Protokoll der Sitzung vom 14.11.2013

Weil auch afrikanische Flüchtlinge, meine Damen und Herren, die illegal nach Europa kommen, in diese Aufnahmezentren verbracht würden, entfiele dann natürlich auch jeder Anreiz, die gefährliche Reise über das Mittelmeer mittels Schlepperbanden durchzuführen. Den kriminellen Schlepperbanden könnte man so das Geschäft vermiesen und ihnen dann auch den finanziellen Boden entziehen. Mit dieser Lösung, meine Damen und Herren, wäre also allen geholfen, einerseits den Flüchtlingen, und andererseits wäre auch dem legitimen Interesse der Aufnahmeländer Rechnung getragen.

Die Realisierung der uns vorliegenden Vorschläge von SPD und Grünen würde hingegen dazu führen, dass noch mehr Armutszuwanderer aus Afrika nach Europa drängen und dass weiter Menschen im Mittelmeer zu Tode kämen. Profiteure – ich hatte es gesagt – wären einzig und allein die Schlepperbanden. Gerade denen, die aus dem Leid und dem Tod der Menschen Profit schlagen, sollten wir doch ganz schnell das Handwerk legen. Dafür ist aber der uns vorliegende Antrag nicht geeignet, denn er enthält keine Regelung, wie wir den Schlepperbanden hier das Handwerk legen können, und deswegen lehnt die Gruppe „Bürger in Wut“ die Forderung von Rot-Grün ab. – Vielen Dank!

(Beifall bei BIW)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Grobien, CDU-Fraktion.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Die Flüchtlingsdramen, die sich im Oktober vor der italienischen Insel Lampedusa abgespielt haben und auch derzeit wahrscheinlich noch immer abspielen, sind Anlass für den Dringlichkeitsantrag der Koalitionspartner, auch hier in Bremen darüber eine Debatte zu führen. Angesichts der Bilder, die wir alle vor Augen haben, und der Schicksale und Tragödien der Menschen ist das Bedürfnis einer parlamentarischen Debatte durchaus nachvollziehbar. Auch wir, die CDU-Fraktion, verurteilen fassungslos die Geschehnisse und trauern mit den Opfern und deren Familien.

(Beifall bei der CDU)

Es ist wohl leider so, dass oft erst etwas passieren muss, bevor ein schon länger drängendes Thema in den Blick der politischen Öffentlichkeit gerät. Die EUEinwanderungs- und Flüchtlingspolitik ist dadurch nicht nur im Europäischen Parlament und im Rat in den Fokus gerückt, sondern auch bereits Teil der derzeitigen Koalitionsverhandlungen gewesen. Die

Asyl-, Flüchtlings- und Einwanderungspolitik der EU bleibt in den nationalen Parlamenten, aber zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten der EU eine nach wie vor leider äußerst strittige Materie.

Nun zu Ihrem Antrag! Viele Ihrer Punkte sind auch in der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 23. Oktober dieses Jahres zu dem Zustrom von Migranten im Mittelmeerraum enthalten.

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Gut recherchiert!)

Natürlich unterstützen wir die Aussage Ihrer ersten Forderung, dass der Schutz von Leib und Leben der Flüchtlinge für nationale und europäische Instanzen oberste Priorität haben muss.

(Beifall bei der CDU)

Natürlich kann es nicht sein, dass Fischer ertrinkenden Flüchtlingen nicht helfen dürfen. Das ist unerträglich, aber leider durch die italienische Gesetzgebung bisher gedeckt. Es ist unerträglich und in unseren Augen mit den europäischen Rechtsvorschriften nicht vereinbar, aber wir können hieran im Moment, vor allen Dingen aus Bremen heraus, nichts ändern.

Beim dritten Punkt wird es schon schwieriger. Sie sagen, Asylsuchenden müsse ein sicherer Zugang zum europäischen Asylsystem gewährt werden. Es gibt aber noch kein einheitliches Asylsystem in den Mitgliedsstaaten. Die CDU-Fraktion steht nach wie vor hinter dem Dublin-Abkommen, das besagt, dass Asylsuchende in jenem Land ihren Antrag stellen müssen, in dem sie an Land gehen.

(Abg. Frau V o g t [DIE LINKE]: Und dann wundern Sie sich über die italienische Ge- setzgebung?)

Das trifft im Mittelmeerraum natürlich insbesondere Länder wie Italien, Spanien, Malta und Griechenland, die deshalb eine Quotenregelung zur Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU befürworten. Wenn es aber um den Vergleich von Asylbewerberzahlen in der EU geht, auf den sich auch unser Innenminister Friedrich gern beruft, kann Deutschland für sich tatsächlich verbuchen, die meisten Schutzsuchenden aufzunehmen. Nach den Angaben des europäischen Statistikamtes Eurostat wurden im vergangenen Jahr rund 330 000 Asylanträge in der EU gestellt, davon 77 500 allein in Deutschland. Das bedeutet, dass 23 Prozent aller in der EU ankommenden Flüchtlinge schon heute einen Asylantrag in Deutschland stellen.

Zu dem zweiten Punkt oder zu weiteren Punkten Ihres Antrags. Das weltweite – ich betone „weltweite“ – Flüchtlingsproblem, so wie es Frau Mohammadzadeh ja auch sieht, nicht nur in Italien, sondern auch

in Mexiko, Jordanien und sonst wo, kann nicht allein auf dem Boden der EU gelöst werden, sondern muss vielmehr auch in den jeweiligen Ländern angegangen werden, in denen die Menschen in Not sind. Durch die beobachtenden und präventiven Instrumente von Frontex und entwicklungspolitischen Maßnahmen vor Ort müssen Flüchtlinge in ihren Herkunftsländern frühzeitiger erkannt werden. Es muss gezielter gegen Schlepper- und Schleuserbanden vorgegangen werden.

Die EU gibt zum Beispiel gegenwärtig jährlich sieben Milliarden Euro für die nordafrikanischen Länder aus. Hier muss man und kann man gucken, ob Entwicklungspolitik nicht noch einmal neu aufgesetzt werden muss, damit Flüchtlinge gar nicht erst in die Hände von Schleppern oder auf die Boote kommen. Es muss also auch etwas für die Problemlösung in den Herkunftsländern getan werden. Wichtig ist es, Lebensperspektiven vor Ort zu verbessern und nicht möglichst viele Menschen dazu zu bewegen, ihre Heimatländer zu verlassen, da die Lebensbedingungen innerhalb der EU besser erscheinen.

Das Recht auf Asyl ist eine wichtige Errungenschaft der Neuzeit, und unbestritten möchte jeder, der sein Land aus Not und mit Furcht um sein Leben verlassen muss, an anderer Stelle freundlich aufgenommen werden. Aber das Flüchtlingsproblem an den europäischen Grenzen kann nicht dadurch gelöst werden, dass die Grenzen einfach geöffnet werden, sei es temporär oder auch langfristig. Das, meine Damen und Herren, fordern Sie aber in den Punkten Ihres Antrags, und das ist genauso unverantwortlich wie das derzeitige Vorgehen, das Sie in den Punkten 1 und 2 Ihres Antrags zu Recht kritisieren.

Das zieht leider auch noch die Frage nach sich: Was kann man eigentlich der eigenen Bevölkerung zumuten? Frau Stahmann hat gestern noch einmal sehr eindrucksvoll dargelegt, wie schwierig die Unterbringung der Flüchtlinge ist und dass das derzeit ein Megathema ist. 2013 werden voraussichtlich 100 000 Flüchtlinge nach Deutschland kommen, die untergebracht und versorgt werden müssen. Allein für den Bremer Haushalt bedeutet das Mehrausgaben von 18 Millionen Euro. Ich finde es nicht fair, hier quasi alle Grenzen zu öffnen und gleichzeitig zu fordern, wie Sie das in Punkt 4 tun, dass Bund und EU alle Folgekosten dafür zu tragen haben. Wir lehnen den Antrag deshalb ab.

Alles in allem ist und bleibt das ein komplexes, schwieriges Thema, das auf nationaler und europäischer Ebene noch sehr strittig ist. Hier mehr europäische Solidarität einzufordern, ist ein Schritt in die richtige Richtung, den wir alle teilen.

(Beifall bei der CDU – Glocke)

Schön wäre, wenn alle Parteien auf nationaler und europäischer Ebene mehr aufeinander zugehen würden. Wir Bremer gehen häufig mit gutem Beispiel vo

ran, allerdings sind bei mir nach der Debatte von heute Morgen ein bisschen Zweifel aufgekommen, wenn man überparteilichen Gremien nicht zustimmen kann. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der CDU)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Vogt, Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin gerade ein bisschen am Überlegen, ob ich auf die vorangegangenen beiden Beiträge eingehen soll oder ob ich es nicht einfach bleiben lasse. Man muss nicht über jedes Stöckchen springen.

(Abg. Frau G r o b i e n [CDU]: Wir sprin- gen ja auch nicht über Ihre!)

Ich möchte aber doch noch zwei Sachen grundsätzlicher Art und Weise dazu sagen. Wenn ich hier von Armutsflüchtlingen und Zuströmen höre, dann drehen sich mir wirklich die Haare auf. Denn wenn mir irgendjemand erzählt, dass ungehindertes Zuströmen von Migranten oder Armutsflüchtlingen – beides wurde ja eben gesagt – unsere Sozialkassen plündert, was ja auch oft zu hören ist, dann wird mir mit Blick auf die Verantwortung, die wir als europäische Staaten haben, schlecht, weil es die Verantwortung umdreht.

(Beifall bei der LINKEN und beim Bünd- nis 90/Die Grünen)

Man muss nicht in die weitere Geschichte gucken, was die Kolonialgeschichte angeht, da kann man sich auch einfach einmal die letzten 30 Jahre nehmen. Der Klimawandel wurde hier schon angesprochen. Der Klimawandel ist in erster Linie von den Industrienationen verursacht; auch von den europäischen. Er hat in der Subsahara zu ganz dramatischen klimatischen Veränderungen geführt und damit für weite Teile in den Ländern dort die Existenzgrundlage im Sinne von Landwirtschaft vernichtet.

Es gibt eine europäische Verantwortung, auch eine Verantwortung der USA, auch eine der von China, völlig klar, aber eben auch eine europäische Verantwortung.

Stichwort „Überfischung“ – eine ganz klare europäische Verantwortung, Stichwort „Nahrungsmittelspekulation“, seit den Neunzigern ist die Deutsche Bank daran beteiligt. Ich könnte hier eine ganze Menge Sachen – ohne Kriege – aufführen, die dafür ursächlich sind, dass die Menschen, insbesondere in der Subsahara, zunehmend verarmen und in ihrer Existenzgrundlage materiell, also auch mit dem Tode, bedroht sind, wenn wir als europäische Staaten – nicht

jeder einzelne hier von uns, in vielen Fällen geht es um Entscheidungen, die wir überhaupt nicht zu verantworten haben; es sind auch Unternehmens- und wirtschaftliche Entscheidungen, aber wir müssen uns natürlich als Staaten dieser Verantwortung stellen –, Teil des Problems in Afrika sind. Wer sagt: „Die Leute sind Armutsflüchtlinge, Wirtschaftsflüchtlinge, sie strömen hier herein, um uns zu plündern.“, dreht damit einfach die Verantwortung, die wir haben, um. Das möchte ich in diesem Haus hier eigentlich nicht mehr hören!

(Beifall bei der LINKEN)

Ich komme jetzt auf den Antrag zurück: Ich hatte ein bisschen Schwierigkeiten damit – es wird sie nicht verwundern –, weil Frontex, diese Behörde, die 2004 auch unter tatkräftiger Mitwirkung von Otto Schily geschaffen worden ist und seitdem für auch für Todesfälle im Mittelmeer verantwortlich ist, immer wieder Pushback-Aktionen betrieben hat, sprich Boote zurückgedrängt und damit gegen die Genfer Flüchtlingskonvention verstoßen hat. Ich mache aus meinem Herzen keine Mördergrube: Wir wollen Frontex gern abschaffen.

Wir haben auch, was die Beziehungen von Bremer Unternehmen und eventuell der WFB zu Frontex angeht, im Oktober einen Antrag eingebracht, den wir hier auch noch diskutieren werden. Ich finde den grundsätzlichen Ansatz des Antrags der Koalition komplett richtig. Das gilt insbesondere auch für die Fragen von Dublin-II, die hier sehr richtig aufgeworfen werden, für die Frage, was dringend geändert werden muss, und insbesondere auch für die Fragen nach einem vereinfachten beziehungsweise einheitlichen europäischen Asylrecht, insbesondere auch für die Frage nach einer legalen Migration und insbesondere auch die Frage der Aufteilung von Geflüchteten und auch die Frage der Kostenübernahme und insbesondere natürlich auch für die Forderung, die hier zumindest anhand der Frontex-Behörde aufgeführt wird, dass auf jede Rückschiebung, auf jede Rückführung und natürlich auf die sogenannten Pushbacks in Zukunft verzichtet werden soll.

Von daher – auch wenn wir Frontex gern ganz abschaffen würden und auch überhaupt keine Grundlage dafür sehen – werden wir aus diesen vielen anderen Punkten, die Sie zu Recht hier in Ihrem Antrag aufgeführt haben, Ihrem Antrag zustimmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort Frau Kollegin Mahnke, SPD-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube nicht, dass ich Ihnen jetzt noch einmal die gesamten Bilder vor Augen führen muss. Sie sind allen präsent,

und meine Vorredner haben die Szenen ja schon einmal nachgezeichnet. Ich denke aber, ich spreche für uns alle hier im Raum, wenn ich sage, dass wir diese Szenen nie wieder sehen wollen.

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Ich glaube und hoffe, auch Ihnen, den Kolleginnen und Kollegen der CDU, ist bewusst, dass es zu einem Umdenken in der Flüchtlingspolitik kommen muss, und zwar in ganz Europa. Es kann doch nicht sein, dass Frau Merkel abwiegelt und der Meinung ist, dass Deutschland bereits zu viele Asylbewerber aufnimmt.

Sehr geehrte Frau Grobien, auch Sie haben eben wieder versucht, uns darzustellen, dass Deutschland die meisten Flüchtlinge aufnimmt. Um Ihnen das wirklich einmal anhand von Zahlen zu verdeutlichen: Deutschland hat im ersten Quartal 2013 pro 1 000 000 Einwohner 255 Flüchtlinge aufgenommen, Schweden dagegen 1 015, und selbst Zypern liegt mit 370 Flüchtlingen noch darüber.

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Um eine bessere Verteilung der Flüchtlinge sicherzustellen, müssen die bestehenden Regeln überdacht werden. Hier weigert sich jedoch die CDU auf Bundesebene bislang immer noch hartnäckig. Es kann auch nicht sein, dass sich ein Bundesinnenminister nach dem Unglück hinstellt und lediglich schärfere Maßnahmen gegen Schlepper fordert. Meine Damen und Herren, damit ist es doch bei Weitem nicht getan.

Schauen wir uns einmal die Dublin-II-Verordnung an! Nach dortigen Kriterien ist derjenige Staat für das Asylverfahren zuständig, der die Einreise veranlasst oder nicht verhindert hat. Dies führt doch genau dazu, dass Staaten mit EU-Außengrenzen wie Italien und Malta ihre Grenzen zumachen und extrem scharf bewachen und auch alle unter Strafe stellen, die Flüchtlinge an Bord ihrer Schiffe nehmen. Dies ist nicht verwunderlich, da diese Staaten auch die Kosten, die mit dem Asylverfahren verbunden sind, tragen. Obwohl: Wenn man sich die Zahlen für Italien ansieht, so muss man feststellen, dass Italien sehr wenige Flüchtlinge aufnimmt. Dies dürfte allgemein gar nicht einmal bekannt sein, da die Medien uns etwas anderes suggerieren. Um dies zu vermeiden, muss es zu einer neuen gesamteuropäischen Lösung und Regelung kommen, die alle in gleichem Maße fordert und nicht Einzelstaaten mit ihren Problemen allein lässt.

(Beifall bei der SPD)

Wir sind daher alle aufgefordert, Flüchtlingen und Migranten verschiedene Möglichkeiten zu bieten, legal und sicher in die EU zu kommen, statt in ihren