Es bleibt ein letzter Punkt, den ich nennen wollte. Man hat es an Ihrer Rede auch wieder gemerkt, eine frühzeitige umfassende Information ist die einzige Möglichkeit, derartige Spekulationen ohne Kenntnis der tatsächlichen Abläufe und sehr schwerwiegende Vorwürfe zu verhindern, die man hinterher nicht aufrechterhalten kann. Insofern ist die Reihenfolge sehr unglücklich, die wir in diesen Tagen haben. Wir haben jetzt eine Aktuelle Stunde, die Senatorin redet am Schluss und wird en détail ihre Sicht der Dinge darlegen. Morgen haben wir eine Sondersitzung der Deputation mit der Information der Deputierten. Der gesamte Komplex seit der Berichterstattung bei „buten un binnen“ in der letzten Woche verläuft in sehr unglücklicher Abfolge und öffnet natürlich Tür und Tor für Spekulationen. Deswegen ist es aber wichtig, dass sich alle insoweit disziplinieren, nur etwas zu behaupten – gerade wenn es sehr schwerwiegende Vorwürfe sind – die auch tatsächlich anhand der Fakten und der tatsächlichen Vorgänge belegt werden können. Das ist hier bei Ihren Vorwürfen nicht der Fall, und deswegen weisen wir es auch mit Nachdruck zurück! – Vielen Dank!
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste auf der Tribüne! Ich muss sagen, der Titel der Aktuellen Stunde hat mich ziemlich sprachlos gemacht.
Die CDU scheint zu glauben, dass das Jugendamt Kindeswohlgefährdung organisiert, statt dagegen anzugehen. Ich muss sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, da sind sie auf dem Holzweg, und der von Ihnen, Frau Ahrens, eben angeforderten angemessenen Unterstützung der Casemanagerinnen und Casemanager haben Sie allein mit der Titelgebung dieser Aktuellen Stunde einen Bärendienst erwiesen!
Wenn es Ihnen wirklich um den Kinderschutz gehen würde, hätten Sie keine Aktuelle Stunde beantragt, sondern die Sozialdeputationssitzung morgen abgewartet.
Gleichwohl ist es ein öffentliches Thema. Ich habe die Berichterstattung auch gesehen und war zunächst auch erst einmal betroffen, habe aber in meinen Stellungnahmen gleich gesagt, dass der Sozialdatenschutz für mich unantastbar ist und seine Berechtigung hat. Frau Ahrens, ich habe mich dann erkundigt, und zwar sofort an dem Donnerstag, und ich bin durchaus in der Lage gewesen, auch als Mitglied einer Oppositionsfraktion an die Fakten heranzukommen,
und habe mich erst einmal, bevor ich weiter agiert habe, erkundigt, was eigentlich geschehen war. Ich finde, das hätten Sie auch machen können.
Ich werde mich zum Schutz der Privatsphäre der Betroffenen, sowohl der Familie als auch derjenigen, die Anzeige erstattet hat, nur insoweit öffentlich äußern, als es bekannt ist. Die weiteren Details werden wir morgen in der Sozialdeputation besprechen, und dahin gehören sie auch. Ich finde, so sensible Themen wie Kinderschutz eignen sich nicht für den Wahlkampf. Ich werde daher, genau wie gestern, versuchen, diese Debatte zu versachlichen, als wir auch ein Thema in der Aktuellen Stunde hatten, das meines Erachtens nicht in den Wahlkampf gehört.
Fakt ist, das Jugendamt ist in dem Fall, über den heute gesprochen wird, nach dem Verfahrenskatalog vorgegangen, und dieser Verfahrenskatalog legt jeden einzelnen Schritt fest, der bei Verdacht auf sexuelle Gewalt oder Kindesmisshandlung gegangen werden muss. Maßstab ist dabei immer, das Wohl des Kindes sicherzustellen, daran ist das Jugendamt gebunden und an nichts anderes! Das Jugendamt ist zunächst bei Verdacht auf Straftaten nicht meldepflichtig, sondern muss immer überlegen, ob eine Meldung gut für das Kind ist.
Der Verfahrenskatalog, Frau Ahrens, wurde am 11. Mai 2010, also vor meiner Zeit in diesem Haus, im Jugendhilfeausschuss einstimmig beschlossen, die CDU hat ihn nicht abgelehnt. Das heißt, wir sprechen hier über einen Katalog und eine Handlungsanweisung, die Sie selbst so nach den Erfahrungen des Untersuchungsausschusses mitbeschlossen haben. Deswegen finde ich es etwas absurd, dass Sie jetzt so einen Wirbel machen, Frau Ahrens!
Nur weil Wahlkampf ist, tun Sie im Moment so, als ob das Jugendamt die Strafverfolgung vereitelt hätte, und ich finde, wenn man sich den Fall anschaut, ist das völlig absurd und haltlos. Das Gegenteil ist vielleicht sogar der Fall, der Casemanager hätte vielleicht sogar noch vorsichtiger sein können, denn sobald die Polizei einen Hinweis auf eine Straftat bekommt, muss sie ermitteln. Das ist kein Antragsdelikt, es ist ein Offizialdelikt, und sexueller Missbrauch ist ein Verbrechen.
Wenn die Strafverfolgungsbehörden Kenntnis von einem Verdachtsfall bekommen, sind sie verpflichtet zu ermitteln.
Richtig, Herr Röwekamp, aber das Jugendamt hat zunächst auch einen anderen Auftrag, nämlich die Sicherstellung des Kindeswohls. Hier stoßen Jugendrecht und Strafrecht aufeinander,
sie haben unterschiedliche Aufträge, die nicht immer zusammenpassen, die man aber damals, nach dem Fall Kevin und dem Untersuchungsausschuss, versucht hat, über die fachliche Weisung zusammenzuführen, weil die Jugendhilfe dem Kindeswohl verpflichtet ist. Die Jugendhilfe muss zunächst dem Verdacht selbst nachgehen.
Das wurde meiner Kenntnis nach getan. Der Kollege Güldner hat es eben erwähnt, die Kindesmutter war kooperationsbereit, es ist in den folgenden drei Wochen erst einmal alles geschehen, was zur Obliegenheit des Jugendamtes gehört. Es wurde eine Wochenkonferenz abgehalten, und die Experten, das soziale Umfeld und die Gewaltpräventionsstelle wurden einbezogen, also all das, von dem man nach dem Fall Kevin sagte, dass es passieren muss, damit sich so etwas nicht wiederholt.
Dann wurde der Fall – auch das ist im Jahr 2010 so beschlossen worden – der Polizei anonymisiert geschildert, und auch das steht im Verfahrenskatalog als Vorgabe, weil eine Einschätzung eingeholt werden sollte. Im Verfahrenskatalog ist aufgeführt, dass es keine Meldepflicht gibt und dass eine Strafanzeige nur dann vom Jugendamt gestellt wird, wenn dies dem Kindeswohl dient, auch das Verfahren haben Sie somit vor vier Jahren beschlossen. Jetzt wird es nämlich problematisch, denn diese Abwägung ist ein alltäglicher Spagat der Casemanagerinnen und Casemanager des Jugendamts, deswegen finde ich Ihr Thema dieser Aktuellen Stunde so perfide. Im kon
kreten Fall hat sich der Verdacht seitens des Jugendamts nicht erhärtet, deswegen wurde auf eine Strafanzeige erst einmal verzichtet.
Es ist einfach so, dass der Sozialdatenschutz seinen Grund hat. Die Behörde ist dazu verpflichtet, nicht einfach so Daten herauszugeben, im Fachjargon heißt der Sozialdatenschutz „besonderer Vertrauensschutz“. Das Jugendamt unterliegt grundsätzlich einer Schweigepflicht, und das ist auch so beabsichtigt. Es hat nämlich den Grund, damit sich Menschen, die Kenntnis von möglichen Missbrauchs- oder Misshandlungsfällen haben, auch vertrauensvoll an das Jugendamt wenden können, ohne gleich selbst in den Fokus von Behörden oder Ermittlungsbehörden zu geraten.
Das Jugendamt ist deshalb auf vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Familien und dem sozialen Umfeld angewiesen, und deswegen gibt es auch das Kinderschutztelefon, das rund um die Uhr, 24 Stunden am Tag, besetzt ist und eine Anonymität auf Wunsch auch zusichert. Meldungen aus einer Kindeswohlgefährdung kommen nämlich in der Regel häufig aus dem sozialen Umfeld, und diese Regelung war auch nach dem Fall Kevin so beabsichtigt, denn die Gewaltproblematik in dieser Familie wurde einfach nicht genügend beachtet.
Häufig erfolgt die Meldung anonym. Ich habe mich dort erkundigt, wie die Meldungen beim Kinderschutztelefon eingehen. Sie sind oft anonym, weil die Melder eben nicht ihre eigene soziale Bindung in der Nachbarschaft riskieren wollen. Die Arbeit des Jugendamts beruht im Wesentlichen darauf, dass sich Menschen vertrauensvoll an das Amt wenden, wenn sie eine Kindeswohlgefährdung befürchten, und wenn dieses Vertrauen erschüttert wird, weil der Eindruck entsteht, sobald man sich an das Jugendamt wendet, wird alles öffentlich, dann untergräbt man das Kindeswohl, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Sozialdatenschutz existiert also nicht nur weil Daten zum Fetisch erhoben werden, was Sie eben hier auch noch der Bremer Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit unterstellt haben, sondern er ergibt Sinn. Die Wahrung des besonderen Vertrauensschutzes ist gesetzlich festgeschrieben, die Abweichung davon ist eng reglementiert. Eine Herausgabe von Sozialdaten vom Jugendamt an die Polizei ist überhaupt nur zulässig, wenn es einen richterlichen Beschluss gibt, sonst nämlich gar nicht.
Es war also überhaupt kein ungewöhnlicher oder, wie der Kollege Möhle gesagt hat, ungeheuerlicher Vorgang, dass das Jugendamt nicht sofort den Namen der Melderin genannt hat. Im Gegenteil! Das Jugendamt durfte nach den rechtlichen Grundlagen den
Namen nicht herausgeben! Der Ermittlungsrichter muss bei einem Durchsuchungsantrag prüfen, ob die Datenübermittlung verhältnismäßig ist, ob sie eventuell das Kindeswohl gefährdet und ob sie entscheidende Beweise für ein Strafverfahren liefern kann. Das ist geschehen, und interessanterweise hat der Ermittlungsrichter diesen Beschluss erst einmal abgelehnt und nur eine Durchsuchung angeordnet. Die Datenübermittlung ist also auch bei Einbeziehung des Strafgerichts und bei Verdacht auf ein Verbrechen nur ausnahmsweise möglich, das sah offensichtlich auch der Ermittlungsrichter so.
Zu diesem Schluss kommt übrigens auch ein relativ aktuelles Rechtsgutachten des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht aus dem Jahr 2013. In dem Gutachten wird juristisch geprüft, ob die Beschlagnahmung von Akten des Jugendamts für die Durchführung eines Strafverfahrens zulässig ist, und ein weiteres Rechtsgutachten des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht prüft die Übermittlung von Daten über Bürgerinnen und Bürger, die eine Kindeswohlgefährdung melden und um Anonymität gebeten haben, und darum geht es ja hier. In diesem Gutachten heißt es auch ganz deutlich, selbst wenn ein Gerichtsbeschluss vorliegt, dürfen nur Akteninhalte übermittelt werden, die nicht dem besonderen Vertrauensschutz unterliegen. Es gibt also selbst bei einem vorliegenden Gerichtsbeschluss für die Übermittlung von Sozialdaten rechtliche Einschränkungen. Sie verdeutlichen vielleicht auch für Öffentlichkeit die rechtliche Situation, in der sich das Jugendamt befindet.
Das Jugendamt ist meines Erachtens hier keinesfalls zu geizig mit Informationen umgegangen. Ich finde, es gibt an der Schnittstelle ein Problem: Der Casemanager hat es offensichtlich dem zuständigen Ermittlungsdezernat, nämlich dem K 32, mitgeteilt – weil er die Beratung wollte, wie er etwas erkennen könne –, es lägen eventuell Beweise vor. In dem Moment ist das K 32, also die Polizei, verpflichtet zu ermitteln. Insofern haben beide Behörden richtig gehandelt.
Die Mitarbeiter des Jugendamts treffen häufig schwierige Abwägungen, und ihr Maßstab ist dabei eben das Kindeswohl und nicht die Strafverfolgung, das ist nämlich der Auftrag. Sie haben eine große Verantwortung, und sie gehen auch persönlich ein großes Risiko ein. Es ist daher verständlich, dass sich der Casemanager abgesichert und mit Spezialisten beraten hat, auch mit der Polizei. Möglicherweise muss der Verfahrenskatalog aus dem Jahr 2010 in dieser Frage noch konkretisiert werden, deswegen begrüßen wir hier ausdrücklich die angekündigte Überprüfung.
Es ist auch richtig, dass die Staatsanwaltschaft trotz anonymisierter Beratung Ermittlungen aufgenommen hat, denn es besteht ein öffentliches Interesse an einer Verbrechensverfolgung, und gegen Kindesmissbrauch muss ohne Frage vorgegangen werden!
Das Einzige, was bei einem solchen Verfahrensstand, wie es im November der Fall war, alle Behörden abwägen müssen, ist, ob ein Strafverfahren zu diesem Zeitpunkt dem Kindeswohl entgegensteht oder es ihm dient. Dort muss man immer genau hinschauen, und es ist deshalb richtig, in solch einer Situation nicht freigiebig mit vertraulichen Informationen umzugehen, sondern sich an die korrekten, rechtlichen Verfahrensweisen zu halten, also auch zu schauen, was der Ermittlungsrichter dazu sagt.
Ich finde – und das ist das Einzige, was hier wirklich zu diskutieren ist, und das muss man auch ernsthaft tun, aber dafür braucht man keine Aktuelle Stunde unter solch einem Thema –, wenn sich in der Praxis herausstellt, dass der vereinbarte Verfahrenskatalog Probleme aufweist, dann muss selbstverständlich jetzt in Kooperation mit allen Ressorts geschaut werden, was verbessert werden muss.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dafür brauchen wir hier aber keine Profilierung einzelner Abgeordneter über Aktuelle Stunden! – Danke!
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Als vor circa acht Jahren der kleine Kevin tot in einem Kühlschrank gefunden wurde, war man ziemlich schockiert und auch ziemlich ratlos. Der Untersuchungsausschuss, der daraufhin – übrigens auch kurz vor einer Bürgerschaftswahl – einberufen wurde, hatte sich fest vorgenommen, aus dieser Angelegenheit kein Wahlkampfthema zu machen.
Helmut Pflugradt von der CDU war damals der Vorsitzende des Ausschusses, Hermann Kleen war der Obmann der SPD, und ich selbst war stellvertretender Ausschussvorsitzender für die Grünen. Das war die Gemengelage kurz vor der Wahl, und wir haben uns gesagt, dass wir mit diesem Thema keinen Wahlkampf betreiben werden!
Ich finde, das war eine kluge und richtige Entscheidung, und das haben wir eigentlich – im Nachhinein kann man das in dem Ausschussbericht auch gut nachlesen! – auch tatsächlich durchgehalten. Wir haben gesagt, dass wir herausfinden wollen, an welcher Stelle es Mängel und Fehler gab, und wer warum wie falsch agiert hat. Das war das Ziel des damaligen Ausschusses. Es ist auch sehr gründlich aufgeklärt wor
Ich finde es ziemlich abwegig, dass man immer wieder mit dem Hinweis auf den Fall Kevin jetzt irgendwie irgendwelche Behauptungen in den Raum stellen sollte oder könnte! Frau Ahrens, der einzige Punkt, den Sie richtig wiedergegeben haben, besteht darin, dass wir gesagt haben, an den Schnittstellen der verschiedenen Behörden muss die Zusammenarbeit verbessert werden. Das war eine Erkenntnis aus diesem Ausschuss.