Protokoll der Sitzung vom 22.01.2014

Aber das Thema fordert auch die Opposition. Die Auseinandersetzung mit Armut ist zu wichtig, um nur alle paar Monate hier im Haus die gleichen Debatten zu führen und wie ein Zuschauer von den Sitzplätzen eines Fußballstadions alles besser zu wissen. Wir brauchen weiter eine ernsthafte und das heißt vor allem eine konstruktive Debatte. Wir müssen bereit sein, neue Wege zu gehen und aus Fehlern zu lernen, anstatt sie auszuschlachten. Herr Röwekamp, Sie haben uns im November hier dargelegt, dass sich Ihre Einstellung zur Armut geändert hat. Wir nehmen Sie beim Wort. Wir laden Sie ebenso wie DIE LINKE ein, mit uns gemeinsam aktiv zu werden!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Bremerinnen und Bremer! Bremen ist erneuerbar. Wir müssen die Bereitschaft aufbringen, auf unwirksame Maß

nahmen zu verzichten und neue Pfade auszuprobieren. Vor allem aber darf die Bekämpfung nicht an Ressortgrenzen enden. Armut ist nicht nur eine Angelegenheit des Sozialressorts, sondern des gesamten Senats.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Es ist deshalb nur konsequent, dass heute Bürgermeister Jens Böhrnsen für den Senat diese Aktuelle Stunde bestreitet.

Wer bei der Bekämpfung der Armut eine Schere im Kopf hat und nicht alle Möglichkeiten, die wir von der Bildungs- über die Wirtschafts- bis zur Sozialpolitik haben, einbezieht, nimmt billigend in Kauf, dass die soziale Schere in der Stadt weiter aufgeht. Lassen Sie mich das an einigen Beispielen verdeutlichen!

Richten wir unseren Blick auf die Bildungspolitik! Noch immer hängt der Bildungserfolg maßgeblich vom Elternhaus ab. Kinder, deren Eltern einen höheren Bildungsabschluss haben, haben bei gleicher Begabung eine viel größere Chance, Abitur zu machen und zu studieren. Das ist ein Skandal. Diesen Zusammenhang Bildung und soziale Herkunft zu knacken, erfordert die Zusammenarbeit von vorschulischer Bildung, Schulen, aber auch Einrichtungen der Jugendhilfe. Ressortegoismen sind hier fehl am Platz!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Ein großer Schwerpunkt unserer rot-grünen Koalition ist die Bekämpfung von Kinderarmut. Jedes dritte Kind in Bremen ist armutsgefährdet, bei Kindern von Alleinerziehenden ist es sogar jedes zweite. Sie haben deutlich weniger Möglichkeiten, am gesellschaftlichen und am kulturellen Leben teilzuhaben, werden dadurch in ihrer Entwicklung aufgehalten und haben folglich später schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Bei der frühkindlichen Bildung und in den Grundschulen tun wir uns noch immer schwer, die unterschiedlichen Ausgangslagen wie zum Beispiel beim Spracherwerb auszugleichen. Frühkindliche Bildung kann Kindern gerade aus bildungsfernen Schichten ein Fundament für ihren weiteren Bildungsweg legen. Genau hier liegt der Schlüssel, um vererbte Armut aufzubrechen. Auf den Anfang kommt es an!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Damit die Kitas, aber auch die Ganztagsschulen die in sie gesteckten Erwartungen erfüllen können, dürfen wir in unseren Anstrengungen nicht nachlassen. Auf lange Sicht gesehen sind Investitionen in Bildung der beste Weg, einer Verfestigung von Armut entgegenzutreten. Wir dürfen dabei aber nicht den Fehler machen, Bildung zu eng zu definieren. Bildung ist mehr als nur Schulunterricht.

(Beifall bei der SPD)

Gerade in der Vernetzung zwischen Kindergarten und Schule, gerade in der Öffnung dieser Institutionen für Angebote auch an die Eltern und gerade durch die Verknüpfung mit Angeboten der Berufsorientierung können wir unsere Ziele erst erreichen.

Mit der Erfüllung des Rechtsanspruchs für unter Dreijährige wollen wir die Kinder möglichst früh abholen. Der Dreh- und Angelpunkt für den Bildungserfolg, aber auch die Teilhabe an der Gesellschaft ist der Spracherwerb. Wir haben viele Kinder aus bildungsfernen Schichten, und nicht nur die von Migrantinnen und Migranten haben in diesem Bereich hohe Defizite. Wir setzen deshalb unsere Anstrengungen bei der Sprachförderung fort und müssen hier auch finanziell noch nachlegen. Wir Grüne setzen uns für eine durchgängige und aufeinander abgestimmte Sprachförderung in Krippe, Kita und Grundschule ein.

Den Ausbau der Kindertagesbetreuung wollen wir unter sozialen Gesichtspunkten fortsetzen durch gezielte Ansprache der Eltern in den Brennpunkten, damit diese ihre Kinder in die Krippe bringen. Wir wollen, dass Kitas Orte für die ganze Familie werden. Deswegen müssen die Kitas echte Kinder- und Familienzentren werden, über die wir Eltern erreichen, denen wir Weiterbildung und auch Arbeit anbieten können.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD – Abg. Frau A h r e n s [CDU]: Das geht aber nicht ohne Geld!)

Wir sind bei der Bekämpfung von Kinderarmut grundsätzlich auf dem richtigen Weg. Wir haben schon vieles erreicht, dürfen aber nicht nachlassen. Sprachförderung, Ganztagsschulen und Qualitätsverbesserung waren unsere Schwerpunkte im jüngst beschlossenen Haushalt. Um diese Anstrengung zu verstärken, werden wir zukünftig weitere Mittel brauchen.

Einen ganz bitteren Beigeschmack hat die Armut von Frauen, insbesondere wenn es sich um alleinerziehende Mütter handelt. Probleme bei der Kinderbetreuung erschweren den Zugang zum Arbeitsmarkt. Frauen verdienen für die gleiche Arbeit immer noch weniger als Männer. Auch die Wirtschaftsförderung und die Arbeitsmarktpolitik konzentrieren sich primär auf die Schaffung von klassischen Männerarbeitsplätzen.

Der beste Weg aus der Armut ist eine gut bezahlte Arbeit. Die Wirtschaftspolitik liefert hier einen wichtigen Beitrag. Die Schaffung guter Arbeit ist das Ziel unserer Wirtschaftsförderung. Mindestlohn und eine Begrenzung des Einsatzes von Leiharbeit sind bei der Vergabe von Fördermitteln inzwischen wichtige Kriterien. Bei der kritischen Überprüfung unserer Maßnahmen müssen wir uns aber auch hier die Frage stellen, ob wir nicht noch besser werden können. Ist beispielsweise der geförderte Branchenmix richtig, den

wir anstreben? Gibt es vielleicht andere, bisher zu wenig beachtete Felder, in denen wir mehr und vor allem bessere Arbeitsplätze schaffen können?

Wir dürfen uns aber nicht der Illusion hingeben, dass wir Armut und Armutsgefährdung vollständig aus Bremen und Bremerhaven verbannen können. Auseinandersetzungen mit Armut, das heißt auch immer Abfederung der Folgen von Armut! Mit bezahlbarem Wohnraum, Wohnen in Nachbarschaften, präventiver Schuldenberatung, Stadtticket und Hilfen für Wohnungslose sind wir auf diesem Gebiet schon ziemlich gut.

Die Bekämpfung von Armut kann der Staat aber nicht allein leisten.

Ohne die Unterstützung von Zivilgesellschaft, von den Verbänden, aber auch der Wirtschaft ist die Herausforderung nicht leistbar.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Sie alle leisten schon viele wichtige Beiträge, ohne die unsere Städte ein viel unsozialeres Gesicht hätten.

Die erste Bremer Armutskonferenz war ein wichtiger Beitrag. Auf dieser Konferenz kamen alle wichtigen Akteure zusammen. Das Thema wurde in die Öffentlichkeit geschoben und bekommt jetzt den Stellenwert, der notwendig ist, um die Probleme anzupacken. Wir dürfen aber auch hier nicht stehen bleiben. Aus dem gemeinsamen Austausch muss gemeinsames Handeln werden. Jens Böhrnsen und Anja Stahmann haben die Initiatoren der Armutskonferenz ins Rathaus eingeladen, um den Dialog fortzusetzen. Sie haben aber auch angekündigt, ein breites Bündnis unter Einbeziehung der Wirtschaft ins Leben zu rufen, um alle Kräfte gegen Armut zusammenzuholen. Wir freuen uns, dass die Handelskammer ihre Bereitschaft zur Mitarbeit schon angekündigt hat.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Gerade die Wirtschaft kann zur Armutsbekämpfung Beiträge liefern, die vom Senat nie kommen können. Dabei ist die Wirtschaft mehr als nur die Handelskammer. Insbesondere die großen Arbeitgeber in Bremen wie Daimler, Airbus, Astrium sind gefragt, sich einzubringen und ihrer soziale Verantwortung gerecht zu werden.

Ein drängendes Problem ist der Übergang von der Schule in den Beruf. Nicht nur Jugendlichen ohne Schulabschluss, sondern auch welchen mit Hauptund Realschulabschluss fällt es schwer, eine Lehrstelle zu finden. Um diesen jungen Menschen einen Einstieg in das Berufsleben zu ermöglichen, brauchen wir die verstärkte Unterstützung der großen Ausbildungsbetriebe. Hier könnten beispielsweise Ausbildungsverbünde sehr hilfreich sein. Aber auch für die Maßnahmen zur Erhöhung der Vereinbarkeit von

Familie und Beruf und besonders für die Wiederbeschäftigung und die Beschäftigung von Müttern brauchen wir die Wirtschaft als verantwortungsvolle Partnerin.

Wir reden schon längst nicht mehr nur über Armut, wie es der Titel der Aktuellen Stunde suggeriert. Diese Regierung handelt entschlossen. Trotzdem zeigt sich deutlich, dass wir unsere Ziele noch nicht erreicht haben. Wir müssen deshalb unsere Ansätze weiter offen zur Diskussion stellen und kritisch überprüfen, hier im Parlament im Dialog mit den gesellschaftlichen Akteuren und im Rahmen des nächsten Armutsund Reichtumsberichts. – Vielen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Möhle.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich meine Rede mit einem Zitat aus „Spiegel Online Wirtschaft“ beginnen! „Die Reichen werden reicher“, sagt „Spiegel Online“, „die Armen ärmer – diese Aussage wird nun mit neuen Zahlen untermauert. Demnach verfügt ein Prozent der weltweiten Bevölkerung über die Hälfte des gesamten Reichtums. Und die 85 reichsten Menschen haben genauso viel, wie die ärmere Hälfte der Welt besitzt.... Dieses eine Prozent der Reichen verfügt über 110 Billionen US-Dollar.“ Selbst der Internationale Währungsfonds warnt, „dass der Wohlstand immer ungerechter verteilt wird, während die Probleme von Armut und Arbeitslosigkeit nicht gelöst werden“. Soweit das Zitat aus „Spiegel Online“! Ich habe das vorangestellt, weil ich einfach ein bisschen Interesse daran habe, die Dimension dessen, was wir hier diskutieren, ein kleines Stück weit zurechtzurücken.

Wir haben eine weltweite Entwicklung: Die Finanzmärkte entkoppeln sich zunehmend von der realen Wirtschaft, und diese Probleme werden aus dem Bundesland Bremen heraus mit Sicherheit nicht lösbar sein.

(Abg. S t r o h m a n n [CDU]: So ein Quatsch!)

Die Wirkungen der Entwicklung weltweit aber treffen Bremen natürlich ganz konkret. Wenn Hedgefonds in Bremen Wohnungen aufkaufen und so in Osterholz oder in Blumenthal einfach nur des banalen Profits willen vergammeln und verrotten lassen, dann ist das eine Verantwortungslosigkeit, die wir mit unseren Bremer Möglichkeiten nur schwer in den Griff kriegen können.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Das muss an dieser Stelle aus meiner Sicht deswegen gesagt werden, weil das eingrenzt und deutlich macht, welche Spielräume wir als Bundesland haben. Die Spielräume, die wir als Bundesland haben, sind, angefangen mit dem Landesmindestlohngesetz, genutzt worden.

Ich glaube, dass die neue Bundesregierung eine richtig starke Aufgabe in der Frage der Regulierung der Finanzmärkte hat, weil die Frage der Arbeitslosigkeit ganz deutlich im Zusammenhang mit der Krise der Europäischen Union steht.

Ich habe mir die Rede von Herrn Röwekamp sorgfältig angehört, und ich finde – das muss ich auch sagen –, es ist ein ernsthaftes Angebot, was ich ernsthafter nehme als in der letzten Debatte, weil ich herausgehört habe, dass auch Sie – diesmal jedenfalls! – klarmachen, dass Sie finden, dass die Wirtschaft eine Verantwortung hat und dass die Wirtschaft in der Frage der Lösung eben dieser, jener Probleme mit an den Tisch gehört.

Es ist einfach, den Satz zu sagen: Wir machen Armutsbekämpfung ja schon so lange, aber die Erfolge sind mäßig. Ich stelle einmal die Frage – vielleicht ist sie angebracht –: Was wäre eigentlich, wenn wir die Maßnahmen, die wir machen, nicht gemacht hätten? Wo stünden wir eigentlich, wenn wir in Bremen keine WiN-Gebiete hätten, wenn wir in Bremen keine Gesundheitstreffs hätten, wenn wir in Bremen in den letzten Jahren nicht die Vielzahl an kleinteiligen Hilfsmaßnahmen gemacht hätten? Ich wage da keine Prognose.

Das Wort Armut, habe ich nachgeguckt, hat einen germanischen Ursprung und bedeutet in der Übersetzung vereinsamt, verwaist und verlassen, und, ehrlich gesagt, das ist für mich ein deutlicher Hinweis auf das, was wir tun können und tun müssen. Teilhabe trotz Armut zu organisieren ist eine der Schwerpunktaufgaben, die wir zu lösen haben.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Teilhabe heißt dann aber auch, den Menschen die Möglichkeit zu verschaffen, ins Theater zu gehen, ins Kino zu gehen, sich gesundheitlich beraten zu lassen, den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen. All diese Dinge bedeuten Teilhabe. Ich glaube, auf dem Gebiet der Organisierung der Teilhabe sind wir ein ganzes Stück weit vorangekommen. Dass wir da noch nicht am Ende sind – keine Frage, das weiß ich auch.

Insgesamt finde ich die Debatte und auch das, was meine Kollegin Wendland in der Zuspitzung gesagt hat darauf, dass es nicht nur Sozialpolitik sein kann, die sich um dieses Thema Armut findet, richtig. Ich glaube aber – auch das will ich bei aller Bescheidenheit sagen –: Das ist nicht die allerneueste Erkenntnis. Wir müssen daran arbeiten, dass die Ressorts an einigen Punkten besser zusammenarbeiten. Ich wünsche mir

das ja schon seit Langem in der Frage Kita und Bildung, in der Frage Jugendhilfe. Da gibt es aus meiner Sicht mit Sicherheit Chancen von Koordinierung, wobei man immer die rechtlichen Rahmenbedingungen des Sozialgesetzbuches prüfen muss, inwieweit das möglich ist. Aber das kann man prüfen, das muss man prüfen, das muss man auch deutlich besser machen, als das bisher gemacht wurde.

Also, zusammenfassend: Ich fand die Rede des Bürgermeisters richtig gut. Ich freue mich, dass sich Bürgermeister Böhrnsen in dieser Frage an die Spitze der Bewegung gestellt hat, und ich glaube, das gibt dem ganzen Thema auch die nötige Autorität und die nötige Ernsthaftigkeit, die wir im weiteren Verfahren brauchen.

(Beifall bei der SPD)

Ich weiß auch, dass das Bundesland Bremen – ich sage es jetzt einmal ein bisschen salopp – die Armen nicht einfach reich machen kann. Bei allen Transferleistungen ist es immer sehr begrenzt. Selbst der Mindestlohn ist an der Armutsgrenze, ist nicht etwas, was außerhalb dieser Diskussion ist, er ist aber eine Absicherung, um nicht ins nackte Elend abzurutschen, um es einmal so zu sagen.