Protokoll der Sitzung vom 22.01.2014

Ich weiß auch, dass das Bundesland Bremen – ich sage es jetzt einmal ein bisschen salopp – die Armen nicht einfach reich machen kann. Bei allen Transferleistungen ist es immer sehr begrenzt. Selbst der Mindestlohn ist an der Armutsgrenze, ist nicht etwas, was außerhalb dieser Diskussion ist, er ist aber eine Absicherung, um nicht ins nackte Elend abzurutschen, um es einmal so zu sagen.

Also, es gibt da noch eine Menge zu tun. Ich nehme das Angebot von der CDU, von dem Fraktionsvorsitzenden Röwekamp, für meine Arbeit ernst. Ich bin auch gerne bereit, Diskussionen gemeinsam zu führen, weil ich glaube, in der Tat wäre es schön, wenn sich alle gesellschaftlichen Kräfte der Schwierigkeit dieser Aufgabe bewusst werden. Aber täuschen Sie sich nicht: Es ist auch eine Frage der Umverteilung.

Ich weiß, das ist nicht populär, und man wird gleich bezichtigt, Klassenkampf zu führen oder Ähnliches mehr, aber wenn Sie sich die Zahlen aus „Spiegel Online“ angucken, dann wird deutlich, dass es eine unglaubliche Schieflage in der Welt und auch in der Bundesrepublik gibt. Ich habe überhaupt nichts dagegen, dass Unternehmen ordentliche Gewinne machen. Ich habe aber etwas dagegen, dass, wenn Unternehmen Gewinne machen und dann die Aktionäre sagen: Die Gewinne sind aber nicht hoch genug, wir wollen noch mehr Gewinne machen, dann eben einmal so schlankweg über 6 000 Leute entlassen werden – nicht, weil das Unternehmen rote Zahlen schreibt, sondern weil die schwarzen Zahlen nicht groß genug sind. Das trägt zur Armut bei, weil 6 000 Leute ohne Arbeit – das kann man sich vorstellen – das Armutsproblem eher vergrößern.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Ich appelliere in diesem Zusammenhang also ganz deutlich an die Wirtschaft in Deutschland, aber auch in Bremen, sich ihrer Verantwortung bewusst zu sein.

Mein letzter Gesichtspunkt geht in die Richtung, dass ich glaube, wenn die Schere weiter auseinandergeht, geht es an die Wurzeln der Demokratie. Niemand soll glauben, dass aus Armut irgendwann etwas Positives im politischen Rahmen entsteht. Das Koordinatensystem wird sich aus meiner Sicht ganz sicherlich nach rechts verschieben. Davor habe ich deutlich Angst, weil ich der Auffassung bin, dass das auch keine Lösung ist. Demokratie bedeutet mitmachen können. Mitmachen können bedeutet aber eben auch, ein Einkommen zu haben, was das möglich macht.

In diesem Sinne wünsche ich uns eine gemeinsame positive Debatte in den nächsten Zeiten. Eine Enquetekommission, Herr Röwekamp – glaube ich nach wie vor –, brauchen wir nicht. Aber eine positive und zielorientierte Diskussion, die helfen kann, konkrete Lösungsvorschläge zu machen, können wir gut gebrauchen. – In diesem Sinne vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Erlanson.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Bereits seit Jahreswende konnten wir beobachten, wie die CDU ihre Liebe zu den Armen dieses Landes entdeckt hat. Inzwischen hat Bremen die erste Armutskonferenz erlebt, die veranstaltet wurde von einem breiten Bündnis aus sozialen Organisationen, vom Paritätischen bis zur Arbeitnehmerkammer. Nach deren Ergebnissen – auch das muss hier mal deutlich gesagt werden – scheint es auch für die rot-grüne Koalition einen gewissen Handlungsdruck zu geben. Wir begrüßen das.

(Beifall bei der LINKEN)

Bürgermeister Böhrnsen erklärte bei seinem Neujahrsempfang, die Armutsbekämpfung noch stärker in den Mittelpunkt der Arbeit zu stellen. Er hat außerdem gesagt, er will ein Bündnis von Wirtschaft und Politik und anderen gesellschaftlichen Akteuren, und er will einen Aufbruch. Aufbruch wohin nur?, frage ich Sie. Zurück in die Zukunft, in die Große Koalition mit CDU, bundes- wie landesweit, oder was ist darunter zu verstehen? Die CDU hat recht – das muss auch gesagt werden –, wenn sie auf Taten statt Worten insistiert.

Dennoch muss auch hier einmal gesagt werden: Es ist für uns LINKE noch immer schwer zu ertragen, wenn SPD, Grüne und auch die CDU, die in Deutschland durch die Hartz-Gesetze Armut per Gesetz überhaupt eingeführt haben,

(Zurufe vom Bündnis 90/Die Grünen)

jetzt unter den Folgen jammern.

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Weil es die vorher während des So- zialhilfegesetzes nicht gab? Das ist doch nicht zu glauben!)

Nein, sie gab es vorher nicht, aber ihr habt sie eingeführt, und jetzt jammert ihr über die Folgen!

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Es gab 40, 50 Jahre keine Armut in Deutschland, weil es Hartz IV nicht gab? – Zurufe vom Bündnis 90/Die Grünen)

Der Skandal, liebe Kolleginnen und Kollegen, dabei ist natürlich, dass niemand, weder die CDU, noch die SPD, diesen Skandal von Hartz IV tatsächlich ändern will. Im Gegenteil, Frau Merkel propagiert Hartz IV als Modell für alle anderen europäischen Staaten. Das ist doch unglaublich!

(Beifall bei der LINKEN)

Verehrte Damen und Herren, als LINKE müssen wir doch sagen: Bei den Haushaltsverhandlungen, die wir gerade gehabt haben, hat DIE LINKE 59 Änderungsanträge gestellt, und es waren alles Änderungsanträge, die allesamt zur Armutsbekämpfung geeignet waren. In unserer eigenen Fraktion war das die Bedingung für Anträge, die wir gestellt haben, dass sie zur Armutsbekämpfung taugen.

Seit DIE LINKE – auch das muss hier gesagt werden – in diesem Parlament ist, haben wir einen Masterplan zur Armutsbekämpfung gefordert. Seit Langem fordern wir Armutsbekämpfung nicht nur einfach so, sondern als eine wirkliche Querschnittsaufgabe zwischen allen Ressorts. Das hat die Armutskonferenz jetzt auch als Forderung erhoben, das haben auch Kollegen meiner Vorredner durchaus zu bedenken gegeben. Also bitte, wann fangen Sie endlich an und werden tatsächlich einmal Armut als Querschnittsaufgabe verstehen? Herr Möhle hat eben zu Recht gesagt: Mein Gott, in der Sozialdeputation beschweren wir uns immer über die Schwierigkeiten, dass das mit Bildung nicht zusammengeht. Es geht nicht zusammen, da gibt es Schwierigkeiten. Es ist bei diesem Senat keine Querschnittsaufgabe, und das muss dringend geändert werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist das Mindeste, was wir auf der landespolitischen Ebene tun können. Da können wir noch sehr viel mehr tun.

DIE LINKE – das müssen wir natürlich auch deutlich sagen – kämpft notwendigerweise auch auf der

Bundesebene weiter für eine Umverteilung von Reichtum. Ja, Herr Möhle, Sie haben da völlig recht, natürlich: Armutsbekämpfung ist Reichtumsverringerung auf der anderen Seite. Das ist es, was wir anstreben.

(Beifall bei der LINKEN)

Dennoch will ich auch hier deutlich sagen: Konkretes Handeln hat oberste Priorität, denn den von Armut betroffenen Bremerinnen und Bremern muss geholfen werden, ihnen muss Hilfe zur Selbsthilfe gewährleistet werden. Der Titel des Berichts, der Untersuchung des Paritätischen – wohlgemerkt, Herr Röwekamp hat das erwähnt! – lautet: „Zwischen Wohlstand und Verarmung: Deutschland vor der Zerreißprobe“. Ich finde, das allein ist schon ein denkwürdiger Titel. Da wird für Bremen – und jetzt zitiere ich einmal, damit man sich das wirklich auf der Zunge zergehen lässt – konstatiert: „Ein negativer Trend ist auch beim Schlusslicht Bremen zu identifizieren: Es ist nicht nur seit 2011 das Land mit der höchsten Armutsquote in Deutschland, auch steigt die Quote nunmehr bereits im dritten Jahr hintereinander – –.“ Der Paritätische vermutet dahinter langsam eine Tendenz. Ich finde, das ist doch ein Armutszeugnis, das ist doch sozusagen ein Attestat, das sagt, die Armutsbekämpfung in diesem Land hat nicht funktioniert.

Niemand streitet ab, dass es Anstrengungen gegeben hat, aber sie haben nicht zum Erfolg geführt. Das muss man doch einmal zur Kenntnis nehmen,

(Beifall bei der LINKEN)

und wenn man das zur Kenntnis nimmt, dann muss man auch endlich etwas anderes tun, dann muss man handeln. Ich frage Sie: Wie viele Warnzeichen wollen Sie eigentlich mit Ihrer Schuldenbremse noch überdecken? Tun Sie endlich etwas für die Menschen!

Wir als LINKE werden Sie natürlich auch wieder fragen – das tun sie auch zu Recht –: Welche Vorschläge haben wir denn? DIE LINKE fordert erstens, dass die sogenannte GroKo-Rendite – ich glaube, das muss ich für Nichtparlamentarier erklären: GroKo-Rendite ist sozusagen das, was bei den Verhandlungen um die Große Koalition in Berlin für Kommunen und Länder herausgekommen ist; in offiziellen Kreisen rechnet man, dass es zwischen 40 bis 60 Millionen Euro für Bremen sein könnten

Vollständig – vollständig, sage ich! – in ein Armutsbekämpfungsprogramm gegossen wird, wir fordern zweitens, dass dafür ein Nachtragshaushalt ins Parlament eingebracht wird, und wir wollen drittens, dass in einer geeigneten Form – da sage ich deutlich, zum Beispiel in einer Enquetekommission, wie die CDU das gefordert hat; da sind wir völlig d’accord – mit den Akteuren zum Beispiel der Armutskonferenz breit über den Einsatz dieser Mittel diskutiert wird. Wir wollen hier in Bremen keine Almosenpolitik machen,

sondern wir wollen wirklich handhabbare, konkrete Anzeigen.

Wenn es noch einmal Geld aus Berlin gibt – darüber sind sich eigentlich alle einig, das ist so klar wie Kloßbrühe –, dann sollte man in der Tat einen Nachtragshaushalt einbringen und versuchen, daraus ein Armutsbekämpfungsprogramm zu machen.

Wir werden Armut – da hat Herr Möhle recht – nicht verhindern können, aber wir können natürlich landespolitisch relativ viel tun, um das wirklich abzufedern. Das waren die Auseinandersetzungen bei den Haushaltsberatungen: Immer wieder haben wir festgestellt, es gibt Punkte, bei denen man das noch mehr abfedern könnte, bei denen man vielleicht noch mehr Aufbruch in die Quartiere bringen könnte, und dann hieß es immer: Wir haben kein Geld. Wir sagen: Jetzt gibt es noch einmal konkret Geld, und ich sage: Sie stehen jedenfalls von uns ganz klar unter Beobachtung, Sie müssen jetzt beweisen, dass Sie tatsächlich etwas tun wollen. – Danke!

(Beifall bei der LINKEN)

Als nächster Redner hat das Wort Herr Bürgermeister Böhrnsen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es gibt mittlerweile unendlich viele Studien und Statistiken über die soziale Lage in Deutschland, und sie haben alle, und das auch schon seit Jahren, immer das gleiche Ergebnis: Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst, die Schere bei den Einkommens- und Vermögensverhältnissen in Deutschland öffnet sich weiter, und die Zahl der armutsgefährdeten Menschen nimmt zu. So ist es in ganz Deutschland, so ist es in vielen Großstädten, und so ist es in Bremen.

Wenn wir in Bremen auf die Zahlen der letzten 10 oder 20 Jahre schauen, so stellen wir fest: Wir haben eine verfestigte Armutssituation. Herr Röwekamp, als wir beide für einige Zeit zusammen regiert haben, da hatten wir eine Armutsgefährdungsquote, die war noch etwas höher, als sie jetzt ist, und wir hatten mehr Kinder in Armut, als wir jetzt haben. Die Schwankungen in all dieser Zeit beruhen möglicherweise gar nicht darauf, dass sich im realen Leben so viel verändert hat. Sie wissen, wie Armut in Deutschland gemessen wird, nämlich in einem Prozentsatz: Wer weniger als 60 Prozent des gewichteten durchschnittlichen Haushaltseinkommens hat, gilt als arm, und Kinder gelten als arm, weil ihre Eltern arm sind. Dann haben wir natürlich noch die Rechnung der Transferleistungsbezieher, die sich im Laufe der Zeit entwickelt, aber auch abgenommen hat. Aber das alles sind, denke ich, Statistik und Studien.

Mich interessieren sie – sage ich ganz offen – nicht mehr so sehr. Mich interessieren konkrete Maßnahmen. Mich interessiert, was wir konkret in unseren

Stadtteilen und in unseren Nachbarschaften bewegen können, denn den größten Ansporn – ich vermute, das gilt nicht nur für mich, sondern das gilt auch für Sie alle – bekomme ich nicht aus Studien, sondern den bekomme ich, wenn ich in unseren Stadtteilen unterwegs bin und ganz konkret in Kitas und Krippen erfahre, was heißt denn Kinderarmut für das alltägliche Leben und für die Entwicklung eines Kindes, und was heißt es für eine Alleinerziehende, Beruf und Familie organisieren zu müssen, und was heißt es für jemanden, nach bezahlbarem Wohnraum zu suchen, und was heißt es für eine Rentnerin und einen Rentner, mit einer schmalen Rente umzugehen. Das ist doch der Ansporn, den wir aus unserer Stadt, aus unseren beiden Städten Bremen und Bremerhaven gewinnen.

Ich habe das in der Neujahrsansprache des Senats angesprochen, weil es mir um mehr ging, als nur allgemein ein gutes Neues Jahr zu wünschen. Ich wollte auf eine zentrale Herausforderung des neuen Jahres wie des vergangenen – hoffentlich sehen wir das auch im übernächsten Jahr so! – hinweisen, und ich wollte deutlich machen: Armut und ihre Folgen gehen uns alle an, und wir werden uns in Politik und Gesellschaft – Sie waren beim Neujahrsempfang ja auch vertreten – mit Armut und sozialer Ausgrenzung abfinden. Das muss der Konsens in der Stadt zwischen Politik und Gesellschaft sein.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Meine Damen und Herren, ich habe von einem Bündnis gesprochen, von einem Bündnis zwischen denen, die sich im Bereich der Politik und in der Verwaltung mit Armutsbekämpfung befassen, aber weit darüber hinausgehend. Wir wissen doch, dass trotz aller Anstrengungen – die nehmen wir für uns als rotgrüne Koalition in Anspruch, die wir geleistet haben, die nehme ich auch für die Koalition davor in Anspruch – Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und viele andere zusammenarbeiten müssen. Wenn Kinder in materieller Sicherheit aufwachsen wollen und sollen, dann brauchen ihre Eltern die Chance auf Arbeit, auf gut bezahlte Arbeit. Wenn junge Menschen keinen Berufsabschluss gemacht haben, dann brauchen sie eine zweite Chance. Wenn Alleinerziehende Beruf und Familie miteinander vereinbaren wollen, dann brauchen sie die Unterstützung durch staatliche Stellen, aber sie brauchen eben genauso gesellschaftlichen Kontext und mit der Wirtschaft, mit ihren Arbeitgebern Regelungen und Möglichkeiten und vieles andere mehr. Das zeigt, wir müssen diese Zusammenarbeit, dieses gemeinsame Wollen, in den Vordergrund stellen. Mir geht es darum, dass wir das verstärken.

Kein Mensch sagt, wir fangen jetzt mit der Armutsbekämpfung an. Nein, die betreiben wir in Bremen – das nehme ich für uns alle in Anspruch, Parlament und Senat, in welcher Konstellation auch immer – seit

langer Zeit. Wir können auf vieles zurückblicken. Beim Mindestlohn – herzlichen Dank, dass Sie vonseiten der CDU-Fraktion sich heute so eindeutig dazu geäußert haben! – war Bremen Vorreiter.

Wir machen ein Bündnis für Wohnen, weil wir Menschen bezahlbare Wohnungen anbieten und schaffen wollen. Das ist auch ein Beispiel dafür, dass es nur gemeinsam geht. Der Senat baut nicht die Wohnungen,

(Beifall bei der SPD)

der Senat schafft Rahmenbedingungen und unterstützt, dass auch Wohnungslose Wohnungen finden.

So viel wir auch in Einzelfällen darüber streiten, kann es aber doch keinen Zweifel daran geben, dass wir im Bereich der Bildungspolitik viel für die frühe Bildung, viel für das Kindeswohl getan haben, dass wir viel für Sprachförderung gemacht haben, dass wir über den Ausbau der Ganztagsschulen die Chancen auf Bildung verbessert haben.