Protokoll der Sitzung vom 14.11.2013

wird unheimlich viel produziert, hier wird auch Reichtum geschaffen. Aber wir stellen fest – das trifft nicht nur auf Bremen zu –: Es geht nicht so gerecht zu, es ist einfach nicht gerecht verteilt, und wir haben Familien, die dramatisch in Armut leben, besonders viele Kinder. Der Skandal um Kinderarmut ist zu Recht von allen angesprochen worden. Da müssen wir ran! Das ist eine ganz große politische Aufgabe, an die wir gemeinsam mit Programmen ran müssen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Zu dieser verqueren Situation gehört auch noch, dass wir im Großstädtevergleich im Mittelfeld liegen und nicht das Schlusslicht sind. Wenn wir uns mit Dortmund, Düsseldorf und auch mit anderen Großstädten vergleichen, ist Bremen nicht die allerärmste Stadt, und wir machen nicht alles verkehrt. Ich glaube, dass Bremen sich auch schon Expertentum angeeignet hat. Ich sehe das ganz genauso. Wir sind Experten in der Armutsfolgenbekämpfung, und wir streiten darüber: Was müssen wir tun, um die Ursache von Armut zu bekämpfen?

(Beifall)

Dazu gibt es – je nach dem, wo man hier im Hause sitzt – unterschiedliche Sichtweisen, und auch Ansätze. Was kann man daran ändern? Herr Röwekamp hat gesagt: Wir brauchen eine Neuausrichtung. – Ich finde, die Wirtschaftsweisen haben eben nicht recht, wenn sie sagen – heute zu lesen, wenn man die Zeitung aufschlägt –, die Mütterrente sei ein Geschenk. Ich kann darin kein Geschenk erkennen. Eher würde ich zum Beispiel sagen: Eine Ursache von Frauenarmut ist es eben, dass Renten in diesem Land ungerecht berechnet werden.

(Beifall)

Ich möchte noch Folgendes sagen. Das betrifft in Bremen Unternehmen, das betrifft aber auch Bundesgesetze. Klaus Möhle hat total recht. Es gibt Bundesgesetze, die Armut schaffen und Armut verfestigen. Ich nenne die Entgeltungleichheit in Deutschland, dass Frauen bei gleichen Jobs bis zu 20 Prozent weniger verdienen. Jetzt rege ich mich auch einmal auf, weil ich das aus eigener Erfahrung weiß. Meine Mutter hat damals bei gleicher Arbeit 500 Mark im Monat weniger verdient als ihre Kollegen. So etwas ist ungerecht, und das muss man gesetzlich auch verbieten. (Beifall)

Am Ende des Tages sehen wir uns alle bei der BfA. Dann sieht man die Rentenbescheide. Die Frauen kommen da raus und haben Renten, von denen man nicht leben kann. Wir stellen fest: Armut ist in Bremen oft weiblich. Wir haben viele ältere Frauen, die

in Altersarmut leben. Da müssen wir ran, damit sich das verändert! Manche Prozesse werden Jahrzehnte dauern, bis wir das mit den Renten geändert haben. Mütterrente ist jetzt ein Ansatz. Aber da müssen an das Thema Bezahlung von Arbeit heran. „Mindestlohn“ ist auch schon als Stichwort gefallen. Es ist wichtig, dass wir wegkommen von den Mickerjobs, wegen der man im Alter wirklich nur zu uns, zum Sozialressort, ins Jobcenter und ins Amt für Soziale Dienste kommen kann. Es darf nicht sein, dass Menschen lange arbeiten und später nicht richtig von dem leben können, was sie sich erarbeitet haben. Das ist doch eigentlich pervers.

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Ich habe überlegt, wie ich einsteigen soll, weil ich auch einen sehr persönlichen Bezug zu diesem Thema habe. Als ich 14 Jahre alt war, ist mein Vater gestorben. Er war in den Siebzigerjahren einer der ersten, die arbeitslos wurden. Damals war die Ölkrise. Er hatte bei Rogge in Bremerhaven gearbeitet. Das Unternehmen ist ins Straucheln gekommen, und er ist arbeitslos geworden. Er ist an der Arbeitslosigkeit psychisch zerbrochen. Damals hat man gesagt: Wer arbeitslos wird, hat irgendwie selbst daran Schuld. Dann kam später das Phänomen der Massenarbeitslosigkeit, und es wurde gesagt: Der Einzelne kann manchmal gar nichts dafür, dass er arbeitslos wird, es liegt auch an den Unternehmen. – Über Arbeit gelingt uns in diesem Land mehr, als dass die Leute Geld verdienen. Arbeit ist auch wichtig für Integration, Arbeit ermöglicht Teilhabe.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Deswegen sind auch die Punkte wichtig, die schon angesprochen wurden: Jugendliche, die ohne Abschluss von der Schule abgehen. Es ist immer noch ein Hammer: Man geht zehn Jahre zur Schule. Wir haben Jahr für Jahr – das gibt es nicht nur in Bremen, sondern insgesamt in Deutschland – knapp 500 Jugendliche, die ohne Schulabschluss von der Schule kommen. Das ist ein Thema, bei dem wir richtig ran müssen an die Ursachen. Wir stecken viel Geld ins Schulsystem, müssen aber später viel zu viel Geld für die Reparatur ausgeben. Es wäre besser – da bin ich dann auch bei den Vorrednern; das kam auch von der SPD und von Frau Wendland –, früher in die Köpfe zu investieren, das Geld sozusagen dann in die Hand zu nehmen, statt später viel für die Reparatur von Mängeln auszugeben. Das ist wichtig.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Dann möchte ich noch Folgendes sagen.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Dann darf man aber nicht an Lehrerstellen und an Ganztagsschulen sparen!)

Daran haben wir nicht gespart, Herr Röwekamp. Jetzt hören Sie mal mit diesem Ammenmärchen auf! Schauen Sie sich in meinem Haushalt an, was wir heutzutage für die Kindertagesbetreuung ausgeben! Frau Quante-Brandt hat mehr Geld, als Willi Lemke jemals im Bildungshaushalt hatte. Das ist aber nicht nur alles eine Frage des Geldes, sondern es muss am Ende auch immer eine Frage der Qualität sein.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen) – Abg. D r. v o m B r u c h [CDU]: Na, da bin ich aber einmal gespannt!)

Ich finde den Ansatz von Eva Quante-Brandt genau richtig, dass sie sich die Unterrichtsqualität anschaut.

Zum Ausbau der Ganztagsschulen, den schon Willi Lemke vorangetrieben hat, muss man auch einmal sagen: Ganztagsschulen sind europaweit als ein Instrument anerkannt, um Kindern bessere Bildungsabschlüsse zu verschaffen. Auch für Armutsprävention hat sich das bewährt. Das sind Prozesse, die Bremen schon gemeinsam mit vielen, auch mit den Fraktionen im Haus – –. Grüne, CDU, SPD haben gesagt: Wir gehen den Weg. Gebundene Ganztagsschulen sind der richtige Weg.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Und mit dem Bund gemeinsam, übrigens!)

Das haben wir gemeinsam gemacht. Wir sind das erste Bundesland mit einem Schulkonsens gewesen. Das finde ich auch richtig, Herr Röwekamp! Aber wir müssen noch weitere Schritte gehen. Aber ob eine Enquetekommission das richtige Instrument ist? Sie haben ja die Fakten richtig aufgezählt, die Daten von 2009. Wir legen die Zahlen für 2013 vor.

Ich würde vorschlagen, dass wir uns die Bestandsanalyse anschauen. Wir analysieren ja die Maßnahmen, die hier aufgezählt worden sind; Wohnen in Nachbarschaften, ein sehr erfolgreiches Programm.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Wir schauen uns an, was mit „Soziale Stadt“ bewegt wird. Wir haben die Schuldnerberatung in dieser Legislatur wieder neu eingeführt, die präventive Schuldnerberatung, die abgeschafft worden war. Auch das werden wir uns anschauen. Aber wir können schon nach einem Jahr sagen: Das war erfolgreich und ist auch richtig, um Armut entgegenzutreten.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen – Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Armutsfolgen!)

Ja, das sind Armutsfolgen, aber darüber möchte ich eben auch reden. Es ist angesprochen worden das Bildungs- und Teilhabepaket. Ja, wir sind die Besten gewesen in der Bundesrepublik beim Abrufen der Gelder. Ich habe mit Frau von der Leyen gestritten und habe gesagt: Ich halte das Instrument für nicht richtig. – Aber wir haben auch gesagt, wenn der Bund ein solches Programm auflegt, dann müssen wir auch dafür Sorge tragen, dass die Kinder und Jugendlichen daran teilhaben können, dass wir Teilhabe ermöglichen. Unterm Strich haben wir festgestellt, dass wir das Geld abgerufen haben. Wir haben sogar mehr Geld für die Kinder und Jugendlichen ausgegeben – der Bund hat uns einen Teil davon erstattet –, aber wir erreichen längst nicht alle Kinder und Jugendlichen, die berechtigt sind, und deswegen brauchen wir andere Instrumente. Wir brauchen höhere Regelsätze in der Sozialhilfe, wir brauchen aber auch ein anderes Herangehen beispielsweise an die Frage, wie wir Schulen aufstellen. Dabei geht es nicht nur um Lehrer, sondern eben um ein Mix von Pädagogen und Schulsozialarbeit. Das Thema Gesundheit wird mit Schule viel zu wenig in Verbindung gebracht. Auch das gehört zur Armutsbekämpfung dazu.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Wir haben das Thema Schulsozialarbeit jetzt wieder auf die Tagesordnung der ASMK gesetzt. Wir streiten weiter dafür, weil wir mit der Schulsozialarbeit wirklich alle Kinder erreichen können. Das ist ein Programm, das der Bund uns finanziell ermöglicht hat, und dazu muss ich sagen: Das können wir uns im Augenblick selber – –.

(Abg. Frau A h r e n s [CDU]: Wie viele Schulsozialarbeiter hören jetzt auf?)

Es hören jetzt 20 Schulsozialarbeiter auf.

(Zuruf der Abg. Frau A h r e n s [CDU] – Abg. Frau G a r l i n g [SPD]: Oh, Sandra, hör jetzt mal auf!)

30 Stellen werden weiterfinanziert. Wir diskutieren mit der Bundesregierung weiter darüber, dass es sinnvoll ist, das als Teil eines Bildungs- und Teilhabepakets fortlaufen zu lassen. Ich halte das für richtig.

(Zuruf der Abg. Frau A h r e n s [CDU])

Frau Ahrens, melden Sie sich doch einfach zu Wort! Ich will in Ruhe weitersprechen.

Als rot-grüne Koalition sind wir auf Bundesebene schwer für ein Bundesleistungsgesetz unterwegs. Horst Frehe hat ein Bundesteilhabegesetz bereits auf der Ebene der Staatssekretäre und Staatssekretä-rinnen diskutiert, was auch wichtig ist.

Angesprochen wurde hier zu Recht auch das Thema Arbeitsverbot für Flüchtlinge. Wir erleben in diesen Tagen, dass Menschen mit guten Qualifikationen nach Deutschland kommen, aber auch Menschen, die noch Qualifizierung brauchen. Wenn wir das neunmonatige Arbeitsverbot weiter so lassen, dann nehmen wir uns als Land selber Chancen. Damit müssen wir doch aufhören. Wir nehmen nicht nur den Menschen Chancen,

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

sondern auch uns als Bundesrepublik Deutschland und auch als Bundesland Bremen. Deswegen ist es auch richtig, das Asylbewerberleistungsgesetz, das Menschen in Armut treibt, endlich abzuschaffen. Das ist ein alter Zopf.

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Das muss weg.

Das Thema Alleinerziehende möchte ich noch ansprechen. Es gibt viele Frauen, die gerade jüngere Kinder erziehen, die von Armut betroffen sind. Wenn die Kinder älter werden, stellen wir fest – das kann man statistisch dann nachweisen –, dass die Armutslebenslagen abnehmen. Aus meiner Sicht – das ist das große Rad, an dem wir auch bundespolitisch drehen müssen – müssen wir zu einem anderen Ausgleich kommen. Deswegen ist es richtig, dass man die gesamten Familienleistungen auf den Prüfstand stellt, die der Bund in den letzten Jahren auf den Weg gebracht hat.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Das ist ein schwieriger Prozess. Es geht um Leistungen, die man eingeführt hat, Steuererleichterungen wie das Ehegattensplitting. Das ist ein dickes Brett, das es zu bohren gilt. Aber ich bin der Überzeugung, dass wir uns dort hinbewegen müssen, wo Kinder sind – wir sagen: Familie ist da, wo Kinder sind –, dass wir eine Kindergrundsicherung in Deutschland brauchen, um Armutslagen in Familien zu verhindern.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

In Bremen wollen wir mit Ihnen – ich lade ausdrücklich, Herr Röwekamp, auch die CDU-Faktion, alle Fraktionen hier aus dem Haus ein, die Ergebnisse des nächsten Armuts- und Reichtumsberichts ordentlich in einem transparenten Verfahren miteinander zu besprechen – auch auswerten, welche weiteren Weichenstellungen wir vornehmen müssen.

Auch ich sehe das Problem der Schnittstellen, also der übergreifenden Zusammenarbeit. Wir haben sehr gute Erfahrungen mit dem Stadtentwicklungsressort, das eng mit uns bei den WiN-Programmen zusammenarbeitet. Aber ich denke, es gibt auch noch andere Bereiche, in denen wir bei der Armutsbekämpfung gemeinsam noch stärker an einem Strang ziehen können.

Ich finde unterm Strich, dass die rot-grüne Koalition in den letzten Jahren viel auf den Weg gebracht hat. Wir haben in einem Haushaltsnotlageland Gelder umgeschichtet. Das waren über 50 Millionen Euro in der ersten Legislatur für Bildung und Erziehung. In dieser Legislatur haben wir erneut Gelder umgeschichtet, und in den Haushaltsberatungen geht dieser Prozess jetzt weiter. Da haben wir viele gute Sachen auf den Weg gebracht.

Herr Rupp, wenn Sie jetzt hier sagen: „Weg mit der Schuldenbremse, und dann ist auch die Armut hier weg.“ ist das eine Vereinfachung, die nicht zulässig ist.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen – Abg. Frau Vo g t [DIE LINKE]: Aber bestehende Einnahmen können um- geschichtet werden!)

Ja, aber es wird suggeriert, wenn die Schuldenbremse erst einmal weg sei, dann könnten wir hier Geld ausgeben. Diese Rechnung geht auch an dieser Stelle nicht auf.