Protokoll der Sitzung vom 27.02.2014

Wenn man einmal guckt, wozu es die eigentlich gegeben hat, dann stellt man fest: Ungefähr ein Sechstel befasst sich mit Demografiefragen. Ein interessantes Thema! Ich hätte die These, dass die Demografiefrage, die in Niedersachsen mit einem sehr umfangreichen Papier von circa 300 Seiten beantwortet ist,

in Bremen nicht besonders abweichen wird. Jetzt hier noch eine Demografie-Enquete einzusetzen, ist nicht unbedingt notwendig.

Ein Sechstel der bundesweit eingesetzten Enquetekommissionen beschäftigt sich mit Bildungsfragen. Unter anderem sind es auch die beiden Hamburger Enqueten. Hamburg hat nämlich auch nur zwei Enquetekommissionen gemacht. Das war in einer bestimmten politischen Situation, als nämlich der Volksentscheid das eigentlich beabsichtigte neue Schulgesetz gekippt hat und Hamburg nicht mehr weiterwusste und gefragt hat: Wie organisieren wir eigentlich unser Schulsystem?

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Die erste aber nicht!)

Die erste ist zur Vorbereitung

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Eines Schul- konsenses!)

eines Schulkonsenses gegangen, dann hat es die Abstimmung gegeben, und dann hat es die zweite gegeben. Das war eine gesellschaftliche Debatte, die wir vergleichbar auch hier in Bremen gehabt haben, die wir in Bremen aber, wie ich finde, sehr vorbildlich mit einem Schulfrieden, einem Schulkonsens zumindest zwischen allen großen Parteien gelöst haben, und zwar hier im Parlament. Dafür bedurfte es in Bremen keiner Enquete.

Jetzt komme ich zu dem, was der absolute Spitzenreiter bei Enquetekommissionen ist. Das muss man sich einmal angucken. Das ist der Themenkomplex Parlamentsreform, Partizipation, kommunale Beteiligung. Das sind über 30 Prozent aller Enquetekommissionen, die es in der Bundesrepublik auf Länderebene gegeben hat.

Jetzt gucken wir einmal in Bremen zurück: Wie gehen wir eigentlich mit diesen Fragestellungen um? Seit 2007 gibt es – kommunale Beteiligung ist ein bisschen schwierig, die Beiräte sind keine echten Kommunen, aber immerhin ist das die Problemlage: Was darf die Zentralgewalt, was darf vor Ort entschieden werden? – einen eigenständigen Ausschuss, der nach meiner Meinung ausgesprochen gut arbeitet. Er hat nämlich gemeinsam mit den Beiräten das neue Beirätegesetz entwickelt, er begleitet die Revision, der diskutiert die Beiräteproblematiken. Da haben wir einen eigenständigen Ausschuss, keine Enquetekommission. Dort setzen sich Parlamentarier mit den direkt Betroffenen in einem geordneten parlamentarischen Verfahren zusammen.

Zum Thema Parlamentsreform. Das ist das absolute Highlight von Enquetekommissionen! Wie haben wir das in Bremen gelöst? In Bremen haben wir das gelöst, indem der VGO – zugegebenerweise waren Sie einer der Treiber, die diesen Prozess ange

stoßen haben – Sachverständigenanhörungen durchgeführt hat und dann im VGO durch den Konsens der Fraktionsvorsitzenden und die Werbung, die es dazu gegeben hat, hier einen interfraktionellen, gemeinsamen Antrag gebracht hat, mit dem alle leben konnten.

Rechne ich das zusammen, stelle ich fest, dass zwei Drittel der Enquetekommissionen in anderen Ländern in Bremen überhaupt nicht nötig gewesen sind, und zwar nicht, weil der Senat irgendetwas macht, sondern weil dieses Parlament ohne Enquetekommissionen genug Lösungskompetenz an den Tag gelegt hat. (Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. R ö - w e k a m p [CDU])

Nein, Kollege Röwekamp, wir streiten uns gerne, ich streite mich gern mit Ihnen!

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Lassen Sie es uns das doch streichen, wenn es nach Ihrer Auffassung keinen Bedarf gibt!)

Ich könnte sozusagen auch mit dem Ergebnis des Streichens einer Enquetekommission leben. Den Antrag würden wir aber nicht stellen. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich kann mir Situationen vorstellen, in denen eventuell auch dieses Parlament aus sich selbst heraus keine Lösung findet, und dann ist eine Enquetekommission zweifelsohne ein Weg, den man versuchen kann.

Wenn ich mir das angucke – Sie haben gesagt, 15 Landtage haben Enquetekommissionen; das ist richtig, 15 Landtage haben Enquetekommissionen eingesetzt –, dann möchte ich Ihren Blick noch einmal zurückführen: Warum haben wir eigentlich 2011 eine Parlamentsreform gemacht? Wir haben keine Parlamentsreform gemacht, weil wir einmal eine Parlamentsreform machen wollten, sondern weil wir alle das Gefühl hatten, es müsse sich in der Tätigkeit von Abgeordneten etwas ändern, dass die Politik nicht mit dem Hinterteil gemacht werden sollte, nicht im Sitzen, und weil wir die Straffung von Gremien haben wollen, damit Abgeordnete politisch konzeptionell nach innen und auch ihrem Job entsprechend nach außen arbeiten. Ich habe den Eindruck, das hat in den letzten dreieinhalb Jahren ganz gut geklappt, dass wir mit der Straffung unserer Gremien das erreicht haben. Ich habe allerdings nicht den Eindruck, dass ein zusätzliches Gremium, was wir, wie ich vorhin ausgeführt habe, nur bedingt brauchen können, positiv ist.

Dazu passt übrigens auch der Befund, wenn man sich einmal anguckt, welche Enquetekommissionen es in den Landtagen gegeben hat: Je größer der Landtag, umso mehr Enquetekommissionen. NRW hat zehn Stück gehabt, das Saarland hat eine gehabt. Mag das daran liegen, dass das Saarland weniger gesellschaftliche Probleme als NRW hat? Vielleicht liegt es auch daran, dass das Parlament im Saarland ein klei

nes Parlament ist wie wir auch. Hamburg hat zwei gehabt; in einer besonderen Situation. Man kann das relativ gut nachverfolgen: Je kleiner das Parlament, umso weniger Enquetekommissionen.

Lassen Sie mich zum Schluss ein vielleicht nicht ganz faires Argument anführen, aber ich finde, das ist eines, das in einer solchen Debatte auf jeden Fall dazugehört! Ich als überzeugter Parlamentarier sage: Demokratie hat ihren Preis, und diesen Preis muss man auch zahlen können. Ich weiß aber auch, dass die Untersuchungsausschüsse, die wir haben, die ich als konstitutionelles Element jeder parlamentarischen Demokratie ansehe, auch als Minderheitenrecht, ungefähr immer den Preis von einer Million Euro haben, wenn wir sie denn durchführen; je nachdem, wie lange sie dauern.

Eine Enquetekommission braucht mindestens ein Sekretariat, sie braucht Honorare für die Sachverständigen, die entsprechend vermittelt werden. Wenn sie auf ein Honorar verzichten, gibt es einen Aufwendungsersatz. Das ist länger angelegt, wir werden Personal brauchen. Wenn ich die Kosten eines Untersuchungsausschusses auf eine Enquetekommission ableite, dann dürfte sich das ungefähr die Waage halten.

(Glocke)

Ich komme zum Schluss!

Die eine Million Euro – ich weiß, das ist kein ganz faires Argument,

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Das kostet weniger als ein Senator!)

das ist richtig – ist, glaube ich, für das Funktionieren dieses Parlaments weder entscheidend noch besonders hilfreich.

Ich würde diese eine Million Euro, die Sie mal eben auf den Markt werfen wollen, weil Sie nicht abwarten wollen, dass dieses Parlament einen Konsens darüber herbeiführt, ob man so ein Think Tank braucht – sehen Sie es mir als Sozialdemokrat nach –, lieber in Bildung oder sozialen Zusammenhalt investieren.

(Beifall bei der SPD)

Als Nächste hat das Wort Frau Kollegin Vogt, Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich halte den Vorstoß der CDU-Fraktion durchaus für überlegenswert, auch im Sinne der Stärkung von Minderheitenrechten. Ich möchte das entgegen Ihrer Ausführungen, in welchen Fällen Enquetekommissionen überwiegend eingesetzt wurden, an einem konkreten Beispiel, auch an einem aktuellen, deutlich machen.

Die Hamburgische Bürgerschaft hat gerade einen Untersuchungsausschuss zum Tod der dreijährigen Yagmur eingesetzt. Unsere linke Schwesterfraktion in Hamburg hatte sich dagegen für die Einsetzung einer Enquetekommission stark gemacht. Mein Kollege Mehmet Yildiz hat das schon im Dezember in der „taz“ mit der Feststellung begründet – und ich zitiere –:

„Die bisherigen Sonderausschüsse haben nichts gebracht. Sie haben Einzelfallprüfungen angestellt und Fehler festgestellt. Wichtig ist aber festzustellen, welche Probleme das gesamte Jugendhilfesystem hat, um diese an der Wurzel zu packen.“

Deshalb sei eine Enquetekommission hier das geeignete Mittel, weil sie externe Experten einbindet und weil sie sich nicht darauf beschränkt, individuelles Fehlverhalten aufzuspüren.

Mir geht es jetzt gar nicht darum, wie man das für den konkreten Hamburger Fall sieht. Ich führe das hier an, weil es zeigt, dass das Minderheitenrecht auf einen Untersuchungsausschuss an Grenzen stößt, wenn es um Missstände und Probleme geht, die strukturelle Ursachen haben und struktureller Lösungen bedürfen.

Der Untersuchungsausschuss hat die Möglichkeiten der Beweisaufnahme, die weitergehend sind als bei einer Enquetekommission. Aber der Untersuchungsausschuss ist andererseits begrenzter als die Enquetekommission, weil er auf die Kontrolle von Fehlverhalten ausgerichtet ist. Man kann es auch so sagen: Wenn sich Menschen in einem falschen Rahmensystem konsequent falsch verhalten, dann ist der Untersuchungsausschuss machtlos.

(Unruhe)

Im Übrigen würde ich es begrüßen, wenn die Herren Fraktionsvorsitzenden mir zuhören würden!

Weiterhin begrüße ich allerdings, wenn sich die parlamentarische Opposition überlegen und entscheiden kann, welches das geeignetere Instrument ist, um Vorgänge und Zusammenhänge aufzuklären und zu geeigneten Feststellungen und Empfehlungen zu kommen. Es ist ein Beitrag verantwortlichen Oppositionshandelns, wenn die Opposition nicht darauf angewiesen ist, Missstände und Probleme durch die Brille des Fehlverhaltens einzelner oder individuellen Fehlverhalten ansehen zu müssen, um ein parlamentarisches Kontrollgremium einsetzen zu können.

Ich würde es begrüßen, wenn die Opposition ein Gremium einsetzen könnte, das in den Instrumenten weniger scharf ist und im Zuschnitt auch etwas weniger skandalträchtig, aber dafür im Fokus etwas breiter und in der Sachaufklärung und Empfehlung etwas grundsätzlicher. Das leistet ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss nämlich nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Es gibt dieses Recht auf Einsetzung einer Enquetekommission im Bundestag als Minderheitenrecht – das wurde hier schon erwähnt –, und das gibt es in elf Landtagen als Minderheitenrecht. Wir sind da vielleicht in der Bremischen Bürgerschaft etwas rückständig. Die Regierungskoalition nimmt die Position ein, eine Enquetekommission sei kein Minderheitenrecht – das hat der Kollege Tschöpe eben ausgeführt –, sie sei dazu da, ein mit breiter Mehrheit empfundenes Problem anzugehen, und sollte daher auch mit normaler Mehrheit eingesetzt werden. Dazu kann es ja kommen, und dazu kann sie ja auch da sein.

So, wie die Enquetekommission in der aktuellen Geschäftsordnung der Bürgerschaft gefasst ist, ist sie ein einseitiges Regierungsrecht, weil sie mit Mehrheit eingesetzt wird. Das heißt, sie wird eingesetzt, wenn eine Regierungsmehrheit das will und wenn die Regierungsmehrheit sie will. Die Opposition hat im Gegensatz dazu keine Möglichkeiten, ihre Vorstellungen zum Auftrag und Ziel der Enquetekommission durchzusetzen. Die Regierungsmehrheit kann in diesen Fragen nicht in der personellen Zusammensetzung, aber im Auftrag voll durchstimmen.

Ich finde, dass wir gut beraten wären, das hier nicht so zu lassen. Es ist eben nicht so, dass die aktuelle Geschäftsordnung darauf ausgerichtet ist, die Gemeinsamkeit des Anliegens für eine Enquetekommission zu betonen. Sie ist darauf ausgerichtet, dass die Regierungsmehrheit das bestimmt. Das gilt auch in der Kommission selber, wo mit Mehrheit beschlossen werden kann und die Minderheitenrechte im Gegensatz zum Parlamentarischen Untersuchungsausschuss nicht geregelt sind.

Deswegen finde ich an dieser Stelle übrigens den Vorschlag der CDU nicht ausreichend genug. Denn gerade wenn das Einsetzen einer Enquetekommission als Minderheitenrecht gesehen wird – das sehen auch wir so, da stimmen wir der CDU zu –, dann muss man für die Kommission die Gestaltung der Minderheitenrechte entsprechend ändern. Sonst bringt das meiner Meinung nach gar nichts.

(Beifall bei der LINKEN)

Meines Erachtens wäre es ein angemessenes Vorgehen, dass wir den Antrag der CDU in den Verfassungs- und Geschäftsordnungsausschuss überweisen, um uns mehr Zeit dafür zu nehmen und darüber zu diskutieren und auch weitere Details und Folgeregelungen zu beraten. Wir gehen, weil das ja schon anklang, davon aus, dass das nicht der Fall sein wird.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Doch kön- nen wir!)

Deswegen stimmen wir dem CDU-Antrag auf jeden Fall zu. Ich finde es aber schade, wenn sich das Parlament an dieser Stelle tatsächlich eine Möglichkeit vergibt, die wir haben, sinnvoll und in Ruhe und in

aller Ausführlichkeit einfach einmal zu beraten und dann zu entscheiden.

Die Ausgestaltung als ein Minderheitenrecht finden wir richtig. Sie entspricht dem, was der Bundestag und die Mehrzahl der anderen Landtage praktizieren. Ich würde es an dieser Stelle begrüßen, wenn sich SPD und Grüne dazu durchringen würden, dieser Öffnung zuzustimmen, oder sich zumindest einer Überweisung in den Verfassungs- und Geschäftsordnungsausschuss anschließen könnten. – Ich danke Ihnen!

(Beifall bei der LINKEN und bei der CDU)

Als Nächster hat das Wort Herr Kollege Dr. Güldner, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.