Protokoll der Sitzung vom 26.02.2014

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir debattieren heute, ob wir in Bremen den Friedhofszwang für Urnen abschaffen. Herr Röwekamp, uns geht es ganz sicher nicht um die Privatisierung von Urnen,

(Zuruf von der CDU: Doch!)

sondern um Individualisierung und individuelle Bestattungen.

(Abg. Frau A h r e n s [CDU]: Also doch Pri- vatisierung!)

Würde ist meines Erachtens nicht auf Friedhöfe beschränkt. Für uns Grüne,

(Zurufe von der CDU und vom Bündnis 90/ Die Grünen)

und das möchte ich gleich am Anfang der Debatte sagen, wenn Sie mir zuhören würden, stehen die Ehrfurcht vor den Toten, die Würde des Menschen, die Rücksicht auf vielfältige, auch individuelle Bedürfnisse, aber auch das Recht auf Selbstbestimmung und Freiheit im Fokus.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Vielleicht lassen Sie mich am Anfang dieser Rede noch sagen: Ausschlaggebend ist für uns bei dieser Debatte, wenn es um individuelle Bestattungen geht, der letzte dokumentierte Wille des Verstorbenen, der damit auch beschließt, wie mit seiner Asche und der Urne umgegangen werden soll. Das, so denke ich, zeigt auch, dass der Verstorbene durchaus in der Lage ist, vorher würdevoll selber zu entscheiden, wie mit seinen Überresten umgegangen wird.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Immer mehr Menschen, meine Damen und Herren, wollen selber bestimmen und mitreden, welchen Weg der Trauer sie gehen und wie und wo die Trauerfeier beziehungsweise die Bestattung erfolgen soll.

Deswegen empfinden viele Menschen den Friedhofszwang als Bevormundung und Einschränkung ihrer persönlichen Bedürfnisse und Wünsche. Es ist eine große gesellschaftliche Debatte. Es geht nicht nur um Atheisten oder Mitglieder irgendwelcher Konfessionen, nein, es ist eine große gesellschaftliche Debatte. Laut einer Emnid-Umfrage befürworten 65 Prozent der Deutschen, also zwei Drittel der Deutschen, eine Aufhebung des Friedhofszwangs für Urnen. Im Unterschied zu vielen, vielen anderen Ländern – im Übrigen sehr viel christlicher geprägten Ländern, Ländern mit christlichen Wurzeln: die Schweiz, die Niederlande, Frankreich, Spanien, Großbritannien, die USA – besteht in Deutschland und Österreich sowohl für die Erdbestattung als auch für die Urnenbestattung der sogenannte Friedhofszwang, der vorschreibt, dass eine Beerdigung außerhalb eines Friedhofsgeländes nicht zulässig ist. Wir haben Ausnahmen, zum Beispiel die Seebestattung.

Zum Friedhofszwang – und da haben wir in der Tat einen Dissens; wenn man nämlich recherchiert, wird man immer wieder darauf kommen –: In Deutschland und Österreich basiert der Friedhofszwang auf der Weiterschreibung des Feuerbestattungsgesetzes von 1934.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Ja, Weiter- schreibung!)

Ja, der Weiterschreibung des 1934 eingeführten Feuerbestattungsgesetzes. Das heißt – –.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Kommt von 1802! Das gibt es seit Jahrhunderten!)

Nein, das gibt es überhaupt nicht seit Jahrhunderten! Es stimmt einfach nicht.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Doch, ich bin mit dem Bürgermeister einer Meinung!)

Es war nämlich vor 1934 durchaus auch in Deutschland möglich, die Urne mit nach Hause zu nehmen. Wir sind jetzt im Jahr 2014.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Ein Blödsinn ist das!)

Das ist 80 Jahre nach dieser Einführung des Feuerbestattungsgesetzes von 1934. Ich finde, dieses Gesetz kann man dann im Jahre 2014 endlich mal abschaffen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wir haben viele, viele Gespräche, wirklich sehr viele Gespräche mit Angehörigen und auch Bestattern im Vorfeld geführt.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Und mit Aeternitas!)

Viele Menschen können sich heute einfach nicht mehr vorstellen, dass sie auf einem Friedhof bestattet werden sollen,

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Welche Ver- bindungen haben eigentlich Grüne zu Ae- ternitas?)

einem Ort, zu dem sie keine Verbindungen haben, wo sie vielleicht noch nie zuvor waren, wozu sie keinen Bezug haben. Gerade auch ältere Menschen, die sich mit dem Thema Sterben intensiv befassen, haben oft den Wunsch geäußert, eben nicht auf einem Friedhof bestattet zu werden, oder sie wollen, dass die Urne des Angehörigen mit nach Hause genommen werden kann. Es sind keine Freaks, über die wir reden. Es sind ältere Menschen, und denen wollen wir das auch ermöglichen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

In der deutschen Gesellschaft hat es in den letzten Jahren einen Wandel gegeben, der durch die gewonnene Mobilität, die Globalisierung, die Vernetzung mit anderen Kulturen und Gewohnheiten zusammenhängt. Dabei haben die Menschen nämlich gelernt und schätzen gelernt, dass es auch anders geht. Aber wer heute in Deutschland außerhalb von Friedhöfen bestattet werden möchte, der muss den Umweg über das Ausland nehmen. Das heißt, der Verstorbene wird in das europäische Ausland – bei uns in Bremen sind es üblicherweise die Niederlande; in Süddeutschland ist es die Schweiz – zur Einäscherung überführt, und die Urne wird heimlich im Kofferraum wieder nach Deutschland geschmuggelt. Meine Damen und Herren, wenn wir über Würde sprechen, dann sage ich Ihnen, dass ich es würdelos finde, die Urne im Kofferraum heimlich zurückzuschmuggeln

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

und dann heimlich, still und leise die Bestattung vorzunehmen!

(Abg. I m h o f f [CDU]: Letztlich auch illegal!)

Ja, es ist illegal, genau! Menschen machen es jetzt schon. Es sind ältere Menschen, die bei uns in den Büros saßen und davon erzählt haben. Das sind Menschen, die sich eigentlich an Gesetze halten wollen, aber den letzten Willen des Angehörigen respektieren. (Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Und das macht es besser, oder was?)

Denen muss man ermöglichen, dass das würdevoll vonstattengehen kann.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Zu- ruf des Abg. R ö w e k a m p [CDU] – Zu- rufe vom Bündnis 90/Die Grünen: Oh!)

Meine Damen und Herren, ich finde, die Zeit ist reif, endlich das, was eh schon im Graubereich praktiziert wird, zu legalisieren und das zu ermöglichen, was weltweit, außer in Deutschland und Österreich, problemlos praktiziert wird, nämlich Urnenbestattung außerhalb von Friedhöfen.

Ich habe anfangs gesagt, auschlaggebend für uns ist, dass es der Verstorbene zu Lebzeiten dokumentiert haben muss, wenn er außerhalb von Friedhöfen bestattet werden möchte. Es geht um seinen letzten Willen. Ich finde, dass damit nicht die Würde verletzt ist. Wir wollen traditionelle Bestattungen oder gar Friedhöfe nicht abschaffen, nein, wir wollen ein zusätzliches Angebot für Menschen schaffen, die sich eine individuelle Bestattung wünschen. Wir wollen ihnen mit dieser Bestattungsnovelle auch die Möglichkeit geben, diese Urnenbestattungen nicht mehr still und heimlich vornehmen zu müssen, sondern in einem würdevollen Rahmen.

Im Übrigen: Wenn man sich Erfahrungen im Ausland anguckt, nimmt nicht jeder das in Anspruch. Es sind insgesamt ungefähr 5 Prozent, die individuell bestattet werden wollen, und von den 5 Prozent möchte nur eine kleine Minderheit die Urne mit nach Hause nehmen. Die Bürgerschaft hat dementsprechend im September 2013 mit den Stimmen der Grünen, der SPD und der LINKEN beschlossen, den Friedhofszwang für Urnen in Bremen abzuschaffen und zu ermöglichen, dass Urnen für einen Zeitraum von zwei Jahren mit nach Hause genommen werden dürfen, wenn dies der Verstorbene zu Lebzeiten bekundet hat und zeitgleich ein Urnengrab auf einem Friedhof bereitgehalten wird.

Diese Regelung sollte denjenigen entgegenkommen, die eine missbräuchliche Entsorgung von Urnen nach dem Tod des nächsten Angehörigen – Sie hatten das ja als Befürchtung geäußert – in dessen Wohnung befürchten. Zudem sollte geprüft werden, wo das Ausstreuen von Asche außerhalb von Friedhöfen im Land Bremen ermöglicht wird.

Bremen ist seit diesem Bürgerschaftsbeschluss bundesweit Vorreiter und das erste Bundesland, das den Friedhofszwang für Urnen damit faktisch abschaffen möchte. Es gab ein großes mediales Echo, ein positives Echo in den Medien deutschlandweit. Die senatorische Behörde, die nun den Bürgerschaftsbeschluss in das Bestattungsrecht umsetzen soll, hat ein juristisches Gutachten in Auftrag gegeben. Dies ergab in der Tat, dass die zeitliche Befristung der Urnenaufbewahrung nicht vertretbar ist. Es zeigt aber auch, dass der Mensch ein Selbstbestimmungsrecht nach seinem Tod hat und selber entscheiden kann,

was mit seiner Asche geschehen soll. Dies untermauert auch vorherige juristische Gutachten, zum Beispiel von Aeternitas, die schon belegten, dass der Friedhofszwang für Urnen aufgehoben werden kann. Zudem wird im Gutachten ausgeführt, dass der Wille Verstorbener insoweit Teil der verfassungsrechtlich gewährleisteten Freiheit und Würde ist, die nur aus ganz überwiegenden Gründen beschränkt werden darf. Meine Damen und Herren, für mich heißt das, dass es juristisch keine Gründe gibt, den Friedhofszwang beizubehalten. Wir sind jetzt mit der SPD in Gesprächen, um zu diskutieren, welche konkreten Lösungen im Detail bei der Umsetzung infrage kommen, damit individuelle Bestattungen unter Wahrung der Würde und der Rechte Dritter ermöglicht werden können. Zum Abschluss möchte ich noch etwas zur CDU sagen: Ich bin, ehrlich gesagt, über Ihre Position ein bisschen erstaunt, denn bei meinen Recherchen bin ich auf einen Artikel – ich halte ihn hoch – im „Weser-Kurier“ vom 24.7.2004 mit dem Titel „Transport im Leihsarg zum Grab“ gestolpert. Es geht um ein CDU-Positionspapier der damaligen CDU-Senatoren Eckhoff und Kastendiek – Kastendiek ist heute Landesvorsitzender; auf dem Weg gute Besserung! –, und sie fordern darin die Reformierung des Bestattungswesens. Die Vorschläge hier drin: Begräbnis ohne Sarg, kein Friedhofszwang für Urnenbestattungen, Särge und Urnen aus Papierverbundstoffen! In dem Positionspapier heißt es weiter, dass sie das Bremer Bestattungswesen für teilweise veraltet und zu stark reglementiert halten und es den individuellen Wünschen zu wenig Raum lasse. Dazu sage ich nur: Herr Kastendiek, an mein Herz! Wie recht hatten er und auch Herr Eckhoff, und das, meine Damen und Herren, war 2004!

(Abg. S t r o h m a n n [CDU]: Richtig!)

Die Welt hat sich in den letzten zehn Jahren weitergedreht, und zwar hin zu einer Liberalisierung des Bestattungsrechts. Die Menschen in Deutschland wollen die gleichen Rechte bei Bestattungen haben, die es sonst in jedem anderen Land, auch in sehr viel mehr christlich geprägten Ländern gibt. Das hat im Übrigen gar nichts mit christlichen Wurzeln zu tun. In der Bibel gibt es keine Passage, in der beschrieben ist, wie und wo man bestattet werden soll. Ich frage mich, liebe CDU: Warum machen Sie jetzt eine 180-Grad-Wendung, katapultieren sich in das vorherige Jahrhundert zurück und klammern sich dogmatisch an ein gesellschaftlich veraltetes Friedhofsrelikt? Sie waren doch schon sehr viel weiter!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Also, meine Damen und Herren, lassen Sie uns gemeinsam mit Respekt gegenüber der Würde der Ver

storbenen diese Novelle auf den Weg bringen, das Bestattungsrecht liberalisieren und endlich auch dieses gesetzliche Relikt abschaffen! Meine Damen und Herren, Trauer ist individuell. So individuell wie das Leben ist, so individuell und bunt sollten auch Bestattungen sein. Jeder sollte auch das Recht auf eine individuelle Bestattung bekommen. – Herzlichen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Gottschalk, Fraktion der SPD.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der Reform des Friedhofs- und Bestattungsrechts geht es um ernste und sensible Fragen. Ich bedauere deshalb, dass die CDU diese Überschrift für die Aktuelle Stunde gewählt hat. Sie ist meines Erachtens weder im Ton angemessen, noch ist sie besonders geistreich.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Sie bewegt sich vielmehr auf dem Niveau eines billigen Kalauers, und, Herr Röwekamp, das ist schade! Es geht nicht, wie Sie es erwecken wollen, um einen obskuren Urnenkult. Es geht vielmehr um die Frage, welche politischen und gesetzgeberischen Antworten wir auf sich verändernde Bedürfnisse bei der Bestattung von Toten finden.