Protokoll der Sitzung vom 14.11.2013

Wir sind daher alle aufgefordert, Flüchtlingen und Migranten verschiedene Möglichkeiten zu bieten, legal und sicher in die EU zu kommen, statt in ihren

kleinen Booten, mit denen es dann zu solchen Unglücken kommt. Eine gute Möglichkeit bietet unter anderem ein humanitäres Visum für Flüchtlinge, die in Europa Schutz suchen. Dieses Instrument wird leider sehr wenig genutzt. Zudem brauchen wir eine zielorientierte Zuwanderungspolitik für Menschen, die hier arbeiten wollen. Aber auch eine Regelung des gesamten Finanzierungssystems für die Flüchtlinge muss dringend erarbeitet werden. Wir sehen doch allein in Bremen und Bremerhaven, welche Kosten auf Länder und Kommunen in diesem Kontext zukommen. An dieser Stelle sind der Bund und die Europäische Union dringend gefordert, einfach damit es finanzierbar wird.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Sicherlich – das wurde auch schon erwähnt – wäre es am besten, wenn es gar nicht zu diesen Flüchtlingsströmen kommen würde, aber um dies zu erreichen, muss dringend etwas hinsichtlich der Situation der Menschen in ihren Ländern getan werden. Dies ist ein weiterer Baustein im Umdenkungsprozess aller. Wir müssen uns auf allen Ebenen dafür einsetzen, dass die Lebensbedingungen dieser Menschen in ihrer Heimat verbessert werden.

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der CDU)

Nur mit einem gesamten Katalog an Maßnahmen – sei es bei der Aufnahme der Flüchtlinge in den einzelnen Mitgliedsstaaten, bei der finanziellen Ausstattung der Kommunen und Länder für die Flüchtlingsarbeit oder bei der Verbesserung der Lebensbedingungen in den Heimatländern – können wir etwas erreichen. Wir können aus Bremen heraus nur die Diskussion mit anstoßen und unseren Senat auffordern, sich in den entsprechenden Gremien für eine veränderte Flüchtlingspolitik stark zu machen. Denn eines ist doch klar: Es ist keine Lösung, Menschen in Länder abzuschieben, in denen ihr Leben gefährdet ist. Auch eine Abschottung – da richte ich noch einmal das Wort an Sie, Frau Grobien – kann nicht die Antwort Europas auf Lampedusa sein.

(Abg. Frau G r o b i e n [CDU]: Haben Sie mir nicht zugehört?)

Ich hoffe, verehrte Kolleginnen und Kollegen der CDU, Sie werden auch noch einmal zu einem Umdenken in dieser Politik kommen. – Danke!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als Nächstes ich das Wort Herrn Kollegen Dr. Kuhn, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich will doch noch einmal auf die Geschichte zurückkommen: 1938 gab es ein bitteres Wort in den jüdischen Weltverbänden, die gesagt haben: Die Welt teilt sich in zwei Teile. Der eine Teil sind die Staaten, die die Juden vertreiben, und der andere Teil sind die Staaten, die sich weigern, die Juden aufzunehmen, wenn sie vertrieben werden.

Die Argumente, verehrte Kolleginnen und Kollegen, waren immer die gleichen, wenn das Recht auf Asyl infrage gestellt, angegriffen, ausgehöhlt werden soll. Die Argumente sind dann immer, dann würden ja alle kommen! Das war immer so. Ich würde Sie ganz herzlich bitten, auch Frau Kollegin Grobien, dieses Argument wenigstens vorsichtig – –.

(Zuruf der Abg. Frau G r o b i e n [CDU])

Nein, immer wieder kommen solche Argumente! Es geht nicht darum, die Grenzen ganz offen zu machen, darum geht es überhaupt gar nicht. Es geht nicht darum, die Grenzen einfach weit aufzumachen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD – Zuruf der Abg. Frau G r o - b i e n [CDU])

Es geht darum – lassen Sie mich das sagen –, einen fairen Zugang zum Asylrecht zu gewährleisten. Das ist das Entscheidende,

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD – Abg. Frau G r o b i e n [CDU]: Genau!)

und das ist auch der Punkt, wo unsere Forderung nach Einführung eines humanitären Visums hineinkommt. Denn jetzt, gegenwärtig, gewährleistet der Weg über die Meere durch verschiedene Dinge, teils durch Politik, teils durch die kriminellen Machenschaften, die dahinter stehen, keinen fairen Zugang zum Asylrecht. Es gibt diesen fairen und sicheren Zugang nicht.

Deswegen sagen wir: Das humanitäre Visum ist eine Möglichkeit, diesen fairen Zugang zu gewährleisten. Prüfung ist immer dabei; das ist selbstverständlich. Das wollte ich in diesem Falle sagen, denn das Argument, wir würden überfordert und wir würden es nicht schaffen, finde ich bei diesen Diskussionen falsch. Wissen Sie, es macht keinen Sinn zu sagen – wie der Europäische Rat –: Wir bedauern die Ereignisse vor Lampedusa, aber wir verschieben erst einmal die Debatte auf Juni nächsten Jahres. Das geht nicht, das funktioniert nicht!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

An diesem Verschieben war leider die Bundesregierung maßgeblich beteiligt.

Ich will auf die europäische Diskussion eingehen. Was sind die Fragen, die diskutiert werden? Die eine Frage betrifft in der Tat die Weiterentwicklung der Dubliner Abkommen. Natürlich kann man immer auf die Zahlen, auf die aktuellen Zahlen, auf die Gesamtzahlen verweisen. Es ist aber etwas anderes, ob man Staaten, ob man Ländern, die vorübergehend oder auch über längere Zeit durch besondere Ereignisse sehr gefordert sind und harten Anstrengungen ausgesetzt sind, zusichert, dass es einen solidarischen Ausgleich geben kann. Das ist doch etwas anderes.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Es geht nicht um ein abstraktes Quotensystem, es geht nicht um Mathematik, sondern es geht um die Frage, ob man in zugespitzten Situationen zeigt, dass man solidarisch ist. Das würde ich von Europa erwarten; das ist der Punkt.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Frontex ist eine Chiffre für diese Politik, die verkehrt läuft, wobei man daran erinnern muss, dass Frontex nicht die Grenzsicherung Europas ist. Die Grenzsicherung Europas wird weiterhin von den Nationalstaaten wahrgenommen. Frontex ist eine Truppe von 250 Leuten, mit sehr viel Geld, sehr viel Ausrüstung. Sie sind, unter anderem durch den Europäischen Gerichtshof in Straßburg, überführt worden, es ist bewiesen worden, dass sie in ihren Aktionen Menschenrechtsverletzungen begangen haben.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Die sogenannten Pushbacks, die nicht geleistete Hilfe auf hoher See – alle diese Dinge waren tatsächlich Politik und sind, fürchte ich, bis heute Politik der Frontex. Deswegen muss Frontex radikal verändert werden. Mir wäre es am liebsten, auch der Name würde geändert, damit deutlich wird, dass das radikal geändert werden muss.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Der Schutz von Flüchtlingen muss an allererster Stelle stehen und alles andere danach. Ich meine, ich bin der Überzeugung, es muss Sicherung von Grenzen geben. Aber der Schutz der Menschen in Not muss an allererster Stelle stehen. Das ist gegenwärtig bei der politischen Bestimmung der Aufgaben von Frontex nicht der Fall. Aber – darauf komme ich jetzt – es wird gerade in Europa diskutiert.

Die Kommission hat eine Mitteilung vorgelegt. Wir Grünen halten diesen Vorschlag für nicht ausreichend, weil da immer noch – in anderer Form zwar – von

diesen sogenannten Pushbacks, also der vorzeitigen Rückführung schon auf dem Weg von Flüchtlingen, die Rede ist. Sie versuchen, das irgendwie menschenrechtskonform hinzubekommen. Ich zweifele daran. Wir wollen ausschließen, dass es überhaupt stattfinden kann. Das muss in den Aufgaben einer Frontex – oder wie immer sie dann heißen mag – festgelegt werden.

Ich glaube, dass wir uns – darauf zielt der Antrag ab – auf der Linie unseres Antrags in diese Diskussion einmischen müssen. Ich glaube nicht, dass wir auf die europäische Grenzsicherung verzichten sollten. Denn die Zurückführung in nationale Souveränität halte ich – wenn ich mir einmal anschaue, was dann passieren würde – nicht für den richtigen Weg. Ich stehe also für eine europäische Grenz- und Flüchtlings- und Asylpolitik, die solidarisch ist und die den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Das muss das oberste Gesetz sein.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als Nächstes rufe ich Herrn Senator Mäurer auf.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich greife diese Debatte sehr gerne auf. Es sind zahlreiche Elemente diskutiert worden, die uns weiterhelfen. Ich glaube, gerade der Hinweis auf die europäische Verantwortung ist ein ganz wichtiger Aspekt. In der Tat ist die Frage: Haben wir etwas damit zu tun? Wir sehen die Bilder in Afrika, wir erleben Bürgerkriege, Militärdiktaturen und im Anschluss an Kriege wieder Hungersnöte, Katastrophen. Wir berichten dann über Hilfsmaßnahmen, und bei alledem kommt häufig die Frage zu kurz: Wer ist für das alles mitverantwortlich? Ich glaube, ein Blick zurück in die eigene Geschichte wäre dabei sehr hilfreich.

Diese ganze Entwicklung ist nicht zu erklären ohne die Politik der Engländer, der Franzosen und auch nicht zuletzt der Deutschen. Bremen ist einmal die Stadt der Kolonien gewesen. Die Denkmale der damaligen Zeit stehen heute noch in dieser Stadt. Ich glaube, damit verbindet uns auch eine gewisse Verantwortung, ich glaube, eine europäische Verantwortung für das, was sich in den letzten Jahren in Afrika entwickelt hat.

Die ganzen Auseinandersetzungen sind weitestgehend darauf zurückzuführen, dass die europäischen Großmächte die Länder nach ihren Maximen, nach imperialen Vorstellungen organisiert haben. Sie haben keine Rücksicht auf die Entwicklung der Bevölkerung oder auf die Zugehörigkeit der Stämme genommen oder Ähnliches – das hat weder die Franzosen noch die Engländer interessiert –, sondern sie haben die Länder aufgeteilt und damit die Wurzeln für viele Auseinandersetzungen gelegt, die mit die

sem Elend, was wir täglich erleben, verbunden sind. Insofern ist das auch Teil unserer Geschichte und Teil unserer Verantwortung als Europäer.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Damit ist, glaube ich, auch schon die zweite Ansage gegeben. Natürlich können wir das Problem nicht lösen, indem wir darauf warten, dass sich in Afrika die Verhältnisse von selbst verändern, sondern wir haben im Grunde genommen nur eine Chance, wenn wir wirtschaftlich und politisch in diese neuen Länder investieren, wenn wir dazu beitragen, demokratische Entwicklungen zu verstärken, dass sich die Lebensverhältnisse in Afrika in der Tat verändern und die Menschen dort eine Perspektive haben. Ich glaube, insofern sind wir hier im Hause auch nicht auseinander.

Schwierig wird es dann, wenn es um die ganz konkreten Dinge geht. Dieser Antrag verbindet mit Lampedusa die Hoffnung, dass sich etwas verändert im europäischen Haus. Auch wir sehen natürlich die gravierenden Unterschiede. Ich richte den Fokus nur einmal auf die Bundesrepublik Deutschland: Wenn wir 5 000 Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen, dann geschieht das in einem organisierten Verfahren, es ist abgestimmt, es gibt eine Quote bezogen auf die Länder. Das heißt, bei 5 000 Flüchtlingen wird Bremen im Ergebnis 50 aufnehmen.

Jeder weiß: Wenn man das umsetzen muss, ist das mit Problemen verbunden, es kostet Geld, man muss es vermitteln. Aber ich denke, wir können diese Aufgabe erfüllen. Wir sind der Auffassung, dass wir in der Bundesrepublik eine faire Lastenverteilung haben. Wir können darüber streiten, ob sich der Bund möglicherweise mehr an dieser Aufgabe beteiligen muss. Manchmal sind die Kommunen damit überfordert, aber im Prinzip ist es so, dass wir in unserem föderalen System dafür sorgen, dass die Lasten halbwegs fair verteilt werden, und das macht die Sache akzeptabel.

Wenn wir aber den Blick verändern und auf Europa schauen, stellt sich die Lage völlig anders dar. Da gilt zunächst einmal der Grundsatz: Dort, wo ich vor Anker gehe, muss ich bleiben, auch wenn ich gar nicht dorthin will. Die meisten wollen nicht nach Lampedusa, sondern sie haben die Hoffnung, weiter ziehen zu können nach Holland oder in die Bundesrepublik.

Wir haben das alles sehr schön geregelt: Dublin II, Dublin III. Ich glaube, die Wenigsten wissen, was das bedeutet. Im Grunde genommen steht nur darin, wer wofür zuständig ist. Das führt im Ergebnis dazu, dass jeder, der aus Italien in die Niederlande oder nach Deutschland weiterreist – wir haben das aktuell gerade zum Beispiel in Hamburg –, wieder zurück nach Italien abgeschoben wird.

Bisher haben die Verwaltungsgerichte, die sich ja hundertfach damit beschäftigt haben, mehrheitlich gesagt: Die Verhältnisse in Italien sind nicht so ganz nach unserem Standard in der Bundesrepublik, aber es geht. – Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat noch Anfang dieses Jahres gesagt: Ja, diese Abschiebungen sind vertretbar; so auch die Rechtsprechung der bremischen Verwaltungsgerichte noch bis Mitte dieses Jahres.

Ich wage die These: Dies wird so nicht bleiben. Ich glaube, dass die Bilder aus Italien zwei Botschaften rübergebracht haben. Sie haben zum einen die Bilder der Särge gezeigt – das ist das Beeindruckende gewesen –, aber gleichzeitig ist damit auch ein Blick in die Aufnahmelager geworfen worden. Ich habe fast die Hoffnung – so muss ich sagen –, dass die Verwaltungsgerichte auf Dauer genauer hinschauen werden und dass damit auch Dublin II – und Dublin III – zur Diskussion gestellt wird. Denn ich glaube nicht, dass das die Standards sind, die wir in Europa vorzuhalten haben.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Mein Eindruck ist hingegen, dass nach einer kurzen Verweildauer in diesen Aufnahmelagern, die von ihren Kapazitäten in keiner Weise ausreichend sind, im Grunde genommen die Flüchtlinge mittellos, obdachlos weiterziehen. Sie werden noch nicht einmal verwaltet. Sie werden einfach rausgesetzt. Es ist nicht verwunderlich, dass dann eine große Anzahl versucht, über die italienischen Grenzen hinweg weiterzukommen. Wenn sich dies nicht verändert, wird auch letztlich Dublin III fallen. Wir haben es am Beispiel Griechenlands erlebt: Sie haben die Menschen kaserniert, sie haben sie in Gefängnissen eingesperrt. Inzwischen ist nach der Rechtsprechung des EuGH völlig klar: Es gibt keine Zurückführung mehr nach Griechenland.

Entweder ändert Italien seine Politik – das ist möglich, weil es in der Tat nicht so ist, wie es suggeriert wird, dass Italien unter einem Massenstrom untergeht. Im Ranking der Länder Europas liegt Italien weit hinter Deutschland auf Platz 15 oder 16. An der Spitze liegt Schweden, das keine Außengrenze am Mittelmeer hat, aber dennoch aufgrund seiner humanitären Ausländerpolitik bereit ist, mehr Menschen aufzunehmen. Das heißt, auch in Europa ist noch Luft nach oben.

Ich hoffe, dass dieser Prozess dazu beiträgt, dass in der Tat darüber diskutiert wird, ob „Europa“ nicht nur bedeutet, Zuständigkeiten festzuhalten und das dann zu exekutieren, sondern „Europa“ auch bedeutet, dass wir einheitliche Standards und eine faire Lastenverteilung brauchen. Es ist ja gerade das, was unser System in der Bundesrepublik auszeichnet, dass wir die Einzelnen nicht alleine lassen.