Protokoll der Sitzung vom 11.12.2013

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Es geht um Geld!)

Aber nicht nur. Das wissen auch Sie. Sie wissen auch, dass es eine rechtliche Frage berührt, Herr Röwekamp!

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Der ganze Haushalt berührt rechtliche Fragen! Er ist nämlich ein Gesetz!)

Um es kurz zu machen: Dies entspricht eigentlich nicht den Gepflogenheiten, die wir im Haus haben. Ich widerspreche damit dieser Verbindung.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, ein Antrag wird aber nicht gestellt, sodass ich jetzt darüber abstimmen lasse, ob Sie mit den interfraktionellen Absprachen einverstanden sind. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grü- nen und BÜRGER IN WUT)

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen DIE LINKE)

Stimmenthaltungen?

Meine Damen und Herren, ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) ist mit den interfraktionellen Absprachen einverstanden.

Meine Damen und Herren, bevor wir nun in die Tagesordnung eintreten, möchte ich dem haushaltspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, Herrn Max Liess, zu seinem heutigen Geburtstag die herzlichen Glückwünsche des Hauses aussprechen.

Es ist schön, dass Sie an einem so spannenden und inhaltsschweren Tag bei uns sind.

(Beifall – Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Und sogar reden darf er noch, oder?)

Meine Damen und Herren, wir treten in die Tagesordnung ein.

Aktuelle Stunde

Für die Aktuelle Stunde ist von der Abgeordneten Frau Vogt und Fraktion DIE LINKE folgendes Thema beantragt worden:

Silberstreifen am Horizont oder dunkle Wolken? Auswirkungen der Koalitionsvereinbarung im Bund auf Bremen und Bremerhaven

Die von den Abgeordneten Kau, Dr. vom Bruch, Röwekamp und Fraktion der CDU beantragte Aktuelle Stunde mit dem Thema

Rot-grünes Postengeschacher in Bremerhaven – ein Fall für die Kommunalaufsicht des Landes

ist inzwischen vom Antragsteller zurückgezogen worden.

Dazu als Vertreter des Senats Bürgermeister Böhrnsen.

Die Beratung ist eröffnet.

Als erste Rednerin hat die Abgeordnete Frau Vogt das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, vor dem 22. September dieses Jahres gab es kaum ein anderes Bundesland, das mit so viel Spannung auf den Ausgang der Bundestagswahl geblickt hat wie das Bundesland Bremen. Das hat natürlich unterschiedliche Gründe; das wissen wir alle. Denn wir hängen finanziell am Tropf.

Wir haben einen enormen Bestand von Altschulden sowie ein strukturelles Defizit von 700 Millionen Euro jährlich. Zudem haben wir eine vorgezogene Schuldenbremse durch die Konsolidierungsvereinbarung, die in unserem Bundesland und in beiden Stadtgemeinden den Alltag bestimmt. Entscheidend war vor dem 22. September die Frage: Wie viel kommt unter dem Strich nach der Bundestagswahl für das Land Bremen und auch für die Bevölkerung beider Stadtgemeinden heraus?

Ich möchte kurz daran erinnern, dass vor der Bundestagswahl drei Parteien mit einem Programm für Steuererhöhungen, insbesondere zur Wiedereinführung der Vermögensteuer, in den Wahlkampf gegangen sind, die Ländern und Kommunen eine wirksame Entlastung gebracht hätten. Drei Parteien wollten zudem spürbare Verbesserungen für Arbeitnehmerin

nen und Arbeitnehmer sowie Rentnerinnen und Rentner erreichen. Insbesondere DIE LINKE wollte natürlich auch die Lage der Erwerbslosen deutlich verbessern. Zu einer rot-rot-grünen Bundesregierung ist es nach dem 22. September nicht gekommen. Dazu konnte sich die SPD nicht durchringen.

Zu Beginn der Koalitionsverhandlungen gaben sich der Senat und auch die Fraktionen der Regierung hier in Bremen noch zuversichtlich, dass es zu Entlastungen für das Land Bremen kommen werde, und zwar zum einen durch eine Kostenbeteiligung durch den Bund, zum anderen aber auch dadurch, dass die Bürgerinnen und Bürger dieses Bundeslandes netto mehr Geld in der Tasche haben würden. Die Vereinbarung liegt auf dem Tisch, aber nach unserem Dafürhalten ist sie enttäuschend. Aus unserer Sicht stellt sich mehr denn je die Frage: Wie stellt sich ein zukünftiger Senat nach dem Mai 2015 auf, ohne dass er zum reinen Insolvenzverwalter dieses Bundeslandes wird?

Ich komme erst einmal zu den wichtigen strukturpolitischen Entscheidungen! Wenn man sich den Koalitionsvertrag anschaut, dann könnte man auch sagen: Er ist ein moderates Regierungsprogramm einer CDU-Regierung. Es gibt ein beschränktes Einsteigen bei den Punkten Mindestlohn, Rente, Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen, Gleichheit von Entgelten und doppelte Staatsangehörigkeit, aber dem stehen auch große Schatten gegenüber: Für Arbeitslose, Geringverdiener und Hartz-IV-Empfänger und -Empfängerinnen in Bremen und Bremerhaven ist der Koalitionsvertrag eine einzige Enttäuschung.

(Beifall bei der LINKEN)

Weder Hartz IV noch Vermögensteuer noch die Abschaffung der Zweiklassenmedizin kommen in dem Vertrag vor. Eine Umverteilung findet statt, aber, wie gewohnt, von unten nach oben und nicht anders herum. Ich nenne ein Beispiel: Es wird ein neuer 60Milliarden-Fonds für die Bankenrettung eingerichtet, und die Beschäftigten der Sozialversicherung werden über die Krankenkasse wieder zur Kasse gebeten. Die Mütterrente und die abschlagsfreie Rente ab 63 sollen auch nur über Rentenbeiträge finanziert werden, und der steuerfinanzierte Sozialausgleich bei der Krankenversicherung entfällt.

Kommen wir zu den einzelnen Ergebnissen! Ich nenne hier das Stichwort Mindestlohn. Vorweg möchte ich sagen: Wir begrüßen es natürlich, dass es inzwischen eine gesellschaftliche Entwicklung gibt, die unsere Forderung nach einem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn aufgreift.

(Abg. S e n k a l [SPD]: Ihre?)

Ja, das ist unsere, und zwar schon ein bisschen länger als Ihre, Herr Senkal! – Aber der Mindestlohn, der jetzt vereinbart worden ist, kommt zu spät und ist dadurch auch zu niedrig,

(Abg. P o h l m a n n [SPD]: Sagen Sie das einmal den Gewerkschaften!)

und zwar nicht nur, weil ein armutsfester Mindestlohn, der zumindest ansatzweise aus der Grundsicherung im Alter herausführen würde, schon bei zehn Euro liegen würde – nach den Ausführungen des Kollegen Reinken sogar deutlich höher –, sondern vor allen Dingen ist er deshalb zu niedrig, weil die 8,50 Euro flächendeckend erst ab dem Jahr 2017 verbindlich und im Jahr 2018 das erste Mal angepasst werden. Im Jahr 2015 geht der Mindestlohn mit ganz vielen Ausnahmen an den Start, und gerade Niedriglöhne in den tarifgebundenen Branchen, bleiben erst einmal unangetastet, obwohl eine Anpassung nötig wäre. Wenn man das auf das Jahr 2017 hochrechnet, wird nach heutigem Stand dann ein Mindestlohn von 7,85 Euro eingeführt wird, und den finden wir mehr als dürftig.

(Beifall bei der LINKEN)

Da die meisten Aufstocker in Teilzeit arbeiten, wird von ihnen auch keine nennenswerte Entlastung für den bremischen Haushalt ausgehen.

Stichwort Arbeitsmarktpolitik! Für die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen genügt das öffentliche Interesse. Das bedeutet für die vielen Bremerinnen und Bremer, die im Dienstleistungsbereich arbeiten, dass sie vermutlich weitere vier Jahre mit einem Jahreseinkommen von oft weit weniger als 20 000 Euro brutto auskommen müssen.

Bei der Leiharbeit gibt es eine Begrenzung auf 18 Monate. Diese kann aber durch Tarifvertrag, Betriebsoder Dienstvereinbarungen wieder aufgelöst werden, weil abweichende Lösungen möglich sind. Eine gleiche Bezahlung soll nach neun Monaten erfolgen. Viele Leiharbeiterinnen sind aber nicht neun Monate lang bei einer einzigen Firma beschäftigt, sondern landen durchschnittlich nach drei bis sechs Monaten in anderen Unternehmen, das heißt, eine Entgeltgleichheit wird es für sie nicht geben. Bei den Werkverträgen soll es mehr Kontrolle, mehr Informationsrechte für Betriebsräte, aber keine Mitsprache geben.

Zur Rente! Die Rente mit 67 bleibt im Grunde unangetastet. Zwar sollen Versicherte nach 45 Beitragsjahren ab 63 abschlagsfrei in Rente gehen dürfen, aber parallel dazu wurde die Grenze des allgemeinen Rentenalters auf 65 Jahre angehoben. Die überwiegende Mehrheit der Arbeitnehmer kommt gar nicht auf so viele Beitragsjahre. Für sie bleibt es bei dem Rentenkürzungsprogramm „Rente mit 67“.

Die solidarische Lebensleistungsrente, mit der zu geringe Rentenansprüche nach 40 Beitragsjahren und 30 Jahren privater Vorsorge auf 30 Entgeltpunkte aufgestockt werden sollen, hat so hohe Hürden, dass nur wenige Versicherte, die von Altersarmut betroffen sind, sie erreichen werden. Netto liegt diese Rente dann

knapp über der Grundsicherung. Auch das wird Bremerinnen und Bremer nicht richtig erfreuen.

Die bessere Anerkennung von Kindererziehungszeiten in der Rente greift zu kurz. Für vor 1992 geborene Kinder wird nur ein Entgeltpunkt weniger anerkannt, und sie soll – das finde ich bedenklich – systemwidrig aus Beitragsmitteln finanziert werden. Werte Kolleginnen und Kollegen, das ist verteilungspolitisch ungerecht; denn den Beitragszahlern werden die Kosten allein aufgebürdet. Zudem birgt dies auch eine Gefahr, weil die vorhandenen Reserven der Rentenversicherung, die für die Stabilisierung des Rentenniveaus gebraucht werden, verbraucht werden. Die Vereinbarungen zur Rente sind gerade für Bremen ein Problem, weil Altersarmut in beiden Stadtgemeinden schon jetzt greifbar und keine Projektion für die Zukunft ist.

Ein weiterer Punkt, der die Bremer und Bremerinnen interessiert, sind die Mieten. Der Begriff „Mietpreisbremse“ taucht im Koalitionsvertrag nicht auf. Beschränkungen von Mietpreiserhöhungen beziehen sich nicht auf bestehende Miethöhen, sind zeitlich begrenzt und liegen im Ermessen der Länder. Das ist unseres Erachtens ein zahnloser Tiger, der nicht zur Entlastung der Bremer Mieterinnen und Mieter führen wird. (Beifall bei der LINKEN)

Ich komme nun zu den Bereichen, in denen sich gerade das Bundesland Bremen – alle Fraktionen hier in der Bürgerschaft, auch die CDU – vor dem 22. September deutliche Verbesserungen erhofft hat. Das sind die Bereiche Kita, Bildung und Wissenschaft. Wenn man sich den Koalitionsvertrag anschaut, ist man enttäuscht. Der Ganztagsschulausbau, eine Forderung der SPD, taucht nicht mehr auf. Das Kooperationsverbot fällt nicht. Hier wird es richtig interessant; denn wenn man einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ vom 23. November glauben darf, dann ist die SPD gerade in dieser wichtigen Frage an sich selbst gescheitert. Der „Süddeutschen Zeitung“ zufolge haben in den Koalitionsverhandlungen sowohl Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft als auch Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz, beide SPD, alle Pläne für eine mögliche Grundgesetzänderung vehement zurückgewiesen. Dies, werte Kolleginnen und Kollegen, ist in der Tat ein Schlag ins Gesicht aller hier im Hause, weil sich auch die CDU in Bremen sehr für die Aufhebung des Kooperationsverbots einsetzt.

Die Folgen sind fatal. Meiner Meinung nach hat die SPD genau in dieser Frage eine historische Chance verpasst, die eine Große Koalition geboten hätte. Der Verzicht auf die Überwindung des Kooperationsverbots im Grundgesetz bedeutet nämlich weitere Jahre des Stillstands in Bezug auf – ich zitiere – „die Stärkung der Chancengleichheit durch Bildung“. Es ist völlig unklar, wie Länder und Kommunen die anstehenden Aufgaben wie Inklusion, Ganztagsschule

und eine bedarfsgerechte Ausfinanzierung der Hochschulen sichern sollen. Dies bleibt das Geheimnis der Großen Koalition. Interessant ist auch, dass die Lehrerausbildung und -weiterbildung ebenso wie die Schulsozialarbeit in dem Vertrag nicht mit einem Wort erwähnt werden.

Die Aufgabe der Inklusion, die von der SPD im Wahlprogramm noch als integraler Bestandteil aller Bildungseinrichtungen kommuniziert wurde, kommt im Koalitionsvertrag nur noch bei der Bildungsforschung und bei der Eingliederung von Menschen mit Behinderungen in der Berufsausbildung vor.

Der Bund, so kann man unter dem Punkt „Solide Finanzen“ lesen, will Länder und Kommunen im Bereich Kitas, Schulen und Hochschulen um 6 Milliarden Euro entlasten. Das wären für Bremen, bezogen auf die Legislaturperiode, circa 60 Millionen Euro mehr, also jährlich ungefähr 15 Millionen mehr im Haushalt. Vielleicht kann es wegen der hohen Hochschuldichte hier im Land.