatalog entwickeln, was wir anders und wie wir es besser machen würden, und wir können Ihnen solche Erfolge auch nicht versprechen. Aber eines können wir Ihnen versichern: Mit den bisherigen Mitteln und der Fortschreibung der bisherigen Politik ist den Menschen in Bremen und Bremerhaven eben nicht geholfen.
Ein „Weiter so!“ in der Frage, wie wir die Armut bekämpfen, darf es daher nicht geben. Wir werben als CDU-Fraktion dafür, dass wir uns fraktionsübergreifend mit externem Sachverstand den Problemlagen dieser Menschen nähern, uns neu besinnen und fernab von Ideologien, Parteiprogrammen und bisherigen politischen Verantwortungen die Bekämpfung der Armut zur Chefsache im Parlament machen. Das ist unser Antrag, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Wir haben uns, bevor wir den Antrag auf Einrichtung einer Enquetekommission gestellt haben, natürlich, wie Sie alle, in Bremen und Bremerhaven umgetan; in Einrichtungen der, wie es so schön heißt, sozialen Fürsorge, in Einrichtungen der Qualifizierung am Arbeitsmarkt, in Fortbildungs- und Ausbildungseinrichtungen, in Schulen. Ich habe viele solcher Einrichtungen persönlich besucht. Das hat dazu geführt, dass man selbst die eine oder andere Einstellung zur Armut geändert hat. Ich habe bisher fest daran geglaubt, dass wir in unserer Wohlstands- und Leistungsgesellschaft jeden dazu ermuntern und jedem dazu verhelfen können, durch eigene Anstrengungen von der eigenen Hände Arbeit leben zu können. Für mich hat sich die Gewissheit verfestigt, dass es bei den hohen Ansprüchen, der hohen Verdichtung am Arbeitsmarkt und dem riesigen Erfolgsdruck, den wir in unserer erfolgreichen Wirtschaft haben, nicht gelingen wird, jeden, der von Arbeitslosigkeit und Armut betroffen ist, in unsere Arbeitswelt zu integrieren.
Aber, Kollege Willmann, viel wichtiger ist, dass wir uns dazu bekennen, in unserer Wohlstandsgesellschaft
mit der Armut würdevoll umzugehen. Wer schon in Armut leben muss, hat einen Anspruch darauf, dass die Gesellschaft dieser Armut mit Würde begegnet und ihm als Mensch diese Würde auch zukommen lässt.
Was nützt es dem Ein-Euro-Jobber in einem Arbeitslosen-Café in einem benachteiligten Stadtteil, der sich mit seiner Arbeit in diesem Café identifiziert und für sich sagt: „Das ist die Aufgabe, die ich mir jeden Tag stelle und die ich bewältige und die meinem Leben einen Sinn gibt!“, wenn wir ihm sagen: „Das kannst du aber nur befristet machen, und nach maximal einem Jahr, vielleicht schon nach einem halben Jahr erwarten wir von dir, dass du dich zu einem Kursus für Bewerbungstraining erneut vorstellst; weise uns das bitte nach, und wir helfen dir dabei, wenn du wieder 30 Bewerbungen schreibst!“
Meine Damen und Herren, was löst das bei einem solchen Menschen eigentlich aus? Er weiß genau wie wir, dass dieses Bewerbungstraining keinen Erfolg haben wird. Er weiß genau wie wir, dass es ihm nicht helfen wird, am ersten Arbeitsmarkt perspektivisch eine Lebensstellung zu finden. Deswegen, so denke ich, stellen sich Fragen, die weit über die Zuständigkeit unseres Bundeslandes hinausgehen, wenn wir uns mit der Frage beschäftigen, wie wir diese Menschen in ihrer Würde, in ihrer Arbeitslosigkeit und in ihrer sozialen Notlage unterstützen wollen. Sie unter Druck zu setzen, ihnen immer wieder zu sagen: „Du musst dich anstrengen, du muss zusätzliche Qualifikationen erwerben, du musst dich am Arbeitsmarkt bewerben, du musst dich frustrieren lassen, indem du wieder Absagen bekommst“, meine Damen und Herren, einen solchen Weg halten wir als CDU-Fraktion für falsch.
Das bedeutet nicht, dass wir Perspektivlosigkeit akzeptieren wollen. Aber das bedeutet, dass die Menschen, die unverschuldet in Armut leben müssen, einen Anspruch darauf haben, dass ihnen in Würde begegnet wird.
Meine Damen und Herren, wir sind als Bremer CDU nicht alleine mit unserer Forderung nach Einrichtung einer Enquetekommission. Die nationale Armutskonferenz fordert die Einsetzung einer Enquetekommission, um – Zitat – „Handlungsempfehlungen und Umsetzungsstrategien zur Armutsbekämpfung auszuhandeln“. Nächste Woche findet auf Veranlassung des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Landesverband Bremen, die erste Bremer Armutskonferenz hier in Bremen statt, auch mit der Erwartung, dass endlich Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die unstreitig im Armuts- und Reichtumsbericht des Senats festgestellten Sachverhalte aufzuarbeiten und Armut wirksam zu bekämpfen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Armut ist aus Sicht der CDU-Fraktion das wichtigste gesellschaftspolitische Thema, das uns in Bremen und Bremerhaven in den nächsten Monaten begegnen wird.
Deswegen werben wir dafür, dass wir die Kräfte, die wir bisher vereinzelt in der Arbeitsmarktpolitik, in der Sozialpolitik auf Bundes- und Landesebene eingesetzt haben, bündeln und dieser besonderen Problemlage in den beiden Städten unseres Landes begegnen. Wir haben eine Verantwortung, weil nirgendwo in Deutschland die Armutslage so dramatisch ist wie in unseren beiden Städten. Wer, wenn nicht wir in Bremen und Bremerhaven, kann einen übergreifenden Ansatz finden, um diesen Menschen in ihren Lebenslagen wirklich zu helfen?
Warum eine Enquetekommission? Ich weiß aus einem Schriftverkehr der Sozialsenatorin mit dem Beirat in Horn-Lehe, dass sie auf die Erstellung des zweiten Armuts- und Reichtumsberichts verweist. Meine Damen und Herren, ich möchte Sie bitten: Führen Sie sich die Erfolge des ersten Armuts- und Reichtumsberichts noch einmal vor Augen! Der Analyseteil war erschreckend, aber er war erhellend. Das, was an politischen Konsequenzen gezogen worden ist, das, was an Maßnahmen entwickelt worden ist, und das, was an Erfolgen erreicht worden ist, hat den Menschen gerade nicht geholfen. Warum soll der zweite Bericht erfolgreicher sein als der erste? Deswegen sagen wir: Mit den bisherigen Instrumenten werden wir die Armut nicht dauerhaft und nachhaltig bekämpfen können.
Herr Präsident, lassen Sie mich noch kurz drei Sätze sagen. Warum eine Enquetekommission? Was ist eigentlich der besondere Bedarf für eine Enquetekommission?
Zunächst einmal möchte ich gratulieren. Paragraf 68 a unserer Geschäftsordnung hat letzte Woche, am 7. November, seinen 34. Geburtstag gefeiert. Seit 34 Jahren gibt es die Möglichkeit, dass das Parlament, dass der Souverän, sich mit externem Sachverstand Themen widmet, die von sehr grundsätzlicher Bedeutung sind, die fraktionsübergreifendes und extern beratendes Handeln erforderlich machen. Aber er hat es noch nicht ein einziges Mal getan. In 34 Jahren unserer Parlamentsgeschichte hat es vier Anträge auf Einsetzung einer Enquetekommission gegeben. Das war einmal ein Antrag der Grünen zum Thema Wahlrechtsreform. Das ist von der CDU die Anregung gewesen, die Sanierungsverhandlungen mit dem Bund zum Anlass zu nehmen, einen Bremen-Plan zur Sa
nierung unserer Haushalte zu entwickeln. Das ist der Ansatz der CDU gewesen, zu sagen: Wir wollen die Drogenhilfepolitik noch einmal völlig neu ausrichten, und wir haben über die Frage der Bildungspolitik versucht, eine Enquetekommission einzurichten. Immer ist die Einsetzung einer Kommission an der Mehrheit im Parlament gescheitert.
Im Bund und in den anderen Ländern hat es dagegen viele erfolgreiche Enquetekommissionen gegeben; im Bund beispielsweise zu den Themen Frau und Gesellschaft, Gentechnologie, Bildung 2000, Energieversorgung und in den Ländern zu den Themen Demografie, wie in Mecklenburg-Vorpommern, Zukunft der Arbeit oder Situation in der Pflege und Chancen für Kinder wie in Nordrhein-Westfalen.
Meine Damen und Herren, man kann, wenn man wirklich will und daran glaubt, eine Enquetekommission zur Verbesserung der Situation unserer Bürgerinnen und Bürger einsetzen.