Protokoll der Sitzung vom 25.09.2014

mal Ihre Hose in der Hand. Ich lebe in Bangladesch und habe als Näherin gearbeitet. Bis vor etwa einem Jahr, als die Textilfabrik Rana Plaza über meinem Kopf zusammenbrach. Seitdem kann ich nicht mehr arbeiten und warte darauf, dass die Hersteller, die dort nähen ließen, endlich eine Entschädigung zahlen.

Vor acht Jahren ist mein Mann gestorben. Ich war

gerade 18 und stand plötzlich alleine da mit meiner Tochter Neba Moni. In Bangladesch gibt es kein So zialsystem, das mir in dieser Situation geholfen hätte. Also zogen wir vor einigen Jahren in die Hauptstadt Dhaka, wo ich eine Stelle als Näherin fand. Ich ar beitete 14 Stunden am Tag und hatte in den meisten Wochen nicht einen Tag frei. Meine Aufgabe war es, Hosentaschen und Gürtelschlaufen an Jeans zu nähen. Das Geld, das ich verdiente, reichte gerade so für Essen und Miete.

Vor drei Jahren wechselte ich die Fabrik. Mein

neuer Arbeitsplatz war im fünften Stock des FabrikHochhauses Rana Plaza. Eigentlich war das Gebäude gar nicht als Fabrik gebaut worden. Später wurden drei Stockwerke nachträglich illegal draufgesetzt. Der Textilstaub wirbelte durch die Luft, aber wir bekamen keinen Atemschutz. Wir schwitzten, weil es keine Ventilatoren gab. Wir hatten keine Arbeits handschuhe, und es gab keine Notausgänge.

Am 23. April 2013 entdeckten meine Kolleginnen

und ich Risse in den Betonwänden. Wir gingen sofort zu unseren Vorgesetzten, hatten Angst und wollten nicht weiterarbeiten. Aber die Chefs duldeten keine Diskussion. Sie drohten, uns den Lohn zu streichen, und schlugen uns mit Stöcken.

Den nächsten Morgen werde ich nie vergessen.

Gegen halb neun fiel der Strom aus, wie es oft passiert in Bangladesch. In meiner Nähmaschine klemmte gerade ein Hosenbund. Damit wir auch bei Strom ausfällen weiternähen konnten, gab es Generatoren. Als sie ansprangen, vibrierte das ganze Haus. Plötz lich gab es einen riesigen Krach. Ich spürte, wie ich den Boden unter meinen Füßen verlor. Ich fiel. Das Dach stürzte herunter. Menschen schrien. Ich schrie.

Um mich herum lagen leblose Körper, Frauen, mit

denen ich zusammengearbeitet hatte. Ich konnte mich nicht bewegen. Eine Säule hatte sich in meinen Bauch gebohrt, ich spürte meine rechte Hand nicht mehr. Ich betete, weinte und dachte an meine Tochter. Ich hatte Angst, sie nie wiederzusehen.

Die Textilunternehmen in Europa und Nordame

rika sind für unsere Situation verantwortlich. Sie kommen nach Bangladesch, um ihre Kleidung so günstig wie möglich produzieren zu lassen. Ihnen ist es egal, dass sie diese Preise nur bekommen, weil wir Näherinnen unter erbärmlichen Bedingungen arbeiten und schlecht bezahlt werden. Unsere Si cherheit, der Zustand der Fabriken – das alles spielt für sie keine Rolle.

KiK, Adler, Benetton, C&A, NKD – ich kannte diese

Marken nicht. Heute weiß ich, dass ich oder meine

Kolleginnen für sie Hosen und Blusen zusammenge näht haben. Die meisten Unternehmen, die in Rana Plaza produzieren ließen, weigern sich immer noch, ausreichend Geld in den Entschädigungsfonds ein zuzahlen, den die Internationale Arbeitsorganisation der UN nach dem Unfall eingerichtet hat. Ich habe bis heute keine Entschädigung bekommen.

Die Hersteller machen es sich leicht: Sie sagen, sie

hätten ja gar keine direkten Geschäftsbeziehungen zur Fabrik gehabt, sondern nur mit Subunterneh mern zusammengearbeitet. Die entschieden, wo produziert werde. Aber letztlich bekamen die Her steller Kleidung aus Rana Plaza, brachten sie nach Europa und Amerika, verkauften sie und erzielten Gewinne. Ganz egal, wie direkt oder indirekt ihre Geschäftsbeziehungen zu den Fabriken von Rana Plaza waren – sie haben von unserer Arbeit, unserer schlechten Bezahlung und den laschen Sicherheits vorschriften profitiert. Sie tragen Verantwortung für diesen Unfall. Sie machen mich wütend.“ – So weit die Näherin Shila Begum!

(Beifall)

Was hat das jetzt mit uns zu tun, könnte man

fragen. Zum einen hat das mit uns zu tun, weil es Filialen dieser Unternehmen auch in Bremen gibt und so von Bremen aus eine hohe Nachfrage an die Ausbeuter in den Fabriken ausgeht. Zum anderen, da sind wir als Stadt verantwortlich, sind wir auch mit der öffentlichen Beschaffung daran beteiligt, ich nenne nur einmal die Textilien, die in den vier städtischen Krankenhäusern benötigt werden: Bett laken, Bettwäsche insgesamt, Kittel, Handtücher, OP-Tücher et cetera. Wir stehen ganz besonders als ehemalige Hauptstadt des Fairen Handels in der Verantwortung, und ich glaube, ab heute sind wir auch in den Kreis der Fairtrade-Towns in Deutschland aufgenommen worden. Das ist auch einmal wieder eine Auszeichnung.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Dementsprechend sollten wir bei der Beschaffung ein wenig Gas in die Richtung einer wirklich fairen Hauptstadt geben! – Danke!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der LINKEN)

Als nächster Redner hat das

Wort der Abgeordnete Tuncel.

Sehr geehrter Herr

Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ent wicklungszusammenarbeit ist politisch leider immer ein Randthema geblieben. Es gab Bundesminister, die darunter den Einkauf afghanischer Teppiche verstanden haben.

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grünen]: Das war polemisch!)

Der aktuelle Minister Müller scheint da bessere

Ansätze zu haben, er lehnt mehr Militäreinsätze ab und hat sich vor einigen Tagen für ein größeres Engagement für Flüchtlinge ausgesprochen. Diesen Ansatz finde ich richtig, denn ich schließe daraus, dass der Minister unter Entwicklungsarbeit nicht nur die Unterstützung von Projekten in ärmeren Län dern, sondern auch die Vermeidung von Verarmung versteht. Krieg, Vertreibung und Flucht sind große, wenn nicht massenhafte Ursachen für Verarmung. Sie hemmen damit die Entwicklung der betroffenen Menschen und Regionen.

Man muss aber auch sagen, Herr Müller ist nicht

gerade die dominante Kraft im Kabinett, und das ist ja auch kein Zufall. Entwicklungspolitik war und ist ein Randthema geblieben. Ein Grund liegt sicher darin, dass eine soziale, ökologische und autonome Entwicklung vieler Länder gerade von großen west lichen Konzernen und Regierungen behindert wird.

Ein Beispiel ist die Landwirtschaft: EU- und US

Konzerne setzen mit politischer Unterstützung auf Massenproduktion. Mit Billigexporten werden ganze Zweige der Landwirtschaft in Entwicklungsländern zerstört, genmanipulierte Agrarexporte nach Indien haben massenhaft Existenzen vernichtet. Die Pflanzen wurden erst als ergiebiger beworben, werfen aber kein Saatgut ab. Als dann Ernten von Unwettern vernichtet wurden, hatten die Bauern nichts mehr. Sie versackten so in Schulden und Abhängigkeiten von Megakonzernen, dass viele nur noch im Selbstmord einen Ausweg sahen. Wenn es uns mit der Entwick lungspolitik ernst wäre, müssten die Industrieländer solche Konzernpraktiken verbieten.

Ein weiteres Beispiel ist die Bekleidungsindus

trie, mein Kollege Herr Saffe ist intensiver darauf eingegangen. Erst vor Kurzem wurde bekannt, dass Näherinnen von Primark Hilferufe in die Kleidung stickten. In Rana Plaza in Bangladesch starben im letzten Jahr über 1 000 Arbeiterinnen. Sie nähten auch für Modeketten, die Filialen in Bremen haben, auch das hat mein Kollege Herr Saffe erwähnt, Filialen wie C&A, Mango, KiK oder Adler. Ihre Arbeitsbe dingungen waren menschenunwürdig und stehen leider exemplarisch für die Arbeitsbedingungen in den Sweatshops, Maquiladoras und anderen Son derwirtschaftszonen weltweit.

Wir werden das nicht alles von Bremen aus ändern

können. Ändern können wir, selbst keine Ware zu kaufen, die unter extremer Ausbeutung hergestellt wird.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Ich finde es hervorragend, dass Bremen Fair-Trade

Produkte kauft, und würde es begrüßen, wenn das in noch mehr Bereichen der Fall wäre. Es macht

daher Sinn, dass für die öffentliche Beschaffung entwicklungspolitische Leitlinien erstellt werden, Herr Kollege Bolayela. Ich finde es auch gut, dass dabei Akteure aus einem breiten Spektrum beteiligt werden sollen, aus den Bereichen Friedenssicherung und Menschenrechte, Asyl- und Flüchtlingsarbeit, fairer Handel und Ernährung. Ich hoffe dann aber auch, dass Sie auf die Akteure hören, wenn sie bei spielsweise Bremer Rüstungstransporte kritisieren.

Einen Schwerpunkt der Leitlinien wollen Sie auf

die Armutsbekämpfung legen. In der Einleitung zu Ihrem Antrag zählen Sie Brasilien und China als Beispiele für beeindruckende Erfolge bei der Ar mutsbekämpfung auf. Dazu muss ich einfach sagen, unter guter Entwicklung stelle ich mir etwas anderes vor. Es geht doch nicht nur darum, das Bruttoinlands produkt zu steigern. Die wirtschaftliche Entwicklung muss allen zugutekommen. Gerade Brasilien ist eines der Länder mit der ungerechtesten Einkom mensverteilung weltweit. In Brasilien und China profitieren große Teile der Bevölkerung überhaupt nicht vom Wirtschaftswachstum. Hier noch von ei nem beeindruckenden Erfolg zu sprechen, ohne die Ungerechtigkeit dieser Entwicklung zu erwähnen, finde ich schon sehr einseitig.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir sind aber optimistisch, dass Sie unsere Skepsis

diesbezüglich teilen und sich für eine gerechtere Entwicklung einsetzen. Deswegen werden wir dem Antrag zustimmen. – Danke für die Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das

Wort der Abgeordnete Dr. vom Bruch.