Protokoll der Sitzung vom 14.11.2013

Ja, aber es wird suggeriert, wenn die Schuldenbremse erst einmal weg sei, dann könnten wir hier Geld ausgeben. Diese Rechnung geht auch an dieser Stelle nicht auf.

(Zuruf der Abg. Frau Vo g t [DIE LINKE])

Okay, dann haben wir das vielleicht unterschiedlich wahrgenommen. Aber das Bild, das von den LINKEN gezeichnet wird, ist an dieser Stelle oft zu einfach. – Danke für die Debatte!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer dem Antrag der Fraktion der CDU mit der Drucksachen-Nummer 18/958 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür CDU, DIE LINKE und BIW)

Danke, ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen SPD und Bündnis 90/Die Grünen)

Enthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt den Antrag ab.

Lampedusa muss ein Wendepunkt für Europa sein!

Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und der SPD vom 7. November 2013 (Drucksache 18/1119)

Dazu als Vertreter des Senats Herr Senator Mäurer.

Meine Damen und Herren, als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Mohammadzadeh Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Bitte, Frau Kollegin!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sprechen heute über EU-Flüchtlingspolitik, ein verwandtes Thema zu dem Thema, das wir vorhin besprochen haben. Es ist eine Binsenwahrheit, dass in der Politik schnell viel geredet, aber umso langsamer gehandelt wird. An kaum einem Vorgang lässt sich das so gut und zugleich so bedrückend ablesen wie an den Ereignissen um Lampedusa.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als sich die Ereignisse überschlugen und fast jeden Tag neue Schreckensmeldungen über sinkende Boote und ertrinkende Kinder, Frauen und Männer Deutschland erreichten, war klar, dass eine andere Flüchtlingspolitik her muss.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Das war selbst aus Kreisen der Bundesregierung bekannt, und es wurde klar, dass so etwas nicht so weitergehen kann, nicht so bleiben kann; auch wenn dies eine Aussage der Bundesregierung hinter vorgehaltener Hand war.

Und jetzt? Schon der EU-Ministerrat vor zwei Wochen enttäuschte! Von neuer Flüchtlingspolitik konnte keine Rede sein, dafür war umso mehr die Rede von einer Stärkung der Frontex-Agentur gegen wehrlose Flüchtlinge, die sich zu Hunderten auf kleine, sehr untaugliche Nussschalen, die jederzeit zu sinken drohen, begeben, drängen. Meine Damen und Herren, ein zivilisiertes Europa, ein zivilisiertes Deutschland sollte dies nicht länger zulassen!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD – Vizepräsident R a v e n s übernimmt den Vorsitz.)

Viele von uns haben sich am 8. und 9. November zusammengefunden, um Opfern einer Zeit zu geden

ken, in der gewalttätig gegen vermeintlich andersartige und anders lebende Menschen vorgegangen wurde, einer Zeit, in der ausgegrenzt, abgeschoben und inhaftiert wurde. Viele Redner haben aufrichtig gesprochen und sich dazu bekannt: Das darf in diesem Land nicht wieder geschehen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Lassen Sie mich klar sagen: Es geht mir nicht um Vergleiche mit damals. Nein! Darum geht es mir nicht! Aber es geht um die Aufrichtigkeit unserer Bekenntnisse. Wenn es eine Lehre gibt, die aus den Geschehnissen des November 1938 zu ziehen ist, dann diese: Wir müssen eine Gesellschaft aufbauen und, soweit sie schon besteht, erhalten, die fest auf dem Boden der Menschenrechte steht.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

In diesem Zusammenhang bedeutet „Menschenrechte“, Flüchtlingen zu helfen, sie nicht auszugrenzen, zu inhaftieren und abzuschieben. Deshalb brauchen wir, meine Damen und Herren, einen echten Flüchtlingsschutz, einen echten europäischen Flüchtlingsschutz, einen konsequenten humanen Umgang mit den Flüchtlingen. Das ist die Botschaft von Lampedusa.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Es ist doch absurd, dass Europa um einige Hunderte Flüchtlinge in diesem oder jenem Aufnahmeland streitet, wenn ein kleines Aufnahmeland wie Jordanien Millionen Flüchtlinge aufnimmt.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Stattdessen müssen wir Wege finden, wie Menschen in Not legal nach Europa kommen können, ohne ihr Leben zu riskieren. Bremen kann dafür etwas tun. Bremens Stimme wird im Bundesrat, aber auch in der Öffentlichkeit gehört.

Meine Damen und Herren, vor einigen Tagen haben wir im Rathaus Aminato Haydar, einer Frau aus WestSahara, den Bremer Solidaritätspreis verliehen. Das wird wahrgenommen in Bremen, in Deutschland, in Europa. Deshalb wollen wir mit unserem Antrag das Bremer Gewicht in die Waagschale werfen. Bremen soll seinen Einfluss geltend machen. Rechtsvorschriften, nach denen Menschen der Beihilfe zu illegaler Einwanderung beschuldigt werden, weil sie ertrinkende Mitmenschen aus dem Wasser ziehen, gehören auf den Müllhaufen der Geschichte.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der LINKEN)

Bremen ist eine durch und durch europäische Stadt, eine Weltstadt, vielleicht nicht der Größe nach, aber dem Geiste nach. Wir sind Hauptstadt des fairen Handels. Lassen Sie uns danach streben, Hauptstadt des fairen Umgangs mit Menschen zu sein!

Abschließend möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass Deutschland als eine große Industrienation zu den Hauptverursachern der Erderwärmung gehört, was unter anderem zu Katastrophen wie aktuell auf den Philippinen führt. Ich denke, dass sich durch solche Klimakatastrophen der Migrationsdruck erhöht; es wird mehr Flüchtlinge, mehr Klimaflüchtlinge geben, aber nicht einmal zehn Prozent aller dieser Flüchtlinge, dieser weltweiten Flüchtlinge erreichen Europa, erreichen europäischen Boden. Deshalb kann keine Rede von einer Flutwelle oder einem Tsunami der Flüchtlinge in Europa sein. Deshalb ist das, was im Mittelmeer auf Lampedusa passiert, meine Damen und Herren, unerträglich für Europa. Deshalb kann es nicht so bleiben! Wir müssen etwas dafür tun, wir müssen uns dafür einsetzen. Ich bitte Sie um Unterstützung unseres Antrages. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Timke, Bürger in Wut.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! In den letzten Jahren ist die Zahl der afrikanischen Flüchtlinge, die versuchen, von Tunesien oder Libyen aus über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen, sprunghaft angestiegen. Immer wieder kommt es dabei zu bedauerlichen Schiffsunglücken mit Todesopfern. In den letzten zehn Jahren kamen nach Angaben unabhängiger Hilfsorganisationen dabei mehr als 6 200 sogenannte Boatpeople ums Leben. Die Regierungsfraktionen von SPD und Grünen legen uns aus Anlass dieser Flüchtlingstragödien heute einen Antrag vor, der eine Änderung der bisherigen europäischen Flüchtlingspolitik fordert. Die Antragssteller betiteln ihre Eingabe mit der Aussage, dass die Flüchtlingstragödien vor Lampedusa ein Wendepunkt in der europäischen Flüchtlingspolitik sein müssen.

Ja, meine Damen und Herren, diese furchtbaren Ereignisse müssen ein Wendepunkt sein, und zwar ein Wendepunkt hin zu einer vernunftorientierten Politik. Sie muss darauf ausgerichtet sein zu verhindern, dass einerseits weitere Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken und andererseits auf Basis bestehender gesetzlicher Regelungen ein ungebremster Zuzug von Armutsflüchtlingen in die europäischen Sozialsysteme passiert, denn die daraus resultierenden Lasten kön

nen die EU-Staaten auf kurz oder lang nicht mehr stemmen.

In diesem Zusammenhang weise ich auf eine Prognose der UNO hin, nach der sich die Bevölkerung Afrikas in den nächsten 40 Jahren von derzeit einer Milliarde Menschen auf dann 2,3 Milliarden Menschen mehr als verdoppeln wird. Vor diesem Hintergrund ist die Vorstellung der Antragsteller, man könne die illegale Zuwanderung reduzieren, indem man die legalen Möglichkeiten der Einwanderung nach Europa ausweitet, abwegig. Im Gegenteil würde dieser Ansatz den Zuwanderungsdruck sogar noch erhöhen, denn je mehr Menschen aus der Dritten Welt Aufenthalt in Europa gewährt wird, desto größer wird das Bestreben der Zurückgebliebenen, diesem Beispiel zu folgen und ebenfalls nach Europa zu kommen. Wem die EU keine legale Einwanderung gewährt, der wird dann auch weiter versuchen, auf dem illegalen Weg, auf dem gefährlichen Weg, über das Mittelmeer nach Europa zu kommen. Damit wären die humanitären Probleme nicht gelöst.

SPD und Grünen ist allerdings grundsätzlich recht zu geben, wenn sie eine nachhaltige Verbesserung der Lebensbedingungen in den Herkunftsländern der Flüchtlinge anmahnen. Man darf sich allerdings auch hier nichts vormachen, denn selbst wenn die EU diesen Prozess aktiv begleiten und ihre Exportsubventionen für Agrarprodukte ebenso revidieren würde wie auch ihre ruinöse Fischereipolitik, würde es Jahrzehnte dauern, meine Damen und Herren, bis die sozialen Standards, insbesondere in Afrika, ein Niveau erreicht haben, das die Auswanderung nach Europa aus Sicht der dort lebenden Menschen unattraktiv werden lässt, wenn das überhaupt jemals gelingt.

Um also humanitäre Katastrophen wie die vor Lampedusa zukünftig zu verhindern, bedarf es schnellerer Lösungen. Wie könnte so eine Lösung aussehen, meine Damen und Herren? Wir „Bürger in Wut“ schlagen in Anlehnung an eine Initiative des damaligen Bundesinnenministers Otto Schily vor, Aufnahmezentren für Flüchtlinge in ausgewählten Staaten Nordafrikas einzurichten.

(Abg. Frau V o g t [DIE LINKE]: Hatten wir schon einmal! Gaddafi war da ganz weit führend!)

Dazu sind entsprechende Vereinbarungen mit den Regierungen dieser Länder zu schließen. Die Aufnahmeeinrichtungen würden von der EU finanziert und beaufsichtigt, um eine menschenwürdige Behandlung und Unterbringung sowie ein faires Verfahren der dort untergebrachten Flüchtlinge zu gewährleisten. Die Zentren wären dann verbindliche Anlaufstellen für alle Zuwanderer, die von dem afrikanischen Kontinent kommen und nach Europa einreisen wollen, um einen Schutzantrag zu stellen. Asylanträge dürften dann nur in diesen Zentren gestellt werden. Nach erfolgter Prüfung würden politisch Verfolgte und Bür

gerkriegsflüchtlinge dann sicher von der EU nach Europa verbracht. Abgelehnte Asylbewerber würden hingegen wieder in ihre Heimatländer verbracht.

Weil auch afrikanische Flüchtlinge, meine Damen und Herren, die illegal nach Europa kommen, in diese Aufnahmezentren verbracht würden, entfiele dann natürlich auch jeder Anreiz, die gefährliche Reise über das Mittelmeer mittels Schlepperbanden durchzuführen. Den kriminellen Schlepperbanden könnte man so das Geschäft vermiesen und ihnen dann auch den finanziellen Boden entziehen. Mit dieser Lösung, meine Damen und Herren, wäre also allen geholfen, einerseits den Flüchtlingen, und andererseits wäre auch dem legitimen Interesse der Aufnahmeländer Rechnung getragen.