Protokoll der Sitzung vom 21.01.2015

der Sicherheitsorgane sein. Gerade die derzeitigen Ereignisse zeigen uns, dass sie gerade dort labil ist, wo Integration auf der Grundlage einer klaren Werteordnung nicht oder nicht ausreichend gelingt,

wo Perspektivlosigkeit dem Fanatismus Vorschub leistet, und wo die Rattenfänger der Ideologien des Salafismus und des Islamismus leichtes Spiel haben. Prävention in diesem Bereich muss auch heißen, die Entstehung von Parallelwelten ideologischer, religiöser und sozialer Art zu verhindern und entge genzuwirken, wenn Menschen sich so radikalisieren, dass sie sich, auch aus Deutschland und Bremen kommend, am angeblich heiligen Krieg beteiligen, und, wie man gerade heute wieder hat lesen müssen, wahrscheinlich wieder sehr maßgeblich an schreck lichen Verbrechen beteiligt sind.

Es gilt einmal mehr, insbesondere präventiv tätig

zu werden. Wir müssen verhindern, dass Religi onslehre in Hinterzimmern von selbsternannten Unterweisern durchgeführt wird, die die Neugierde und den Wissensdurst von Kindern und Jugendli chen missbrauchen. Wir müssen verhindern, dass das Internet ein Werkzeug der Verführung und der Propaganda wird oder, inzwischen könnte man auch sagen, bleibt. Sicherheit ist viel mehr dort, wo sich Menschen guten Willens einmischen. Wir brauchen auch in diesem Sinne eine Kultur des Hinsehens und eine Zivilgesellschaft, in der gemeinschaftlich Verantwortung für das Ganze übernommen wird, meine Damen und Herren.

Es gilt aber auch, nur wer die Werte der Freiheit

und der Solidarität selbst erlebt, kann sie selbst leben und für sie eintreten. Integration ist schon deshalb ebenso eine Grundfrage unserer Gegenwartsgesell schaft wie die Frage, wie wir konkret mit Menschen umgehen, die zu uns kommen. Gerade auch bei uns gibt es hier offensichtlichen und kontinuierlichen Verbesserungsbedarf. Der Begriff Willkommenskul tur darf nicht nur ein Modewort sein, sondern muss gelebt werden. Gesellschaftlicher Frieden, Konsens und Sicherheit sind nur dort, wo wir Ausgrenzung und Respektlosigkeit verhindern, wo wir im Gegenteil Teilhabe organisieren, denn nur wer beteiligt wird, empfindet auch Verantwortung für das Ganze.

Die Sicherheit, über die ich hier spreche, ist kein

Selbstzweck. Sie schützt nicht nur unser Leben und unsere Gesundheit, sie schützt unsere Freiheit. Frei heit, die sich in der Meinungsfreiheit, Pressefreiheit oder auch Versammlungsfreiheit äußert. Sie ist die Grundlage unserer Lebensweise in einer offenen, vielfältigen, bunten und demokratischen Gesellschaft. Ich möchte deshalb nur am Rande erwähnen, dass schon deshalb das Verbot von Demonstrationen kein gutes Signal ist, auch wenn ich deren Botschaften ausdrücklich nicht teile. Hinzugefügt wird meines Erachtens aber zu selten: Freiheit ist nicht nur ein Recht, sondern auch eine Verpflichtung, die sogar manchmal ertragen werden muss.

Wir, die wir hier sitzen, haben unsere Freiheit nicht

selbst erstritten, sie scheint uns deshalb gelegentlich viel zu selbstverständlich. Gerade die gegenwärtigen Ereignisse lassen uns aber spüren, dass Freiheit nicht nur ein Recht ist, das es zu genießen gilt, sondern

das bedroht ist, und schon daraus erwächst Verant wortung. Dieser Verantwortung werden wir nicht gerecht durch Zusehen, sondern es ist in meinem Sinne eine Aktivität eines dafür Einstehens.

Wenn andere Generationen vor uns, übrigens auch

und gerade aus anderen uns umgebenden Nationen, uns ein Land der Freiheit und des würdigen Lebens erkämpft, hinterlassen und ermöglicht haben, ge schieht dieses Einstehen nicht nur in unserem eigenen Interesse, sondern auch in unserer gemeinsamen Verantwortung für kommende Generationen, und das gilt für Deutschland und Europa insgesamt. Das Gebot der Stunde ist deshalb einerseits ein Bekenntnis zur Freiheit und unseren im Grundgesetz verbrief ten Werten, aber andererseits auch zur wehrhaften Demokratie, die sich behaupten kann, behaupten will und deshalb bedarfsweise auch Zähne zeigt.

Nous sommes Charlie. Die Reaktionen in ganz

Europa sind für mich ein kraftvolles Zeichen der Gemeinsamkeit und des Willens, genau diese bei den Seiten zu unterstreichen. Dem wollen wir nach meinem Verständnis mit dem Antrag und dieser Debatte Ausdruck verleihen. Es ist eben auch das Versprechen, an diesen Werten solidarisch und of fensiv festzuhalten. Das Vermächtnis der Opfer von Paris muss sein: Europa, Deutschland und auch Bremen werden sich durch Islamismus und Gewalt nicht einschüchtern lassen. Wir setzen dem offensiv unser Verständnis von Menschlichkeit, Solidarität, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie entgegen. Unser Verständnis einer auf Weltoffenheit, Vielfalt und Freiheitlichkeit setzenden Gesellschaft. Auf diese Weise hat das Angedenken der Opfer von Paris eine ganz eigene Würde, und es triumphiert schon jetzt über den Ungeist der Täter. – Herzlichen Dank!

(Beifall)

Als nächste Rednerin hat das

Wort die Abgeordnete Frau Vogt.

Herr Präsident,

meine Damen und Herren! Je suis Charlie, je suis juif, je suis Ahmed. Mit diesem Bekenntnis wollen viele Menschen seit zwei Wochen deutlich machen: Wir fühlen uns alle ge- und betroffen. Gewalttaten erschüttern immer, willkürlicher Terror und ein feiger Mord, der die Zivilgesellschaft trifft, erschüttern aber besonders. Man fühlt sich schutzlos und verwund bar. Weil die Frage nach dem Warum bei diesen Anschlägen verstörend ist, ist die Betroffenheit und Verunsicherung umso größer.

Angegriffen wurde zuerst die Redaktion einer

Zeitung, die Satire publiziert. Ich persönlich kenne Charlie Hebdo nicht. Ich kann nicht sagen, ob die Karikaturen meinen Geschmack treffen oder ob ich sie überzeichnet finden würde, ich kann nicht sagen, ob ich die Botschaften dieser Karikaturen teilen oder verstehen würde, aber darum geht es nicht. Es geht

darum, dass ein hohes Gut einer demokratischen Gesellschaft angegriffen wurde, nämlich die Freiheit, Meinungen und Haltungen ungefährdet öffentlich äußern zu können. Eine Freiheit, die wir, glaube ich, alle schätzen, insbesondere nach den Erfahrungen totalitärer Regimes.

Es geht dabei auch nicht darum, ob die Meinungen

und Haltungen, die andere öffentlich äußern, unsere eigenen Meinungen und Haltungen wiedergeben. Die Errungenschaft, die mit der Meinungs- und Pres sefreiheit einhergeht, ist, dass wir auch Meinungen und Haltungen ertragen und aushalten müssen, die wir nicht teilen. Das ist einer der Gründe, warum diese Anschläge so erschüttert haben. Der zweite Angriff ist mindestens genauso verstörend. Ange griffen wurde ein jüdischer Supermarkt, und Kunden und Verkäufer wurden in Geiselhaft genommen und ebenfalls ermordet.

Angriffe auf Menschen, die aufgrund einer re

ligiösen oder ethnischen Zugehörigkeit erfolgen, machen eine Gesellschaft besonders schutzlos, selbst dann, wenn wir als Mehrheit einer religiösen oder ethnischen Kultur angehören. Die Geschichte ist nämlich gezeichnet von Angriffen, von Pogromen gegenüber Menschen, die anderer Herkunft waren, eine andere Kultur pflegten oder einer anderen Reli gion angehörten, als die der Mehrheitsgesellschaft. Die Geschichte kennt willkürliche Unterdrückun gen, Ausgrenzungen, Versklavung und Vernichtung von Menschen, weil sie einer Gruppe oder Ethnie angehören. Menschen die aufgrund ihrer Religion oder Herkunft angegriffen werden, sind besonders schutzlos, denn die bloße Zuordnung zu einer Religion oder Herkunft reicht eben aus, um willkürlich ein Opfer zu werden. Angriffe auf Menschen jüdischen Glaubens erschüttern uns besonders, weil wir durch die Erfahrungen des nationalsozialistischen Genozids wissen, in welchen unmenschlichen und grausamen Dimensionen diese Angriffe enden können.

Das eingangs ausgesprochene Bekenntnis so vieler

Menschen, so vieler Hunderttausender, ist daher eigentlich ein beruhigendes Zeichen, weil deutlich wird, dass die überwiegende Mehrheit der Menschen diese Erschütterungen nicht so stehen lassen will und die Deutungshoheit nicht anderen überlassen möchte, die das ausnutzen wollen.

Es ist richtig und wichtig, dass die Bürgerschaft

heute gemeinsam ein Zeichen setzt und nicht einfach zwei Wochen nach diesen Attentaten zur Tagesord nung übergeht. Es ist auch wichtig, die Frage zu stellen: Was tun wir jetzt? Manch eine und einer mag sich in den vergangenen Tagen gefragt haben: Werde ich jetzt vielleicht zur Zielscheibe, weil ich mich zum Beispiel öffentlich zum Terror des IS geäußert habe, oder nur, weil ich zur falschen Zeit am falschen Ort bin wie die Kundinnen und Kunden in dem jüdischen Supermarkt? Muss ich Verhaltensweisen ändern? Natürlich wird sich nicht jede und jeder das fragen. Da die Angriffe aber so willkürlich waren, bin ich sicher, dass Menschen verunsichert sind.

Es wird auf solch eine Art der Verunsicherung

leider nie endgültige und befriedigende Antworten geben können, aber ein paar Gedanken möchte ich hier doch festhalten: Der Wunsch nach individueller Sicherheit wird nie hundertprozentig umsetzbar sein. Gewalttaten passieren, manchmal sogar in den vermeintlich geschützten Räumen, man denke nur an die vielen Gewaltverbrechen innerhalb von Familien. Es ist möglich, Opfer eines Überfalls oder von Gewalt oder tätlichen Angriffen zu werden, nur weil wir uns in unserer Welt bewegen.

Nicht erst seit den Attentaten von Paris wissen wir,

dass es auch möglich ist, Opfer eines terroristischen Angriffs zu werden, weil er die Zivilgesellschaft trifft. Richtig schutzlos wird man als Zivilperson in Zeiten kriegerischer Auseinandersetzungen, weil dann nämlich alle ethischen und auch rechtlichen Grundsätze außer Kraft gesetzt sind. Ich möchte an dieser Stelle daran erinnern, dass zur selben Zeit, als die feigen Morde in Paris geschehen sind, die islamistische Miliz Boko Haram mindestens 2 000 Menschen in Nigeria umgebracht und eine ganze Kleinstadt ausgelöscht hat. Dieser brutale und ge nauso menschenverachtende Angriff ist leider durch die tragischen und verstörenden Ereignisse in Paris etwas zu kurz gekommen. An dieser Stelle würde ich deshalb das Bekenntnis gern erweitern: Nous sommes Nigérian!

Die Tatsachen sind immer wieder verstörend und

verunsichernd, und ich muss an dieser Stelle, auch wenn wir hier viel gemeinsam haben, doch ein paar Dinge anmerken, weil ich – der Kollege Dr. Güldner hat das eben schon ganz gut skizziert – vor Reflexen warne, die uns nicht weiterhelfen. Natürlich gibt es politische Forderungen – der Kollege Dr. vom Bruch hat das eben auch deutlich gemacht –, die hier im Raum diskutiert werden und die die Sicher heitsarchitektur betreffen, aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, man kann das diskutieren, nur die Vorratsdatenspeicherung gibt es in Frankreich und hat Paris nicht vor den Attentaten geschützt.

Natürlich muss eine demokratische Gesellschaft

alles tun, um ihre Mitglieder zu schützen, allerdings, das möchte ich hier zu bedenken geben, werden vorbeugende Maßnahmen dann schwierig, wenn sie die individuelle Freiheit des oder der Einzelnen gravierend einschränken. Wenn Angriffe auf die Zivilgesellschaft dazu führen, dass Grundrechte eingeschränkt werden, dann haben Terroristen ein Stück weit gewonnen. Ich glaube, auch das steht in unserem Antrag.

Wir müssen aufpassen, das ist völlig klar, wir müs

sen auch die Salafistenszene im Auge haben, wir wissen nicht, was die Rückkehrer aus Syrien, die dort für den Dschihad gekämpft und Menschen umgebracht haben, hier im Sinn haben. Es kann enden wie in Paris oder auch in Belgien, und ein demokratischer Staat muss natürlich versuchen, das im Vorfeld zu verhindern, aber liebe Kollegin

nen und Kollegen, Grundrechte dürfen dabei nicht eingeschränkt werden, und auch dies besagt der gemeinsame Antrag: Ein demokratischer Staat muss sich wehren können, darf dabei aber seine Grund lagen nicht verlassen, weil er sonst im Zweifelsfall irgendwann kein demokratischer Staat mehr ist. Deswegen ist auch eine der verstörenden Wahrhei ten: Wenn wir an unseren Werten festhalten wollen, wird es keine hundertprozentige Sicherheit für alle Bürgerinnen und Bürger geben können. Im Übrigen muss den Menschen bewusst sein, dass es in Staaten mit eingeschränkten individuellen Freiheiten oder gar repressiven oder totalitären Staaten erst recht keine hundertprozentige Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger gibt, sondern dass diese Sicherheit sogar stark eingeschränkt ist.

Der zweiten Verunsicherung – kann es mich zu

fällig treffen, oder muss ich gar mein Verhalten ändern, muss ich aufpassen, was ich sage? –, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann man eigentlich nur entschlossen begegnen, weil es eben keine hundert prozentige Sicherheit gibt. Nein, ich lasse mich nicht einschränken, nein, ich bewege mich weiterhin wie gewohnt, nein, ich meide keine öffentlichen Plätze oder Verkehrsmittel, nein, ich gehe in Supermärk te, und ich sage vor allen Dingen weiterhin meine Meinung und habe weiterhin eine Haltung. Ich bezeichne den IS zum Beispiel weiterhin als das, was er ist: eine Bande skrupelloser, menschenver achtender Verbrecher, die ihre patriarchalischen Allmachtsgelüste an Schutz- und Wehrlosen ausleben und dafür den Deckmantel einer Religion gebraucht und ein Religion dafür missbraucht! Wenn wir uns einschränken, dann haben die drei Attentäter von Paris mehr erreicht, und es ist schlimm genug, dass wegen ihnen 17 Menschen starben. Mehr Macht dürfen wir ihnen nicht zugestehen, und das ist auch eine Intention dieses gemeinsamen Antrags.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum war die

Erschütterung in den letzten beiden Wochen so groß? Sie hat Paris verlassen, sie hat Europa ver lassen. Die Attentate von Paris waren ein Anschlag auf eine liberale Gesellschaft, und sie betreffen und treffen auch insbesondere die überwiegende Anzahl der Muslime in Westeuropa, die sich als Teil dieser Gesellschaft begreifen.

Die Attentäter berufen sich auf den Islam, es ist

ihnen aber völlig egal, wenn sie Angehörige der Staatsgewalt ermorden, die muslimischen Glaubens sind. Sie greifen bewusst Werte wie Offenheit, To leranz und Liberalität an. Dies kann viele Ursachen haben, und die Intention wird vielleicht greifbar, wenn man sich mit den Ursachen auseinandersetzt, und das bitte ich jetzt nicht falsch zu verstehen. Es geht überhaupt nicht darum, Morde oder Gewalttaten zu rechtfertigen, dafür gibt es keine Rechtfertigung, es geht darum, solche Art von Gewalttaten weitestge hend zu verhindern, und das ist nicht ausschließlich eine Frage der inneren Sicherheit oder der Auseinan dersetzung mit Religionen. Wir haben hier in diesem

Haus schon oft darüber diskutiert, zum Beispiel auch, wenn wir uns mit dem Phänomen der Attraktivität religiösen Fanatismus auseinandergesetzt haben.

Es wird in Deutschland inzwischen nicht mehr

bestritten, dass wir ein Einwanderungsland sind, aber es wird auch nicht mehr bestritten, dass diese Erkenntnis viel zu zögerlich und spät kam. Es wird auch nicht bestritten, dass in Frankreich die Integrati on nordafrikanischer Staatsbürgerinnen und -bürger nur unzureichend gelaufen ist und man sich dort auch nur unzureichend mit dem schweren kolonialen Erbe in diesen Ländern auseinandergesetzt hat. Es ist bekannt, dass es schwierig ist, jahrzehntelange falsche Weichenstellungen wieder zu korrigieren, und dennoch ist es eine der dringendsten Aufgaben, wenn wir nicht auf eine Polarisierung zulaufen wol len, die wir nicht mehr aushalten können. Pegida, Rechtspopulismus, antimuslimischer Rassismus auf der einen Seite und religiöser und gewalttätiger Fanatismus auf der anderen Seite, beide Seiten eint eines: eine Ablehnung liberaler Errungenschaften der Nachkriegszeit.