Protokoll der Sitzung vom 18.12.2014

Relativ ausweichend finde ich die Antwort zur Frage der Rhythmisierung, also der Frage, inwieweit tatsächlich der Unterricht über den ganzen Tag hinweg entzerrt wird. Es wird völlig zu Recht in der wissenschaftlichen Betrachtung als das entscheidende Qualitätsmerkmal von Ganztagsschule herausgestellt. Mir wird bei der Antwort des Senats an dieser Stelle nicht klar, wie viele Schulen das jetzt tatsächlich in welchem Umfang machen, wo wirklich ganztags unterrichtet wird und wo nachmittags hauptsächlich nur betreut wird. Das würde ich gern genauer wissen, denn dann könnte man auch den Satz besser würdigen, der da lautet: Gegenwärtig sind ganztägige Angebote über die komplette Schulzeit im Rahmen der Haushaltsmittel nicht leistbar.

Wenn wir einen Ganztagsausbau wollen, müssen wir auf Dauer auch wirklich Ganztagsschule betreiben, weil das sonst nach meiner Ansicht ein Etikettenschwindel wäre.

(Beifall bei der LINKEN)

Ebenfalls aus unserer Sicht problematisch ist die Antwort zur Frage der Hausaufgaben. Nur an drei Oberschulen von immerhin 45 gibt es definitiv keine Hausaufgaben, die nach der Schule gemacht werden müssen. Das ist dann eben nur an den gebundenen Ganztagsoberschulen der Fall. Ich finde, das ist ein Problem, weil – auch das sagen uns viele Studien, und das ist auch nicht neu – wir bei der Entkopplung des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft nur weiterkommen können, wenn man in der Schule tatsächlich das lernt, was man für die Schule braucht. Die häuslichen Arbeiten sind eben eines der ganz großen Einfallstore für die Benachteiligung von Schülerinnen und Schüler aus einkommensschwachen und bildungsferneren Familien. Die Arbeit zu Hause, bei der man auf familiäre Ressourcen zurückgreift, verschafft Schülerinnen und Schülern aus Familien, die sich das leisten können, eben halt Vorteile. Diese Unterstützung erfolgt zwar nicht durch ausgebildetes Fachpersonal, aber der Betreuungsschlüssel ist natürlich unschlagbar. Wenn es nicht gelingt, das in die Schule zu holen, und zwar quali

tativ hochwertig, dann machen wir auf Dauer mit der Entkopplung nicht die richtigen Fortschritte.

An dieser Linie wird eigentlich auch ein Kampf um die Entkopplung ausgetragen. Deshalb müssen wir da sehr genau hinsehen, ob es wirklich reicht, was Bremen da anbietet.

Ich komme zum Schluss: Mehr Schulen ohne Hausaufgaben, mehr Schulen mit voller Rhythmisierung des Unterrichts, kostenlose Ferienbetreuung auch in der Stadtgemeinde Bremen – das sind unserer Ansicht nach die drei Meilensteine, die man angesichts dieser Antwort setzen muss. Wir brauchen zudem ein verbindlicheres und auch höheres Ausbautempo, damit wir nicht dreißig Jahre lang auf einem guten Weg sind, sondern den Ganztagsausbau wirklich in zehn bis zwölf Jahren abschließen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Als Nächster hat das Wort Herr Kollege Rohmeyer.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Bevor sich irgendjemand wundert, warum ich hier stehe und Dr. vom Bruch da sitzt: Das liegt einfach daran, dass er einen Großteil seiner Stimme irgendwo gelassen, aber nicht hier.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Der hat seine Stimme schon abgegeben!)

Er verfolgt mit Interesse die Debatte und die Rede, die ich jetzt für ihn halte, ist aber auch nicht in der Lage, obwohl wir es eben bei den Vorrednern gern das eine oder andere Mal gemacht hätten, einen Zwischenruf zu äußern. Insofern: gute Besserung, was deine Stimme angeht, Thomas!

Ich versuche einfach einmal, dieser Debatte gerecht zu werden. Wir haben uns schon überlegt, meine Damen und Herren von der Koalition, was eigentlich Ihre Motivlage war, diese Debatte hier mit einer Großen Anfrage einzubringen, wo wir doch erst im Oktober in der Bildungsdeputation eine ziemlich umfangreiche Sachdarstellung von auch hier in der Antwort vorgelegten Sachverhalten bekommen haben.

Nach den ersten Worten von Frau Dogan war das dann klar: Wir sind im Wahlkampf. Sie haben mit 33 Fragen und Unterfragen ohne den Hauch eines kritischen Hinterfragens hier eine Jubelorgie versucht.

(Abg. G ü n g ö r [SPD]: Das ist doch Quatsch! Ich habe doch auch die kriti- schen Punkte genannt!)

Ich habe mich auch gewundert, warum Sie eigentlich erst 2007 angefangen haben: Der Ganztagsschulausbau in Bremen mit aller Macht, Frau Senatorin, begann 2001/2002. Da kann sich auch die Große Ko

alition hier sehen lassen, denn wir haben eine breite Ganztagsschulbewegung in Bremen in Gang gesetzt. Die trägt bis heute.

(Beifall bei der CDU – Lachen bei der SPD)

Die Sozialdemokraten, die da hinten lachen, sollten sich daran erinnern, Herr Oppermann, dass sie Teil dieser ominösen Großen Koalition waren, dass es keine CDU-Alleinregierung war, auch wenn Sie immer gern so tun.

Wir sind mit der Ganztagsschulentwicklung vorangekommen, auch nach 2007, auch wenn Sie die Entwicklung gedrosselt, teilweise gebremst haben.

(Abg. G ü n g ö r [SPD]: Das ist Ansichts- sache!)

Meine Damen und Herren, wir sind eben nicht so weit, wie wir hätten sein sollen, hätten sein müssen und – das unterstelle ich einem Großteil hier im Raum – wie wir eigentlich gemeinsam sein wollten. Wir haben in Bremen eine Ganztagsschulentwicklung, die sich in Teilen bundesweit sehen lassen kann, in Teilen aber auch durchaus kritisch zu hinterfragen ist. Das vermisse ich insbesondere bei den beiden Rednern der Koalition.

(Beifall bei der CDU)

Unser Bild von Schule richtet sich in der Regel danach, was wir selber erlebt haben. Jetzt nehme ich einmal die Kollegin Neddermann, die als eine der letzten hier im Saal das schulische Leben aktiv verlassen hat. Schule heute ist schon nicht mehr so, wie Linda Neddermann das noch vor einigen wenigen Jahren erlebt hat. Die Schule hat sich verändert. Die Herausforderungen an Schule – Sie hören das gelegentlich in Reden – haben sich verändert. Das Schulleben hat sich verändert. Die Ganztagsschulentwicklung ist ein Teil einer neuen Antwort auf eine veränderte Gesellschaft und damit eine veränderte schulische Herausforderung.

(Beifall bei der CDU)

Soziale Fragen, Fragen der Integration, Fragen von Chancengerechtigkeit, der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, auch Fragen von Kriminalitätsprävention – das haben wir gestern gehört – haben zunehmend einen gemeinsamen Nenner. Der weist immer auf Bildung und auf Schule. Genau auf diese Fragen ist eine gut ausgestattete Ganztagsschule mit ganz anderen pädagogischen Möglichkeiten eine Antwort als eine Schule, die von 8 bis 13 Uhr gearbeitet hat.

Umso unverständlicher – ich habe das mit dem Bremsen eben schon gesagt – ist es, dass Sie zur Mitte dieser Legislaturperiode die Weiterentwicklung von Ganztagsschulen mit der sogenannten zweiten Rate

praktisch erst einmal auf Eis gelegt haben. Entgegen der vollmundigen Ankündigungen vor den letzten Wahlen – ich sage jetzt nicht „Schippe drauf“ und weiteres; Sie haben auch einmal gesagt, sie sparten, dass es keiner merkt; die Menschen im Lande merken relativ viel – haben Sie zum Beispiel –

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Die CDU sagt immer, wir sparten zu wenig! – Abg. G ü n g ö r [SPD]: Die Schule am Pfälzer Weg ist jetzt Ganztags- schule!)

das tut weh, Herr Dr. Güldner; ich weiß – im ganz konkreten Fall der Schule am Pfälzer Weg erst nach langen und quälenden Debatten für die Beteiligten vor Ort – Herr Güngör, wir wissen beide, wie das im Bremer Osten insgesamt mit der Debatte war –, spät eingesehen, dass auch hier in diesem Brennpunkt eine Ganztagsschule nötig ist.

Ihre Glaubwürdigkeit – es ist nicht meiner Sorge, ob Sie Ihre Glaubwürdigkeit behalten – und damit leider auch ein Teil der Glaubwürdigkeit von Politik und Parlament hat darunter stark gelitten.

(Zuruf der Abg. Frau D r. M o h a m m a d - z a d e h [Bündnis 90/Die Grünen])

Es ist kein Beispiel von Zuverlässigkeit, Frau Dr. Mohammadzadeh, wenn Sie erst in der Öffentlichkeit mit großen Backen viel ankündigen und hinterher nur ganz wenig dabei herüberkommt.

(Beifall bei der CDU)

Bei der Ganztagsschulentwicklung sind wir uns in der Sache anscheinend einig. Auch in den Reden, die Frau Dogan und Herr Güngör vorhin gehalten haben, kommt zum Ausdruck, dass es ein wichtiges Ziel ist, die Ganztagsschulentwicklung voranzubringen. Das darf dann eben keine Politik nach Kassenlage sein. Das ist weder angemessen noch zukunftsorientiert, geschweige denn nachhaltig.

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Wie gut, dass man das aus der Kasse bezahlen muss!)

Für den quantitativen wie für den qualitativen Ausbau und die Weiterentwicklung von Ganztagsschulen müssen wir Prioritäten setzen. Die offene Form von Ganztagsschule war seinerzeit im ersten Schritt die Priorität, und zwar – so kann man sagen – des gesamten Parlaments und der Behörde. Es war damals auch richtig, weil die gesellschaftliche Entwicklung mit der Einführung der Ganztagsschulen zu Beginn des letzten Jahrzehnts eben noch eine andere war, als wir sie heute haben. Wir reden über eine Zeit, in der die Ganztagsschule in Deutschland und somit auch

in Bremen im Prinzip noch nicht vorhanden war. Wir hatten seinerzeit drei Schulen, die über die 13.10-UhrMauer hinaus einen regelmäßigen Unterricht angeboten haben. Auch ein Mittagessen in Schule war damals die absolute Ausnahme,

(Abg. G ü n g ö r [SPD]: Verfangen Sie sich jetzt nicht in der Historie!)

geschweige denn verbreitet; von der Regel können wir erst gar nicht reden.

(Präsident W e b e r übernimmt wieder den Vorsitz.)

Meine Damen und Herren, wir setzen in der Zukunft auf die Ganztagsschule in der gebundenen Form als ein Modell, in dem man in Form eines rhythmisierten Tagesablaufs

(Glocke)

ein pädagogisches Konzept in den Schulen umsetzen kann. Aber wir sagen auch: Wir wollen keine Ganztagsschulpflicht!

(Abg. G ü n g ö r [SPD]: Sie widersprechen sich!)

Wir brauchen hier eine Wahlfreiheit, weil die gesellschaftliche Entwicklung auch noch nicht so weit ist, Herr Güngör. Ich widerspreche mir nicht, wenn ich Ihnen sage, dass das pädagogische Konzept im Rahmen der Wahlfreiheit ein richtiges ist,

(Glocke)

auf die gebundene Ganztagsschule zu setzen.

(Abg. G ü n g ö r [SPD]: Aber es soll keine Pflicht sein!)

Sie sollten trotzdem weder Eltern noch Kinder zwingen, in ein Modell zu gehen. Auch an den offenen Ganztagsschulen wird eine richtige und wichtige Arbeit geleistet. Aber für die Zukunft, für die nächsten fünf, sechs Jahre muss man eine Priorität setzen. Da sage ich, dass es die gebundene Form ist, die – –.

(Abg. Frau V o g t [DIE LINKE]: Das stimmt, ja!)